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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

200 Jahre Staatliche Hochschule für bildende Künste – Städelschule – Frankfurt am Main (2)

10 JAHRE FEUILLETONFRANKFURT
10 JAHRE EINDRÜCKE UND STREIFLICHTER ZU RUNDGÄNGEN UND ABSOLVENTENAUSSTELLUNGEN DER STÄDELSCHULE

Von Erhard Metz

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Aus Anlaß des Jubiläums 200 Jahre Städelschule publizieren wir im folgenden – weniger für das Smartphone geeignet als für Betrachter am heimischen Rechner – einen „Leporello“ aus 10 Jahren subjektiv-auswählender Berichterstattung von Rundgängen und Absolventenausstellungen 2007 bis 2016 in FeuilletonFrankfurt. An die 60 aneinandergefügte Artikel mit insgesamt geschätzt fast 600 Abbildungen können lediglich ein nur kleines und unvollständiges Bild vermitteln von dem Reichtum dessen, was wir in den Rundgängen und Absolventenausstellungen dieses Dezenniums zu sehen bekamen. Der nun auf „Einzug/Weiterlesen“ gestellte Beitrag wendet sich an Leserinnen und Leser, die ein entsprechendes Interesse an der Städelschule und die erforderliche Zeit mitbringen.

Absolventenaustellung 2007 „Hit the Road Jack“

Absolventen der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Frankfurt am Main, der Städelschule – sind sie die „Rembrandts“, die „Picassos“, die „Warhols“ von morgen und übermorgen? Wir wünschen es ihnen. Ein steiniger Weg liegt vor ihnen, der sich aber auch als erfüllend und beglückend erweisen kann. Allemal droht die bekannte „Brotlosigkeit“ der Künste. Für viele jedenfalls. Manche werden der Versuchung erliegen, sich dem willig-billigen Zeitgeist anzudienen, andere werden als Einzelkämpfer um immer neue Möglichkeiten ringen.

Das Städel Museum in Frankfurt am Main eröffnete am 18. Oktober 2007 unter einem riesigen Besucherstrom die Ausstellung „Hit the Road Jack“ mit Abschlussarbeiten der diesjährigen Hochschulabsolventen. Der Absolventenpreis ging an den Künstler Martin Hoener für seine aussergewöhnliche Arbeit „Sinnbild der umgekehrten Vorstellung von Dir in meiner Seele (Porträt des Mr. Glendinning aus ‚Pierre‘ von Herman Melville), 2007“. Martin Hoener wurde 1976 in Wedel bei Hamburg geboren. Er studierte zuletzt in den Klassen der Städel-Professoren Thomas Bayrle und Michael Krebber. Hoener hatte bereits Einzelausstellungen in zwei Frankfurter Galerien sowie zahlreiche Gruppenausstellungen in Deutschland und im Ausland. Herzliche Glückwünsche auch von hier aus an den Preisträger!

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Martin Hoener, Preisträgerarbeit „Sinnbild der umgekehrten Vorstellung von Dir in meiner Seele (Porträt des Mr. Glendinning aus ‚Pierre‘ von Herman Melville), 2007“, Öl auf Leinwand, gerahmt

Stifter des Preises ist der Verein Städelschule Portikus e.V., die Auszeichnung ist mit 2.000 € dotiert.

Die Abschlussausstellung der Absolventinnen und Absolventen 2007 steht unter dem Motto „Hit the Road Jack“, dem Titel des berühmten Songs von Percy Mayfield, der wiederum dem amerikanischen Schriftsteller Jack Kerouac gewidmet ist. Kerouac verbrachte einen großen Teil seines Lebens auf der Strasse, was sich auch in seiner Literatur niederschlug. Viele der heutigen Künstlerinnen und Künstler gleichen ebenfalls „Nomaden“, sie reisen von Ausstellung zu Ausstellung, produzieren ihre Werke oft vor Ort anstatt im Atelier und passen sich – sagen wir einmal nolens, volens – den Gegebenheiten an, die sie vorfinden.

„Das Verhältnis des einzelnen Studierenden zur Institution kann“, schreibt Tobi Maier, Kurator des Frankfurter Kunstvereins und ebenso der Absolventenausstellung, “ zwischen Begeisterung und Verzweiflung, zwischen Inspiration und Zurückgezogenheit schwanken. Bei Studierenden wie jenen der Städelschule, die so viele unterschiedliche Hintergründe haben und von so vielfältigen, international erfolgreichen Künstlerinnen und Künstlern unterrichtet werden, ist es nur natürlich, dass sie über die Jahre ihren eigenen unverwechselbaren Stil entwickelt haben. Das kuratorische Konzept, das zur Anwendung kam, ist deshalb der einzige gemeinsame Nenner, der die teilnehmenden Studentinnen und Studenten eint, nämlich die Tatsache, dass sie alle die Schule verlassen und somit ‚auf der Strasse‘ sein werden. Im Gegensatz zu dem Song von Percy Mayfield, der mit ‚and don’t you come back no more … (und komm’ bloss nicht mehr zurück)‘ weitergeht, wird der eine oder andere Künstler bestimmt am Rande der Aktivitäten der Städelschule und anderer Frankfurter Kunsträume wieder auftauchen.“

In den Ansprachen klang eine leise Kritik der Jury daran an, dass ihrem Eindruck nach manche der Absolventen kaum ihre Chance wahrgenommen hätten, die Möglichkeiten dieser, in attraktiven Räumlichkeiten des Städel Museums angesiedelten Ausstellung und deren öffentlichen Wirkung zu nutzen.

 

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Angel Peychinov, Der Sprung 1 und 2, Öl auf Leinwand

Über den Preisträger Martin Hoener hinaus haben es auch die anderen Absolventen (der Professorenklassen Michael Krebber, Mark Leckey, Christa Näher, Tobias Rehberger, Willem de Rooij, Simon Starling und Wolfgang Tillmans) verdient, namentlich erwähnt zu werden: Beatrice Barrois, Will Benedict, Billa Burger, Magdalena Domagalska, Carmen Gheorghe, Jean Gies, Güler Gülsüm, Thomas Judin, Stefanie Kettel, Mustafa Kunt, Anna Kwiatowski, Jonas Leihener, Knut Liese, Stephan Mark, Maya Oelke, Angel Peychinov, Mikio Saito, Katharina Schücke, Benedicte Sehested, Anne Speier, Robert Speranza, Katharina Stöver, Nina Tobien, Jelena Trivic, Tris Vonna-Michell, Xiao Zhou und Zadran Zpugmai.

 

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Nina Tobien, Formkrise, Plastiktüten in Plexiglaswürfel

Die Eröffnungsveranstaltung endete – wie kann es anders sein – mit einem zünftig-stilvollen Städelschulfest, an dem auch die „älteren Semester“ – und nicht nur der Städelabsolventen – ihr Vergnügen hatten.

(Bildnachweis: Städelschule; Fotos: Alexander Heimann)

Absolventenausstellung 2008

Ende 2008 ? Anfang 2008!

„Ende 2008“ heisst die diesjährige Abschlussausstellung der Absolventinnen und Absolventen der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, der Städelschule in Frankfurt am Main. Eine gute Tradition findet damit ihre Fortsetzung.

Aber der diesjährige Titel scheint ein wenig resignativ anzumuten, sollte doch ein erfolgreicher Hochschulabschluss einen Anfang, den Schritt in einen neuen Lebensabschnitt bedeuten, in welchem man  – endlich – auf eigenen Füssen steht und seine weiteren persönlichen und beruflichen Perspektiven so frei wie möglich gestalten kann. Deshalb möchten wir den Studienabgängern lieber zurufen: Anfang 2008!

26 Absolventinnen und Absolventen der Städelschule stellten am 4. September 2008 ihre Abschlussarbeiten vor, die von Malerei und Skulptur über Fotografie, Video und Film bis zu Rauminstallationen reichen. Die sehenswerte Ausstellung im Erdgeschoss des Städel-Anbaus bleibt leider nur bis zum 21. September geöffnet. Wer sich über den Stand der künstlerischen Reflexionen und Entwicklungen an einer der bedeutendsten Kunstakademien Europas informieren will, sollte sie keinesfalls versäumen.

Martin Engler, Sammlungsleiter für die Kunst nach 1945 am Städel Museum, Daniel Birnbaum als Rektor der Städelschule und Georg-Christof Bertsch, Vorstand des Vereins Städelschule Portikus e.V., eröffneten die Ausstellung mit Werken der Absolventen Ola Bielas, Erik Blinderman, Nils Ebert, Michael Eddy, Jana Euler, Simona Galeckaite, Manuel Gnam, Andrei Koschmieder, Laura Kuch, Pedro Lagoa, Sascha Langer, Maria Loboda, Elena Loukianova, Marina Naprushkina, Julia Nuss, Sarah Ortmeyer, Karl Orton, Mario Pfeifer, Att Poomtangon, Stehn Raupach, Benjamin Saurer, Matthias Scholten, Slava Seidel, Anja Sopic, Stephen Suckale und Hendrik Zimmer. Sie waren Schülerinnen und Schüler der Klassen der Professoren Michael Krebber, Mark Leckey, Christa Näher, Tobias Rehberger, Willem de Rooij und Simon Starling.

Wie im letzten Jahr fragen wir uns: Wo werden wir den Künstlerinnen und Künstlern künftig wieder begegnen, in welchen Galerien und Museen werden wir ihre Arbeiten antreffen, werden manche ihre weiter auszubauenden Ideen, Fertigkeiten und Erfahrungen als Lehrer an künftige Generationen weitergeben, aber werden auch einige am rauhen Lebensalltag stranden? Neun von zehn akademisch ausgebildeten jungen Künstlern werden, so heisst es, kaum einen angemessenen Lebensunterhalt mit einem Verkauf ihrer Arbeiten bestreiten können. Der „Kunstmarkt“ ist in weiten Teilen durchkommerzialisiert, seine Gesetzmässigkeiten sind hart und unerbittlich, zumeist rücksichtslos gegenüber der menschliche Seite der Künstler. Das Angebot an junger Kunst ist auch für Professionelle kaum mehr überblickbar, die Konkurrenz im Kreis der Künstler riesengross. Und doch: Es ist beglückend zu sehen, dass sich junge Künstlerinnen und Künstler durch solcherlei Szenarien nicht beirren lassen und sich immer wieder aufmachen, ihren Weg zu finden und zu gehen. Und: Diese Ausstellungen im Städel Museum gewähren den an ihr Beteiligten einen durchaus respektablen Start in die künftige künstlerische Existenz.

Traditionell wird bei der Ausstellungseröffnung der vom Verein Städelschule Portikus e. V. gestiftete, mit 2000 Euro dotierte Absolventenpreis vergeben. Preisträgerin des Jahrgangs 2008 ist Sarah Ortmeyer mit ihrer Arbeit „Gala La Love“. Die 1980 in Frankfurt am Main geborene Künstlerin studierte zuletzt in den Klassen der Professoren Wolfgang Tillmanns und Simon Starling.

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© Sarah Ortmeyer 2008, Gala La Love, Papier auf Holz

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Thema der Preisträgerarbeit sind „Paare“, die sich in der Vorstellung der Künstlerin beziehungsweise in der Realität niemals begegneten oder begegnen konnten oder dies eben gerade doch auf eine besondere Weise taten, wenn auch kaum unter dem Vorzeichen „love“. Überhaupt: Was für eine Verknüpfung: „la“ und „love“! Zum einen, sicher eher vordergründig, parodiert Ortmayer mit subtilem Humor auf mehreren Reflexionsebenen am Beispiel der Zeitschrift „Gala“ eine dem Zeitgeist verhaftete Presse, die sich mit realen oder vermuteten Beziehungsgeschichten über „Prominente“ an ein – wie die publizistische Forschung ausweist – ganz überwiegend weibliches Publikum wendet unter dem Motto „gute Nachrichten und schöne Bilder statt negative Schlagzeilen und Leid“. Entsprechend gehören zu dem Werk einige Exemplare einer „Gala“-Ausgabe (Nr. 37 vom 4. September 2008), mit einem Einhefter der Künstlerin versehen, der verschiedene Angaben und Illustrationen über die in der Realität möglichen wie vermeintlichen „Paare“ beinhaltet.

Wer sich eingehender mit der Arbeit von Sarah Ortmeyer auseinandersetzen will, muss zuvor selbst einiges an eigener Arbeit investieren: Es wird ihm nicht erspart bleiben, sich mit dem Leben und dem Handeln der betreffenden Personen näher zu befassen, um den Un- oder Hinter-Sinn ihrer „Paarungen“ zu ergründen: Die Mühe lohnt sich, man wird erstaunliche Entdeckungen machen.

Sarah Ortmeyer bringt auf diese Weise Angela Davis und Theodor Adorno, Glenn Gould und Thomas Bernhard, Sophie Scholl und Otl Aicher, Andreas Baader und Nico (Christa Päffgen), Peggy Oki und Tony Alva, Simone de Beauvoir, Che Guevara und Jean-Paul Sartre – ausnahmsweise als Trio und in der Mitte des Ensembles positioniert, entsprechend der historischen Begegnung der drei im Jahr 1960 – , Queen Elizabeth II und Marcel Duchamp, Barbra Streisand und Bobby (Robert James Fischer), George Schulte-Frohlinde und Yoko Ono, Djuna Barnes und Thelma Wood sowie schliesslich Ludwig Wittgenstein und Margarethe Stonborough Wittgenstein jeweils miteinander in Beziehung.

Die Arbeit besteht aus elf Holzkästen, innen mit weissem Passepartout-Karton ausgekleidet, die bildlichen Darstellungen sind, jeweils im Passepartout-Fenster, in unterschiedlicher Weise angeordnet.

Die diesjährige Jury – Georg-Christof Bertsch, Martin Engler, Melanie Ohnemus (Kuratorin, Portikus) und Thomas Wagner (freier Kunstkritiker) – hat ein sperriges Werk prämiert, das dem betrachtenden Publikum einiges „zumutet“.

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© Benjamin Saurer 2008
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ohne Titel, Mischtechnik auf Papier

Kuratorin der Ausstellung ist Katharina Dohm von der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Ihr gelang es mit viel Einfühlungsvermögen, die sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen in einen durchaus sich erschliessenden Kontext der Präsentation eines Jahrgangsabschlusses zu bringen. Städelschul-Rektor Daniel Birnbaum, durchaus bekannt als ein Freund offener Kritik,  zeigte sich entsprechend sehr zufrieden mit der Qualität der Ausstellung.

(Bildnachweis: Städelschule / Städel Museum; Fotos: Norbert Miguletz)

Rundgang 2009

Den traditionellen „Rundgang“ der Städelschule – besser durch die Städelschule – am vergangenen Wochenende mussten wir dieses Jahr auf das Stammhaus in der Dürerstrasse  konzentrieren: Und dort wiederum entschieden wir uns aus der breiten Palette des Dargebotenen für die Malerei.

Unser Eindruck: In dieser Sparte der bildenden Künste entschieden sich nicht wenige Künstlerinnen und Künstler für das Figurative – oder sie kehrten zur figurativen Malerei zurück. Wir liessen uns dabei nicht entmutigen durch Sentenzen wie diese, dass alles nur Erdenkliche mindestens schon einmal, vielleicht gar tausendmal gemalt wurde. Denn jedes Neue ist ein Anderes.

Wir wollen an dieser Stelle nicht bewerten, sondern Exemplarisches zeigen (wobei jedweder Auswahl notwendigerweise ein – ebenso notwendigerweise subjektiver – Bewertungsprozess zugrunde liegt).

Hier nun eine kleine Auswahl, lediglich mit den Namen der Städelschülerinnen und Städelschüler versehen (da Titel-, Malmittel-, Format- und Klassenangaben mitunter fehlten):

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Genoveva Filipovic

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↑↓ Tom Przondzion

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↑↓ Jenny Kalliokulju

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↑↓ Vinzent Spielmann

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↑↓ Hannes Michanek

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(Fotos: Erhard Metz; © jeweilige Künstler)

Absolventenausstellung 2009

DUDE, WHERE’S MY CAREER?

– so titelt die am 18. September eröffnete Abschlussausstellung 2009 der Absolventinnen und Absolventen der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule. Melanie Ohnemus und Bernd Reiß kuratieren die Doppelausstellung an den beiden Standorten PORTIKUS und MMK  ZOLLAMT in Frankfurt am Main.

Die Namen der diesjährigen Hochschulabgänger aus den Klassen der Professoren Christa Näher, Willem de Rooij, Michael Krebber, Mark Leckey, Simon Starling und Tobias Rehberger:

Marisa Argentato, Wiebke Bachmann, David Catherall, Florencia Colombo, Simon Denny, Martin Flemming, Jorma Foth, Oleksiy Gendlin, Florian Heinke, Oliver Heinzenberger, Hanna Hildebrand, Janus Hochgesand, Simone Junker, Normann Kaiser, Klaus Kamptner, Marty Kirchner, Max Kober, Flo Maak, Stefanie Mayer, Ryan Siegan-Smith, Cristina Szilly, Rebecca Ann Tess, Christian Tonner, Siw Umsonst, Friedrich Vater, Jeronimo Voss und Natalie Vu.

Dude, where’s my Career? So lautet der Titel eines Buches – eines Art Leitfadens für Studienabgänger. Eine ironische, vielleicht ein wenig zynische Frage junger Künstlerinnen und Künstler an die Gesellschaft. Die Hochschule ist Vergangenheit, die Zukunft liegt im Ungewissen. Eine Karriere als Künstler ist weder planbar noch ergibt sie sich als Wahrscheinlichkeit. Und was ist das überhaupt, eine Künstlerkarriere? Worin manifestiert sie sich, am Ende im Geld, am sogenannten Kunstmarkt? Manche der Absolventen mögen sich zunächst einmal allein gelassen fühlen, andere werden neue Freiheiten geniessen, bis ein eher nach Graubrot als nach Kuchen schmeckender Alltag sie einholt.

Den diesjährigen, vom Verein STÄDELSCHULEPORTIKUS e.V. gestifteten, mit 2000 Euro dotierten Absolventenpreis erhielten  zu gleichen Teilen Hanna Hildebrand und Janus Hochgesand.

„Hanna Hildebrand zeigt uns“, so die Begründung der Jury, „in ‚A display with a purpose‚ überzeugend die Übertragung einer Performance in eine skulpturale Lösung. Sie destilliert das eine Medium hochkonzentriert in ein Neues.“

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Hanna Hildebrand, „A display with a purpose“, 2009, table, magazine, video

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Ein niedriger Tisch, in dessen Platte ein Bildschirm eingearbeitet ist, ein Performance-Video, ein aufgeblättertes Heft des Lifestyle- und  Stadtmagazins „Prinz“ (Frankfurt-Ausgabe). Eine Integration der Medien Video und Print mit einem möbelartigen „Bildschirm-Lese-Tisch“ zu einer Gesamtskulptur.

Hanna Hildebrand wurde 1978 in Como geboren. Seit 2003 studierte sie, unterbrochen von einem Auslandssemester in Japan, an der Städelschule bei Professor Tobias Rehberger. Sie stellte bisher in Belgrad, Frankfurt am Main und Münster aus. In ihren Performances befasst sie sich zumeist mit der Thematik Gruppen und Individuen. Sie ist Ko-Autorin des Buches „kunst lehren – teaching art. Städelschule Frankfurt“.

„Es gelingt Janus Hochgesand, in seiner szenischen Installation mit dem Titel: ‚Wenn Sex überall ist, gibt es keinen mehr‘ vor allem durch die Wahl der Materialien eine präzise formale Lösung zu finden. Seine skulpturale Sprache entwickelt Narratives, ohne dabei etwas abzubilden“ lautet das Urteil der Jury zur Verleihung des Preises an den Künstler.

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Janus Hochgesand, „Wenn Sex überall ist, gibt es keinen mehr“ aus der dreiteiligen Serie Denk mal an mich, 2009, Stoff, Holz, Pfauenfeder

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Mit der Installation könnten wir eine kritische Beziehungssituation zwischen dem Maskulinen und dem Femininen, zwischen Mann und Frau also assoziieren. Zwischen den beiden Skulpturen liegt voller schmerzlicher Poesie eine zerrissene Pfauenfeder auf dem Boden.

Der 1981 in Dierdorf geborene Janus Hochgesand studierte zunächst an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe bei Andreas Slominski. Nach einem Auslandsaufenthalt an der Kunsthochschule La Esmeralda in Mexiko-City setzte er sein Studium an der Städelschule bei Professor Tobias Rehberger fort.

Hochgesand stellte neben Frankfurt am Main in Alexandria, Ettlingen, Köln, London und Mexiko-City aus. Grosse Beachtung fand jüngst seine Arbeit in der gemeinschaftlichen Ausstellung mit Philip Götze „Wannabe – ein Sehnsuchtsmodell“ in der Frankfurter Hochschule Sankt Georgen.

Zur Ausstellung erschien ein bemerkenswerter Katalog: in Gesangbuch-Schwarz eingebunden, artig mit einem schwarzen, zusammenhaltenden Gummiband versehen. Beim Aufblättern entfaltet er kladdenhaften Arbeitscharakter. Wer sich auf das knapp 130 Seiten starke Büchlein einlässt, kann zwar seine Füsse auf dem Sofa belassen, muss sich aber selbst auf ein tüchtiges Stück Arbeit einstellen. Das muss ja nicht unbedingt falsch sein.

(abgebildete Werke © Hanna Hildebrand bzw. Janus Hochgesand; Fotos: Erhard Metz)

Rundgang 2010

Wer sich über das aktuelle Kunstgeschehen in Frankfurt am Main informieren wollte, musste einfach dabei sein: beim „Rundgang 2010“ durch die Städelschule.

167 Studentinnen und Studenten der Bildenden Kunst und der Architektur aus den Klassen der Professoren Ben van Berkel, Judith Hopf, Michael Krebber, Christa Näher,  Mark Leckey, Tobias Rehberger, Willem de Rooij und Simon Starling präsentierten aktuelle Arbeiten.

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Stadträtin Elisabeth Haindl, Barbara Bernoully vom Kuratorium Städelschule und Rektor Daniel Birnbaum bei der Eröffnung des Rundgangs 2010 nebst Preisverleihung

Wie in den vergangenen Jahren überreichten die Sponsoren der Städelschule Albig-Stiftung, Delbrück Bethmann Maffei ABN AMRO AG, Ernst & Young GmbH, Frankfurter Verein für Künstlerhilfe e.V., Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung, Haus & Grund Deutschland, Landwirtschaftliche Rentenbank, Linklaters LLP sowie Lohr & Schach attraktiv dotierte Förderpreise an:

Marisa Argentato, Zoe Barcza, Plamen Bontchev, Max Brand, Sofia Buchardi, Helen Demisch, Jonas Jensen, Erik Lavesson, Xue Liu, Marcel Petry, Bonny Poon, Beatrice Steimer und Phillip Zach.

Berücksichtigt wurden die Arbeiten aller Studierenden ab dem zweiten Semester sowie der Austauschstudentinnen und -studenten ungeachtet deren Semesteranzahl. Mit den Preisen wollen die Sponsoren herausragende künstlerische Leistungen belohnen und zu interessanten jungen Positionen ermutigen.

Aus der Vielzahl der gezeigten Arbeiten an den Standorten der Schule Dürerstrasse und Daimlerstrasse hier eine kleine Auswahl, wohl wissend, dass Auswahlen stets unvollkommen und auch ungerecht sind:

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Britta Kamptner, „…weil die Wespe keine Biene ist und die Kartoffel kein Ei ! Zack, zack, zack … fertig ist der Lack“ (Klasse Christa Näher)

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Silja Yvette

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Hannes Michanek, „Raft“ (Klasse Michael Krebber)

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Jenny Kalliokulju (Klasse Christa Näher)

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Alfred Bomann (Klasse Tobias Rehberger)

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Sarah Schoderer (Klasse Christa Näher)

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“ … dann sah er es. Sanfte weisse Hände strichen die Schneide entlang. Diese Macht war unbekämpfbar, das Handgelenk entspannte, die Finger gaben auf. Es kam abhanden.“
Rasmus Søndergaard Johannsen (Klasse Simon Starling)

Abschliessend eine interessante Arbeit, die die derzeit in der Bauphase befindliche Erweiterung des Städel Museums in ihrer gesellschaftlichen Situation und Dimension mit Esprit und Ironie reflektiert:

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Paul Wiersbinski / Zuzanna Czebatul (Klassen Michael Krebber/Mark Leckey)

(abgebildete Arbeiten © der jeweiligen Künstler; Fotos: Erhard Metz)

Absolventenausstellung 2010 „Geschmacksverstärker“

„Wir freuen uns, die Ausstellung erneut in unserem Haus zu präsentieren, denn dem MMK ist es als Museum für zeitgenössische Kunst ein besonderes Anliegen, im direkten Kontakt zu jungen Künstlern zu stehen und sie mit Ausstellungen wie diesen zu fördern“, leitete Peter Gorschlüter, der neue Stellvertretende Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, die Absolventenausstellung 2010 der Städelschule ein. Dieser inzwischen siebten öffentlichen Absolventen-Werkschau öffnet das MMK jetzt zum zweiten Mal, nach der Ausstellung im Vorjahr, den grossen Ausstellungsraum in seiner Dependance „Zollamt“.

Ausgestellt werden in diesem Jahr Arbeiten von Eric Bell, Anne Lina Billinger, Plamen Bontchev, Nicolas Ceccaldi, Carmina Conradt, Edith Deyerling, Michele Di Menna, Jakob Emdal, Mate Andras Feles, Julia Feyrer, Kristoffer Frick, Philip Götze, Lena Henke, Yuki Higashino, Yngve Holen, Britta Kamptner, Ilja Karilampi, Xue Liu, Shane Munro, Ayaka Okutsu, Claus Rasmussen, Oona-Lea von Maydell und Iori Wallace aus den Klassen der Professoren Bonni Camplin, Christa Näher, Willem de Rooij, Michael Krebber, Simon Starling und Tobias Rehberger.

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Daniel Birnbaum und Peter Gorschlüter in der Pressekonferenz

Mit den Absolventen der Hochschule freut sich auch deren scheidender Rektor Professor Daniel Birnbaum (er übernimmt im November die Leitung des Moderna Museet in Stockholm) über die Möglichkeit, die Arbeiten erneut in einem renommierten Museum für kontemporäre Kunst anstelle der schuleigenen Ateliers ausstellen zu können. „Mit dieser Ausstellung überschreiten Sie“, verabschiedet Birnbaum seine Studenten, „die Grenze in ein neues Leben. Sie stehen noch auf der Schwelle – mit ‚Geschmacksverstärker‘ sind Sie auf dem Weg in eine neue Situation. Dies ist der letzte Augenblick mit uns in der Städelschule und zugleich der erste Augenblick ohne die Städelschule“. Und auch wir hoffen, den Absolventen, dann als freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern, wieder zu begegnen.

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Claus Rasmussen, „The History of the White Shirt“, 2010

Die diesjährige Werkschau hat Bernd Reiß (MMK) sorgfältig kuratiert, die Absolventen wiederum hatten die Möglichkeit, ihre Arbeiten im Hinblick auf die spezifische Situation des Ausstellungsraums zu konzipieren. Womit wir beim Thema der aktuellen Ausstellung wären: Zu sehen sind fast ausschliesslich Arbeiten konzeptueller Kunst. Sie erreichen zumeist einen ausserordentlich hohen Reflexionsgrad und erschliessen sich, wie sich schon am Eröffnungsabend zeigte, dem interessierten Betrachter manches Mal erst in einem Dialog mit Künstler oder Kurator.

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Ayaka Okutsu, „Whiteout – would you care for who you are“, 2010, Videoinstallation

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Philip Götze, „Die Angela Merkel der Kunst“, 2010 (zweiteilig)

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Ilja Karilampi, „AKON“, 2010, Gips, Laufschuhe; im Hintergrund rechts: Michele Di Menna, „Schatten“ (Detail), 2010, Sculpture and program text

Ob (bereits) „Geschmacksverstärker“ oder (erst) Appetitanreger: Die Exponate der Hochschulabsolventen wollen – wie dieses Kissen, an das man, wenn man es denn weiss,  sein Ohr legen kann und soll – erarbeitet werden. Oder wie der Einkaufs- (Geh-) wagen mit Vanitas-Uhr und -kerze nebst Knusperfrühstücke verheissenden Kellogg’s-Packungen: eine Fehlinterpretation, deren man sich anhand handschriftlicher Ausführungen auf den Rückseiten der Schachteln  – Kunstwerke darf man bekanntlich nicht berühren – nur niederkniend, wenn nicht bäuchlings liegend – vergewissern kann? Ein Vormittag wird für all diese Erkundungen nicht reichen und vielleicht auch kaum ein zweiter. Vor allem aber sollte man sich der Erfahrung nicht verschliessen, dass auch konzeptuelle Kunst sinnlich ist – die hier gezeigten Beispiele sollen darauf neugierig machen.

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Yngve Holen, „1/2 Asleep to the 2010 Hot 1001“, 2010

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Nicolas Ceccaldi, „Insanatorium“, 2010

Der diesjährige, wiederum mit 2000 Euro dotierte Absolventenpreis des Vereins Städelschule Portikus e. V. ging an Shane Munro. Barbara Bernoully, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Städelschule für junge Künstler und Kuratoriumsmitglied des Vereins, trug die Begründung der Jury vor:

„Shane Munros zweiteilige Präsentation mit den Werken ‚Museum of Unfinished Art‘ und ‚offcuts unfinished‘ überzeugt durch die Überlagerung verschiedener künstlerischer Strategien und Ebenen. Malerei, Objekt und Video, aber auch Aktion, Dokumentation und Text gehen in seinen Arbeiten subtil ineinander über. Als Bildträger für ‚Offcuts unfinished‘ verwendet er Relikte, weggeworfene Reste aus der letzten Rundgangausstellung.

Für das Video ‚Museum of Unfinished Art‘ verfolgte der Künstler über mehrere Monate die Bauarbeiten für den neuen Anbau am Städelmuseum und zeichnete diese mit einer Videokamera auf.

Eine mit Werken von 14 Künstlern und einem Science Fiction-Text gefüllte und versiegelte Raketenröhre wurde von Shane Munro schliesslich, kurz bevor das Betonfundament gegossen wurde, in einer Nachtaktion in den Boden unter dem Neubau eingelassen. Als Zeitkapsel bleibt sie dort unweigerlich mit dem Ort und unserer Gegenwart für immer verbunden.

Das Video überlagert dokumentarische Filmaufnahmen der Bauarbeiten und Bilder der Aktion mit dem O-Ton des gleichnamigen (also unter dem Titel ‚Museum of Unfinished Art‘) an der Städelschule gehaltenen Vortrags des amerikanischen Science-Fiction-Autors Mark von Schlegel.

Munro setzt sich in diesen Arbeiten mit seiner unmittelbaren räumlichen, aber auch künstlerischen Umgebung sowie seiner Studienzeit in Frankfurt auseinander und verbindet sie zu einem Geflecht:

Künstlerische Praxis, Kuratieren und subtiler Protest, Aktualität und Zukunftsvision, Produktions- und Ausstellungsort bilden in seinem Werk neue und überraschende Einheiten.“

 

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Shane Munro, Träger des Absolventenpreises 2010

Der Jury gehörten neben Barbara Bernoully die Direktorin des Museums für Weltkulturen, Clémentine Deliss, sowie vom MMK Peter Gorschlüter und Sophie von Olfers an.

Ähnlich subversiv wie ein wesentliches Element der Preisträgerarbeit selbst: deren Unterbringung im Untergeschoss des Ausstellungsraums. Genial die kuratorische Entscheidung, den Bildschirm auf dessen Fensterbank aufzustellen – mit Ausblick auf den derzeitigen Abbruch des Technischen Rathauses. Abgeschnittene, vertrocknete Zweige: Reminiszenz an das Fällen der Bäume und Büsche im ehemaligen Städel-Garten zum Aushub des Baugrunds für das „Neue Städel“. Subversiv? In einer Nacht- und Nebelaktion brachte Munro ein Stück versiegeltes Raketenrohr des in der Jury-Entscheidung genannten Inhalts in den Baugrundstücksboden ein, bevor am darauffolgenden Tag die Betonbodenplatte darüber gegossen wurde – der Videofilm hält nach den Baumfällaktionen auch diese Szenen fest. Shane Munro hat sich selbst im „Neuen Städel“ unabänderlich und „fundamental“ verewigt!

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Preisträgerarbeit „Museum of Unfinished Art“ (Video)

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Preisträgerarbeit „offcuts unfinished“ (Deckencollage)

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Symbol vergewaltigter Natur: Preisträgerarbeit „offcuts unfinished“ (Detail)

„Geschmacksverstärker“ im MMK-Zollamt, bis 15. August 2010 © abgebildete Werke: jeweilige Künstlerinnen bzw. Künstler; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2011 (1)

Es ist wieder einmal soweit: Die Städelschule öffnete sich am Wochenende zu ihrem traditionellen jährlichen „Rundgang“ für das Publikum – der in diesem Jahr ein besonderer war, der erste nämlich nach der umfassenden Renovierung des Gebäudetraktes an der Frankfurter Dürerstrasse.

Nun aber hat es mit unserem Bericht ebenfalls eine besondere Bewandtnis: Wir beginnen nicht mit einem Blick auf die Arbeiten der Studierenden, sondern auf einen an der Städelschule Lehrenden.

Wir handeln von Douglas Gordon, einem der weltweit wichtigsten und einflussreichsten Künstler seiner Generation, seit Oktober vergangenen Jahres Professor für Film an der Städelschule. Er bezog sein Atelier am Lichthof des Altbaus und errichtete darin eine Küche. Kein Wunder – gehört doch eine „Kochwerkstatt“ seit langem zum festen Lehrangebot der Schule.

Douglas Gordon wurde 1966 in Glasgow geboren. An sein Bachelor of Art-Studium an der Glasgow School of Art schloss er ein Master-Studium an der Londoner Slade School of Art an, das er 1990 vollendete. Bereits 1996 wurde er mit dem renommierten Turner-Preis ausgezeichnet. Seine – oft bekannte Spielfilme verfremdenden – Filme und Videoinstallationen machten Gordon international bekannt. Darüber hinaus befasst er sich mit Klanginstallationen, Fotografien und Skulpturen. Seine Arbeiten finden sich in den grossen Museen der Welt.

In Gordons Küche: ein in strahlend-schwarzem Klavierlack mächtig-prächtig dastehender Flügel, eine Videoprojektion von Dana Munro, in der eine Banane im Zeitlupentempo ihrer Schale entkleidet wird, und natürlich Douglas Gordon und die Schar seiner Helferinnen und Helfer, der Künstler hatte sich eine knielange weisse Schürze umgehängt …

Samstag, 14 Uhr, Programmpunkt: „Douglas Gordon und Nikolaus Hirsch im Gespräch …“. Die Schulaula bis an die letzte Grenze ihrer Kapazität gefüllt.

Als der Filmprofessor am Podiumstisch wiederum mit seiner weissen Schürze erschien, hätte man ja eigentlich stutzig werden können …

Zunächst zog er seine Schuhe aus, nach einiger Zeit auch die Socken. Um einiges später folgte, beileibe nicht der stickigen Luft in der Aula geschuldet, die Hose. Da ahnte man, dass auch der Pulli noch an die Reihe kommen musste, was auch geschah. Fühlte man sich nun des eigenen Voyeurismus entlarvt? Immerhin blieb die lange weisse Schürze. Im Art Salon auf der Art Basel 2010 war eine vergleichbare Schürze von schwarzer Farbe, dafür sprang der Künstler im Adamskostüm recht lebhaft vor dem Publikum herum.

Auch die Banane im Küchenatelier entkleidete sich langsam, aber zusehens immer wieder ihrer Schale …

Douglas Gordon, auf wenige Fragen des Städelschulrektors weitgehend monologisierend, erzählte, teilweise von Videoprojektionen begleitet, von seinem Heranwachsen, seinem Weg zur Kunst, zum Künstlertum. Die anwesenden Vertreter der Medien werden darauf sicherlich noch zurückkommen. „Fuck the art schools! Noooo, that’s where the artists come from“ soll er in Basel gesagt haben, so jedenfalls finden wir es in „PLAYLUST“ zu lesen.

Dass der Kunstprofessor zu Ende des Gesprächs hin seine Garderobe in korrekt-umgekehrter Form wieder Zug um Zug anlegte, sei der Chronistenpflicht gehorchend ebenso korrekt vermerkt. Anschliessend ging es dann in die Küche, wo bereits die „Bloody Mary“ und allerlei Leckereien auf Gäste warteten.

Alles ist ambivalent, nichts scheint gesichert, alles hinterfragt sich. Dass sich ein Künstler – Jean-Christophe Ammann spräche wohl von „existenziellen“ Künstlern – mit seiner künstlerischen Arbeit vor seinem Publikum gleichsam „entkleidet“, sein Innerstes, seine psychische Befindlichkeit offenbart, ist das eine. Dass eben dies zum Gegenstand distanzierender Betrachtung, Kritik und Persiflage gerät, das andere.

Auch der „heimische“ Flügel – Inbegriff grossbürgerlich-kulturellen Selbstverständnisses – wird am Dunst des Küchen-Ateliers dauerhaft wenig Freude finden und sich nach einem Standort im Gralsrittersaal musikalischer Hochkultur zurücksehnen. Was natürlich wiederum einer persiflierenden Betrachtung wert wäre.

Wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit Douglas Gordon in einem grösseren Rahmen: Vom 19. November 2011 an wird das Frankfurter Museum für Moderne Kunst MMK dem Künstlers eine eigene grosse Ausstellung widmen. Das Haus führt neben anderen seiner Arbeiten eines seiner Hauptwerke „Play Dead. Real Time“ aus dem Jahr 2003 in seinem Bestand.

(Fotos: Erhard Metz)

Rundgang 2011 (2)

Am diesjährigen „Rundgang“ der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – der Städelschule – sollen sich nahezu alle rund 190 Studierenden mit Exponaten im Haupthaus und in der Dependance Daimlerstrasse beteiligt haben.

Unserer Wahrnehmung nach bestätigt sich, dass sich sehr viele der jungen Künstlerinnen und Künstler auf einem Wege, auf der Suche befinden; dass sie keine wie auch immer gearteten Ergebnisse liefern wollen, sondern Fragen formulieren: an die Gesellschaft, an den Lehrbetrieb der Schule, sicher auch an den Kunstbetrieb insgesamt – und vor allem an sich selbst. Solche Fragen bleiben stehen und zumeist unbeantwortet. Ob vom Betrachter Antworten erwartet werden oder nicht, mag einmal dahingestellt sein. Wichtiger erscheint für diesen zunächst, nicht in einer Rezipientenposition zu verharren, sondern solche Fragen aufzunehmen und für sich selbst weiter zu entwickeln.

Anna Zacharoff zum Beispiel hinterfragt nicht nur den Lehrbetrieb, wenn sie eine Städelschule en miniature unter freiem Himmel vor dem Haupteingang errichtet und zugleich – durchaus eine Ausstellung simulierend – mit eigenen Arbeiten bestückt. Das etwas krakelig beschriftete Etikett an der Tür, wie man es von Schulheften her kennt, holt alles wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine Arbeit auch von feiner Selbstironie.

Deutlich bitterer mutet dagegen die Performance von Hüseyin Oylum an, der auf dem Flur zwischen Aula und Bibliothek mit der Schere eine Ausgabe von „ART NOW“ aus dem Taschen Verlag in kleine Streifen zerschneidet, die er auf dem Boden verstreut. Resignation, Provokation, Suchen? Nicht immer entsteht auf den Trümmern des Alten etwas Neues. Mit der „Beschriftung“ der soeben renovierten Wand nebst Heizkörper können wir jedoch, seien wir ehrlich, nicht viel anfangen.

Skepsis scheint uns auch aus der Arbeit von Naneci Yurdagül unweit der Mensatheke zu sprechen: Soll, muss Kunst „Zeitgeist“ hinterfragen? Wird Kunst gar selbst als Zeitgeistiges wahrgenommen? Wie steht es dann mit all den überkommenen, für uns Nachgeborene herausragenden Meisterwerken der Antike, aus Gotik, Renaissance oder Barock, wie mit den Meisterwerken aussereuropäischer Kunst, allesamt aus „Zeitgeist“ geboren?

Führt hier im Atelier W 10 (Logi Bjarnason, Helen Demisch und Timothy Furey) der aus hölzernen Paletten gezimmerte Lattenrostweg über einen schwammigen, trügerischen Moorboden der Kunst? Das Regal in der Ecke ist schon umgekippt. Vor dem Absturz nach vorn, nach links und rechts bewahrt eine kräftige Kordel: nicht nur das in Scharen herbeigekommene Publikum. Und: Eine schöne Anspielung auf die bekannte Museumssituation, das Fernhalten des Publikums samt Kunstattentätern von kaum ermessbar teuren Kunstwerken. Ach wären wir, mögen manche Künstlerinnen und Künstler träumen, doch auch so weit!

Versteckt Annina Matter ihre Kunst erst einmal in sorgfältig verschlossenen Kisten, oder stehen wir bereits vor dem Kunstwerk selbst? Geschlossene Behältnisse machen neugierig und verunsichern zugleich. Auch wenn die Idee nicht neu ist, haben wir das Konvolut von Kisten doch mehrere Male umrundet. Es bleibt ein Geheimnis.

Zur Eröffnung des Rundgangs wurden folgende Peise verliehen:

Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung Förderpreis (5000 Euro): Alfred Boman

Jürgen H. Conzelmann-Preis (3000 Euro): Sabine Rak

Ernst & Young-Preis (3000 Euro): George Rippon

Linklaters LLP-Preis (3000 Euro): Naneci Yurdagül

PRE Real Estate Deutschland-Preis (2000 Euro), je zur Hälfte: Stewart Uoo und Dana Munro

Landwirtschaftliche Rentenbank Förderpreis (3000 Euro): Atelier W 10 (zu je einem Drittel: Logi Bjarnason, Helen Demisch und Timothy Furey)

Stylepark-Preis (3000 Euro): Milena Büsch

Zwei erschöpfte Besucherinnen des „Rundgangs“ vor dem monumentalen Gemälde „Warm Milk“ des stets präsenten Hannes Michanek in der Lichthalle des Altbaus an der Dürerstrasse: Ja, es gibt sehr viel zu sehen, weshalb wir uns für eine dreigeteilte Darstellung entschlossen haben.

Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2011 (3)

Eine Auswahl fällt, wie stets, schwer und ist ohnehin – so oder so – ungerecht. Wir bleiben in unserem kleinen Report vom diesjährigen Rundgang durch die Städelschule, wie bereits in Folge 2 zu beobachten war, bei dem Verzicht auf die Beschäftigung mit „Öl auf Leinwand“ und fokussieren unsere Betrachtung auf im weiteren Sinne Skulpturales. Es gibt dort sehr viel Spannendes zu entdecken.

„Ja, und was soll denn das jetzt sein?“ – so hörten wir immer wieder, und zwar keineswegs von „Banausen“, sondern von einem recht interessierten Publikum, das an besagtem Wochenende trotz herrlichstem Frühsommerwetter den auch in der Stadt von allergenreichem Blütenpollenstaub verhangenen Weg in Dürer- und Daimlerstrasse einem Ausflug ins – allerdings nicht minder allergenhaltige – Umlandgrün vorzog.

Nun, wie wir schon in der vorangegangenen Folge andeuteten, stellen Künstlerinnen und Künstler heute eher Fragen, als dass sie Antworten geben wollen. (Wobei allerdings auch Fragen bereits Antworten implizieren können.) Sie beschäftigen sich mit der Form und dem Verhältnis von Form und Inhalt, sie beschäftigen sich mit der Materialität der Dinge und der Werkstoffe, die sie bearbeiten, untersuchen und hinterfragen. Vielleicht ist es ja immer noch und immer wieder die uralte Faust’sche Frage „dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ – beileibe nicht im physikalisch-naturwissenschaftlichen Kontext, sondern im Sinn-Zusammenhang unserer physisch-psychischen Existenz.

Eigentlich müssten, so denken wir wohl alle manchmal, Künstler daran verzweifeln, dass anscheinend „alles“ schon gezeichnet, gemalt, skulpturiert und performiert wurde. Zum Glück tun sie das nicht.

Uns und Ihnen allen, liebe Leserinnen und Leser, bleibt die – allerdings vielversprechende – Möglichkeit, sich auf das einzulassen, was uns die Studierenden (wie Kunst generell) präsentieren, ja sogar mitunter in den Weg stellen, damit wir darüber stolpern und aufmerksam werden. Wir sollten uns in der Tat darauf ohne Vorbedingungen und Vorurteile einlassen, was Künstlerinnen und Künster uns zeigen wollen, uns Zeit dazu nehmen, es umschreiten und betrachten, damit in jeder Weise umgehen. Wir sollten wieder „lesen“ lernen in Bildern und Materialien, Formen und Chiffren.

Dies ist unser Vorschlag und unsere Aufforderung an unser verehrtes Publikum. Wir verzichten deshalb auf unsere eigenen subjektiven Deutungen und Interpretationen. Denn alles Abgebildete spricht im Grunde, so meinen wir, für sich. Leider jedoch können unsere fotografische Abbildungen in keinem Falle die originären Raumeindrücke wiedergeben.

Daniel Wind, You’re my Disco

Christoph Esser, Cardio

Jonas Jensen und Lina Katan, Perforationen I

Silja Yvette, 4180 Sahnedinger, davon 378 zerstört

Vytautas Jurevicius, David I

Sandra Havlicek, Calypso pas de deux

(Fotos: Erhard Metz)

Absolventenausstellung 2011 “ENCORE” / 1

Zum achten Mal, und bereits zum dritten Mal im MMK Zollamt, präsentiert die Staatliche Hochschule für bildende Künste – Städelschule – in Frankfurt am Main Arbeiten eines Absolventenjahrgangs, heuer des Jahres 2011. Werke von 32 jungen Künstlerinnen und Künstlern aus den Klassen der Professorinnen und Professoren Judith Hopf, Christa Näher, Willem de Rooij, Douglas Gordon, Michael Krebber, Simon Starling und Tobias Rehberger sind zu sehen.

Die Namen:

Patrick Alt, Agassi Bangura, Andrea Bellu, Viola Bittl, Lukas Bohnenstengel, Alfred Boman, Max Brand, Carolin Bühler, Milena Büsch, Annabell Chin, Murray Gaylard, Giorgio Giusti, Dominik Gohla, Sandra Havlicek, Jonas Jensen, Danny Kerschen, Yasuaki Kitagawa, Daniela Kneip Velescu, Annina Matter, Ruairiadh O’Connell, Sabine Rak, Marcel Schiele, Sarah Schoderer, Dan Starling, Beatrice Steimer, Tomislav S. Vukic, Jonas Weichsel, Paul Wiersbinski, Leo Wörner, Naneci Yurdagül und Silja Yvette.

FeuilletonFrankfurt stellt wie jedes Jahr einige dieser Arbeiten vor und muss sich dabei allein schon aus Platzgründen erneut auf eine Auswahl beschränken, die ebenso subjektiv und ungerecht ist wie alle Auswahlen dieser Welt.

Beginnen wir mit dem diesjährigen Gewinner des vom Städelschule PORTIKUS e. V. gestifteten, mit 2000 Euro dotierten Absolventenpreises, also Max Brand (Klasse Michael Krebber). Der Titel seiner Arbeit lautet „ton steine scherben, art world is lacking warmth, dann geh zum arzt“ (2011).

Die Begründung der Jury (Claudia Orben-Mäckler, Städelschule Portikus e. V., Susanne Gaensheimer, MMK-Direktorin, Professor Nikolaus Hirsch, Rektor der Städelschule und Willem de Rooij, Professor für freie Kunst, Städelschule):

„Die Jury befand die Präsentation des Künstlers Max Brand am stärksten. Sie bringt sowohl im Detail als auch im Ganzen eine Haltung zum Ausdruck, die ein gesellschaftlich überkommenes Bild des Kunstschaffens und des Künstlers thematisiert und in Frage stellt.“

Das Gemälde: untitled, Öl, Marker, Tinte, Kreide, Sprayfarbe auf Tuch, 130 x 160 cm

Die Installation – in deren Zentrum ein auf Tuch gemaltes, transparent erscheinendes und deshalb beidseitig betrachtbares Tafelbild – befindet sich im von beiden Seiten durch Glastüren verschlossenen Eingangsbereich Domstrasse des Zollamtsgebäudes, gewissermassen zwischen „draussen“ und „drinnen“ – zugleich eine Metapher für die Situation eines Künstlers nach dem Verlassen der Hochschule. Vor und neben dem Gemälde allerlei vergammelt wirkende Arbeitsmittel, Werkzeuge und elektronische Geräte, Entwürfe, ein leerer Bilderrahmen, dessen Glas in Scherben zerfallen, zerknüllte Plastikflaschen sowie einiges an anderem Weggeworfenen nebst banalem Abfall.

Das Tafelbild: Tuch als Malgrund, der Künstler verwendet so ziemlich alles an Malmitteln, ist es eine Metapher für Suchen oder für Ratlosigkeit? Wohin werden Wege einen Künstler führen? Oder muss ein Künstler vielmehr sich selbst seine Wege bahnen, Schneisen in das Überkommene schlagen, neue Landmarken und Orientierungspunkte setzen?

Schaut man links und rechts in die Ecken des Eingangs, so sieht es „draussen“ ein wenig ähnlich aus wie „drinnen“ … herabfallendes Laub, vom herbstlichen Wind verwehter Kehricht … wo ist der Besen?

Nun zu einer gänzlich anderen Arbeit, platziert in einer der Brandschen Installation entgegengesetzten Ecke des Ausstellungsraumes, in einem „stillen Winkel“ quasi, von Carolin Bühler, mit dem Titel „Hände 1, 2 und 3“:

Hände 1, 2 und 3, 2011, Zeichnungen, Pflanze, Installation

Ob nun mit oder ohne kuratorische Fügung erscheint sie uns in einem gewissen Kontext zur Preisträgerarbeit zu stehen: eine Wartezimmer-Situation, mit typischer (in der Materialbeschreibung allerdings nicht aufgeführter) Wartezimmer-Bestuhlung, wir assoziieren alsbald eine Arztpraxis, mit obligatorischem Pflanzkübel in der Ecke und obligatorischer „Kunst“ an der Wand – und natürlich jener „der Nächste bitte“-Tür. Und riet Max Brand nicht soeben durchaus zum Aufsuchen eines Arztes?

Aber was sehen wir? Nicht nur behutsam-zarte Zeichnungen sklerotisch anmutender Hände: Nur eine Grafik schmückt die Praxiswand, die beiden anderen sind herabgestürzt, liegen am Boden vor der Tristesse verbreitenden Wartezimmer-Pflanze, zwar noch gerahmt, aber ebenfalls wie bei Brand die Verglasung zerschellt.

Verletzbare, verletzte Kunst. Oder: Kunst als „Wartezimmer-Kunst“? Auch ein Schicksal des Künstlers?

Städelschulabsolventen-Ausstellung im MMK Zollamt, noch bis 23. Oktober 2011 (Fortsetzung Folge 2).

(abgebildete Werke © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz)

Absolventenausstellung 2011 “ENCORE” / 2

Das von vielen vielerorts und oft genug totgesagte Tafelbild – es lebt! Immer noch – und von manchen wiederentdeckt – stellt es diejenige Form künstlerischen Schaffens dar, die von einem breiteren Publikum mit dem Begriff „Kunst“ am häufigsten und engsten konnotiert wird.

„Überraschender Weise“, stellt denn auch Städelschul-Rektor Nikolaus Hirsch fest, „sind in diesem Jahr vor allem malerische Positionen vertreten, die zu gut einem Drittel die facettenreiche Gruppenausstellung ausmachen“.

Mit gleich sechs Arbeiten stellt beispielsweise Alfred Boman eine breite Palette an Malerei in mixed media-Technik zur Diskussion. Dabei schraubt er auch schon mal metallene Winkelstücke sichtbar auf den Holzrahmen und versieht diesen mit einer verspielten Applikation.

Alfred Boman, Cold mom, 2011, mixed media painting, 100 x 140 cm

Sabine Rak wartet im Rahmen einer Reihe „Alles fliesst“ mit drei stillen, poesievollen Arbeiten in Öl auf Leinwand auf. In „Ich – passiv“ stehen dabei zwei Rollen des Bürosessels und der rechte Fuss der Ich-Protagonistin – beides in Invers-Weiss ausgeführt – auf einem passepartoutierten und gerahmten Tafelbild. In unseren Augen keinesfalls eine kritische Geste, sondern Selbstvergewisserung und Affirmation: das Tafelbild als fester Boden und Fundament.

Sabine Rak, Ich – passiv, Öl auf Leinwand, 185 x 140 cm

Einer „Bild-in-Bild“-Installation gleicht die Arbeit von Jonas Weichsel. Auf einem mit geometrischen Mustern gestalteten grossformatigen Wandgemälde platziert er zwei Arbeiten in Öl und Acryl auf unterschiedlichen Malgründen, die mit den Senkrechten und Waagerechten, den Diagonalen und Winkeln des Hintergrunds korrespondieren: eine ebenfalls Ruhe ausstrahlende Arbeit von grosser Spannweite und hohem ästhetischen Reiz.

Jonas Weichsel
Wandgemälde, Acryl auf Rigipswand, 400 x 750 cm
E Bild, 2011, Öl und Acryl auf Leinwand, 160 x 220 cm
Jaune Brilliant, Öl und Acryl auf Aluminium, 40 x 50 cm

Die sensible, assoziationsreiche, wiederum weitgehend figurative Malerei von Sarah Schoderer fiel uns bereits beim Städelschul-Rundgang 2010 auf. Die Malerin hat – gerade auch in ihren Bild-in-Bild-Gemälden – eine charakteristische Formensprache und Palette entwickelt, die uns auf eine ebenso besondere wie geheimnisvolle Weise anspricht.

Sarah Schoderer
Portrait mit Tüte (nach El Greco), 2011, Öl auf MDF, 50 x 45 cm
Akt und Tisch, 2011, Öl auf Leinwand, 50 x 40 cm

Städelschulabsolventen-Ausstellung im MMK Zollamt, noch bis 23. Oktober 2011 (Folge 3).

(abgebildete Werke © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz)

Absolventenausstellung 2011 “ENCORE” / 3

Dieser Tage ziehen wieder die Kraniche über Frankfurt am Main gen Süden – vorgestern erlebten wir am strahlend blauen nachmittäglichen Himmel zwei der grossartigen, von rauhen Rufen begleiteten, in V-Formation fliegenden Züge dieser majestätischen wie eleganten Vögel, und es überkommt uns dabei immer wieder jenes unbestimmbare, dem Fernweh ähnelnde Gefühl …

Yasuaki Kitagawa mag vielleicht an die langen, feinen Schnäbel dieser anmutigen Tiere gedacht haben, als er an der zierlichen, bei erstem Hinsehen noch von Ferne fast unscheinbaren, lediglich gut 15 Zentimeter an Höhe messenden Skulptur arbeitete – wir wissen es nicht. Nach Annäherung zog uns das Kleinod in Bann. Für uns zählt die Skulptur zu den schönsten, ja erstaunlichsten Exponaten dieser an bemerkenswerten Arbeiten wahrlich nicht armen Ausstellung der diesjährigen Städelschul-Absolventen im MMK Zollamt. Bei all ihrer Zierlichkeit eröffnet sie uns einen Kosmos an Möglichkeiten.

Yasuaki Kitagawa, Der Eintausend und Erste Kranich, 2011, Skulptur, Folie, Harz, 72 x 72 x 156 mm

Gleich rechts in der grossen Ausstellungshalle der Hingucker: die mehrteilige, architekturbetonte grossdimensionierte Skulptur von Sandra Havlicek – von der Künstlerin listig-hinterlistig als „Handtaschenformat“ bezeichnet. Es entsteht ein artifizieller Raum aus verschiedenen Materialien. Die aus bedrucktem Papier gestellte „Wand“ vor der weiss getünchten Museumswand spiegelt ihre Farbigkeit in dem aus Spiegelfolie gefertigten skulpturalen Gebilde am Boden. Ein mehrgliedriger Wandschirm, auf dessen Oberseite ein dachähnlicher Vorsprung wie ein Baldachin herauskragt, steht gleichsam schützend und behütend neben der Folienskulptur. Die Fenster der rückwärtigen Wand des Ausstellungsraums sind mit weissen Platten verkleidet (die eine oder andere scheint wohl inzwischen heruntergefallen zu sein). Übrigens –  Havliceks „Calypso pas de deux“ ist uns noch in guter Erinnerung.

Sandra Havlicek, Calypso im Handtaschenformat, 2011, Skulptur, bedrucktes Papier, Spiegelfolie, Holz, Holzrollos, Grösse variabel

Silja Yvette, die wir von ihrer Malerei und einer bildhaften Skulptur her kennen, wartet mit einer „Waschmaschine“ auf, die uns erschrecken lässt. Das Soldatenwaschbecken aus einer Bunkeranlage des 1. Weltkriegs bringt auf eine sehr subtile Art die Brutalität militärischen Geschehens nahe. Eine der Schüsseln dient einem jungen, bereits Früchte tragenden Ölbäumchen als Pflanzschale. Eine weitere ist mit einer bräunlichen Flüssigkeit gefüllt – ist es wirklich Olivenöl? Der Olivenbaum: mit seinen nahrungspendenden Früchten schon in den antiken Kulturen bekannt und von Alters her ein Symbol für Frieden – wir denken an die Noah das Ende der Sintflut verheissende Taube mit dem Ölzweig im Schnabel. Aber dieses Bäumchen mit samt seinen Früchten verdorrt; über die Hälfte seiner Blätter sind bereits herabgefallen. Eine wichtige, sehr emotionale (vielleicht ein wenig zu „pädagogische“?) Arbeit.

Silja Yvette, Die Waschmaschine, 2011, Plastik, Soldatenwaschbecken aus einem deutschen Bunker zur Zeit des 1. Weltkriegs (Gusseisen mit Emaillelack), Silikon, Olivenöl, Olivenbaum, Wasser, Stahlgestell, Bleistift, 350 x 46 x 90 cm

„ENCORE“ heisst die aktuelle Absolventenausstellung der Städelschule – den Namen wählten die Künstlerinnen und Künstler gemeinsam aus. „Encore“: noch, immer noch, nochmals, wieder, überdies, dazu, weiter, schon wieder! Nomen est omen und: herzlichen Glückwunsch zur Ausstellung!

Und noch (encore!) zum – hoffentlich guten – Schluss: der Papierhandtuchspender im Untergeschoss. Ein Kunstwerk ausserhalb von Tagesordnung und Konkurrenz? Oder nur ein Scherz, nur ein Fall für den Hausmeister? Man kann sich ja nie so ganz hundertprozentig sicher sein …

????? – unbekannter (Haus-)Meister?

Städelschulabsolventen-Ausstellung im MMK Zollamt, noch bis 23. Oktober 2011.

(abgebildete Werke © jeweilige Künstler; Fotos der Ausstellungsansichten: Erhard Metz)

Rundgang 2012 (1)

Statement von Graziano Capitta gegenüber der Mensa, darunter seine Arbeit „Teflon Painting“, 2012

Studierende, die in der Mensa der Städelschule, im Haupthaus an der Dürerstrasse, zu Mittag essen, haben Gelegenheit, sich mit dem Statement von Graziano Capitta im benachbarten, durch eine gläserne Wand getrennten Flur auseinanderzusetzen. Und natürlich auch die Besucher der Schule, die in grosser Zahl an diesem Wochenende die Kaderschmiede künftiger Kunstschaffender zum traditionellen Rundgang aufgesucht haben. Ein Statement von geradezu grandioser Ambivalenz, angesiedelt zwischen Reflexion und Provokation, zwischen Selbstzweifel und Selbstbewusstsein, zwischen dem so fern erscheinenden Wunschziel, auf dem Kunstmarkt einmal ein grosses Rad zu drehen, und dem Zorn auf eben diesen Markt in all seiner kapitalismusunterworfenen Kommerzialität und Fragwürdigkeit. Ist es ein Traum, einmal ein „Jeff Koons“ zu sein, oder eher ein Alptraum?

Tobias Donat, Untitled 01 (Streifen), 2011, Baumwolle auf Keilrahmen, 220 x 140 cm

Wohltuend das Baumwolltuch von Tobias Donat, in seinen beruhigenden Linien und Farben, denen wir uns alsbald anvertrauen können, wir möchten es am liebsten anfassen, wie eine Decke um uns legen in diesen kalten Winterwochen, die Haptik des Materials strahlt gleichsam auf uns aus, auch ohne dass wir es berühren (dürfen).

Dann aber ein Schock, beim Nähern an den Raum W 5 eine Arbeit, die wir keinem konkreten Künstler zuordnen können empfängt uns, „eine Welt voll Chaos und Streit“ schallt es uns entgegen, wir sind wieder, fern aller Vorstellung von Wärme, in der kalten Wirklichkeit angekommen.

Tür zum Atelier W 5: „In a world of  chaos and strife“

Aus dem geradezu explodierenden Quell an Kreativität, Vitalität und Fantasie der im diesjährigen Rundgang präsentierten Arbeiten eine – wiederum wundervoll ambivalente – Position des türkischstämmigen Künsters Hasan Hüseyin Oylum. Ein Pappe-Grosskoffer nach Brüssel – dem Zentrum Europas, Sitz der EU-Bürokratie. Assoziationen öffnen sich: Beitritt der Türkei zur Europäischen Union? Bewegungs-, Forschungs- und Reisedrang eines Künstlers? Schmerz wie Scherz über das frühere gastländische Unwort „Türkenkoffer“ für den auf dem Beförderungsband des Flughafens kreisenden Pappkarton?

Dann: Ein Atelier mit allem Gerät, welches ein Künstler zu seiner Arbeit braucht, auf ein paar wenige Quadratmeter zusammengeschoben und -gedrängt. Kaum Platz zum Niedersitzen, ein Teller Dosensuppe auf dem Arbeitstisch. Der Kunststudent, der Künstler in den Zwängen und Gesetzmässigkeiten des Betriebs, der Gesellschaft. Und in den eigenen Zwängen zwischen Erwartung und Realität. Auch ein Protest gegen hohe Ateliermieten, wenig Verkaufsmöglichkeiten, wenig Anerkennung und soziale Bestätigung?

Tagtäglich fragen, entscheiden: verlassen, wandern oder dableiben?

Hasan Hüseyin Oylum, Brussels

Hasan Hüseyin Oylum, Let’s have some fun this beat is sick, I wanna take a ride on your disco stick (Love Game), 2012, Mixed media

Nicht nur wegen des bedrohlichen Orakels, vermittelt auf einem kleinen Zettel an der Wand: Auf diesen zwischen den Gebäudeteilen der Städelschule von Alexey Vanushkin mitten in den Weg gelegten Blumenteppich zu treten wagt man nicht in den Stunden der gesitteten Vorbesichtigung. Aber bereits am Tag darauf ist er zertreten und zerfetzt. Rot ist nicht nur die Farbe der Liebe, sondern auch des geflossenen Blutes.

Alexey Vanushkin, Untitled (Funerary Flowers), 2012, „Die Kinder im Hof warnten einander: ‚Trete nicht auf die Blumen von der Beerdigung, oder du oder deine Verwandten werden sterben‘ „

In andere Welten bis in das Universum hinein führen uns die am Lichthof des Obergeschosses platzierten Arbeiten der Künstlerin Lena Grewenig: Wie durch das Hubble-Teleskop betrachtet öffnet sich uns der Kosmos in unendlicher Weite – aber was verbirgt sich hinter ihm? Eine weitere Leinwand, etwas, was sich unseren Betrachtungsmöglichkeiten entzieht. Steht das kreisförmige Zentrum der sternenglitzernden Arbeit für das riesige Schwarze Loch, das uns alle einmal verschlingen wird?

Cosmos, 2012, Öl, Acryl und Lack auf Leinwand, 120 x 120 cm

Eine bemerkenswerte Gabe hält die Künstlerin für die Besucher bereit: eine Reprografie ihres „Cosmos“, dazu eine Reihe von Blättern mit Lyrik- und Prosatexten, eine unbedruckte chamoisfarbene Mappe zum Aufbewahren der kleinen Schätze – das Ganze liebevoll mit dünnem weissen Garn und feiner Schleife gebunden.

Eine weitere Arbeit von Lena Grewenig: die Fantasielandschaft „Inside“ mit einer einsam rudernden Person.

Inside, 2012, verschiedene Materialien auf Leinwand, 176 x 127 cm

Der jährliche Rundgang ist mit der Vergabe der bekannten Förderpreise verbunden:

Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung-Förderpreis im Wert von 5.000 €
Seth Pick
Jürgen H. Conzelmann-Förderpreis im Wert von 3.000 €
Ana Vogelfang
DIC-Förderpreis im Wert von 3.000 €
Theresa Kampmeier
Engel & Völkers-Förderpreis im Wert von 3.000 €
Wendell Seitz
PRE Real Estate Deutschland-Förderpreis im Wert von 2.500 € für eine herausragende Leistung im Bereich Film/Video
Zoe Barcza und Margarethe Kollmer
Gruppen-Förderpreis der Landwirtschaftlichen Rentenbank im Wert von 3.000 €, der eine Gemeinschaftsarbeit oder die Gemeinschafts-Präsentation mehrerer Studenten belohnt
Charlotte Simon & Jonathan Penca
Stylepark-Förderpreis im Wert von 3.000 €
Benedikte Bjerre
Linklaters LLP-Förderpreis im Wert von 3.000 €
Yuki Kishino
Ernst & Young-Förderpreis im Wert von 3.000 €
Helena Schlichting

(abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz)

Rundgang 2012 (2)

Rundgang-Plakat 2012

Einmal jährlich – oder sozusagen eineinhalb Mal, wenn man die Absolventenausstellung im Herbst mitrechnen will – öffnet sich die Städelschule, die Staatliche Hochschule für bildende Künste, wie sie offiziell heisst, dem Publikum, unlängst wieder am vergangenen Wochenende beim traditionellen „Rundgang“, an dem sich auch heuer wieder fast alle der rund 150 Studierenden der freien bildenden Kunst sowie die rund 40 Studierenden der Architekturklasse beteiligten. Die „Rundgänge“ sind längst zu einem festen Bestandteil der Frankfurter Kulturwelt geworden

: Rund 13.000 Besucher kamen schon im vergangenen Jahr und wohl auch jetzt aktuell in die Ateliers des Stammhauses an der Dürerstrasse und der Dependance in der Daimlerstrasse, um die Arbeiten der Studierenden in den Klassen der Professoren Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Christa Näher, Tobias Rehberger, Willem de Rooij, Simon Starling und Ben van Berkel kennenzulernen.

Martin Wenzel, Auf der Suche nach dem Längengrad, 2012, verbundene Stromkabel aufgerollt auf einem 5 Meter langen Kartonrohr, kleiner Haufen Produktionsabfall; im Hintergrund an der Wand und unten: Foto vom „Arbeitsplatz“, 2012

Gross das Kunstwerk – klein das Atelier, jedenfalls in der Darstellung des Künstlers: Martin Wenzel umwickelt ein fünf Meter langes Pappe-Rohr mit den buntesten Stromkabeln, die man wohl auftreiben kann (Frage an Mathematiker: wieviele Meter Länge messen, bei geschätztem Rohrdurchmesser von 15 cm, die miteinander verbundenen Kabel?). Das Ganze hängt er schwebend an der Decke auf. Ein elektromagnetisches Feld wird die Wicklung kaum erzeugen, aber der Strom muss – ja, wieviele Meter denn nun? – fliessen, um die Glühbirne zum Leuchten zu bringen, die am Ende des Rohrs je nach dessen Position den „kleinen Haufen Produktionsabfall“ bescheint.

Winzig dagegen das Foto vom Arbeitsplatz des Künstlers, mit vier Stecknädelchen an die Wand gezwickt. Tisch und Hocker entfalten auf ihm Magie und kleben an der Senkrechten, der überdeckte Schriftzug entzieht sich der Entschlüsselung. Durch das entsprechend ausgerichtete Rohr betrachtet entschwindet der „Arbeitsplatz“ gänzlich in der Ferne.

Eine Erkundung und Vermessung der Welt auf eigene Art und eine kritisch-witzig-ironische Arbeit, wie wir sie schätzen.

Malerisch und geheimnisvoll die stillen, verschwiegenen Bilder von Seth Pick, diesjähriger Gewinner des Förderpreises der Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung, des bestdotierten unter den zur Eröffnung des Rundgangs verliehenen Preisen.

Seth Pick, Preisträgerarbeiten

Die pastell-zarten Farbtöne täuschen, denn eruptiv-explosiv geht es in dem „Epizentrum“ genannten, ebenfalls eher kleinformatigen Bild von Alexander Tillegreen zu. Wie kosmische Gaswolken stiebt es auseinander, es schleudert schwarze Partikel umher, war das kleine, bombenähnliche Teil in der Bildmitte der Auslöser? Oder liesse sich in der unteren Bildhälfte ein kaum angedeutetes Schulterbild einer Person erahnen, deren Kopf explodiert?

Alexander Tillegreen, Epizentrum, Acryl und Sprühfarbe auf Leinwand, 50 x 80 cm

Nicht nur dekorativ sind die vier Leuchtkästen, die Moritz Uebele im Lichthof positioniert – wir möchten sie uns aber in einem anderen Umfeld vorstellen. Die suggestive Kraft der einzelnen Glasfelder kann sich im Hin und Her des Treppenhauses nicht angemessen entfalten.

Moritz Uebele, EQUINOX, 2012, 4 Lichtkästen, Fichtenholz, Leuchtstoffröhren, bedrucktes Acrylglas, je 143 x 97 x 20 cm

Wer sitzt hier im Rampenlicht der Weltbühne? Niemand, der Stuhl im Biedermeier-Stil (echtes oder „zweites“ Biedermeier?) ist leer. Die Sitzfläche hat Patrick Alan Banfield mit einem Netzwerk bespannt und mit 24karätigem Goldlack sowie mit Silberlack veredelt – wir schenken den Karat-Angaben trotz hohen Goldpreises Glauben. Pompös das Podest (in der Weitwinkel-Aufnahme natürlich überhöht geraten), das den Stuhl fast zum Thron erhebt. Der Blick des nicht vorhandenen Stuhlsitzenden geht zur grossen Balkontüre hinaus, das starke wie kalte Fotolicht beleuchtet die Szenerie von hinten. Wo aber ist der Star, der Staatsmann? Oder am Ende der Delinquent? Denn eigentlich möchte man sich nicht daraufsetzen, auf diesen Stuhl: seiner metallisch glänzenden Sitzfläche trauen wir Hinterhältiges, gar Tödliches zu … bereit zur elektrischen Exekution. Im Scheinwerferlicht des Boulevards?

Patrick Alan Banfield, Corpus / Something, Biedermeier-Stuhl, Tageslicht-Filmleuchte, 24 ct-Goldlack, Silberlack; im Hintergrund rechts zwei Arbeiten von Alexander Tillegreen

Ein kniffliges Vexierspiel: Melanie Matthieu klebt an ein Fenster des Ausstellungsateliers acht exakte Abzeichnungen von acht Fenstern des der Städelschule gegenüberliegenden Städel Museums. Es gilt für den Betrachter, den Standpunkt aufzusuchen, von dem aus die Zeichnungen mit den realen Fenstern optisch zur Deckung kommen. Fotografieren lässt sich diese Überlappung nicht. Eine geistvolle Arbeit – Projektion der Künstlerin, ihre Werke dereinst im Bestand des berühmten Museums wiederzufinden?

Melanie Matthieu, Simultaneous existence of the most diversified types under identical circumstances, 2012, Kugelschreiber auf Papier, 8 Teile

Künstlerische Ausbildung und spätere künstlerische Existenz, das Verhältnis zwischen Künstler und Werk, die Position des Künstlers im Kollektiv der Studierenden wie in der Gesellschaft: Themen des Pressegesprächs mit Städelschul-Rektor Nikolaus Hirsch und Isabelle Graw, Professorin für Kunstgeschichte und Kunsttherie an der weltweit hoch renommierten, im internationalen Vergleich jedoch kleinen Hochschule, an der Professoren und Studierende in einem intensiven Diskurs stehen.

Hirsch und Graw verweisen auf die Mitwirkung der – sich durchaus konkurrenzierenden – Studierenden bei der gewollt gemischten Positionierung ihrer Arbeiten in den einzelnen Ateliers. Ebenso wichtig sei es, dass die Studierenden Projekte und Formate im Kollektiv entwickelten. Bemerkenswert sei die Zunahme der Kunstform der Performance, in der sich ein Künstler oft selbst zum Kunstprodukt mache und die überlieferte Distanz zwischen Künstler und seinem Kunstwerk, hinter dem er sich gewissermassen verstecken könne, überwinde. Eine Kunsthochschule bedeute – nicht zuletzt in diesem Sinne – für die Studierenden eine Art Testlauf, wie sie sich selbst und ihr Werk später in der Gesellschaft vermitteln können, wobei es keinesfalls eine Aufgabe der Schule sei, dem Einzelnen etwa eine Vermarktungsstrategie an die Hand zu geben.

Eine bedeutende Rolle komme, betonen Nikolaus Hirsch und Isabelle Graw, dem 2003 zusammen mit Daniel Birnbaum an der Schule gegründeten Institut für Kunstkritik zu. Leben – namentlich ein inszeniertes – und Werk eines Künstlers stehen in einer Wechselbeziehung, in der ersteres durchaus selbst Werkcharakter annehmen und das Werk andererseits zur Quasi-Künstlerperson mutieren kann – eine Thematik, mit der sich das Institut aktuell befasst.

Ein wichtiges Feld stellt schliesslich die Kooperation der Städelschule mit der Frankfurter Goethe-Universität dar, so der Masterstudiengang zu dem Komplex Kuratieren und Kritik „Curatorial Studies – Theorie – Geschichte – Kritik“.

Wünschenswert sei es, unterstreicht Hirsch, die bereits bislang bestehende Vernetzung der Schule mit der Stadt Frankfurt und ihrer Stadtgesellschaft zu verstärken und auszubauen. Entsprechende Wünsche gerade auch der Stadt selbst liessen sich jedoch im Blick auf die bereits am und oft unter dem Limit liegende finanzielle Ausstattung der Schule nicht realisieren.

(abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz)

Rundgang 2012 (3)

Man sieht: in der Städelschule wird intensiv gearbeitet, sogar mit Pflanzen

Zieht etwa die Botanik als Disziplin in die Städelschule ein? René Schohe befasst sich in einer beim diesjährigen Rundgang ausgestellten Arbeit eingehend mit Desmodium Motorium bzw. Desmodium Gyrans. Solches tat nun lange vor ihm schon ein gewisser Charles Darwin, den besagte Pflanze bereits im Jahr 1855 derart in Bann zog, dass er sich ihrem Studium bis zu seinem Tod im April 1882 widmete, ohne ihr jedoch alle Geheimnisse entlockt zu haben. Oder nach anderer Lesart: Er nahm deren Geheimnisse, die zu den seinigen wurden, mit in sein Grab.

Das Geheimnis von Desmodium Motorium: Das Blattwerk der Pflanze ist zum Teil gefiedert, die Endfiedern sinken abends in einer „Schlafstellung“ in vertikaler Haltung herab, um sich am Morgen wieder in eine horizontale Stellung zu erheben. Und es kommt noch viel toller: Die Seitenfiedern drehen sich, mal schneller, mal langsamer sozusagen um die eigene Achse – ein wissenschaftlich wohl  immer noch ungeklärtes Phänomen. Man nennt Desmodium Motorium „tanzende Pflanze“ und „Telegrafenpflanze“, letzteres in der – vermutlich? – irrigen Annahme, die Pflanzen könnten sich auf diese Weise untereinander verständigen.

René Schohe, tiny dancer, 2012, Desmodium Motorium / Gyrans, Plasma-i AS 1300 Light Engine, Kopien Charles Darwin auf Recyclingpapier

Grund genug also, dass sich ein Künstler mit solch einer Geschichte befasst. René Schohe zieht, mit Hilfe einer energiestarken, solares Licht produzierenden Plasma-i-Lampe, ein solches Pflanzenexemplar im Rahmen einer künstlerischen Aktion auf. Vielleicht gelingt ihm, was Darwin nicht gelang: Desmodium mit Liebe und gutem Zureden oder mit welchen Mitteln auch immer dazu zu erziehen, dass es seine Fiedern auf Kommando seines „Herrchens“ dreht. Warten wir ’s ab!

Übrigens sind wir der Liebe zu Pflanzen in Verbindung mit Kunst schon einmal begegnet: im Frankfurter MMK! Was es nicht alles gibt!

Auch Salomo Andrén arbeitet im Rahmen einer interessanten, aus Tafelbild, Wandmalerei und verschiedenen Objekten bestehenden Installation mit Pflanzen (was unseren eingangs erwähnten Verdacht erhärten könnte).

Salomo Andrén, Installation (Ausschnitt und Detail)

In mehreren Disziplinen zu Hause ist Dekonstruktionskünstler Othmar Farré.  Ob er mit „Viva El Pueblo“ einen heftigen Sturz mit dem Fahrrad künstlerisch verarbeitet hat? Eine schöne Persiflage jedenfalls auf Trend- und Rennsport und manch unvernünftig umweltzerstörende Mountainbiker, die selbst vor Alpengipfeln nicht haltmachen. Ach, und das energiespendende Coca Cola, das uns immer wieder auf den Sattel hilft!

Othmar Farré, Viva El Pueblo

Ebenso witzig wie verstörend auch seine Tafelbilder: Dem „Autisten im Nebel“ hülfe auch die Brille nichts, deshalb hat sie der Künstler auf dem Bilderrahmen abgelegt; und wo wir uns schon im Nebel befinden, schadet es auch nichts, dass dem Rahmen noch einiges an Holz abgeht, man sieht im Nebel ja sowieso nichts.

„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“ wusste schon Friedrich Schiller (im „Wallenstein“).

Othmar Farré, Autist im Nebel

Auch Schuhe können Kunstwerke sein, zumal solch ein Paar, das es nirgends auf der Welt zu kaufen gibt, weil Filippa Pettersson es allein für sich und ihren Gang durch die Stadt Frankfurt angefertigt hat. Glücklich der Orthopäde, der die Füsse der Künstlerin anschliessend behandeln durfte, ein Grossauftrag, falls privat liquidiert. Den entsprechenden Stadtplan hängt Pattersson praktischerweise gleich nebenan auf, und wir sehen: auf den Farben ihrer Schühchen Rot fahren Omnibusse, auf Grün die S-Bahnen, auf Blau die U- und Strassenbahnen, und Gelb sind die Fussgängerzonen. Aber die Planfolge erscheint uns doch etwas suspekt; von einer Unterquerung der Stadtteile Sachsenhausen und Rebstock/Messe durch den Main wussten wir bislang nicht …

Filippa Pettersson

„Verlassen – suchen – finden – vergessen“. Filippa Petterssons Statement mag zugleich als Motto über dem diesjährigen, uns besonders kreativ aufgeladen erscheinenden „Rundgang“ stehen. Mit einer Massgabe zum „vergessen“: Von sehr vielen der Studierenden werden wir weiter hören – und sehen!

(K)EIN KUNSTWERK (?)

(abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz)

Absolventenausstellung 2012 „Zauderberg“ (1)

„Zauderberg“ – kommt einem irgendwie bekannt vor. Klar, wir denken an Thomas Manns 1924 erschienenes, noch heute legendäres Meisterwerk „Der Zauberberg“. Ein Jahrhundertroman, der die geistesgeschichtliche wie gesellschaftspolitische Entwicklung Europas hin zum Inferno des Ersten Weltkriegs aufzeigt. Und natürlich denken wir an den „jugendlichen Helden“ des Romans, Hans Castorp, den es sieben Jahre lang (es wären umgerechnet 14 Semester an einer Hochschule) in das weltentrückte Davoser Sanatorium Berghof verschlägt, in welchem er sich nicht ganz unfreiwillig und recht kommod einrichtet, bis ihn der Krieg aus der inzwischen behaglich gewordenen Schein-Welt in ein ungewisses Schicksal reisst …

Der Berghof – die Städelschule? Hans Castorp – ein Städelschüler? Nun, so weit wollen wir im direkten Vergleich natürlich nicht gehen, aber nachdenklich macht es uns schon.

Zehn Semester Regelstudienzeit an der Frankfurter Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – eben jener Städelschule – dann geht es hinaus aus dem vielfältig umhegten Raum des Schulbetriebs in die weite Welt. 18 Absolventen ereilt heuer dieses Schicksal. Zum Abschluss präsentieren sie sich jeweils mit einem Werk, das jetzt – zum vierten Mal und kuratiert von Bernd Reiß – in der MMK-Dependance „Zollamt“ und somit in einem musealen Rahmen und Raum den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt wird.

Bernd Reiß, Städelschul-Rektor Nikolaus Hirsch und MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer

Mit dieser Präsentation im institutionellen Rahmen eines Museums werde der Kunststudent zum Künstler, die Kunststudentin zur Künstlerin, kennzeichnete Städelschulrektor Professor Nikolaus Hirsch diesen Schritt (auch wenn bereits der eine oder andere der Absolventen im öffentlichen Raum wie beispielsweise unlängst Hannes Michanek im Frankfurter Kunstverein ausstellten). Symbiotisch dabei die Beziehung zwischen Hochschule und Museum: die Absolventen treten endgültig ein in die Welt des Kunstbetriebs, das Museum für Moderne Kunst gewinnt, seinem Auftrag entsprechend, die Möglichkeit, jüngere und jüngste zeitgenössische Positionen dem Publikum zu präsentieren.

Wieder einmal war der vom Verein Städelschule Portikus e.V. gestiftete, mit 2000 Euro dotierte Absolventenpreis zu vergeben. Die Jury, dieses Jahr Barbara Bernoully (Vorstandsmitglied des Vereins Städelschule Portikus e.V.), Klaus Görner (Kurator am MMK) und Isabelle Graw (Kunstkritikerin und Professorin für Kunsttheorie an der Städelschule), entschied sich einstimmig für Anne Imhof, Meisterschülerin in der Klasse von Judith Hopf, Trägerin des Preises Zonta Art Contemporary 2012. Die Preisträgerin überzeugte mit einer Installation und vor allem mit ihrer Performance.

Performance mit Stabwechsel; rechts: Anne Imhof

Die Begründung der Jury:

„Die ausserordentliche Leistung ihrer Performance „School of the seven Bells 2nd of at least three“, 2012, besteht für uns zunächst einmal darin, dass in ihr kein Zweifel an der grossen Bedeutung von Mitstreiterinnen und „Peergroups“ in der Bildenden Kunst gelassen wird. Auch auf die zentrale Rolle, die Austauschverhältnisse und „Übergaben“ in der Kunstwelt spielen, wird in ihr unausgesetzt hingewiesen. Sie lässt sich als Allegorie des ständigen Geben und Nehmens lesen, das dieses spezifische soziale Universum auszeichnet. Denn der Stab muss, auch in einer Kunstakademie, unausgesetzt weitergereicht werden, wenn auch auf ausgesprochen verdeckte und klandestine Art. Die Choreographie selbst, wie auch das Musikstück mit Gesang zu Beginn der Performance, bleiben in der Schwebe zwischen genauer Inszenierung und improvisatorischen Anteilen. Was uns zuletzt am meisten überzeugt hat, ist die Art und Weise, wie diese Performance eine eigentümliche Spannung herzustellen und Pathos gezielt einzusetzen vermag.“

rechts und mitte: Anne Imhof

In der rund 40minütigen Aufführung aus Musik (Anne Imhof und Stefan Tcherepnin), Gesang der Künstlerin und choreographiertem ruhigem Schreittanz wandeln die Tänzerinnen und Tänzer einzeln oder in Gruppierungen gleichsam auf Lebensbahnen, versammeln sich an bestimmten Punkten, wechseln auf verschiedene Weise kleine silberfarbene Stafettenstäbe (hin und wieder fallen dabei einige klirrend zu Boden), tauschen mitunter ihre Mäntel aus, formieren sich zu sich langsam im Kreise drehenden Quartetten, schreiten wieder auseinander; eine beeindruckende szenische Darstellung eines Aufeinander-Zugehens und Sich-wieder-voneinander-Entfernens, eines Miteinanders, Füreinanders wie auch eines diskursiven Gegeneinanders in einer Gruppe von Menschen, die ein gemeinsames, sinnerfüllendes Etwas zu verbinden scheint.

mitte und vorn: Anne Imhof

An der Performance wirkten ausser der Preisträgerin mit: Leda Bourgogne, Max Brand, Billy Butheel, Ian Edmonds, Genoveva Filipovic, David Imhof, Eva Kruijssen, Veit Laurent Kurz, Erika Landström, Melanie Matthieu, Oona-Léa von Maydell, Julian Nguyen, George Rippon und Lea Welsch.

FeuilletonFrankfurt gratuliert herzlich zum Absolventenpreis!

Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2012 “Zauderberg” (2)

Helena Schlichting und Phillip Zach

Nach Vorstellung der Gewinnerin des Absolventenpreises 2012, Anne Imhof, widmet sich die neue Folge unseres Reports zwei raumbezogenen Installationen, die sich beide mit der ortsspezifischen Situation des Ausstellungsraums „Zollamt“ auseinandersetzen.

Helena Schlichting, „Bitte, nach Ihnen“, 2012, Installation, zweiteiliger Vorhang als Träger von metallischem Silber und nicht entwickelten Silber-Halogeniden, verschiedene Vorhangstoffe, genäht und verkettelt, Breite 7,20 m, Höhe variiert; © Helena Schlichting

Helena Schlichting verkleidet den von der Eingangshalle in den Ausstellungsraum führenden Treppenaufgang mit raumhohen Vorhängen jeweils zur Linken und zur Rechten, die sich nach oben hin zu einem nur noch die halbe Breite der Treppe freigebenden Durchgang verengen. Vorhänge öffnen, schliessen und verändern Räume und Situationen, sie können verbergen und verschleiern wie ebenso zum Auseinanderziehen und Dahinterschauen herausfordern. Die Verengung des Zugangs im Treppenhaus bewirkt, so will es uns scheinen, eine Hinführung und Konzentration, eine Fokussierung auf das zu Erwartende im Ausstellungsraum.

„Zauderberg“ lautet ja bekanntlich der Titel der diesjährigen Absolventenausstellung der Städelschule: Was bedeutet zaudern? Die deutsche Sprache kennt viele ähnliche Begriffe wie zagen, zögern, zweifeln; unsicher, unentschieden, unentschlossen, unschlüssig, im Zwiespalt darüber sein, ja auch ängstlich sein, etwas zu tun oder nicht zu tun. Was bedeutet es für eine Künstlerin, einen Künstler, mit einer Arbeit – für manche oder gar viele zum ersten Mal überhaupt – in einem institutionellen Rahmen in die Öffentlichkeit zu gehen, dabei auf Zustimmung, Ablehnung oder – vielleicht am schlimmsten – auf Gleichgültigkeit zu stossen? Was geschieht bei der Werkauswahl, bei der endgültigen Entscheidung, diese und nicht eine andere Arbeit in der Ausstellung zu präsentieren? Wieviel an Mut und Selbstbewusstsein mag es erfordern, im konkreten Fall sogleich den Eingang zum musealen Ausstellungsraum mit Vorhängen zu verkleiden – und zu verwandeln?

Es lohnt sich, sehr genau hinzuschauen – was man ja Kunstwerken generell schuldet – , auch ein Niederbücken sei dazu gefordert: Feine Strukturen und Zusammenhänge wollen erkannt, gesehen und gelesen, vielleicht auch gedeutet werden. Es braucht seine Zeit dazu. Auch die Künstlerin hat viel an Lebenszeit mit dieser Arbeit verbracht, an der, unseren Beobachtungen nach, allzu viele Besucherinnen und Besucher allzu schnell vorübergehen.

Im übermächtig erscheinenden, sich in Zugluft sanft bewegenden Vorhang kann, wer möchte, eine ganze Welt, einen Mikrokosmos entdecken, gaukelnden Chimären und Fabelwesen nachspüren, die auf unerwartete Weise den auf den spröden Namen „Zollamt“ lautenden Raum beleben.

Helena Schlichting und Kurator Bernd Reiß

Auch Phillip Zach verändert, jetzt den Ausstellungssaal selbst, auf nachhaltige, wenn auch gänzlich andere Weise: Die Zwischenräume der dem Wetter- und Schallschutz dienenden Doppelfenster der Halle füllt er rundum und sämtlich mit allerlei Quadern und Würfeln sowie mit Lettern und Schriftzeichen aus dem Werkstoff Polysterol. Wer zu den Fenstern hinausblicken will, kommt an diesen Gebilden und Konstruktionen nicht vorbei, mag sich im freien Blick eingeschränkt fühlen, erlebt jedoch zugleich wundersame neue Perspektiven.

Phillip Zach, „Sometimes crime does pay.“, „Everybody needs at least one window.“, „Okay“, „Something is what it is. (Level X)“, „not on my account…“, 2012, Fensterinstallation, Polysterol, Dimensionen variabel; © Phillip Zach

Ein Glücksfall die durch die „Neue Altstadt“-Grossbaustelle arg verschmutzten Fenster der Ausstellungshalle: Im Zauberlicht der tiefstehenden, spätnachmittäglichen Sonne bewirken sie ein fast übersinnliches Zusammenspiel zwischen der chaotisch-riesigen Baugrube und deren Randbebauung mit den Objekten des Künstlers, hier den umgestürzten Lettern. Aufbau, Abriss, Neubau – von fern grüssen die Gebäude so antagonistischer Institutionen wie Paulskirche und Commerzbank.

Monsterhaft und bedrohlich scheint sich unter blauem Himmel ein Baukran über die Objekte des Künstlers zu schieben.

Nach Osten dann der durch die künstlerische Installation abermals verstellte und veränderte Blick auf die Domstrasse und hinüber zum Dom.

Ungewohnt und überraschend also dieser veränderte Blick durch die Museumsfenster. Die Chiffren des Künstlers in den Leibungen der doppelten Verglasung stellen die gewohnte Aussicht infrage. Neue Beziehungen zwischen dem Innen und dem Aussen entstehen; mancher Betrachter mag sich erst jetzt der Bedeutung dieser Fenster im musealen Raum des „Zollamts“ bewusst werden.

Beide Arbeiten sind hoch konzeptuell. Die Künstlerin und der Künstler liessen sich dabei vielleicht, wenn nicht wahrscheinlich, von Überlegungen leiten, die dem Betrachter verschlossen bleiben. Darauf kommt es unserer Auffassung nach auch gar nicht so sehr an. Denn entscheidend ist, dass die Werke dem Betrachter Anstösse geben, ihn dazu auf- und herausfordern, sich mit ihnen und mit der Umgebung, in die sie „einbettet“ sind, auseinanderzusetzen, mit allen Nachwirkungen, die sich dazu einstellen können. Der Schlüssel zum Schloss „Kunst“ ist nicht an der Museumskasse erhältlich.

Helena Schlichting, 1976 in Frankfurt am Main geboren, studierte zunächst an der Hochschule für Gestaltung HfG Offenbach, bevor sie an die Staatliche Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – in die Klasse von Professorin Judith Hopf wechselte.

Phillip Zach wurde 1984 in Cottbus geboren. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und beendete jetzt seine künstlerische Ausbildung an der Städelschule bei Professor Willem de Rooij.

Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2012 “Zauderberg” (3)

18 Absolventen der Staatlichen Hochschule für bildende Künste – Städelschule – aus den Klassen der Professoren Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Tobias Rehberger, Willem de Rooij und Simon Starling präsentieren im MMK-Zollamt ihre Abschlussarbeiten aus den Bereichen Installation, Malerei, Skulptur, Film und Performance.

Während im vergangenen Jahr die Malerei im Vordergrund stand, fällt in diesem Jahrgang eine genreübergreifende Arbeitsweise der jungen Künstlerinnen und Künstler auf. Auf das Medium Fotografie spezialisierte Studierende integrieren beispielsweise performative Elemente in ihre Werke, oder Absolventen der Bildhauerklassen präsentieren malerische Arbeiten, wie auch umgekehrt Studentinnen und Studenten der Malerklassen Ausflüge in die Welt der Skulptur und der Installation unternehmen.

„Die Absolventen dieses Jahres zeigen einmal mehr, warum die Städelschule zu den besten Kunsthochschulen der Welt zählt. Von der Kunstakademie ins Museum für Moderne Kunst – dieser Ortswechsel markiert eindrucksvoll den Übergang vom Status des Kunststudenten zum Künstler“, sagt denn auch Städelschulrektor Nikolaus Hirsch.

Aus der Fülle der Werke können hier wiederum nur einige wenige Positionen näher betrachtet werden, wobei alle Auswahl wie stets subjektiv ist. Und wir sind, wie in Folge 2 bereits ausgeführt, nicht überrascht, ganz überwiegend konzeptuelle Arbeiten anzutreffen, die dem Betrachter einen weiten Assoziations- und Interpretationsrahmen einräumen.

Eloise Hawser, 1985 in London geboren, aus der Klasse von Tobias Rehberger, bezaubert und irritiert mit einer Papierarbeit auf einem metallenen Unterbau, einem von jalousieartigen Lamellen umschlossenen Korpus. Natürlich ist der Schwan ein „Hingucker“ beim Publikum, das auch unbedingt wissen will, was das Wagnerianern bestens bekannte Tier auf seinem Rücken trägt, wo ihm schon der Blick in das Innere des „Rolladenkastens“ verschlossen bleibt. Aber auch die Ansicht von oben auf den Schwan liefert keine Gebrauchsanweisung für den Eiligen.

Eloise Hawser, Untitled, 2012, Skulptur, Papier, galvanisierter Stahl, 117 x 40 x 120 cm

Handreichungen zur verständigen Betrachtung gewährt uns ebensowenig Florian Auer, 1984 in Augsburg geboren, dafür umso mehr ein ganzes Konvolut hintergründiger wie verhalten-witziger Arbeiten. Das Mehrzweckgerät vor der verklinkerten Hauswand gibt Spielraum für allerlei Fantasien, die messerbewaffnete Hummerzange kann uns, da im Glaskasten sicher verwahrt, nichts anhaben, und in das Räderwerk der Sushi-Maschine muss man ja nicht hineingreifen, wenn man an der Kurbel dreht. Einen neugierig machenden Kontrast bilden die sich übermütig in den Raum drehenden Spiralen mit der geometrischen Strenge des ihnen verhafteten Hintergrunds. Eine gelungene Abschlussarbeit in der Klasse von Tobias Rehberger.

Florian Auer
↑  Not Yet Titled (surf and turf), 2012, Installation, verschiedene Materialien, Dimensionen variabel;
↓  Not Yet Titled (Sushi machine), 2012,Installation, verschiedene Materialien, Dimensionen variabel

Hannes Michanek aus der Malerei-Klasse von Michael Krebber, 1979 im schwedischen Kristianstad geboren, gehört zu den Künstlern, die bereits während ihres Studiums zu einer unverwechselbaren Palette und Bildsprache gefunden haben und gleichwohl stets um neue Ausdrucksmöglichkeiten ringen. Seine oft grossformatigen, detailreichen, sowohl figurativen wie abstrakten Bildelemente und -kompositionen fanden bereits im Sommer in einer Gruppenausstellung im Frankfurter Kunstverein grosse Aufmerksamkeit.

Hannes Michanek (rechts) und Kurator Bernd Reiß vor: Shattered bits and pieces, 2012, Öl auf Leinwand, 200 x 380 cm

Der heiter-ironischen Arbeit „Autist im Nebel“ von Othmar Farré, 1985 in Brig geboren, Schüler von Tobias Rehberger, begegneten wir bereits beim diesjährigen Städelschul-Rundgang. In seiner Absolventenarbeit kombiniert er das Bild mit einem Ensemble aus einem weissen Sofa und zwei Bildtafeln, die er jeweils sauber und faltenfrei mit einer transparenten PVC-Folie überzog. Kühl, steril, aseptisch die Atmosphäre. Das von der Einschweissung in Folie verschont gebliebene wandhängende Bild will nun jedoch nicht so recht zu dem genannten und überzeugenden Ensemble passen.

Othmar Farré, Amerikanische Lösung, 2012, Malerei, Sofa, PVC-Folie, 280 x 190 x 100 cm

Der Ire Timothy Furey, 1981 in Cork geboren, baut uns (Klasse Michael Krebber) ein Büro oder Atelier, vielleicht eines Designers in der Werbe- oder Automobilindustrie, das obligatorische Grün in Gestalt einer Zimmerpalme darf nicht fehlen. Aber dem inspirativen Geist des Abwesenden scheint es an Beflügelung zu mangeln: Uralt-Karosserien in blassem Ausdruck an den Wänden, das weisse Zeichenblatt lust- und ideenlos bekritzelt, ein hässlicher Farbklecks auf der Arbeitsplatte, da hilft auch der Fön nichts mehr, der zur Ausstellungseröffnung noch fehlte.

Timothy Furey, Enter Through The Gift Shop, 2012, Installation, Inkjet und Siebdruck auf Papier, Dimensionen variabel

Und wo wir schon vom Grün handeln, begeben wir uns zu einer nachdenklich stimmenden Installation von Veit Laurent Kurz, 1985 in Erbach geboren, ebenfalls aus der Klasse von Michael Krebber. Das Grün ist nur noch künstlich, virtuell. Eine Webcam beobachtet die Modellbahn-Szenerie im transparenten Würfelquadrat, doch deren USB-Anschluss liegt ebenso kontaktlos auf dem Boden wie derjenige der „Interfacepaintings“ an der Wand. Selbst Spielzeug- und virtuelle Welt kommen nicht zusammen, und die Natur ist sowieso längst im Cyberspace des World Wide Web verschwunden. Ist Rettung noch möglich?

Veit Laurent Kurz, Wald und Wiesen Sculpture („Wald und Wiesen“-series 4), 2012, Holz, Metall, Spachtel, Modellgras, Plastik, Modellbäume, Steine, Stative, Lack, Sprühfarbe, Webcam, USB-Kabel, 150 x 60 x 70 cm

Veit Laurent Kurz, Interfacepainting # 1 of 2 und # 2 of 2 („Wald und Wiesen“-series 4), 2012, jeweils Acryl auf Leinwand, USB-Stick, 70 x 50 x 2 cm, präsentiert auf tft-Wandstativ

An der wiederum gelungenen, einfalls- und ideenreichen Ausstellung nehmen ausserdem – mit nicht minder beachtlichen Arbeiten – die Städelschulabsolventen Logi Bjarnason, Helen Demisch, Samuel Forsythe, Edgars Gluhovs, Lars TCF Holdhus, Aki Nagasaka, Charlotte Simon, John Skoog und Stewart Uoo teil.

(abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos der Installationsansichten: Erhard Metz)

Rundgang 2013 (1)

Wo gut gearbeitet wird, darf auch richtig gefeiert werden …

Plakate zum diesjährigen Städelschul-Rundgang

Jährlich zwei Tage nur, mit den notwendigen Vorbereitungen noch den einen oder anderen Tag mehr lebt die Städelschule – die Staatliche Hochschule für bildende Künste, wie ihr voller Name lautet – im Ausnahmezustand. Heuer fallen die beiden traditionellen Rundgangstage für das Publikum, der Samstag und der Sonntag (den vorlaufenden Freitag über wird so manches noch gebaut und gebastelt) exakt in den Faschingstrubel. Wer dem um 13.11 Uhr beginnenden sonntäglichen Grossen Frankfurter Fastnachtszug beiwohnen will – die Stadt erwartet wieder an die 450.000 Zuschauer – und dabei seiner seelischen Erwärmung auch noch die körperliche aus dem Flachmann hinzugesellt, wird schwerlich seine Schritte zur Dürer- und Daimlerstrasse lenken können, den beiden Standorten der weltweit berühmten Kunsthochschule. Das ist schade, und das im letzten Jahr erreichte Etappenergebnis von rund 13.000 Besuchern dürfte sich 2013 kaum wiederholen lassen.

Dabei stellt der „Rundgang“ das willkommene wie notwendige, im Grunde aber einzige Scharnier dar zwischen der kreativen Betriebsamkeit der 190 Städelschülerinnen und -schüler und der sogenannten Stadtgesellschaft, mit welcher Vokabel man die kunst- und kulturinteressierte Bürgerschaft seit einigem modesprachlich kennzeichnend beglückt.

Professorin Judith Hopf und Rektor Nikolaus Hirsch in der Rundgangs-Pressekonferenz

Zwei Publikumstage lang also verwandeln sich Studios und Ateliers der Hochschule in nicht nur besenrein gekehrte, sondern fast liebevoll geputzte Ausstellungräume, für viele der jungen Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeiten noch nicht auf Ausstellungen in eine wenn auch begrenzte Aussenwelt entlassen konnten, stets ein neues Erlebnis. Es gilt zu entscheiden, was dem durchaus kritischen Blick des Publikums dargeboten werden soll, was fertig erscheint oder eben noch nicht oder hinter dem Vorhang versteckt wird. Und dieses Publikum wiederum erhält Gelegenheit, sich von der oft ungestüm daherkommenden, manches Mal aber in ein bereits fast professionelles Präsentationsgewand gekleideten Kreativität überzeugen zu lassen.

Derzeit betreuen zwölf Professoren und sechs Gastprofessoren die genannten rund 190 Studierenden (40 bis 50 von ihnen in den Architekturklassen) – das Verhältnis von einem Professor zu 20 Studierenden kann als glücklich bezeichnet werden. Zu diesen Lehrenden zählen die Turner-Preisträger Simon Starling und Douglas Gordon, Judith Hopf, die zur documenta 13 einen weitbeachteten Ausstellungsbeitrag präsentierte, oder Venedig-Gold-Gewinner Tobias Rehberger. Rektor Nikolaus Hirsch lobt das offene Klima an der Hochschule, den Geist der in manchem fast Züge einer „Familie“ annehmenden Zusammenarbeit. So etwa gibt es einen Schulchor, oder es werden gemeinsam Lebensmittel hergestellt, zubereitet und verspeist.

Aktueller Blick in die Lichthalle des Hochschulgebäudes

Was gibt es Spektakuläres? Die „Küche“ von Professor Douglas Gordon und das „Silver Studio“ der Architekturklassen der Professoren Ben van Berkel und Johan Bettum!

FeuilletonFrankfurt wird, auch wenn sich die Tore der Städelschule wieder geschlossen haben (das darf nicht zu wörtlich genommen werden, denn Künstler- oder Atelierbesuche sind nach vorheriger Absprache durchaus möglich), in den nächsten Folgen diese zwei faszinierenden Räume vorstellen und ebenso eine Reihe von Arbeiten einzelner Studentinnen und Studenten.

Heuer gilt es – Fastnachtszug hin, Fastnachtszug her, die Karnevalisten werden uns darob hernach eins auf die Mütze geben – mit einiger Vehemenz doch zu einem Besuch der Städelschule am Faschingssonntag aufzurufen! Die Öffnungszeiten sind unschwer dem oben abgebildeten Plakat zu entnehmen.

Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (2)

Heute setzen wir unseren Report mit der Verleihung der Rundgang-Preise fort, die traditionell anlässlich der alljährlichen Öffnung der Städelschule für das Publikum verbunden sind, und wir gratulieren herzlich allen Preisträgerinnen und Preisträgern:

Rundgang-Preise 2013

Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung Preis
Preisträger: Andreas Bülow Cosmus

Jürgen H. Conzelmann Preis
Preisträger: Giovanni Sortino

Frankfurter Künstlerhilfe e.V.
Preisträger: René Schohe

Engel & Völkers Preis
Preisträger: Deniz Eroglu

PRE Real Estate Deutschland Preis
Förderpreis für eine herausragende Leistung im Bereich Film/Video
Preisträger: Andrew de Freitas

Preis der Landwirtschaftlichen Rentenbank
Gruppen-Förderpreis, der eine Gemeinschaftsarbeit oder die Gemeinschaftspräsentation mehrerer Studenten belohnt
Preisträger: Filippa Pettersson, Natasja Loutchko

Stylepark Preis
Preisträger: Elif Erkan

Linklaters LLP Preis
Preisträger: Jannis Marwitz

Ernst & Young Preis
Preisträger: Calori & Maillard

Sonderpreis Performance
Preisträger: Alan B. Brock-Richmond
Luzie Meyer & Aislinn McNamara

(Quelle: Städelschule)

Zwischen Himmel und Erde und ein Kompass zur Kunst

Auch in diesem Jahr fielen uns wieder – wir sagen einfach mal – „Fensterblicke“ auf: Arbeiten, die sich mit dem Blick aus dem Atelier nach draussen, dem Ausblick auch auf das der Städelschule benachbarte Städel Museum auseinandersetzen – wer möchte nicht eine seiner Arbeiten im unterirdisch-genialen, der Gegenwartskunst gewidmeten Erweiterungsbau dieses weit über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus geachteten Hauses wiederfinden?

Melanie Matthieu hängt einen langen Seil-Zopf (der am Folgetag leider bereits verschwunden war) zum einen Spaltbreit geöffneten Atelierfenster zum Städelgarten mit besagtem anschliessenden Museumstrakt hinaus und nennt ihre Arbeit mit einem Selbstbewusstsein, das entsprechende Zweifel einschliesst „My link with the earth is strong, my energies are pure, I am protected and I am able to manifest my highest good at all time“:

Melanie Matthieu, Mixed media, 2010-ongoing

Das Seil aus dem Fenster sucht und verspricht Erdung – und damit zugleich Orientierung. Und dann steht da noch der Tisch. Man blickt nach unten und sieht das Oben: In der verspiegelten Tischplatte das Fenster, den Himmel …

Auch Ana Vogelfang blickt zum Atelierfenster hinaus auf die Fenster des berühmten Museums. In ihrer dreiteiligen skulpturalen Installation verstellt sie die Aussicht mit einem eigenen Fenster, das sie mit einer Gardine verhängt. Eine schöne Arbeit, wie wir finden, die eine Vielzahl von Assoziationen weckt.

Ana Vogelfang, „Untitled“ (Detail), Skulptur/Installation, 2013

Wo bitte geht’s zur Kunst, zum Erfolg als Künstlerin und Künstler? Verspricht der Kompass von Clémentine Coupau Orientierung, weist er den Weg?

Clémentine Coupau, Compass, Alder wood, metal, charcoal (Erlenholz, Metall, Holzkohle)

Sind es Kompassnadeln oder Uhrzeiger, die uns Richtung und Zeit weisen, ist es ein Zirkel, der den kaum sichtbaren Kreis auf dem Boden vor der Skulptur geschlagen hat? Ägypter, Babylonier, Griechen – bereits alle alten Kulturen faszinierte der Kreis. Die in Ziffern dargestellte Kreiszahl π führt ins Unendliche … Dem Kreis und seinem „Bruder“, dem Ring, werden seit Urzeiten vielerlei Bedeutungen zugesprochen …

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstlerinnen; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (3)

„Can it!“ der Filmklasse Küche von Douglas Gordon

Der Mann am Klavier hat’s ohnehin schwer: 88 Tasten fordern seine zehn Finger heraus, es gilt, sie zum jeweils richtigen Moment zu treffen, da sollte man’s ihm nicht noch schwerer machen und den grossen Flügel auf ein übermannshohes Holzgerüst verräumen, noch dazu den Klavierhocker auf einem schmalen Balken über dem Abgrund balancieren lassen … wie geschehen in der berühmten Küche, dem Atelier des Filmprofessors Douglas Gordon in der Städelschule. Nun gilt es als ein offenes Geheimnis, dass der mit dem hochrenommierten Turner-Preis ausgezeichnete Kunstlehrer des Klavierspiels gar nicht mächtig ist (wohl aber des Kochens!) und dass der – normaler Weise auf dem Boden residierende – Flügel, anders als die komplett eingerichtete Edelstahl-Küche, lediglich als ein Dekorationselement sein fragwürdiges Dasein fristet. Und heuer zum Städelschul-Rundgang 2013 musste das sperrige schwarze Ungetüm eben Platz machen für einen Verkaufsstand der besonderen Art.

„Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen“ sagt ein altbekanntes Sprichwort, kündet vom Zusammenhang auch zwischen Körper und Geist, da ist etwas Wahres daran. Und: Das gemeinschaftliche Kochen und Essen hat Tradition an der Städelschule. Einst führte dort Professor Peter Kubelka in seiner Klasse Film und Kochen als Kunstgattung zusammen. Er als „Koch, vergleichender Theoretiker, scharfsinniger Beobachter, Kulturanthropologe, Sammler, Künstler, Mitbegründer der Anthology Film Archives in New York, Filmemacher, Avantgardist, Musiker, Reisender und subtiler Theoretiker des Essens, hat das praktische Denken für das Kochen auf ein philosophisches Niveau gehoben und auf Kulturen vergleichende Weise den irritierenden Nachweis erbracht, dass Kochen Kunst ist“, lobt noch immer die Hochschule. Heute leitet Mensa-Koch Hocine Bouhlou eine Kochwerkstatt.

Kochen erfordert Kreativität wie Kunstfertigkeit, Gefühl und Liebe, führt in philosophische Dimensionen.

Die Küche perfekt, die Regale des vom schwarzen Flügel beschirmten Verkaufsladens zu Beginn gut gefüllt und am Ende sicherlich so ratzeputz ausverkauft wie unlängst Wagners „Ring“ an der Oper Frankfurt. Es gibt unter anderem Schürzen und Geschirrtücher von Any Schultze und Inga Danysz, Bier von Sebastian Stöhrer und Olaf Hackl, von letzterem auch Walnusswein. Filippa Pettersson (sie erhielt den Förderpreis der Landwirtschaftlichen Rentenbank) und Amy Ball bieten eingelegtes Gemüse an.

Nicht fehlen darf original Marlenes „Tau von den Wiesen“ von Städelschul-Professor Tobias Rehberger, ein „reines Naturprodukt ohne Zusatzstoffe“, politisch-ökologisch korrekt in der Pfandflasche. Doch wer wird das Kunstwerk einfach banaler Weise öffnen und austrinken, gar hernach die Flasche zurückbringen?

Und zum Schluss Leckeres wie Prozentiges vom „Küchenmeister“ selbst: Tequila infused with lemons, limes and oranges, Titel: „memory of forgotten future“, Jahrgang 2013, mit Unterschrift von Douglas Gordon höchstselbst.

Den Verkaufsladen entwickelten Dana Munro und Mark Walker, assistiert von Jessie Holmes.

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (4)

Olga Cerkasova und Youngin Son: Vier Models und ein Taugenichts

Der diesjährige Rundgang durch die Städelschule liegt bereits einige Tage zurück, wir blicken mit etwas Abstand und Musse auf das Geschaute und das eine oder andere dabei Eingesammelte zurück.

Unter dem vielen, welches uns auffiel, erinnern wir uns an ein Quartett vier junger, attraktiver Damen, wir trafen sie nicht ad personam an, sondern auf Leinwand gebannt. Fein ausgeführte Studien, es sollen Models sein, in sehr unterschiedlichen Posen, die auf jene bekannte Art – mit einiger Distanz oder auch gerade nur wenige Zentimeter – an uns als Betrachter vorbei in eine unbestimmbare Ferne schauen, wie wir dies von so vielen Porträts her kennen, oder anders aus der Position eines Enttäuschten gesagt, sie würdigen uns keines Blickes.

Es sind junge Frauen, die uns überall begegnen könnten, nichts Spektakuläres liegt also vor. Und doch oder umso mehr eignet ihnen etwas Eigenartiges, Ambivalentes, ja Subversives: in den Augen der einen ein Blau jenseits allen Hans-Albers-Blaus dieser Welt und von einer Kühle, die uns trotz des weidlich geheizten Ateliers unwillkürlich frösteln und einen Schritt zurücktreten lässt; in den Augen der anderen ein Grün, das bereits einen durchaus giftigen Ton gewinnt und uns in unserer eingenommenen Hab-Acht-Position bestätigt; dann wiederum eine Iris von jenem Schwefelgelb, das uns direkt in die Faust’sche Hexenküche versetzt. Schön und schaurig. Wir sind hin- und hergerissen. Träten die Damen nicht im Quartett, sondern zu dritt auf, so könnten wir an eine moderne Ausgabe der Rheintöchter Wellgunde, Woglinde und Flosshilde denken, oder gar an die drei Schicksal spinnenden Nornen Urd, Verdandi und Skuld. Ja, der „Ring“ hat doch seine Spuren in uns gegraben.

Olga Cerkasova, Models (untitled) I – IV, 2013, Öl auf Leinwand, 50 x 60, 48 x 61, 47 x 59 und 49 x 60 cm

Es sind Bilder der Künstlerin Olga Cerkasova, an denen unserer Beobachtung nach so mancher Besucher – sehr zu Unrecht, wie wir meinen – freundlich-achtlos-nickend vorbeiging: ach ja, so figurativ. Der Stehenbleibende aber konnte sich mit der Spannung auseinandersetzen, die sich zwischen den Porträt-Gemälden und ihm selbst aufbaute, aufbauen musste. Von den an uns so nichtachtend vorbeischauenden Schönen wollten wir so schnell nicht lassen. Warum? Ja, wenn wir das wüssten! Wollen wir es denn wirklich wissen? Wollen wir die Kunst all ihrer Geheimnisse entkleiden?

Olga Cerkasova, 1986 in Estland geboren, war Assistentin im Studio von Professor Tobias Rehberger und legte in der Hochschule für Gestaltung Offenbach HfG ihr Vordiplom im Fach Produktdesign ab. Seit 2009 studiert die vielseitige, auf fast allen Gebieten der bildenden Kunst tätige Künstlerin in der Städelschul-Klasse von Professorin Judith Hopf. Auch ist sie in der Frankfurter Ausstellungsszene längst keine Unbekannte mehr.

Nicht sehr viele Schritte weiter, im Lichthof des Malertraktes, auf den ersten Blick ebenfalls subversiv anmutend, für manche zunächst fast schon alptraumhaft schockierend, die beiden sich gegenüber hängenden grossformatigen Tafelbilder von Youngin Son.

Youngin Son, Taugenichts, 2012, Öl auf Leinwand, 190 x 180 und 200 x 190 cm

Der 1980 in Südkorea geborene Youngin Son studierte bereits an der Chungang Universität in Seoul sowie bis 2011 an der Akademie der bildenden Künste in München Malerei. Derzeit vervollkommnet er sein Studium bei Professorin Christa Näher an der Städelschule.

Die Motive seiner technisch bereits perfekt erscheinenden Gemälde – sehr oft sind es Kinder – können verunsichern und, wie beim Rundgang geschehen, so manche Besucher erschrecken. „Taugenichts“ ist jedes dieser beiden Bilder betitelt. Ein Cretin von einem Teletubby? Ein artifizielles Manga-Unwesen? Führt uns der Titel nicht in die Irre? Blicken wir in ein von Hilflosigkeit, pathologischen Prozessen, gar Degeneration gezeichnetes kindliches Gesicht, oder werden wir an Schreckliches wie Kindesmissbrauch erinnert?

Auch Youngin Sons Malerei ist von Ambivalenz geprägt: Dieses kindliche Antlitz spiegelt Trauer und Schmerz über Erlittenes wider, Melancholie, zugleich Sehnsucht und Hoffnung nach – zumindest künftiger – Zuwendung und Liebe. Es sind, jenseits aller Handwerklichkeit, sehr bemerkenswerte Arbeiten, die längst nicht nur auf dem Münchner „Kunstmarkt“ einiges Aufsehen erregt haben. Auch bereits arrivierte Positionen lassen sich beim jährlichen Rundgang durch die Städelschule antreffen.

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstler(innen); Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (5)

THE SILVER STUDIO – A SPACE ODDITY

Freitag, 8. Februar 2013: noch wird fleissig aufgebaut, Städelschul-Rektor Nikolaus Hirsch beobachtet es mit Interesse …

… der gesamte Raum samt Fenstern und allem Inventar wird sorgfältig in hochglänzende Alufolie eingepackt (es soll sich um sogenannte Rettungsfolie zum Zudecken etwa von Unfallopfern handeln) … wer erkennt noch den Wasserhahn? Als dann alles fertig ist, kommt der Besucher aus dem Staunen nicht heraus.

Wir befinden uns im SILVER STUDIO, eingerichtet von der First Year Group der Architekturklasse, betreut von Professor Johan Bettum.  Die Studierenden sind: Sadaf Ahadi, Sundeep Balagurvaiya, Elene Beradze, Soso Beridze, Adil Bokhari, Helga Boldt, Mahsa Chaharjoui, Sujata Chitlangia, Amin Eivani, Sabina Eivazova, Peyman Esmaeelpour, Alexander Garibashvili, Julian Gonzales, Eva Goula, Ashwanth Govindaraji, Lidija Grozdanic, Anastasios Ioannou, Theodora Janenita, Damjan Jovanovic, Yulia Kuzhleva, Tornike Matitashvili, Curtis McLean, Ronak Namdari, Sophia Passberger, Mehran Rahmani, Adham Selim, Kalpak Shah, Vasily Sitnikov und Maria Yablonina. Mitgewirkt haben die beiden namhaften Thomas Bayrle-Schüler Sebastian Stöhrer und Stefan Wieland.

Zu dem Raum inspirieren liessen sich die Studierenden von Andy Warhols legendärer Silver Factory, die er von 1964 bis 1968 an der East 47th Street in Manhattan unterhielt und deren Wände und Fenster vollständig mit Silberfolie und silberner Farbe bedeckt waren. „Space oddity“ – Raumkuriosität – , einen „Raum der architektonischen Exzesse“ nennen die Studentinnen und Studenten ihr Werk, das sie im Rahmen des Semesterthemas „Innerlichkeit“ entwickelt haben – „ein Zustand, der von sich aus architektonisch und voll mit sozialen, politischen und philosophischen Nuancen ist“.

„Ein Ort für Selbstentblössung und Reflexion“ sei das Studio, so die Studierenden weiter. Wie Andy Warhols damalige Silver Factory als Vorlage „ist die glänzende Beschichtung des SILVER STUDIO perfekt oberflächlich“.

Nun vermag viele bereits solch „glänzende Oberflächlichkeit“ zu faszinieren, eine im Grunde jedoch immer gleiche Oberfläche, wie wir sie allerorten in allen Städten antreffen, wo ebenso zeitgeistige wie einfallslose „Investoren-Architektur“ sich breitmacht. Beispiele dafür finden sich zahlreich in der Frankfurter Innenstadt, wo vieles, was älter als eine Menschengeneration und damit steuerlich abgeschrieben ist, niedergerissen und durch Einerlei-Fassaden ersetzt wird.

Umso bemerkenswerter die in die Folie des SILVER STUDIO eingebetteten Modellarchitekturen der Jungarchitekten, luftig-lichte, zu schweben scheinende und doch dem Grund verwurzelte, vielfach den Konstruktionsprinzipien der Natur nachempfundene Gebilde. Den Wellen des Meeres und der Landschaft entlehnte, terrassenförmige Siedlungsformen könnte man erahnen. Amphitheatrische räumliche Situationen lassen in der Fantasie erblühen, was Architektur leisten könnte, aber unter den vorherrschenden ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen offenbar nicht zu leisten im Stande ist.

 Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (6)

In den Raum hinein: Skulptur und Skulpturales

Es ist jedes Jahr das gleiche Dilemma: Wir haben die Qual der Wahl. Wobei die Wahl zu haben im Grunde ja ein komfortabler Zustand ist. Denn fast alles ist sehenswert bei den Rundgängen durch die temporär zu Schauräumen umgestalteten Ateliers der Städelschule, so vieles ist berichtens- und empfehlenswert, dass man ein gar nicht so dünnes Büchlein damit füllen könnte. Der reportierende Betrachter muss sich beschränken, muss seinen Wunsch nach redlicher Erfassung alles Gesehenen ad acta legen und, wenn er einzelnes herausgreift, nun nicht momentaner Laune verfallen, jedoch seinen individuellen Neigungen folgen dürfen.

↑↓ Hanna Maria Hammari

↑↓ Hanna Maria Hammari

Hanna Maria Hammaris gar nicht so spektakuläre, doch wohlkomponierte, sensible und subtile Arbeiten sprechen uns an, wir müssen sie hier ohne Bildlegenden und Materialbeschreibung wiedergeben. Die aus dem Holz geschnitzten, sich in den Raum hinein rollenden Späne gewinnen ein schwebend-leichtes Eigenleben und bleiben doch ihrem Ursprungsort und -materiel verbunden.

Bei den schemenhaften – oft die eine aus der anderen geschnittenen – Figuren von Christoph Esser und den ihnen zugewiesenen Dada-Rollen (Mother, Fother, Other, Bother …) denken wir schmunzelnd an die Fernseh-Sitcom „Eine schrecklich nette Familie“ (zu deren Stammsehern wir uns gewiss nicht zählen). Der 1982 in Essen geborene Künstler studierte zunächst an der Folkwang Universität der Künste mit Schwerpunkt Fotografie und experimentelle Gestaltung; 2009 nahm er das Studium der freien bildenden Kunst an der Städelschule bei den Professoren Willem de Rooij und Michael Krebber auf.

Christoph Esser, Mother, Fother, Other, Bother, Smother, Roberta & Hank, 2013 (Ausschnitt)

Daniel Stempfer (im Bild), duzen/siezen, 2013, Holz, Glas, Papier, Aluminium, 145 x 65 x 95 cm

im Hintergrund: Tobias Donat, !Ҥ$%&/() РB [und РC], jeweils 2012, Lack und Baumwolle auf MDF, 200 x 150 cm

Daniel Stempfer erhebt die Ausstellungssituation, hier konkret die Vitrine zum Gegenstand seiner Betrachtung und Bearbeitung. Stäbe aus Aluminium, durch runde Bohrungen durch den gläsernen Kasten hindurch geführt, lassen an ein Tischfussball-Spiel denken, entsprechende Fussballerfiguren sind jedoch weit und breit nicht in Sicht. Nun kommt es darauf natürlich nicht an. Das zu kurz geratene Tischbein ruht auf einem hohen Papierstapel.

Tobias Donat drapiert handtuchähnliche baumwollene Tücher, das eine in farbenfrohem Missoni-Zickzack, das andere modisch gestreift, vor einer lackierten Fläche aus Faserplatten, die wie eine geflieste Badezimmerwand anmutet. Die Titel seiner Arbeiten entnimmt er der obersten Zeichenreihe der PC-Tastatur!

Zuzanna Czebatul schliesslich baut sieben, sich nach oben verjüngende Türme – wenn wir dabei an Hochhäuser denken, so folgten sie dem stalinistischen „Zuckerbäckerstil“. Oder wir erkennen das Matrjoschka-Prinzip: jedes next Kleinere passt in das nächst Grössere. Sie beklebt den Karton mit allerlei wunderschönen Bonbonschachtel-Motiven, natürlich denken wir an Geschenkkartons voller netter Geburtstags- und Weihnachtsgaben. Der Versuchung zu widerstehen, in die eine oder andere Schachtel in einem unbeobachteten Moment hineinzuschauen, fällt gar nicht so leicht.

Es sind allesamt „Hingucker“ in diesem Atelier, schöne, humorvolle wie hintersinnige Arbeiten, mit denen man sich lange beschäftigen und auseinandersetzen kann.

Zuzanna Czebatul, mint condition one, [two, three, four, five, six, seven], [jeweils mit diversen weiteren Bezeichnungen], 2013, graue Pappe, bedrucktes Papier

wiederum im Hintergrund: Tobias Donat, !Ҥ$%&/() РB, 2012, Lack und Baumwolle auf MDF, 200 x 150 cm

Inga K. Danysz, Mirror Of Grid, 2012/2013, Spiegel, schwarze Klebefolie, 185 x 100 x 0,6 cm

Vielleicht könnten wir in diesem Spiegel von Inga Danysz so etwas wie die naturwissenschaftlich erwiesene, hier visualisierte Krümmung von Raum und Zeit erkennen. Jedenfalls können die im Gitternetz gespiegelten Gegenstände des Ateliers eine neue Dimension und Bedeutung gewinnen. Und dem sich über einen längeren Zeitraum in sein Spiegelbild versenkenden Betrachter können seltsame Anwandlungen widerfahren. Eine interessante wie zugleich vexierende Arbeit.

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (7)

Khaled Barakeh: Damascus – Regarding the Pain of Others

Khaled Barakeh wurde 1976 in Syrien geboren. Er studierte Malerei, zunächst an der Faculty of Fine Arts der Universität in Damaskus mit Abschluss Diplom und anschliessend an der Funen Art Academy in Odense mit dem Abschluss Magister Artium. 2010 kam er zur Städelschule, deren Besuch er als Meisterschüler von Professor Simon Starling abschliessen will.

Barakeh floh aus Syrien. Die Kunst der Malerei hat er für sich weiterentwickelt zu konzeptuellen Ausdrucksformen und gesellschaftspolitischer Thematik.

Wir stehen in einem Zustand von Ratlosigkeit, aber doch Anspannung und dunklen Ahnungen vor Khaled Barakehs Arbeit.

↑↓  Damascus 15 Feb 2012 19:47:31, 2013, Direct print on plate + inkjet print, 220 x 110 cm

Der Künstler erzählt: Der Druck zeigt den Rücken eines in Syrien unter dem Assad-Regime gefolterten Freundes.

Regarding the Pain of Others, 2013, Reconstructed existing material, Wood, varous sizes

Vor dem Bild ein aus offenkundig gebrauchten Brettern grob gezimmerter, auf dem Rücken liegender Stuhl mit Armlehnen, dessen vier Beine ein merkwürdig kontrastierendes, leicht geschwungenes Profil aufweisen, daneben einige überzählige Bretter und Latten, zersägt und gerade ausgerichtet auf den Boden gelegt. Khaled Barakeh erzählt: Es ist das Holz einer kistenartigen Bahre, mit der im Krieg Tote und Verletzte abtransportiert werden. Sie wurde aus Syrien in den Libanon geschmuggelt.

Die vier zum Tragen mit den Händen ausgeformten Griffe der Bahre transformiert der Künstler zu den Stuhl tragenden Beinen. Der Lehnstuhl aber verweist auf den machtlosen, zum untätigen Sitzen verurteilten Betrachter des Gefolterten; auf Voyeurismus wie gleichgültige Lethargie gegenüber der Marter. Ohnmacht, Hilflosigkeit und Lethargie des Schauenden werden durch die Rückenlage des Stuhls noch verstärkt.

Die nebeneinander gelegten Bretterteile können für abgerissene Körperteile durch Kriegshandlungen zerfetzter Leichen stehen. Wir erinnern uns an die Arbeit „Terrorealista“ von Marco Evaristti.

Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2013 (8)

Malerei und mehr

Wie bereits die Absolventenausstellung 2011 oder der Rundgang 2012 der Städelschule erkennen liessen, gehört die Malerei, und zwar auch die figurative bzw. gegenständliche, trotz des Vordringens der Kunstformen Video und Performance durchaus noch zu den gefragten Disziplinen der derzeitigen Generation der an der Hochschule Studierenden. Ihr widmen wir die letzte Folge unseres subjektiven Reports über den Rundgang 2013, wobei wir einigen Studierenden, deren Arbeiten uns auffielen, bislang noch nicht begegnet sind.

Jagoda Bednarsky, Troprismicana no 2, 2013, Öl, Papier auf Leinwand, 140 x 110 cm

Die 1988 in Goldberg geborene Jagoda Bednarsky verfügt bereits über einige Ausstellungserfahrung, beispielsweise in der Frankfurter Galerie Detterer, im 1822-Forum oder in den Rüsselsheimer Opelvillen (Schleuse), wo sie mit dem Ausstellungstitel „Auch wenn dir der tiefere Sinn verborgen bleibt, folge meinen Anweisungen“ überraschte. Die Künstlerin arbeitet, wie oben zu sehen, mit verschiedenen Techniken und gelangt in ihrer lebhaften, abstrakten Malerei zu einem erstaunlichen perspektivischen Reichtum.

Lena Philipp, 1985 in Lörrach geboren, studiert, nach früherer Theaterarbeit in Lörrach und einem Studium der Malerei an der Alanus Hochschule in Alfter, seit 2010 an der Städelschule (wie Jagoda Bednarsky in der Klasse der Professorin Christa Näher). „Dare to fly“ schrieb sie einmal in einer kurzen autobiographischen Notiz. Ihr „Rainbowworrier“, wie viele andere ihrer Arbeiten in zarten Pastelltönen gemalt, scheint kurz vor dem Abheben zu sein; er hat uns besonders gefallen.

Lena Philipp,  rainbowworrier, Öl auf Leinwand, 22 x 26 cm

Alexander Rojas,
↑ O.T., 2013, Öl auf Leinwand
↓ Autist, 2010, Acryl und Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm

Alexander Rojas, der mit mehreren Arbeiten beim Rundgang 2013 vertreten war, konnten wir bisher noch nicht begegnen. Seine – auch bei aller Abstraktion noch stets erkennbar figurative – Malerei mögen und brauchen auch gar nicht jedermanns Zustimmung zu finden – sie gibt einige Rätsel auf, mit denen wir uns jedenfalls länger beschäftigen können und möchten.

Ebensowenig kennen wir bislang die Künstlerin Alice Yang, die ihre beiden Arbeiten lediglich mit dem Hinweis auf ihre Website „alicesparklykat.com“ versieht, auf der den Besucher zunächst ein wunderschönes Katzenporträt empfängt. Beim Rundgang zeigt sie zwei interessante kleinformatige, collagierte Gemälde, die sie mit reflektierender Folie versieht, deren Wirkung an Kinegramme erinnert.

Alice Yang (ohne nähere Angaben)

Marcel Petry, Snails, Acryl / Öl auf Leinwand, und: o.t., Acryl auf Leinwand, jeweils 2012, je 120 x 90 cm

Marcel Petry, 1972 in Frankfurt am Main geboren, ist manchen durch seine Performance in der U-Bahn-Passage Dom / Römer vor gut einem Jahr bekannt. Seine figurative, erzählerische, in manchem surrealistisch anmutende Malerei gibt uns ebenfalls eine Fülle von Rätseln auf. Die eine Speise zubereitende Frau in der Küche hebt den Deckel vom Kochtopf, die Katze schaut erwartungsvoll zu, doch über das Gesicht der Köchin fällt dichter schwarzer Haarwuchs. Und kocht sie wirklich Schnecken, wie der Titel suggeriert? Ihr „Partner“ auf dem gleichformatigen benachbarten Bild bearbeitet mit seiner bis über den Unterarm dick verbundenen linken Hand seinen Nacken mit drei Trommelschlegeln. Fantasien, Träume, gar Albträume, hervorbrechende Ängste?

In traumhafte Regionen führt (und verführt) uns auch die Malerei des 1985 geborenen, von Ausstellungen unter anderem in Amsterdam, London oder Mailand weit bekannten und am vielbeschworenen „Kunstmarkt“ bereits erfolgreichen  Seth Pick – wir kennen ihn als Gewinner des wohldotierten letztjährigen Förderpreises der Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung. Zweifellos: von diesem Maler werden wir in Zukunft noch sehr viel hören und vor allem sehen.

Seth Pick:
↑ D and A, 2012, Öl auf Leinwand, 65 x 49 cm
↓ Chuang-Tzu, 2012, 57 x 44 cm, und Psyche, 2012, 50 x 38 cm, jeweils Öl auf Leinwand

Moritz Grimm, Maja Kalenderparty

Von Moritz Grimm wissen wir bislang leider nur, dass er 2010 im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden ausgestellt hat. Seine durchaus malerische Collage „Maja Kalenderparty“ verlässt die Bildebene, aus dem Röhrchen „Kurz vor“ regnet es kleine bunte Teilchen wie farbenfrohe Glassplitter aus einem zerbrochenen Kaleidoskop. Wir finden die Arbeit, wie sollen wir sagen, erfrischend, geistreich, witzig – und schön?

Daniel Hörl, 1982 in Fulda geboren, studierte nach einer ersten Ausbildung zum Steinbildhauer zunächst an der Meisterschule für Steinmetze und Steinbildhauer in Freiburg und anschliessend Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg mit dem Abschluss Meisterschüler bei Professor Claus Bury. Der Künstler arbeitet bei seinem Exponat zum diesjährigen Rundgang mit Acryl und Wachskreide auf Marmor: ein Flachrelief mit zugleich grossem malerischen Charakter und, obgleich seiner Auffassung nach noch nicht vollendet, bereits von grosser Kunstfertigkeit und Ästhetik. Je länger man es betrachtet, umso mehr kann man in dieser bemerkenswerten Arbeit entdecken und versuchen, sie zu dechiffrieren. Ein interdisziplinäres Werk, wie wir es bislang noch nicht gesehen haben.

Daniel Hörl, a taste for bitters (twenty installations), Acryl und Wachskreide auf Marmor

Giovanni Sortino, Charlotte, 2013, 200 x 135 cm

Giovanni Sortino schliesslich erhielt zum Rundgangs-Auftakt den diesjährigen Jürgen H. Conzelmann Preis. Wir bringen den Künstler zunächst mit einem Studium an der renommierten Mailänder Accademia di Belle Arti di Brera in Verbindung. Seine grossformatige Arbeit „Charlotte“ macht uns mehr als neugierig … Wir imaginieren mit ihr Ausgrabungsfelder antiker Siedlungsstrukturen, Spuren vergangener menschlicher Zivilisationen. Wir haben uns längere Zeit vor diesem Werk aufgehalten.

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstler(innen); Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2013 “say my name, say my name” (1)

Daniel Hörl erhält diesjährigen Absolventenpreis der Städelschule

Prominente Städelschul-Professoren bei der Preisverleihung: Rektor Nikolaus Hirsch und Willem de Rooij, Mitglied der diesjährigen Jury

Titel sind wichtig bei Kunstwerken und haben ihre Bedeutung, auch wenn sie des Öfteren nicht den Erwartungen des Betrachters entsprechen, die er mit dem Werk verknüpft, oder diesen gar in die Irre führt. Aber auch solches kann Teil einer künstlerischen Strategie sein.

So oder ähnlich mag es sich auch mit dem Titel „Obama“ der diesjährigen Preisträgerarbeit verhalten:

ist er ironisch zu verstehen oder vielmehr hintergründig, gar hinterlistig? Eine Hommage an den ersten „schwarzen“ Präsidenten der Vereinigten Staaten? Schwarz, tiefschwarz jedenfalls ist das Material der zunächst an einen wandhängenden Fernsehmonitor erinnernden Arbeit: Schwarz-Schwedisch, ein in Schweden anzutreffender Naturstein, ein Ganggestein, entstanden vor etwa 900 Millionen Jahren im Präkambrium, der Erdfrühzeit also, aus rasch aufsteigendem Lava in den Spalten des Baltischen Schildes.

In Deutschland ist Schwarz-Schwedisch überall dort anzutreffen, wo sich Friedhöfe oder Denkmäler befinden: es ist, hochglanzpoliert, seit Mitte/Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das klassische Gestein für Grab- und Denkmäler. Dies ist nicht zuletzt seiner Witterungsbeständigkeit geschuldet – zählt Schwarz-Schwedisch doch zu den weltweit härtesten Gesteinsarten. Für Steinbildhauer allein schon handwerklich eine grosse Herausforderung.

Eine Herausforderung auch für die digitale Kamera unter verschiedenen Blickrichtungen bei schwierigen Lichtverhältnissen: „Obama“, 2013, Schwarz-Schwedisch, 85 x 54 x 12 cm

Daniel Hörl – nicht verwandt mit dem Bildhauer Ottmar Hörl – ist uns bereits vom diesjährigen Städelschul-Rundgang 2013 bekannt. Das Material seiner Preisträgerarbeit hat einige sozusagen Metamorphosen erfahren: von einem Grabstein über ein Waschbecken bis zum heutigen Objekt, das – wie uns der Künstler und Bernd Reiß, der Ausstellungskurator, verheissen – ein Geheimnis birgt: Von einer bestimmten Betrachtungsposition aus und bei entsprechenden Beleuchtungsverhältnissen scheint sich in dem Stein ein Spalt zu öffnen – in welche Welten werden wir durch ihn schauen können, wenn wir ihn zu entdecken das Glück haben werden?

Preisträger Daniel Hörl

Mit 2000 Euro ist der vom Verein Städelschule Portikus e.V. gestiftete, im Rahmen der jährlichen Absolventenausstellung der Städelschule verliehene Preis dotiert. Der Jury gehörten dieses Jahr Professor Willem de Rooij, Peter Gorschlüter, stellvertretender Direktor des Museums für Moderne Kunst MMK, sowie die Journalistin und Kunstexpertin Brigitte von Trotha-Ribbentrop an. Das Urteil der Jury:

„Daniel Hörl überführt in seinem Werk ‚Obama‘ einen Grabstein aus dem Naturstein Schwarz-Schwedisch in vielschichtigen bildhauerischen wie konzeptuellen Transformationsprozessen zu einem suggestiven Objekt, das im Ausstellungsraum auf seine Umgebung wie die wechselnden Lichtverhältnisse reagiert. Nachdem der Künstler aus dem Grabstein zunächst ein Waschbecken schuf, entwickelte er für die Präsentation in der Absolventenausstellung durch eine einfache wie überzeugende künstlerische Geste aus dem Alltagsgegenstand ein abstraktes Wandrelief.

Der Künstler, der vor seinem Studium der Kunst eine Ausbildung als Steinmetz absolvierte, verleiht dem Objekt durch Bürstung des tief schwarzen Steins eine faszinierende Oberflächenbeschaffenheit und schafft ein abstraktes und in seiner ästhetischen Präsenz einzigartiges Werk, das durch die installative Präsentation auf zart grau gestrichener Wand räumliche Qualitäten gewinnt. Die Wahrnehmung des Betrachters wird dabei immer wieder aufs Neue geprüft.

Das Werk überzeugte die Jury durch seine Wirkung und Vielschichtigkeit, die auf der Auseinandersetzung  mit bildhauerischen Positionen der jüngeren Kunstgeschichte wie installativer künstlerischer Paraxis der Gegenwart aufbaut und ästhetische Qualitäten wie konzeptuelle Arbeitsweise auf überzeugende Weise miteinander verbindet.“

Brigitte von Trotha-Ribbentrop mit Daniel Hörl

Preisträgerarbeit © Daniel Hörl; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2013 “say my name, say my name” (2)

Von Händen, die sich nicht finden, und vom Polsprung in vielleicht 1000 Jahren

Ungewöhnliches wird auf der vor der MMK-Dependance „Zollamt“ aufgestellten Litfaß-Säule plakatiert: es kann sich nur um Kunst handeln. Am Ende des Treppenaufgangs wird die Vermutung Gewissheit.

Khaled Barakeh – wir lernten ihn bereits mit sehr eindringlich auf uns wirkenden Arbeiten kennen – wuchs in Syrien auf, auf den Golan-Höhen, in einem kleinen Dorf, das heute zur Hälfte unter israelischer Besatzung steht und zur anderen Hälfte weiterhin zu Syrien gehört. 2012 hielt er sich als Artist-in-Residence in Nordirland, in Londonderry (unionistisch-protestantisch)/Derry (nationalistisch-katholisch) auf und studierte die Situation dieser Stadt, die vor noch gar nicht langer Zeit Schauplatz blutiger Ausseinandersetzungen zwischen den – leider auch heute noch teilweise – verfeindeten Lagern war. Besonders setzte er sich dort mit der an einer Brücke stehenden Doppelskulptur von Maurice Harron „Hands Across the Divide“ auseinander: Zwei jugendliche Männer wenden sich jeweils mit ihrer rechten Seite über eine gewisse Distanz einander zu und strecken sich die rechten Arme zum versöhnenden Handschlag entgegen – aber die Hände berühren sich nicht.

Khaled Barakeh: ↑ Litfaß-Säule
↓ THE SHAKE – Materialising the Distance, Keramik, 23 x 17 x 15 cm

Vor diesem Befund vor Ort und dem Hintergrund seiner eigenen leidvollen Erfahrungen in seiner Heimat „übersetzt“ Khaled Barakeh das Erlebte und Beobachtete in seine dreiteilige Arbeit „THE SHAKE – Materialising the Distance“ – bestehend aus der plakatierten Litfaß-Säule, einer Skulptur und einem zweiteiligen Video. Er fotografierte den „negativen Raum zwischen den Händen der Figuren“, der entsprechende 3D-Druck wiederum diente als Vorlage für den Guss der „finalen“ Keramik-Skulptur mit den Fingerabdrücken zweier Hände. „Die Bilder“, so lesen wir im Begleittext, „reflektieren die Tatsache,  dass natürlich jede Art der Versöhnung oder der Heilung Zeit brauchen wird … Indem ich den Prozess, der zu der Herstellung der neuen Skulptur geführt hat, offengelegt habe, ist nun also auch die Zeugenschaft der Stadt in dem Ausstellungsraum zu sehen“.

„Hätten Sie’s gewusst?“ hiess seinerzeit eine höchst beliebte, über mehr als ein Jahrzehnt ausgestrahlte Quiz-Sendung im Ersten Deutschen Fernsehen. Eine wunderbare, bewegende Arbeit beschert uns Khaled Barakeh – aber „Hätten Sie’s gewusst?“, liebe Leserinnnen und Leser, worum es in ihr geht, ganz ohne die – wenn auch in allerknappster Form gegebenen – Erläuterungen?

Wussten Sie, verehrtes Publikum, dass es etwa vor 780.000 Jahren einen Polsprung im Magnetfeld der Erde gab, also eine magnetische Feldumkehr zwischen Nord- und Südpol? Und dass wir Zeitgenossen uns wohl bereits in einer Phase einer „alsbald“ bevorstehenden erneuten Polumkehr befinden, die die Wissenschaft zwischen den Jahren 3000 und 4000 voraussagt? Nein, wussten wir, ehrlich gesagt, auch nicht. Ob nun so ein fundamentaler Magnetfeldwechsel – so unsere ketzerische Frage – nicht doch Einfluss auf die Gehirntätigkeit des menschlichen Wesens haben könnte, auf Hass, Korruption, Kriegführung und manches andere im Grunde dem Vernünftigen nicht Nachvollziehbares derjenigen, die wir – von Torheit wie Gutgläubigkeit geplagte Wahlvolk-Menschenkinder – zu unseren weltlichen oder geistlichen Anführern und Oberen gekürt haben? Na ja, obwohl stets aktuell, ein weites Feld.

Bianca Baldi, „40° 50′ 18“ S 14° 04′ 30“ E: In the Event of the Magnetic Polar Shift 2013″, 2013, Print auf Alu-Dibond, Masse variabel

Bianca Baldi, 1985 in Johannesburg geboren, visualisiert und übersetzt uns in ihrer grossartigen Arbeit die bevorstehende Polumkehr in das laufende Jahr 2013. „Hätten Sie’s gewusst?“, liebe Leserinnen und Leser?

Es sind zu einem grossen Teil Arbeiten der konzeptuellen Kunst, die uns in der Absolventen-Ausstellung der Städelschule begegnen. Jenseits der eingangs dargestellten, noch leicht zu erschliessenden Beispiele treffen wir auf manche anderen insbesondere im Bereich der Installation, die sich selbst einem durchaus intensiveren – und erst recht einem spontanen – Rezeptionsbedürfnis verweigern. Der nicht gründlich wie einschlägig vorgebildete Betrachter benötigt Handreichungen, Erklärungen, sei es der Künstler oder der Kuratoren. Der „bürgerliche“ Begriff von Kunst – man hängt etwas, was einem gefällt, an die Wand oder stellt es auf ein Piedestal – hat sich seit langem erweitert: zur Installation und Intervention; zur Performance, in die der Künstler seine eigene Körperlichkeit einbringt; zur künstlerischen Forschung; zur Auflösung der Distanzen zwischen den altüberlieferten Wesenheiten von Künstler, Kunstwerk und Betrachter.

Wir bitten unsere geneigte Leserschaft wiederholt und erneut, sich diesem Befund gegenüber nicht zu sperren, sondern hinzugehen, sich einzulassen, sich Zeit zu nehmen, sich in Geduld zu üben, genau hinzuschauen, neugierig und aufnahmewillig zu sein und auf Vorurteile (und Vorverurteilungen) zu verzichten. Besuchen Sie durchaus auch Kuratorenführungen! Doch bleibt uns bei allem eine Besorgnis, Künstlererläuterungen hin, Kuratorengespräche her: Der Betrachter sollte letztendlich seine eigene Wahrnehmungsfähigkeit ausbauen und auf sie vertrauen, er sollte sich freimachen von Wegweisungen Dritter. Und erst dann, nach reiflichem Betrachten und Erwägen, sollte er das eine oder andere ruhig als für sich Unerschliessbares und Unbrauchbares verwerfen dürfen.

Rektor Nikolaus Hirsch in der Pressekonferenz

„Von der Akademie ins Museum – dieser Ortswechsel markiert den Wechsel vom Kunststudenten zum Künstler. Von nun an – so legt der Titel der Ausstellung ’say my name, say name‘ nahe – sollen sich die Künstler einen Namen machen. Angesichts der grossartigen Qualität der gezeigten Arbeiten habe ich keine Zweifel, dass dies gelingt“, so der Rektor der Städelschule, Professor Nikolaus Hirsch.

Konzeptuell, ironisch und sehr sinnlich eine Arbeit von Elif Erkan:

Elif Erkan, Concrete Strategies for Scarlett Dieting, 2013, Beton, Teller, (je) 120 x 5 x 115 cm

Und auch das „an die Wand zu Hängende“ verschafft sich Raum wie Respekt: Werke von Seth Pick, dem höchst Berufene eine grosse künstlerische Karriere voraussagen, und von Young-in Son, dessen gross- wie auch kleinformatige Tafelbilder, insbesondere aus der Reihe seiner liebe- und hilfebedürftig erscheinenden, gleichwohl sarkastisch-überzeichneten „Taugenichtse“, bereits in mehreren Galerieausstellungen erhebliches Aufsehen erregt haben.

Seth Pick, Cave, 2013, 100 x 75 cm; Zhuang Zhou, 2013, 120 x 80 cm; Zhuang Zhou II, 2013, 65 x 50 cm; alle Arbeiten Öl auf Baumwolle

Young-in Son, Taugenichts, 2013, Öl auf Leinwand, 200 x 180 cm

Eine faszinierende Arbeit in Gestalt einer zum Teil verspiegelten Vitrine wird – wie viele andere Exponate auch – noch kurzfristig vor der Pressekonferenz hergerichtet: Zuzanna Czebatul freut sich am Ende, dass alles kunstgerecht fertig geworden ist. Ein durchaus auch skulptural zu verstehendes Werk, auch in einem nicht allzu üppig bemessenen Raum kann es, frei stehend, seine Kraft entfalten, es gibt manche Rätsel auf, die unbedingt zu Lebzeiten noch gelöst sein wollen, mit ihnen möchte man auch seine Gäste konfrontieren … ruhig einmal nach dem Kaufpreis fragen, so raten wir, solange die Künstlerin noch als „Absolventin“ gilt!

↑↓ Zuzanna Czebatul, „With Stones and illegible inscriptions, found about great ruins, built purposely awry, so as they seem eternally tipping and falling“, 2013, Beton, Glas, Spiegel, Stahl, 92 x 62 x 165 cm

Am Ende unserer kleinen Auswahl ein Künstler, den wir wiederum schon kennen, René Schohe, der uns mit „Handy-„, nein dieses Denglisch-Unwort gibt es ja gar nicht, der uns also mit seiner „Mobile-Kunst“ überrascht: mit Arbeiten, die er speziell für dieses Medium entwickelt hat. Ja, es sind echte „Samsungs“, die er da an die Wand klebt und bespielt. Sie spielen uns manchen Streich, die Mini-PCs „hängen sich“ gerne mal „auf“, dann muss der Künstler ran oder der Kurator Bernd Reiß, dem eine ausgezeichnete Ausstellung gelungen ist, wenn einer von ihnen gerade da ist, oder die Aufsichtsperson. Eine schöne Arbeit, voll Scharfsinn und Witz.

René Schohe, „yyy nnn“, 2013, Samsung Galaxy Wonder, Ton, Lack

Bereits zum fünften Mal zeigen die Absolventinnen und Absolventen der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – ihre Arbeiten im MMK-Zollamt. „Es freut mich, dass wir dieses Jahr erneut die Abschlussarbeiten der Städelabsolventen im MMK-Zollamt ausstellen. Die Zusammenarbeit mit den jungen Künstlern ist für uns als Museum für Gegenwartskunst sehr wichtig und ich bin froh, dass wir in den vergangenen Jahren eine fruchtbare Kooperation aufbauen konnten“ sagt MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer.

Die diesjährigen weiteren Absolventinnen und Absolventen der Städelschule aus den Professoren-Klassen von Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Christa Näher, Willem de Rooij und Simon Starling:

Zoe Barcza, Andreas Bülow Cosmus, Elisa Caldana, Clémentine Coupau, Christoph Esser, Genoveva Filipovic, Flaka Haliti, Young Joo Lee, Vytautas Jurevicius, Jenny Kalliokulju, Anne Kaniut, Patrick Keaveney, Johanna Kintner, Martin Kohout, Tonio Kröner, Kristian Laudrup Hansen, Erik Lavesson, Jannis Marwitz, Melanie Matthieu, Laura Schawelka, Sam Siwe, Daniel Stempfer, Franziska von Stenglin, Jol Thomson und Moritz Uebele. Wir werden ihnen gewiss wiederbegegnen.

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen / Künstler; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (1)

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Rundgangs-Plakat 2014 (Entwurf: Yuki Kishino)

„His Royal Highness The Prince Charles Philip Arthur George, Prince of Wales, Duke of Cornwall and Earl of Chester, Duke of Rothesay, Earl of Carrick, Baron of Renfrew, Lord of the Isles, Prince and Great Steward of Scotland, Knight Companion of the Most Noble Order of the Garter, Knight of the Most Ancient and Most Noble Order of the Thistle, Great Master and First and Principal Knight Grand Cross of the Most Honourable Order of the Bath, Member of the Order of Merit, Knight of the Order of Australia, Companion of the Queen’s Service Order, Member of Her Majesty’s Most Honourable Privy Council, Aide-de-camp to Her Majesty“

„Bundeskanzler“, Artikel 62 und 63 Abs. 1 Grundgesetz (es kennt keine weibliche Form)

Die Dame – Titel kurz – regiert: Glas halb voll, Glas halb leer. Der Herr – Titel lang – regiert nicht: der Käse riecht alt. So hart ist das Leben.

Hart, aber umso erfolgreicher wird an der – so deren vollständiger Titel – „Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Städelschule“ gearbeitet. Am Freitagabend wird der Rundgang 2014 eröffnet.

Am Samstag, 15. Februar und am Sonntag, 16. Februar 2014
sind das Haupthaus und die Dependancen, Dürerstrasse 10, Dürerstrasse 24 und Daimlerstrasse 32, täglich von 10 bis 20 Uhr für das Publikum geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Und wenn Sie Glück haben, begegnen Sie Philippe Pirotte, dem neuen Rektor der national wie international renommierten Kunsthochschule.

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Der neue Rektor der Städelschule, Philippe Pirotte …
… und der scheidende: Professor Johan Bettum

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Die Städelschule wird zu den 100 weltweit einflussreichsten Institutionen des Kunstbetriebs gezählt. Die Absolventen gelten in ihrem Genre als vielversprechende Kandidaten für eine erfolgreiche Laufbahn als Künstler. Regelmässig finden sich unter ihnen die kommenden Documenta- und Biennale-Teilnehmer. So wundert es nicht, dass der Rundgang der Städelschule eines der beliebtesten internationalen Kunst-Events in Frankfurt ist. 130 Studierende des Fachbereichs Freie Bildende Kunst und 50 Studierende des Fachbereichs Architektur werden drei Tage lang ihre Arbeiten ausstellen. Erwartungsgemäss werden wieder rund 15.000 Besucher die Städelschule und deren Professoren sowie die Studierenden und deren Werke kennenlernen wollen.

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Philippe Pirotte und (links im Bild) der neu berufene Professor für Freie Bildende Kunst Peter Fischli

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Blick durch ein Atelierfenster der Schule auf das Städelmuseum mit den unterirdischen Gartenhallen

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Zur Rundgangsausstellung mit Werken der Studierenden bestückt: Lichthalle der Städelschule

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Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (2)

Lichthalle, Galerie

Es ist die Beletage der Städelschule, das Obergeschoss der Lichthalle, Galerie genannt, hier ist das Rektorat angesiedelt – und dann das! In tarnend-unauffälliger Grisaille zwar, aber doch eine Provokation: ein Clown, mit deppertem Seppelhut, (vermutlich roter) Nasenmaske, derb geschminkter Mund-Kinn-Partie, fast fotorealistisch in Öl auf Wolltuch gemalt (von weitem hätten wir durchaus vermutet gedruckt), und das in der Städelschule? Ironisierende Selbstbestimmungssuche des Künstlers, Ironisierung gar des Schul- und Rundgangbetriebs? Wäre da nicht der Strick um den Hals, mit abgeschnittenen und nun ausfransenden Enden. Gar nicht so sehr spassig also?

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Ian Edmonds, Überraschenderweise Unpeinlich, 2014, Öl auf Wolle, 106 x 136 cm

Ian Edmonds Arbeit soll nun nicht den Tenor bestimmen im Parcours in der Beletage rund um das Geländer der Lichthallen-Galerie. Aber er fiel uns – als ein quasi „Stolperstein“ – trotz dort dominant anzutreffender „eyecatcher“ als erstes auf.

So einen Pop-eyecatcher liefert, nicht unerwartet, Graziano Capitta; eine dreiteilige Arbeit (nehmen wir einmal an auf Leinwand als Malgrund), in deren Verlauf sich ein irgendwie an den kinderkanaligen „Bernd das Brot“ erinnernder Comic über Lolly und Eistüten zu einer von Arzneikapseln umringten Faust zu wandeln scheint – der Weg von Jung zu Alt?

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Graziano Capitta (ohne nähere Angaben)

Ruhige, in räumlicher Nähe gehängte, auf differenzierten handwerklichen wie digitalen Techniken beruhende Arbeiten von Alexander Tillegreen und Maximilian Arnold setzen zu Capittas Knalleffekt einen Kontrapunkt.

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Alexander Tillegreen, Untitled, 2014, Spray paint, fluorescent oil pastel, oil, acrylic, chlorine, wood, linen, 135 x 200 cm
↓ Maximilian Arnold (ohne nähere Angaben)

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Von ruhiger Klarheit wie zugleich auskomponierter Spannung bestimmt: die dreiteilige Arbeit von Tobias Donat.

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Tobias Donat:
Pleasure (Mod. 303), 2014, Polyester und Baumwolle auf Alustretch, 200 x 150 cm;
Untitled (Orange), 2014, Wachs auf Papier, 29,7 x 21 cm
Untitled (eins, zwei …), Vinyl, Masse variabel

Wiederum ein Blickfang: Ein gleichsam „totes“ Insektarium und doch keines und sehr viel mehr: eine wunderschöne wie irritierende Arbeit von Anna-Lisa Theisen. Wir haben nur rudimentär versucht, den Beweis zu erheben, und sind uns dennoch ziemlich sicher: keines dieser Insekten gleicht dem anderen. In grün-gelblichem Röntgenlicht bewahren sie alle das Geheimnis ihrer Schöpfung.

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Anna-Lisa Theisen, Falter schwarz, 2013, Bleiche auf Stoff, Malerei, 120 x 165 cm

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Martin Wenzel, 41,2 – 7602 Hz, 2014, Plywood, Marker, Magnetic Tape, Coins, Installation, 125 x 90 cm, 115 x 80 cm

Genauer hinschauen – sollte man eigentlich immer – ist angesagt: dann entdeckt man Magnetband und kleine kupferne Münzen in der zweiteiligen Installation von Martin Wenzel. Erklingen tut sie nicht – und doch scheint ihr ein musikalischer Rhythmus inne.

Wie zumeist grafisch dominiert und doch von grosser Plastizität die (zumeist ungerahmten) Papierarbeiten von Il-Jin Atem Choi in Tinte und Acryl.

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Il-Jin Atem Choi, Kohl, 2013, Ink and acrylic on paper, 150 x 150 cm

Ein von werthaltigen Arbeiten bestimmter Parcours in der Beletage der Städelschule. Wobei wir der Differenzierung zwischen „Arbeit“ und „Werk“ von Städelschul-Professor Peter Fischli Respekt zollen: Nicht jede „Arbeit“ sei bereits ein „Werk“. Was nun unseren Galerie-Rundgang angeht: Wir meinen durchaus, bereits Werke zu sehen.

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Städelschul-Professor Peter Fischli

Abgebildete Werke © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (3)

Rundgangs-Eröffnung und Preisverleihung in der bis auf den letzten Platz gefüllten Mensa der Städelschule, auch auf den Fluren ist das Gedränge gross. Johan Bettum, bis Ende März 2014 Rektor der Hochschule, der designierte Rektor Philippe Pirotte und Elisabeth Haindl, Vorsitzende des Vereins Städelschule Portikus e.V., eröffnen die Veranstaltung.

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Professor Johan Bettum und Elisabeth Haindl

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Rundgang-Preise 2014

Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung Reisestipendium
Preisträger: Adam Fearon

Antje und Jürgen Conzelmann Preis
Preisträger: Sofia Duchovny

Frankfurter Künstlerhilfe e.V.
Preisträger: Ian Edmonds

Engel & Völkers Preis
Preisträger: Lennart Constant

PRE Real Estate Deutschland Filmpreis
Förderpreis für eine herausragende Leistung im Bereich Film/Video
Preisträger: Roman Stetina

Preis der Landwirtschaftlichen Rentenbank
Gruppen-Förderpreis, der eine Gemeinschaftsarbeit oder die Gemeinschaftspräsentation mehrerer Studenten belohnt
Preisträger: Charlie Froud, Ryan Karlsson, Erika Landström, Salomo Andrén

Stylepark Preis
Preisträger: Raphaela Vogel

Linklaters LLP Preis
Preisträger: Anna Susanna Woof-Dwight

Ernst & Young Preis
Preisträger: Julia Zabowska

Filigran Trägersysteme Performancepreis
Preisträger: Patrick Cole, Andrew de Freitas, Bonny Poon

(Quelle: Städelschule)

Und natürlich ist eine solche Eröffnungsveranstaltung kaum denkbar ohne den Filmatelierchef „Küche“, Professor Douglas Gordon.

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Apropos Film: Der diesjährige Förderpreis für eine herausragende Leistung im Bereich Film/Video ging, wie aus der Tafel ersichtlich, an den 1986 in Tschechien geborenen Gaststudenten der Städelschule Roman Stetina … Aber einen Film gab es im Haupthaus der Schule nicht zu sehen, dafür einen grossen Vorhang im Erdgeschoss der Lichthalle, wie man ihn sich in einem kleineren Filmtheater durchaus vorstellen könnte.

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In der Halle finden wir weiter ein Foto und erkennen den Vorhang wieder:

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Roman Stetina, Untitled (Auditorium), 2014, Czech Radio archive, artist unknown, ca. 1975, framed photo, 37 x 29 cm

Roman Stetinas 2014 entstandenen Film „Tongue Twister“ im 16 mm-Format, für den er die Auszeichnung erhielt, gab es jedoch an den Rundgangstagen wenige Häuser entfernt im Deutschen Filmmuseum zu sehen. Er wird beim diesjährigen Filmfestival „goEast“ in Wiesbaden (9. bis 15. April 2014) wieder gezeigt werden.

Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (4)

Städelschule Architekturklasse SAC: Architektur und performatives Design APD

Absolut sehenswert: In Kooperation mit der Liebieghaus Skulpturensammlung entwickelten Studierende unter dem Titel „Digital Bodies“ acht digitale Variationen der „Maria Immaculata“ von Matthias Steinl (1643/44 – 1727). Mittels hochauflösender 3 D-Scans der Skulptur werden formale Eigenschaften und Methoden untersucht und architektonische Prozesse durch verschiedene Tintenstrahldrucke, Siebdrucke und Videos dargelegt. Das „digitale Sezieren“ von Scans der Skulptur ermöglicht es, deren formale, geometrische und ästhetische Merkmale zu analysieren und diesen Prozess in räumliche Gebilde umzusetzen.

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S. Beridze, S. Eivazova, P. Esmaeelpour, T. Ioannou, T. Janenita, Y. Kuzhleva, M. Rahmani und V. Sitnikov (Gast- und Stiftungsprofessur Mirco Becker): Digital Bodies

Ellen Yeon Kim

Von Aktualität und Brisanz im gesellschaftlichen Diskurs um Freitod und Sterbehilfe: eine radikale und Grenzen auslotende, provozierende wie erschütternde Arbeit der Koreanerin Ellen Yeon Kim – sie wirkte u. a. mit an den Ausstellungen/Aktionen „EXTRA TROUBLE – Jack Smith in Frankfurt“ im Portikus sowie „unidisplay“ von Carsten Nicolai im Museum für Moderne Kunst: ein schlicht gearbeitetes, schwarz gestrichenes Stehpult vor kahler weisser Wand, darauf ein Stapel Blätter.

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„A Guide to Voluntary Terminal Dehydration“, 2013, Text on Newsprint Paper, Pulpit

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Ellen Yeon Kim

Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (5)

Die „Speisung der 5000“?
Gegen Masslosigkeit, Verschwendung, Exzess?
Performance „Cooking Show” von Mike Bouchet und Paul McCarthy in „Filmküche“ und Lichthalle

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Eine Tonne – das sind 1000 Kilogramm – Rippchen (Sparerips), geschätzte 100 und mehr Flaschen Mississippi-Barbecue-Sauce: angeliefert, zubereitet und – wirklich alles? – verzehrt in der Städelschule, am Schlusstag der Rundgangsveranstaltung 2014. Blieb aber nicht doch etwas übrig? Und wer kriegte dann den Rest: die Frankfurter Tafel, oder „Weser 5“, oder vielmehr der Mülleimer?

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Eine Performance der weltweit bekannten und geschätzten Künstler Paul McCarthy und Mike Bouchet – veranstaltet im Aussenhof, der „Filmküche“ und der Lichthalle der Städelschule anlässlich ihrer zeitgleich mit dem Rundgang eröffneten Ausstellung „Powered A-Hole Spanish Donkey Sport Dick Drink Donkey Dong Dongs Sunscreen Model“ im Frankfurter Portikus. Ziel und Motiv der Performance liegen eigentlich auf der Hand: Anklage gegen die Dekadenz, die Masslosigkeit, die Verschwendungssucht, die Exzessivität in einer Welt von Konsum und ungezügeltem globalem Kapitalismus.

Denn halt: Fast eine Milliarde Menschen weltweit hungern!

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Passend dazu: Eine Dame spielte auf dem mit Sparerips bedeckten „Küchen“-Flügel, zwei sexy-rouge gekleidete Damen tanzten, zuweilen Sparerips nagend, oder räkelten sich lasziv auf dem unschuldig besseren Zeiten nachtrauernden Instrument. Gespenstig mit Mundschutz versehene und in Atomkraftwerksdress gekleidete Damen und Herren verfrachteten unablässig und fliessbandmässig das im Hof Gebratene in die „Filmküche“, andere zerlegten es dort in mundgerechte Portionen, und wieder andere schoben das solchermassen Bereitete in die Lichthalle.

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Was aber geschah dort? Hunderte und Aberhunderte Besucherinnen und Besucher kamen in die vom Geruch der Sparerips und Barbecue-Sauce geschwängerten Halle der Schule – und assen, was das Zeug hielt. Noch nie habe er eine solch gute Barbecue-Sauce gegessen, verkündete ein Besucher. „Köstlich, sehr gut, ausgezeichnet!“ klang es von anderer Seite. Man ass mit blossen Händen, die Sauce tropfte überall hin – die Performance geriet zu einem Volksfest. Eine Speisung der 5000? (Für Bibelvergessene: bitte mal in den vier Evangelien nachlesen!) Oder einfach das Ausleben des „Mitnahme-Effekts“? Nein, schelten wollen wir nicht.

Ambivalent: der Anblick massenhaft abgenagter Knochen. Und über artgerechte Tierhaltung wollen wir doch im Ernst nicht nachdenken – oder etwa doch?

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Übrigens: Es wurde nach Geheimdienst-(NSA-)Art und damit nach Herzenslust gefilmt und fotografiert!

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Kehren wir Friedrich Schiller wieder einmal um: Heiter ist das Leben und ernst die Kunst! Paul McCarthy und Mike Bouchet schufen durch diese Überfülle eine „skulpturale Komponente, die neben der Konsumkritik auch die zeitgenössische Kunstproduktion und Aspekte ihrer Kommodifizierung kritisch betrachtet. Die Filmküche der Städelschule wird so in eine ‚live‘ Fleisch-Abfertigungs-und Verzehr-Station verwandelt – ein historisches Event“ (Zitat Städelschule). Und ein toller PR-Akt allemal.

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Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (6)

Ein Feuerwerk an Esprit, Witz und Kreativität

Die Rundgangstage an der Städelschule sind vorbei, das Publikumsinteresse war überaus gross. Früher hörte man, auch in Kreisen und Institutionen, von denen man solches nie vermutet hätte, mitunter Sottisen wie „Die werfen ein paar Bretter und einen alten Lumpen in die Ecke und sagen, das sei Kunst“. Derlei Provokantes mag es vielleicht und durchaus gegeben haben. Seit langem, in unseren Tagen gar, wird man solches jedoch nirgends antreffen. Es sind zwar beileibe nicht alles bereits Kunstwerke, die wir beim Rundgang sehen – und mancher Ausstellungsraum mag hier und da auch enttäuschen -, sondern es sind vielfach Stationen einer Entwicklung, eines Prozesses. Doch bereits „auf dem Weg“ ist Qualität angesagt – je mehr Zeit sich der Besucher nimmt, umso deutlicher reift ihm diese Erkenntnis. In der kleinen, feinen Kunsthochschule, wo fast jeder jeden kennt, bereitet manch eher primär Provokantes zwar – und berechtigter Weise – Spass und Genugtuung. Aber die gegenseitige kritische Beobachtung, ein gewiss wahrzunehmender wie zunehmender Wettbewerbsdruck, die Tatsache, dass Gruppen von Studierenden Ausstellungsräume gemeinsam diskutierend gestalten und „kuratieren“, bewirkt einen erkennbaren „Qualitätsdruck“.

Mit der symbolischen Brille eine andere Sicht der Dinge gewinnen. Ein Pinsel, dessen Zwinge mehrfarbige Haarlocken umschliesst. Ein Bild aus gelocktem und gezwirbeltem Haar. Krawatten und deren Futterstoffe als bildartige Skulpturen. Eine trotz bunter Tischdecke und Blumenstrauss unwirtliche – und doch familiäre, hoffnungsvolle? – Begegnungsstätte. Blumenzwiebeln als Wandskulptur. Tiffanyglas auf schwarzen Fischernetzen. Ein Mann im Zweiteiler mit Krawatte, der unendliche Patiencen mit schneeweissen Karten legt. Am Ende steht, in der Sprache ironisch-analphabetisch verballhornt, gar nicht mal zynisch, sondern überraschend offen und zweifellos lernbegierig: „Lehren behindert“.

Das neugierige Erkunden und – von Wissen und Selbsterfahrung unterlegte – Hinterfragen von Möglichkeiten der Alltagsgüter und deren Materialien, der Farben und Formen. Alles Hergebrachte steht immer wieder zur Disposition an, zur Dekonstruktion, zur Neukonstruktion.

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Hilda Stammarnäs, Smoothy, 2014, Mask, Air-drying clay, sunglasses, acrylic paint, 25 x 19 cm

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Ana Vogelfang:
↑ In the Sky, in the Street, 2014, Wood, hair and metal, Sculpture, 50 x 5 x 5 cm
↓ Mega Hold, 2014, Acrylic and hair on canvas, Painting, 140 x 170 cm

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Helena Hasson, Inside Out, 2014, Dimensions variabel

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Ryan Karlsson, There

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Taslima Ahmed, Life without plants, I don’t think so, 2014, Plant matter, Dimensions variabel

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Anna Zacharoff, Tiffany

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Felix Bolze, fliegender-muffin@live.de, Performance

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Moritz Grimm, Lehrn Behindat, 2012, Leder, Acryl, Spray

Abgebildete Werke © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2014 (7)

Eine zweite Rundgangs-Nachlese: Zurück zur Malerei

Nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung: dem traditionellen Rundgang durch die Städelschule von Mitte Februar folgt im Sommer die ebenso traditionelle Absolventenausstellung 2014, wiederum im MMK-Zollamt – dann wohl bereits „MMK 3“ geheissen. Heute beschliessen wir mit einem weiteren Blick auf die Malerei unseren Rundgangs-Report.

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Olga Cerkasova, Untitled (Marie-Guillemine Benoist), 2014, oil on canvas

Eine Hommage an die neoklassizistische französische Malerin Marie-Guillemine Benoist (1768 – 1826), deren reiches Œuvre heutzutage viel zu wenig bekannt ist, und zeifellos an ihr berühmtes Bild „Portrait d’une négresse“. Benoist war eine Vorkämpferin für Frauen- und Menschenrechte (damals wurde zwischen diesen Begriffen noch unterschieden), gleichwohl eine Anhängerin des Hauses Bourbon.

Lena Grewenig vermag mit einer feinsinnigen Arbeit zu überzeugen, allerlei wie hingetupft Erscheinendes schwebt durch ihren malerischen Kosmos.

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Lena Grewenig, o. T., 2013

Sehenswerte Arbeiten fanden wir erwartungsgemäss wieder von Marcel Petry, dessen Malerei wir bereits öfter begegnet sind (nähere Bild-Angaben fehlen hier):

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Eine Art Triptychon von Magnus Andersen, in der – ja sozusagen – Unterzeile jeweils Lebensmittel, vor allem Käse, und die Nationalflaggen der Niederlande und von Japan. Die Goldkette haben wir nicht entdeckt, dafür zweifach Ohrringe:

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Magnus Andersen
Girl with Gold Chain; Girl with Gold Earrings; Titia
jeweils 2014, paint on wood and canvas

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Shizuka Okada, Mountain/Spot/Number, 2014, Oil, yarn, plastic on canvas, Painting, 160 x 120 cm

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Spielerisch eine Arbeit von Shizuka Okada, an dem Gemälde hängt noch etwas zum Klimpern. Der Vorname Shizuka soll für „still“, „ruhig“ stehen. Das Gebirge verheisst in der Tat Stille, die Bimmelglöckchen werden sicherlich nur silberhell erklingen.

Hier ein(e) gar nicht furchterregende(r) Ausserirdische(r), man fängt an zu grübeln, ob diese Wesen wohl auch männlich oder weiblich sind wie wir Irdischen, wer mag es wissen?

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Julien Nguyen, UFO Complete Me, 2013, Oil on Canvas, Artist’s Frame, 52 x 62 cm

Die „Mammuts“ der Rundgangs-Ausstellung:

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Ian Edmonds, A Painting zu Look at Your Friend With, 2013-2014, Acrylic on canvas, aluminium, 265 x 366 cm (dimensions variabel)

Eine weitere Malerei-Arbeit von Ian Edmonds, hier mit installativem Charakter, von spannungsgeladenem Widerspruch; der Betrachter kann sich vor wie hinter die beiden Poller stellen, es ergibt sich ein weiter Assoziationsraum: Ein Blick wie in einen unendlich grossen sommerlich-heiteren Himmel, irgendwie bereits „zu schön“; davor ein Hindernis, eine Sperre, oder Symbole eines Betrachters und dessen Freundes? Drei Objekte, sie wollen nicht zueinander finden.

„Reine Malerei“ von Giovanni Sortino, mit der Kleinkamera und noch dazu ohne Stativ kaum „ins Bild“ zu bekommen: Der Betrachter kann sich auf eine Suche nach geheimnisvollen Spuren und Strukturen begeben, einiges an Zeit sollte er – wie überhaupt, wenn er zur Kunst geht – dazu mitbringen.

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Giovanni Sortino, Untitled, 2013, Acrylic and vinyl paints on canvas, 280 x 480 cm

Zum Schluss unserer kleinen – wie immer beschränkten und daher ungerechten – Auswahl ein Bilderquartett im Kleinformat, einer Künstlerin, die wohl primär in den Bereichen Klang- und Choreographiekunst arbeitet:

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Anna Susanna Woof-Dwight, Sisters in Misery: Chastity, Verity, Charity, Felicity, 2013, gouache, indian inks, oil, watercolour, linseed oil and pigment on canvas; jeweils 30 x 30 cm

Das Quartett hing so verführerisch in der Rundgangs-Ausstellung, dass man eigentlich sofort zum Kauf die Brieftasche hätte zücken müssen …

Abgebildete Werke © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2014 „Pashmina“  (1)

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Seit wann gibt es denn hier ein Gymnasium, und überhaupt, die Abiturfeiern sind doch längst vorüber – so mag sich mancher fragen, der dieser Tage an der Ecke Dom-/Braubachstrasse entlangschlendert. Nun, natürlich steht hier kein Gymnasium, sondern das MMK Zollamt, und der näher Hinschauende wird des Schriftzugs „Absolventen der Städelschule 2014“ gewahr und weiss fortan, woran er ist.

Wir hätten uns nun sehr gewundert, wenn zehnsemestrige Hochschulabsolventen auf derartige Abiturientenmätzchen verfallen wären, wie wir sie Mitte Mai in Gestalt kinderbettlakengrosser besprühter Tücher in der Aula unseres altehrwürdigen Kasseler Wilhelmsgymnasiums angetroffen hatten. So ist das Ganze vielleicht ein Kunstwerk? Richtig, so ist es. Moritz Grimm hat es unter dem Titel „Molli“ gestaltet.

Ja, wie war das doch damals, vor fünf und mehr Jahren, beim Abitur, bevor der Aufbruch in die weltweit berühmte Städelschule begann?

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Traditionsgemäss öffnet die Staatliche Hochschule für Bildende Künste – die Städelschule – den Absolventen mit einer Abschluss-Ausstellung den Weg ins freie künstlerische Leben – zum sechsten Mal in einem institutionellen – will sagen musealen – Rahmen, nämlich in der MMK-Dependance Zollamt.

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Städelschulrektor Professor Philippe Pirotte beim Presserundgang, im Hintergrund die Arbeit „Hilda“ von Buck Ellison

34 Studierende – spätestens von jetzt an Künstlerinnen und Künstler – aus den Klassen der Professoren Monika Baer, Peter Fischli, Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Tobias Rehberger und Willem de Rooij zeigen ihre Werke in den Bereichen Malerei und Skulptur, Installation und Performance, Fotografie, Video und Film. Es sind: Taslima Ahmed, Jagoda Bednarsky, Alan B. Brock-Richmond, Tobias Donat, Sofia Duchovny, Buck Ellison, Deniz Eroglu, Hélène Fauquet, Adam Fearon, Nik Geene, Lena Grewenig, Moritz Grimm, Maki Ishii, Rasmus Søndergaard Johannsen, Billie Maya Johansen, Margarethe Kollmer, Natasja Loutchko, Dana Munro, Huseyin Oylum, Olga Pedan, Marcel Petry, Lena Philipp, Manuel Raven, Kirsten Reibold, Ani Schulze, Jessica Sehrt, W. Wendell Seitz, Giovanni Sortino, Simon Speiser, João Teixeira, Raphaela Vogel, Mark Walker, Martin Wenzel und Okan Yildirim.

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Das Medieninteresse ist gross: MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer, zum sechsten Mal Gastgeberin der Absolventenausstellung, vor der multimedialen Installation „Luring Potential“ von Simon Speiser

„Die Städelschule ist eine der derzeit interessantesten Kunsthochschulen, und dies nicht nur in Deutschland, sondern weltweit“, sagt Susanne Gaensheimer. „Als Museum für die Moderne und die Gegenwartskunst liegt uns diese langjährige Kooperation besonders am Herzen, weil sie eine intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem zentralen Thema unserer Institution ermöglicht, nämlich unserer Zeit, und mit jenen, die an ihrem Puls arbeiten, den jungen Künstlerinnen und Künstlern“.

„Eine meiner ersten Erfahrungen an der Städelschule“, ergänzt Städelschulrektor Professor Philippe Pirotte, „waren die Vorbereitungen zur Ausstellung der Absolventen im MMK Zollamt. Besonders faszinierte mich der demokratische Prozess, der alle Bereiche der Vorbereitungsphase einbezogen hat“.

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Anna Goetz, Kuratorin der Ausstellung, mit Rasmus Søndergaard Johannsen; im Hintergrund MMK-Sammlungsleiter Mario Kramer

Ein besonderes Kunststück brachte die Ausstellungs-Kuratorin Anna Goetz zustande, wie Gaensheimer und Pirotte bestätigten: die Arbeiten unterschiedlichster Art der 34 Absolventinnen und Absolventen in der räumlichen Begrenztheit des Zollamtssaals angemessen zur Geltung zu bringen – in Distanz wie auch in Korrespondenz zu- und untereinander.

Die Ausstellung steht unter dem Titel „Pashmina“. Was für ein Bewenden es damit hat, verraten wir unseren geschätzten Leserinnen und Lesern in der nächsten Folge unserer Berichtsreihe.

Zur Eröffnung der Absolventenausstellung am Dienstag, 8. Juli 2014, um 19.30 Uhr werden zwei Performances zu sehen sein:

20.30 Uhr, Vortragssaal des MMK: „Trace Loops“, Sound-Performance von Alan B. Brock-Richmond. Der Künstler bringt Ausschnitte aus Aufzeichnungen sämtlicher vergangener Soundperformances zu einer neuen Komposition zusammen. In der Ausstellung verbleiben von dieser Performance die einzelnen Tonbänder, das Archiv, das mittels der Performance aktiviert wurde.

21 Uhr, Foyer im MMK Zollamt: „Wild tongues can’t be tamed, they can only be cut out“ von João Teixeira (in Zusammenarbeit mit Isabel Aguiar and Zoltan Ará). Die zehnminütige performative Lesung aus dem von Teixeira geschriebenen Roman „Sunday and Moonday“ (2014) ist eine Hommage an die mexikanische Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Gloria Anzaldúa (1942-2004), die sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit insbesondere mit Kulturtheorie, feminististischer Theorie und Queer-Theorie auseinandergesetzt hat.

Ferner wird der diesjährige Absolventenpreis vergeben.

Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2014 “Pashmina” (2)

Absolventenpreis 2014 geht an Natasja Loutchko

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Sie erhielt den Absolventenpreis 2014 des Städelschule-Portikus e.V.: Natasja Loutchko (im Hintergrund Anna Goetz, Kuratorin der Absolventenausstellung)

Eigentlich wie jedes Jahr hatte es die Jury auch heuer nicht leicht, unter den Arbeiten der 34 die Hochschule verlassenden Studierenden die Preis-„würdigste“ auszuwählen. Der Runde der Juroren für den mit 2.000 Euro dotierten, vom Verein Städelschule Portikus e.V. gestifteten Preis gehörten dieses Mal Städelschul-Professor Douglas Gordon, MMK-Sammlungsleiter Mario Kramer, Claudia Orben-Mäckler, Vorstandsmitglied des Vereins Städelschule Portikus e.V. und Mitglied des Kuratoriums Portikus sowie Susanne Pfeffer, die Direktorin des nicht nur durch die documenta berühmten Fridericianums in Kassel an.

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Haben gut lachen, zwei Jury-Mitglieder und die Preisträgerin: Claudia Orben-Mäckler, Natasja Loutchko und Douglas Gordon

Die Begründung der Jury: „Der Künstlerin Natasja Loutchko gelingt es, in ihrem gezeigten Werk ‚Blank, 2014‘, unter Vermeidung gängiger Strategien mit unterschiedlichen Medien wie Performance, Video, Fotografie und Installation ein Werk zu gestalten, das ein Licht wirft auf eine dunkle Seite unserer Gesellschaft, die es verdient beachtet zu werden. Dies hat die Jury in hohem Masse überzeugt.“

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Natasja Loutchko, „Blank“, Video 5 Minuten, Installation; diverse Installationsansichten

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Wir sehen eine in etwa rechtwinkelige, auf einer Seite abgestützte hölzerne Konstruktion, einem zweiteiligen Paravent ähnlich; auf der Aussenseite auf dem Boden und angelehnt ein Flachbildschirm, er zeigt einen fünfminütigen Videoloop. Innen ein weisses Blatt mit zwei Abbildungen: oben eine stille Fluss- oder Seelandschaft, unten – so scheint es – zwei Personen, nach vorn gebeugt, vor einem weiten Maschendraht. Es sind Fotografien, sie weisen jeweils einen strengen Bildaufbau auf, sind jedoch ausgefranst bzw. ab- und ausgerissen, das Blatt selbst ist mit einem durchsichtigen (Leim?)Anstrich auf die rückseitige rechte Platte des Paravents fixiert.

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Im Video eine mit einer rötlichen Maske, mal mit weissem T-Shirt, mal mit einem dunklen Kapuzenumhang bekleidete Person, es ist die Künstlerin selbst, an dem Tattoo auf dem rechten Arm unschwer zu identifizieren. Sie bewegt sich in einem trostlosen, teilweise mit Lattenverschlägen versehenen Kellergang, mal vor und in einem Aufzug, der nicht zu funktionieren scheint, sie scheint – erfolglos – eine Tür aufbrechen zu wollen, lehnt erschöpft auf einem mit klassischer Heftung gepolsterten Sofa. Bedrückende, verwirrende, alptraumhafte Szenen.

Es ist eine gefilmte Performance der Künstlerin, eingebettet in eine minimalistische architektonische Konstruktion eines Aussen und Innen, die Fotografien im Inneren stehen in einem Bezug zum Video aussen. Bei längerem Hinschauen imaginieren wir in der vorderen Gestalt die Person mit dem Kapuzenumhang und der rötlichen Maske.

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In ihren Arbeiten erkundet die Künstlerin, wie sie einmal sinngemäss formulierte, die Beziehungen zwischen Anderssein, Einsamkeit und Fremdsein, Entfremdung. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Gesellschaft und der sozialen Beziehungen, auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen persönlichen Geschichte.

Natasja Loutchko wurde 1983 in Stockholm geboren. Sie studierte an der Konstfack (University College of Arts, Crafts and Design) in Stockholm mit dem Abschluss Bachelor of Fine Art und an der Academy of Fine Arts in Poznan. 2009 begann sie ihr weiteres Studium an der Städelschule in der Filmklasse von Professor Douglas Gordon. Beim Rundgang 2013 erhielt sie den Gruppen-Förderpreis der Landwirtschaftlichen Rentenbank.

Natasja Loutchkos Bachelor-Arbeit von 2009 ist auf der Website der Konstfack Stockholm zu sehen – interessant der Vergleich zur heutigen Absolventenarbeit; der dortige weiterführende Link auf Loutchkos eigene Website sorgt für einige Überraschung!

Abgebildete Werke © Natasja Loutchko; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2014 “Pashmina” (3)

Das kann doch nur Raphaela Vogel sein!

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Wir erinnern uns, es liegt ja noch gar nicht lang zurück: Raphaela Vogel hatte beim diesjährigen Städelschul-Rundgang im Februar im Lichthof der Hochschule einen riesigen, von der Decke herabhängenden Heugreifer installiert, dessen Greifzähne einen kleinen Videobeamer hielten. „Prokon“ hiess diese Installation, der Beamer zeigte einen Videoloop mit dem Anflug und Niedergang einer Drohne. Sie erhielt damals für ihre Arbeit den Stylepark-Preis.

Im MMK-Zollamt sorgt Raphaela Vogel jetzt für das Blickfang-Spektakel der aktuellen Absolventenausstellung: auf einem kleinen Fahrgestell eine zweieinhalb bis drei Meter hohe, von dritter Seite beschaffte Saurier-Nachbildung – in der Klaue seines rechten Arms hält das Tier, ähnlich wie damals der gewaltige Heugreifer, einen winzigen Videobeamer, der einen 30-sekündigen Videoloop in ebenso winzigem Format auf die Wand projiziert – ist dies das eigentliche Kunstwerk?

In dem Video zeigt sich die Künstlerin selbst, schwenkt, spärliche Bekleidetheit suggerierend, sich von links nach rechts drehend, gleich einem Nummerngirl ein dreieckiges Etwas vor sich her. Es soll sich, wie wir erfahren, um einen von ihr – im Video kaum mehr erkennbar – bemalten Ziegenbalg handeln. Aber – ist nun gar diese Malerei der Wesenskern der Arbeit?

Panorama

Fotomontage: FeuilletonFrankfurt

Wie damals bei der Rundgangsarbeit verschieben sich die Perspektiven, findet der suchend-irrende Blick des Betrachters vom spektakulären vermeintlichen Hauptobjekt auf das kleine Wesentliche. Und doch bildet beides zusammen erst das Werk.

Raffiniert das Schattenspiel des Urwelttiers, in dem das Video aufleuchtet – wie auch die Künstlerin in ihrer Performance stets ihren Schatten auf den Hintergrund wirft. Wie will sie wahrgenommen werden, die Künstlerin mit ihrer Arbeit, auf welche Weise? Welches gewaltigen Aufwandes bedarf es dazu? Was mag uns das bedeuten in einer von Reizüberflutung schier chaotischen Welt, in der man „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“ – wie es sprichwörtlich heisst?

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Raphaela Vogel, untitled, 2014, Mixed media, video 0:30 min looped

Abgebildes Werk © die Künstlerin; Fotos und Fotomontage: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2014 “Pashmina” (4)

Das 100-Bilder-Bild von Jagoda Bednarsky

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Ausstellungsplakat

„Pashmina“ – so lautet der Titel der diesjährigen Absolventenausstellung – wie das? Nun weiss inzwischen jeder, dass es sich bei einem Pashmina um ein Schultertuch handelt, das auch als Schal getragen werden kann.  Einst eine kultige Mode-Ikone (Lady Diana soll sie in der westlichen Welt bekannt gemacht haben) aus hochwertigem Material (Kaschmir und Kaschmir/Seide) für Eigner opulent bestückter Geldbeutel, ist das Textil seit langem zu einem Billigmaterial-Produkt degeneriert, das überall auf den Ramschmärkten dieser Welt anzutreffen ist. Anlass für die heutigen Hochschulabsolventen zu der Frage, „wie sich sowohl Bedeutung als auch Wertzuschreibung von Objekten im Laufe der Zeit und kontextabhängig verändern“.

Ach übrigens zum Plakat: Das wertvolle Kaschmir-Haar kommt bekanntlich von der Kaschmir-Ziege – sieht das liebe Tier aber nicht eher einem Schaf ähnlich?

Heute kommen wir – im Anschluss an die Präsentation der Arbeit von Raphaela Vogel – zu einem wiederum grossformatigen Werk, einer Malerei von Jagoda Bednarsky „Zweite Lese“ aus 2014, mit Öl, Acryl, Sprayfarbe und Farbdruck auf Leinwand, so die Materialbeschreibung. Das riesige Werk – wir veranschlagen die Leinwand auf etwa zwei mal drei oder noch mehr Meter – unter den Gegebenheiten und Beleuchtungsverhältnissen des Zollamtssaals angemessen zu fotografieren stellte uns vor eine schier unlösbare Aufgabe.

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Jagoda Bednarsky, Zweite Lese, 2014, Oil, acrylic, spray paint, c-print on canvas

Ein „Bilderteppich“ aus rund 100 Einzelarbeiten. Zum näheren Betrachten der oberen bedürfte es einer Leiter. Und insgesamt, sagen wir mal, einer runden Stunde an Zeit, die – angesichts der Arbeits- und Lebenszeit, die die Künstlerin ihrem Monumentalwerk gewidmet hat – gut wie gerecht investiert wäre.

Sind es kleine Erzählungen, Episoden eines Lebens, zusammengefügt zu einem grossen Bilderbogen, was wir da sehen? Ist es eine Bilanz über zurückgelegte zehn Semester an der Städelschule? Sind es assoziative Chiffren, die die Künstlerin dem Betrachter zu dechiffrieren aufgibt? Trägt das Werk nicht auch Züge einer Karikatur auf Sammlungen, vielleicht gar in „Petersburger Hängung“? Will die Künstlerin aufzeigen, wie das Einzelwerk in der allgegenwärtigen Flut von kaum mehr wahrzunehmenden Kunstwerken unterzugehen droht? Soll die durchaus provokante Wucht der grossformatigen Präsentation uns in unserem Seh- und Wahrnehmungsverhalten aufrütteln?

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↑↓ Ausschnitte der linken oberen und der unteren Bildfläche

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Abgebildes Werk © die Künstlerin; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2014 “Pashmina” (5)

Billie Maya Johansen: „Lines in Transparency“
oder: Grau mit zehn Prozent Weiss

Wir haben länger überlegt, ob wir uns überhaupt auf ein Ranking einlassen sollten und wenn ja, welche Arbeit der 34 ausstellenden diesjährigen Absolventinnen und Absolventen der Städelschule wir – aus unserer subjektiv-individuellen Sicht – als die „beste“ ausgezeichnet hätten. Denn jede künstlerische Arbeit ist im Grunde eine singuläre Leistung. So ist es also gewiss kein leichtes Unterfangen, doch kommen wir zu einem Ergebnis:

Lines in Transparency

Von seiner Aufmachung und Ausstattung her ist das rund zehnminütige Video, in Wiederholungen abgespielt über einen grossformatigen Monitor, im Grunde bereits ein Kurzfilm. Drehbuch und Dialoge schrieb die Künstlerin. Die Hauptrolle der Clara Krug spielt die Schauspielerin Stephanie Engel. Gedreht wurde der Film in den Räumen der DWS Investments Company in der Mainzer Landstrasse. Die Arbeit wurde von der Hessischen Filmförderung unterstützt.

Der Inspiration für den Film liegt der Roman „Das graue Tuch und zehn Prozent Weiss – Ein Damenroman“ des heute – zu Unrecht – vielerorts in Vergessenheit geratenen Schriftstellers und Zeichners Paul Scheerbart (1863 bis 1915) zugrunde. Von ihm stammt auch das Lautgedicht „Kikakokú! Ekoraláps!“ (erschienen 1897 in seinem Roman „Ich liebe dich! Ein Eisenbahn-Roman mit 66 Intermezzos“), das die Protagonistin Clara im Laufe der Filmsequenzen vor einem virtuellen Publikum vorträgt. Scheerbart versuchte, wie man weiss vergeblich, das Perpetuum mobile zu erfinden und wurde zu Lebzeiten als Verfasser fantastischer und skurriler Romane und Gedichte bekannt. Insbesondere fand er dabei die Unterstützung des jungen Verlegers Ernst Rowohlt. Scheerbarts Interesse galt auch der Glasarchitektur, seine entsprechenden Abhandlungen und Romaninhalte beeinflussten durchaus die Architekten seiner Zeit. Vergleichbares gilt ebenso für seine Überlegungen zum Theater.

Kurz zusammengefasst nun die „Story“: Stararchitekt Edgar Krug entwarf eine gläserne Ausstellungshalle. Bei einem Konzert dort trifft er die Pianistin und Organistin Clara in ihrem grauen Kleid mit weissem Besatz. Er ist begeistert von der Komplementarität zwischen seinem architektonischen Kunstwerk und der Erscheinung der Frau. Edgar heiratet Clara mit der vertraglichen Massgabe, dass sie sich stets und ausschliesslich in diesem Stil kleidet. Ihre Zusage stösst bei ihren Freundinnen auf heftige Kritik. Das Paar reist um die ganze Welt, wobei Edgar verschiedene Glasbauprojekte realisiert, aber auch viel Kritik erfährt ebenso wie Clara wegen ihrer grau-weissen Garderobe. Als Edgar Clara von der vertraglich eingegangenen Kleidungsverpflichtung entbindet, ist es zu spät: Clara hat sie nunmehr für sich selbst verinnerlicht.

In Johansens Film führt Clara – jetzt eine gefeierte Schauspielerin – ihr Leben samt der Kleidungsverpflichtung auch nach Edgars Tod fort. Ihr Mann erscheint ihr in Stimmen aus dem Jenseits als stets präsent.

Bitte auf das Filmstill klicken und einen Preview sehen:

Clara

Billie Maya Johansens filmische Arbeit besticht bereits durch ihren formalen Aufbau und ihre besondere Bildsprache und Ästhetik, in der sie die ästhetischen Ansprüche des Stararchitekten Edgar Krug und seiner Frau Clara visuell umsetzt. Die Architektur gerät zur begehbaren Skulptur, in der sich Clara als ein wiederum gleichsam skulpturales Kunstwerk bewegt. In der für sich bestechenden Ästhetik des Grau spielen immer wieder Farben eine zentrale Rolle, die die filmische Montage durchziehen – man könnte von einer durchaus „malerischen“ Arbeit sprechen. Faszinierend die Stimme des verstorbenen Ehemanns aus dem Off, mit der Clara sich in einem ständigen Dialog befindet. Dabei geht es in dem Streifen keinesfalls um eine vordergründige Diskussion um Emanzipation. Das in die Tiefe menschlicher Psyche hineinleuchtende Werk beansprucht den Betrachter durch seine vielfältigen erzählerischen Elemente, Handlungsebenen, Schichtungen und Brechungen, die schon alsbald und erst recht nach mehrmaligem Anschauen ein geschlossenes, überzeugendes Ganzes bilden.

Billie Maya Johansen studierte an der Funen Drawing and Painting School, der Design School in Odense, an der Ærø College Art School und der Funen Art Academy. 2011 kam sie an die Städelschule in die Klasse von Professorin Judith Hopf und 2013 an die Hochschule für bildende Künste Hamburg zu Jeanne Faust, Professorin für Mixed Media und künstlerische Entwicklungsvorhaben. In Berlin war sie künstlerische Assistentin von Alexander Komarov.

Unsere Empfehlung kann nur lauten: Hingehen in den MMK-Zollamtssaal – und ansehen!

Werk und Filmstill © die Künstlerin

Absolventenausstellung 2014 “Pashmina” (6)

Malerei: Tobias Donat, Lena Grewenig, Huseyin Oylum, Marcel Petry, Lena Philipp, Giovanni Sortino

„Le roi est mort, vive le roi!“ Die Malerei ist tot, es lebe die Malerei!

Quicklebendig ist sie, in der Tat. Eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern, die sich vorwiegend der Malerei verschrieben haben und die wir in manchen Rundgangsveranstaltungen der Städelschule haben beobachten können, gibt sich jetzt in der aktuellen Absolventenausstellung ein letztes gemeinsames Stelldichein.

Giovanni Sortino gefällt uns seit langem mit seinen grossformatigen, reliefartigen Malarbeiten: 2013 lernten wir „Charlotte“ kennen und im jüngsten Rundgang 2014 ein mit „Untitled“ bezeichnetes Werk im stattlichen Format 280 x 480 cm. 2013 erhielt er den Jürgen H. Conzelmann-Rundgangspreis. Wir werden Sortinos Arbeiten in Zukunft sicher öfter im Ausstellungs- und Galeriebetrieb begegnen.

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↑ Giovanni Sortino, Nonna Rosalia, 2014, Acrylic and venyl paint on canvas

↓ Tobias Donat, Untitled (Mod. 304), 2014, Polyester on Alu Stretcher
A-Z (black), 2014, Ink (Ausschnitt)

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In gewisser Weise – bei aller Unterschiedlichkeit – unverkennbar die Arbeiten des Absolventen Tobias Donat: Wir stellten drei seiner Werke anlässlich der Städelschul-Rundgänge 2012, im Jahr 2013 und unlängst im Frühjahr 2014 vor. Aktuell präsentiert er eine Wandarbeit, kombiniert mit einem Tafelbild, das Zusammenspiel hat einen installativen Charakter.

Immer wieder ziehen uns die Malereien von Lena Philipp und die vielseitigen Arbeiten von Lena Grewenig in Bann (Rundgang 2014 und Rundgang 2012). Die Werke sprechen jeweils bereits für sich und öffnen einen weiten Assoziationshorizont.

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↑ Lena Philipp, From the series „postural performance“, 2014, Ink, acrylic, oil on canvas

↓ Lena Grewenig, Untitled, 2014, Acrylic and silicone on cotton

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Als Künstler und Maler unverkennbar auch Marcel Petry. Wir sahen seine Arbeiten bei den Rundgängen 2013 und jüngst 2014 sowie bei den artspace-Ausstellungen 2013 in der alten Offenbacher Ölhalle. Seinen mit zeichnerischer Feinheit ausgeführten Figuren-Szenen eignet oft etwas Surrealistisches.

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Marcel Petry, HUKKK, 2014, Acrylic on canvas

Wuchtig und zugleich schwebend leicht, selbstbewusst und agressiv wie auch fast zärtlich und verstört; solche Widersprüche vereint die Malerei von Huseyin Oylum. Wir lernten den vielseitigen Städelabsolventen bereits als Installationskünstler und als Performer kennen. Beim jüngsten Rundgang durch die Hochschule bespielte er mit seiner Malerei ein eigenes Kabinett.

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Huseyin Oylum, From the series „1001 nights“, 2014, Acrylic on linen

Kein Zweifel und Gott sei es gedankt: Die Malerei lebt!

Werke © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2014 “Pashmina” (7)

Margarethe Kollmer: „exhibit“

Unsere Reihe der Ausstellungsberichte schliessen wir mit einer Arbeit, die – über die aktuelle Absolventenausstellung der nunmehr die Hochschule verlassenden Studierenden hinaus – von grundsätzlicher Bedeutung ist, ja aus unserer Sicht in gewisser Weise ein „Schlüsselwerk“ darstellt und deshalb, wie wir meinen, ebenso den Absolventenpreis verdient hätte.

Der eine oder andere Besucher der Absolventenausstellung nun wird „exhibit“, die grossformatige Videoarbeit der Frankfurter Künstlerin Margarethe Kollmer, womöglich gar nicht wahrgenommen haben, befindet sich die Projektion doch an der rückwärtigen Wand über dem Treppenaufgang zum Zollamtssaal, und wer sich nach erfolgtem Aufstieg nicht Raphaela Vogels imposantem Saurier von allen Seiten genähert und dabei das filmische Geschehen auf besagter Wand entdeckt hat, wird am Ende gar erst spät bei Verlassen des Saals darauf aufmerksam werden.

Die nach Art der Künstlerin wiederum ruhige, unaufdringliche, vom Betrachter aufmerksame Zuwendung wie auch Geduld eher ersuchende als verlangende Arbeit zeigt – nichts, und doch so vieles, das den Betrachter zu Kopfarbeit fordert: langsame Kamerafahrten wie durch einen Weichzeichner durch den leeren Zollamtssaal, über den grauen Boden und die rötlichen Fliesen, die Wände entlang, hier und da länger innehaltend, gerichtet auf das saaltypische Klinkerwerk oder weisse Wandflächen. Einiges verzerrte Stimmengewirr im Hintergrund, man geht auf Schuhabsätzen klackend hin und her, scheint aus der Nähe wie aus der Ferne über dies und jenes zu diskutieren, ohne dass wir es genauer verstehen können. Doch es wird uns vieles klar.

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Ausstellungsansicht mit der Arbeit „exhibit“ der Künstlerin über dem Treppenaufgang der MMK-Dependance Zollamt

Ausführungen von Künstlerinnen und Künstlern zu ihren Arbeiten dokumentieren wir in aller Regel zwar nicht, heute jedoch tun wir es und überlassen Margarethe Kollmer gern das Wort:

Beim Gang durch eine Ausstellung sieht man die präsentierten Werke in einer akribisch geplanten Anordnung und Ausführung, so wie es Künstler und Kuratoren entschieden haben. Nichts lässt daran zweifeln, dass alles genau so ist, wie es sein soll.

Die Arbeit ‚exhibit‘ zeigt eine Videoaufnahme aus dem Zeitraum vor dem Ausstellungsaufbau im MMK Zollamt. Darin sieht man eine Raumbegehung des noch unbespielten Hauses durch die Künstlerin. Alle Wände sind noch leer und bieten Platz für potentielle Arbeiten, die noch nicht ausgewählt oder hergestellt sind. Man hört im Hintergrund, wie während der Begehung über die Raumsituation beraten wird. Alles ist noch unentschieden. Der Weg führt von Wand zu Wand. Dabei werden die noch leeren weißen Hängflächen im Ausstellungsraum in das Videobild eingepasst. Dadurch wird ein Werkformat definiert – die Größe einer angenommenen Arbeit, die daran Platz finden würde. Gleichzeitig wird ein solches Format in der Kamera durch das Abfilmen hergestellt – ein Videobild entsteht. Das Abtasten und Ausloten der Raummöglichkeiten stellt somit selbst schon die Arbeit her, indem sich diese Bilder ansammeln und zum Video werden.

Die Arbeit zeigt nicht nur die Suche nach ihrem eigenen Platz, sondern auch den Raum an Möglichkeiten, den es zu Beginn der Planungsphase einer Ausstellung gibt, und zu dem der Ausstellungsbesucher normalerweise keinen Zugang hat, weil im Moment der Präsentation alle Entscheidungen schon getroffen und alle Werke platziert sind. Gleichzeitig generiert sich die Arbeit aus einer Anzahl an Möglichkeiten für ihre eigene Präsentation.

Sie fällt mit dem Prozess der Durchführung der Ausstellung zusammen und ist in ihrer Form darauf bezogen. So entspricht der Zeitraum, in dem die Arbeit entstanden ist, genau dem der Ausstellungsdauer.

Bitte auf das Foto klicken und einen Preview sehen:

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Wir sehen uns das Video wiederholt und immer wieder neu  an. Gibt es noch etwas anzumerken?

Ja, vielleicht dies: Wir sehen in dieser Arbeit auch ein Symbol, ein Sinnbild für die Suche schlechthin, die Suche eines Künstlers in der Welt und in sich selbst, nach seinen anfänglich noch tastenden und zum Ende hin gültigen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten, nach seiner Kunst, nach seinem vollendeten Werk eben.

Fotos und Videoarbeit © Margarethe Kollmer

Rundgang 2015 (1)

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Seit langen Jahren ist die Öffnung der Staatlichen Hochschule für bildende Künste – wie die Städelschule offiziell heisst – zur alljährlichen Rundgangsveranstaltung ein fester Termin im Kulturkalender der kunstinteressierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, reizt doch der Blick hinter die Kulissen – in diesem Fall in die Ateliers – des stattlichen Schulbaus vis-à-vis des Städel-Museums zu einem entsprechenden Samstags- oder Sonntagsausflug, bei dem selbstverständlich auch Kinder herzlich willkommen sind. Aber nicht vergessen: Neben dem Hauptgebäude gilt es, auch das benachbarte Architekturgebäude, die Dependance der Schule in der Daimlerstrasse 32 (ein Shuttle-Bus verbindet die Standorte) und die Ausstellungshalle Portikus auf der Maininsel zu besichtigen (hier finden Sie Programm und Termine). Arbeiten der Studierenden im Bereich Film und Video sind im Deutschen Filmmuseum zu sehen.

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Nein, Städelschul-Rektor Professor Philippe Pirotte droht hier nicht den Teilnehmern des Presserundgangs, sondern verleiht temperamentvoll seiner Begeisterung über den weltweit anerkannten Status der Städelschule wie auch über seinen einzigartigen Arbeitsplatz an diesem besonderen Kunstinstitut Ausdruck. Mit rund 130 Studierenden der Freien bildenden Kunst und rund 50 Studierenden des Fachbereichs Architektur handelt es sich bei der Hochschule wohl um die kleinste ihrer Art – klein, aber fein! Professoren und Studierende arbeiten auf Augenhöhe, ja kollegial miteinander. Es gibt im Bereich Freie bildende Kunst – noch – keine Master- oder Bachelor-Abschlüsse und auch keine vergleichbaren Zeugnisse, so dass sich die künstlerische Entwicklung der Studierenden frei von den mit solchen Regularien verbundenen Einflüssen und Zwängen vollziehen kann.

Rund 70 Prozent der Studentinnen und Studenten kommen aus dem Ausland an die Schule. Manchen unter ihnen wird man später auf der documenta Kassel oder den Biennalen und ähnlichen Grossausstellungen der Welt wiederbegegnen. Die Hochschule zählt zu den einflussreichsten Institutionen des Kunstgeschehens rund um den Globus. Die Absolventen knüpfen – wohin auch immer sie einmal gehen werden – ein internationales Netzwerk, an dem auch die – oft ebenso weltweit agierenden – Professoren teilhaben. Aber auch gerade und nicht zuletzt im Rhein-Main-Gebiet begegnet der Kunstinteressierte immer wieder Städelschul-Absolventen – in Museen, Galerien und Sammlungen oder in den vielfältigen Ausstellungen.

Klar, Berlin ist grösser, aber Frankfurt am Main ist als Stadt und Standort von Kunstgeschehen auf eine spezifische Weise nicht minder bedeutsam – so lautet das Credo von Pirotte. Leider entspreche die – finanzielle wie sächliche – Ausstattung der Hochschule noch längst nicht deren weltweiter Reputation. Die Beschaffung der benötigten finanziellen Mittel nehme daher auch rund 80 Prozent seiner Arbeitszeit ein. Der Rektor nimmt sich dieser Aufgabe entschlossen und – wie er mit einigen Beispielen belegt – zum Teil auch erfolgreich an. Nicht nur für die Schule selbst gelte es, Mittel zu beschaffen, sondern auch für Förderungen und Stipendien einzelner Studierender. Die alljährlich verliehenen Rundgangspreise bilden einen soliden Grundstock dazu.

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Wie immer bietet der Rundgang durch die Hallen, Flure und Ateliers der Hochschule einen faszinierenden Einblick in das dortige künstlerische Geschehen. Beginnen wir mit ersten kleinen Beispielen:

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Verbergen sich hinter dieser Tür mit dem Schild „Institut für Kunstkritik“ der Professorin Isabelle Graw die Schlüssel zum „Stein der (Kunst)Weisen“? Gross genug sind sie ja.

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Felix Bolze – wir kennen den Künstler vom Rundgang 2014, als er uns freundlich zu einem Spiel Patience einludt, allerdings auch zum Bemalen weisser Spielkarten – hat in der Lichthalle ein „Lagerfeuer“ vorbereitet mit der Handlungsanweisung: „1. Male ein Bild von dir so wie dich dein Leben prägte. 2. Schreibe deinen Namen und dein Geburtsjahr auf die Rückseite. 3. Lege es neben das Lagerfeuer und geselle dich hinzu.“ Das Werk ist als Performance angelegt.

Ebenfalls in der Lichthalle begegnen wir der Installation „Womanmann“ von Anna Lucia Nissen (2015, single channel video, 9 min, 1 screen, 2 shopping trolleys, 2 dummy legs, 1 T-shirt, 2 pair of trainers). Eine Performance der Künstlerin findet am Samstag und Sonntag Nachmittag statt.

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Immer wieder erstaunlich ist der beträchtliche Anteil der Malerei an der Rundgangsausstellung. Wir werden weiter berichten.

Abgebildete Werke © der jeweiligen Studierenden; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2015 (2)

Rundgang-Preise 2015

Im Rahmen der festlichen Eröffnung der diesjährigen Jahresausstellung der Studierenden der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – kurz „Rundgang“ genannt – wurden wiederum zehn Rundgangpreise verliehen. Der entsprechenden Jury gehörten Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, Peter Fischli (Professor für Freie Bildende Kunst der Hochschule) und Philip Graf Solms (Städelschule Portikus e.V.) an. Glanzvoll und perfekt wie ebenso kurzweilig und humorvoll moderierten die beiden Studierenden Aislinn McNamara und Graziano Capitta die Preisverleihung und ernteten gemeinsam mit den Preisträgerinnen und Preisträgern stürmischen Applaus.

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Ein tolles Moderatorenteam: Graziano Capitta und Aislinn McNamara

Wie in den vergangenen Jahren hier die Aufstellung der nach den jeweiligen Stiftern benannten Preise nebst Preisträgern. Curtis McLean gelang es sogar, zweimal als Preisträger die begehrten und mit einer Geldsumme dotierten Auszeichnungen entgegen zu nehmen.

PRE Real Estate Deutschland Filmpreis
Förderpreis für eine herausragende Leistung im Bereich Film/Video
Preisträger: Curtis McLean und Andrew de Freitas / Roman Stetina

Antje und Jürgen Conzelmann Preis
Preisträger: Guo-Liang Tan

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Film-Professor Douglas Gordon ←    → Guo Liang Tan

Ernst & Young Preis
Preisträger: Mahsa Saloor

Filigran Trägersysteme Preis
Preisträger: Filippa Pettersson

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Mahsa Saloor (links im Bild) ←    → Filippa Pettersson

Preis der Frankfurter Künstlerhilfe e.V.
Preisträger: Riccardo Paratore

Preis der Landwirtschaftlichen Rentenbank – Gruppen-Förderpreis, der eine Gemeinschaftsarbeit oder die Gemeinschaftspräsentation mehrerer Studenten belohnt
Preisträger: Atelier W13 (Victoria Colmegna, Natalia Rolón Sotelo, Stuart Middleton)

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Riccardo Paratore ←    → Atelier W13

Linklaters LLP Preis
Preisträger: Curtis McLean

Stylepark Preis
Preisträger: Anina Troesch

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Curtis McLean ←    → Anina Trösch (links im Bild)

Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung Reisestipendium
Preisträger: Leda Bourgogne

Engel & Völkers Preis
Preisträger: Erika Landström

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Leda Bourgogne ←    → Erika Landström

FeuilletonFrankfurt gratuliert herzlich!

Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2015 (3)

Gebäude Dürerstrasse: Malerei – eine Auswahl

Auch beim diesjährigen Rundgang durch die Städelschule – offiziell heisst die Veranstaltung „Jahresausstellung der Studierenden der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste“ – registrierten wir erneut ein grosses Interesse der Studentinnen und Studenten an Malerei. Traditionelle Techniken – Öl oder Acryl auf Leinwand – werden ebenso gepflegt wie Arbeiten auf Papier, als Malmittel sehen wir Kohle oder Sprühfarbe oder es gibt Mischformen, etwa Malerei kombiniert mit Prints.

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Tatjana Danneberg, not yet titled # 7, 2015, gouache, paint primer, inkjet print, glue on canvas, 95 x 135 cm

Gleich am Haupteingang begegnete uns eine ansprechende Arbeit von Tatjana Danneberg, in der Lichthalle dann eine ideenreiche Kombination von Elif Saydam aus Schafgarbe-Tee (wir haben ihn bislang weder angetroffen noch gar getrunken), Pyrit (dem mühsam hervorgekramten Schulwissen zufolge also Schwefelkies) und natürlich Ölfarbe, das Ganze serviert auf einem sich leicht wellenden, von der Rauputzwand abhebenden Tintenstrahl-Druck (das obere Fünftel blieb tatsächlich weiss).

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Elif Saydam, Dear John, 2015, Yarrow tea, pyrite and oil on canvas, Painting on Inkjet print, 110 x 150 cm

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Mads Egeberg Hvidtfeldt, The Extraordinary, 2015, Oil on canvas, 135 x 145 cm

Hätten wir einen „Gefällt mir“-Button zur Hand, so drückten wir ihn auch bei Mads Egeberg Hvidtfeldt und ebenso bei Rundgangpreisträger Guo-Liang Tan – aber wir haben nun mal keinen, und das ist auch gut so.

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Guo-Liang Tan (Rundgangpreis 2015), Fathom Phase, 2015, Acrylic on fabric, 76 x 68 cm

Grossformatig – wie zumeist – die Arbeiten des fleissig-tüftelnden wie umtriebigen Künstler-Studenten Il-Jin Atem Choi: ein ungleiches und doch irgendwie zwillingshaftes Pärchen. Wieder dominieren geometrische Muster, denen man trefflich nachsinnen kann, und die losgelassene Fantasie macht vor Konzerthaus-Saalplänen ebenso wenig halt wie vor – eine Quadratstrassen-Stadt durchkreuzenden – vielspurigen Autobahnen. Aber Form ist Kunst und Kunst ist Form.

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Il-Jin Atem Choi, Untitled (one of them appears to be more flamboyant than the other), 2015, Spraypaint on wall and canvas

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In einem zweiten Leben würden wir, wir outen uns: Städelschüler – bei der wundervollen Professorin Judith Hopf. Ob wir dann auch so etwas unkonventionell Heiter-Ernstes malen dürften – besser könnten – wie ihr Schüler Magnus Andersen?

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Eine Malerei von Magnus Andersen

Feine Leinwand-Arbeiten von Jiwon Lee sahen wir, die uns faszinierten – unsere Leserinnen und Leser vielleicht auch, deshalb hier ausnahmsweise gleich zwei: Ein Totentanz, dann eine im Grunde, wie wir meinen, heiter-verträumte Szene, ein Seevogel reitet auf einem Krokodil über das unendliche Meer, aber sein Schnabel ähnelt einem Krokodilsgebiss … was für eine Idee!

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Jiwon Lee, jeweils: Untitled, 2015, Acrylic on canvas

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Martin Kozlowski, Space Painting # 9, 2015, Oil on canvas, 400 x 250 cm

Vom „unendlichen“ Meer ins unendliche All: Martin Kozlowski ent- und verführt uns in das Universum der Milliarden an Galaxien. Eine mit vier Metern an Breite riesige, einteilige Leinwand, eine akribische Arbeit vom Lichtjahre Grossen bis hinein ins mikroskopisch Kleine.

Wer, liebe Leserinnen und Leser, wollte noch sagen, die Malerei sei tot und „alles“ sei bereits gemalt: ein Schelm wäre er, nein – ein Ignorant!

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2015 (4)

Gebäude Dürerstrasse: Kunst – wohin man auch schaut …

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Städelschule, Lichthalle, Obergeschoss, zwei Türen weiter das Rektorat – ein prominenter Platz also. Wer mag die Wand bestückt haben? Ein Schildchen findet sich nicht. Wir ahnen es, und Gewissheit kommt von Rektor Philippe Pirotte: Kein anderer als Graziano Capitta ist es, der uns poppig die Kunst-Zeit weist. Der tolle Co-Moderator der Rundgangspreisverleihung. Bereits bei den Rundgängen 2014 (an gleicher Stelle in der Beletage) und 2012 (gegenüber der Mensa) sahen wir spektakuläre Arbeiten von ihm.

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„Yggdrasil“ nennt Mickael Marman seine Arbeit, nach der nordischen Mythologie die „Weltesche“ also, der erste Baum, Verkörperung der Schöpfung. Eine Packung „OCB (Odet Cascadec Bolloré) Gommé – Odet-Quimper-Finistère“, ein markantes, gummiertes, feinstes Zigarettenpapier, bei Rauchern und wohl auch bei Kiffern beliebt, ist auf den Boden des Aquariums gesunken.

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Mickael Marman, Yggdrasil,2015, Mixed Media Sculpture, 150 x 60 x 30 cm

Halb im Wasser stehen eine Flasche und zwei Gläser, letztere gefüllt mit etwas Grünem. Blätter der Weltesche werden es nicht sein, sind es dann Algen von der bretonischen Küste? Oder enthält das Aquarium entsprechendes Seewasser?

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„The End is always at the Beginning“, 2015, Wood, Tape, sizes variable

„The End is always at the Beginning“ fixiert Inga Danysz auf dem Boden. Nun, da ist etwas Wahres dran, denn alles, was entsteht, vergeht auch wieder, irgendwie, irgendwann. Das wusste schon Zarathustra. Und:

„Was heut, war gestern morgen, – und wird morgen
Ein gestern sein. Wer klar das Heut erfasst,
Erkennt die Gestern alle und die Morgen …
Im Anfang liegt das Ende.“

sagt der Bauer Primislaus zur Königstochter Libussa in Franz Grillparzers gleichnamigem Trauerspiel.

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Eine Skulptur von Stuart Middleton im Atelier W 13

Wo Anfang und Ende, vorne und hinten ist – das muss man sich erst einmal genauer anschauen in der Skulptur von Stuart Middleton. Sie befand sich im Atelier W 13 der Städelschule, das beim diesjährigen Rundgang den Gruppen-Förderpreis der Landwirtschaftlichen Rentenbank gewann.

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Blick in das Preisträger-Atelier W 13 mit seinem bunten Mixed Media-Aufgebot

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2015 (5)

Gebäude Dürerstrasse: Auch abseits der Malerei allerlei Sehenswertes

Weihnachten 2014 liegt nun bereits eine längere Zeit zurück, doch Weihnachtsbäume scheinen – wie übrigens auch die bunten Ostereier – zu einem Ganzjahresartikel zu werden. Im Garten der Städelschule hat Max Eulitz einige prächtige Exemplare zusammengestellt und mit künstlerisch behandelten Papierbahnen geschmückt.

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Minimalistisch geht es bei der unbetitelten Arbeit von Hannah Levy zu. Böse Männer könnten sich veranlasst sehen, in der wandhängenden Skulptur einen nicht minder minimalistisch-Twiggy-haften weiblichen Torso zu entdecken. Nun, wir zählen weder zu den bösen Männern noch hegen wir böse Gedanken. Sondern wir finden: es ist eine recht interessante Arbeit. Aber wer es denn so sehen will wie die bösen Männer – warum nicht?

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Hannah Levy, Untitled, 2015, Mdf, acrylic, resin, 82 x 68 x 2,5 cm

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Shizuka Okada: Auf einem Piedestal die Skulptur „Blossom of Labyrinth (5)“

Immer wieder ideenreich und sehenswert sind die Arbeiten von Shizuka Okada, hier die Skulptur „Blossom of Labyrinth (5)“, es sind eigenartige Mischwesen, fast möchte man sagen halb Pflanze, halb Tier. Wir stehen vor der „Blüte“ in der Erwartung, jeden Moment könne sie beginnen, sich zu bewegen.

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Daniela Leder, Hessendenkmal, 2015, Mixed Materials, Installation, 250 x 500 cm

Zoff macht seit längerem der Friedberger Platz in Frankfurt am Main – in dessen Nähe (an der Friedberger Landstrasse) das bekannte „Hessendenkmal“ steht – mit lautstarken nächtlichen Feiern samt „Wildpinklern“. Zoff anderer Art gab es an diesem Ort im Jahr 1792: Hessische und preussische Soldaten befreiten das von französischen Revolutionstruppen besetzte Frankfurt. 82 Hessen („die im Kampf fürs Vaterland hier siegend fielen“) starben („eines ruhmvollen Todes“), deren Namen auf dem Denkmal verewigt sind, aber auch 41 Franzosen, die dort namenlos (!) blieben. Das Denkmal besteht aus Basaltsäulen, auf denen ein grosser marmorner Würfel ruht, der wiederum die in Bronze gegossenen Insignien des Herkules und den erschlagenen nemeischen Löwen trägt.

Daniela Leder setzt sich mit dem Denkmal und sicherlich auch dessem Standort kritisch auseinander und übersetzt es vor dem skizzierten historischen Hintergrund in ein „Heute“.

„Hoch her“ geht es stets im Atelier 04 neben dem Haupteingang zur Städelschule. Dort sahen wir die riesige Hängematte – drei Rippen des wärmenden Heizkörpers fluchten exakt auf ihr – , auf der sich die Studierenden ausruhen – oder die Professoren? Oder war sie für die Besucherinnen und Besucher des Rundgangs bestimmt? Letztere wagten dies nicht auszutesten. Wir wissen auch nicht, was der Künstler Julian Tromp, dem wir diese Arbeit zuordnen, von einem solchen Belastungstest in echt hielte.

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Julian Tromp, Huiarnviu, oil paint & vaseline on fabric, Installation, 510 x 710 cm

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2015 (6)

Gebäude Daimlerstrasse: Forschung und Experimentelles

Der diesjährige Städelschul-Rundgang Mitte Februar 2015 liegt nun bereits einige Zeit zurück, was uns aber nicht daran hindert, auch von unserem Besuch der Dependance in der Daimlerstrasse Zeugnis abzulegen. Wie uns ohnehin nicht so sehr der schnelle Blick und „Klick“ aufs Aktuellste interessiert, sondern die Nachhaltigkeit einer Berichterstattung, die also auch in der Zukunft eine Rückschau auf Sehenswertes der Vergangenheit gewährleistet. So wie wir es – und die meisten unserer Leserinnen und Leser wohl ebenso – etwa recht spannend finden, auf die Rundgangsveranstaltungen früherer Jahre zurückzublicken, auf das also, was damals den Studierenden wichtig war und was sich heute in manchem als Ausgangspunkt und Motor ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung darstellt.

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Kim Yunker, Stacy’s Mom Took Too Many Pics, 2015; Chickenwire, paper mache, wood, wheels, paint; Sculpture, 164 x 100 x 108 cm

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↑ (v.l.) Leon Eisermann, Untitled, 2014, Glazed ceramics; Jonathan Penka, Fröhlicher Rhythmus, 2015, Draht, Gips, Klebeband, Sprühlack; an der Wand verdeckt die Arbeit der Rundgangspreisträgerin 2015 Leda Bourgogne
Leon Eisermann, Decap, 2014, Resin, polarized sunglasses, fiberglass

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Materialien wie Maschendraht und Pappmachee, Harz und Autolack, Fiberglas (GFK) oder Polyurethane, Polystyren (Polystyrol) oder Polyacryl sind seit langem in der „Bildhauerei“ – wie antiquiert mutet dieser Begriff inzwischen an – gang und gäbe, die klassischen Materialien wie Stein, Holz oder Metall hingegen seltener anzutreffen. Schäume und Kunststoffe der verschiedensten Art, wie sie im Alltag in Industrie und Haushalt Anwendung finden, ermöglichen als Werkstoffe völlig neue Erfahrungen in der künstlerischen Materialbearbeitung und Formgebung. Die in den Ateliers in der Daimlerstrasse anzutreffenden Skulpturen, Objekte und Installationen stellen dies – sehr eindrucksvoll raumgreifend und erfahrbar – unter Beweis.

Wir beobachteten Besucher des Rundgangs, die tatsächlich in ihren Taschen nach Kleinmünzen kramten und diese, mit dem Rücken zum „Brunnen“ der Rundgangspreisträgerin Anina Troesch, über die Schulter in das kleine Wasserbecken warfen. Die Fontana di Trevi in Mainhattan, Bankfurt repräsentiert durch einen armseligen Greenback, den One Dollar-Schein (der sich jüngst anschickt, in der Parität den Euro einzuholen!). Was man sich beim Münzwurf wohl so alles gewünscht haben mag?

Martin Kähler lotet den hohen Atelierraum aus: Seine zum Teil von Schaumstoff ummantelten Drähte und Kupferrohre vollziehen skurrile Kurven und Verrenkungen, treffen sich mit den technischen Gebäudeinstallationen, wobei der Betrachter verunsichert ist, wo das Kunstwerk aufhört und Installationsleitungen anfangen oder auch umgekehrt (wie doppeldeutig ist der Begriff „Installation“!). Und Edi Danartonos haptische Objekte hätten wir allzu gerne angefasst – aber das hätten wir ja wohl nicht gedurft – oder?

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Xenia Bond, Untitled 2, 2015, Polyurethane, automotive paint, gloss

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Anina Troesch (Rundgangspreisträgerin 2015), Wishing Well, 2015, Water, concrete

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Martin Kähler, untitled (Ausschnitt), 2015, foam, plaster, concrete, copper, iron wire

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Edi Danartono
↑ Orang Baru (The New Man), 2015, merino wool, polyacrylics, stretchers; 190 x 150 cm
↓ Affenfrüchte (Mistaking the sun), 2015, paper maché, polystyrene, wire, varnish, approx 15 x 20 x 17 cm each

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Abgebildete Arbeiten © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2015 (7)

Gebäude Daimlerstrasse: Malerei

Mit dieser Folge nehmen wir Abschied vom Rundgang 2015 durch die Ateliers der Städelschule: mit Malereien, die wir in der Dependance Daimlerstrasse angetroffen haben. Die jährlichen Rundgangsveranstaltungen der „Staatlichen Hochschule für bildende Künste“, so der offizielle Name der weltweit einflussreichen – und möglicherweise einflussreichsten – Kunstakademie, geben der interessierten Öffentlichkeit wie stets Gelegenheit, die Arbeit an der Schule und den dort waltenden besonderen „Geist“ anhand konkret ausgestellter malerischer wie gestalterischer Produkte der Studierenden kennenzulernen. Manches Gesehene weist in einer Art Momentaufnahme auf einen noch laufenden Prozess des Lernens, Forschens und Suchens, der Auseinandersetzung, Aneignung und Fortentwicklung hin. Anderes wiederum hat bereits den Charakter eines „Werkes“ angenommen. Leider können wir keinen Rundgangs-Katalog präsentieren, sondern lediglich eine – noch dazu subjektive – Auswahl aus dem kunstschaffenden Geschehen treffen. Wir hoffen dabei, Verständnis bei unserer Leserschaft zu finden, wenn wir der Malerei von Leda Bourgogne – einer diesjährigen Rundgangspreisträgerin – und von Hanna-Maria Hammari unsere besondere Aufmerksamkeit schenken.

Im übrigen wird Gelegenheit bestehen, spätestens in der ebenfalls traditionellen Absolventenausstellung der Schule – sie findet in diesem Jahr vom 19. Oktober bis zum 15. November 2015 im MMK 3 (vormals MMK-Zollamt) statt – den die Hochschule Verlassenden auf dem Weg dann in das freie Künstlertum zu begegnen.

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↑ Leda Bourgogne, Lips, turned, 2014; Watercalour, oil pastel, pencil, charcoal on canvas

↓ Leda Bourgogne, House, burning (li.) und  Red House (re.), beide 2015, Oil on canvas

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Leda Bourgognes uns in ein Fernes und zugleich doch so Nahes entrückende Arbeiten zu beschreiben – wäre das nicht ein verfehlter Versuch? Wie könnten wir der Künstlerin-Studentin gerecht werden? Der unerhörten Körperlichkeit ihrer „Lips“? Dem Geborgenem und doch Bedrohlichem, Desaströsem ihres – gar brennenden – „Hauses“?

In der einen Bildtafel von Joon Yeon Park verlassen Adam und Eva offensichtlich das Paradies, aus dem sie vertrieben wurden – auf der Suche nach Feigenblättern, mit denen sie sich demnächst notdürftig bekleiden werden. Die Darstellung erinnert an die bekannte Szene von Michelangelo in einem der Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle. Den kopfstehenden, korrekt mit Krawatte gekleideten Herrn im klassischen Halbprofil – auch ihn kennen wir doch irgendwoher, aber woher nur, vielleicht fällt es uns später noch ein? – zieren drei fett und breit grinsende Smileys in pink, grün und blau.

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Joon Yeon Park, Age of Insignificance, 2015, Dimensions variable

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↑ Hanna-Maria Hammari, Le Tigre, 2015, MDF, acrylic, fabric, 115 x 90 cm
↓ Hanna-Maria Hammari, Untitled, 2015, MDF, acrylic, spray paint, 115 x 90 cm

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Hanna-Maria Hammari überzeugt uns mit fantasievollen wie schlicht und einfach sehr schönen, collagierten Arbeiten. Es hat etwas Weltumfassendes, was uns die Künstlerin-Studentin zeigt oder besser gesagt nahe bringt. Uralt Zeichen- und Bildsprachliches paart sich mit Rationalistisch-Geometrischem. Begegnet uns in ihren wohlkomponierten Arbeiten nicht chiffrenhaft-verwandelt das Goethesche „Orient und Okzident“ aufs Neue?

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Lars Karl Becker, Feuilleton, 2015, Acrylic on canvas, 150 x 100 cm

Zwischen einer stilisierten – na, sagen wir mal – Königskrone und „FUN“ scheint in Lars Karl Beckers Arbeit ein bipolares pinkfarbiges Knallbonbon zu explodieren: Wenn es mit dem Künstler-Königsein nichts wird, bleibt immer noch der Spass? Warum nicht. Wer auf das grosse „Feuilleton“ – so der Titel der Arbeit – setzt, wird oft die sprichwörtliche „Rechnung ohne den Wirt“ – sprich: die Feuilletonisten – machen! Ein Künstler wird es ertragen müssen. Aber vielleicht meint Lars Karl Becker ja ganz einfach unser „FeuilletonFrankfurt“? Heureka!

Abgebildete Arbeiten © jeweilige Studierende; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2015 „Parked Like Serious Oysters“ (1)

Absolventenpreis 2015 geht an Erika Landström

Manche Besucher werden die Komplexität dieser Arbeit nicht sofort erkennen: sie ist dreiteilig, will aber bewusst kein Triptychon sein; sie ist gewissermassen „um die Ecke herum“ gehängt; sie kann entweder von links (von den „Vorstufen“ her zum Endprodukt hin) oder umgekehrt von rechts (also von der Dreifachtafel) beginnend betrachtet werden. Ihr vielsagender Titel: „Too much. Better.“

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Erika Landström, „Too much. Better.“, 2015, Stahlbolzen, Graukarton, Gipsplatte, Schrauben, Füllmaterial, Wandfarbe, Papier, Laserdruck, Klebeband, Spannrahmen, Leinwand, Gips, Sprühfarbe, Tapete

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Wie üblich wurde der diesjährige, mit 2.000 Euro dotierte und vom Verein Städelschule Portikus e.V. gestiftete Absolventenpreis im Rahmen der Eröffnung der Abschlussausstellung der Studierenden am 13. Oktober 2015 im MMK 3 (vormals MMK-Zollamt) verliehen. Die Jury – Nikola Dietrich, Freie Kuratorin, Michael Krebber, Professor für Malerei an der Städelschule, Peter Gorschlüter, Stellvertretender Direktor des MMK und Elisabeth Haindl, Vorsitzende des Städelschule Portikus e.V. – begründete die Preisvergabe wie folgt:

„Die Jurymitglieder, bestehend aus drei Fachleuten und einer Vertreterin des Städelschule Portikus e.V., sind zu der Entscheidung gekommen, der Künstlerin Erika Landström den Preis zu verleihen. Diese Entscheidung fiel der Jury sehr schwer angesichts der vielen herausragend guten Arbeiten in der Ausstellung.
Die dreiteilige Arbeit „Too much. Better.“ überzeugte die Jury durch ihre formale Präzision, bestechenden Hinterhalt und dem Spiel mit Bild und Bildträger. Die aus Wandsegmenten aufgebauten Objektbilder verhandeln die Austauschbarkeit von Bildmotiven und sind gleichzeitig eine Maschine, die sich selbst zerstört.“

Erika Landström, 1984 in Umea/Schweden geboren, studierte von 2012 bis 2015 an der Städelschule in der Klasse von Professorin Judith Hopf. Zuvor hatte sie bereits mit einem Studium (2007 bis 2010) an der Umea Academy of Fine Arts den Bachelor of Fine Arts erworben.

In diesem Frühjahr erhielt Erika Landström – anlässlich der Rundgangsveranstaltung der Hochschule – bereits den Engel & Völkers Preis. Doch damit nicht genug. Auch im Vorjahr war die Künstlerin zur Rundgangsveranstaltung erfolgreich: 2014 gewann sie (gemeinsam mit Charlie Froud, Ryan Karlsson und Salomo Andrénden) den Gruppen-Förderpreis der Landwirtschaftlichen Rentenbank.

FEUILLETONFRANKFURT GRATULIERT ERIKA LANDSTRÖM HERZLICH!

Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2015 „Parked Like Serious Oysters“ (2)

Malerei

Noch bis zum kommenden Sonntag, 15. November 2015, ist die von Anna Goetz kuratierte Ausstellung von Werken der Absolventinnen und Absolventen des Jahrgangs 2015 der Staatlichen Hochschule für bildende Künste – der Städelschule – im MMK 3 (vormals MMK-Zollamt) zu sehen. Ein Muss für alle an aktueller Kunst Interessierten, die sich einen Eindruck von dem verschaffen wollen, was an dieser weltweit renommierten und richtungweisenden Kunsthochschule geschieht.

Bereits zum siebten Mal findet die Abschlussausstellung im MMK 3 und damit – für viele der Studierenden erstmals – in einem institutionellen Rahmen statt. Damit setzt sich erfreulicherweise die langjährige Kooperation von MMK und Städelschule fort, aus der nicht zuletzt zahlreiche Ankäufe für die Sammlung des Museums resultieren.

Die diesjährige Ausstellung zeigt Werke von 32 Absolventen aus den Klassen der Professorinnen und Professoren  Monika Baer, Peter Fischli, Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Tobias Rehberger, Willem de Rooij und Amy Sillman. Die Absolventen sind: Salomo Andrén, Maximilian Arnold, Patrick Alan Banfield, Christin Berg, Benedikte Bjerre, Calori & Maillard, Graziano Capitta, Victoria Colmegna, Inga Danysz, Jan Domicz, Ian Edmonds, Richard Eß, Charlie Froud, Larissa Hägele, Henrik Olai Kaarstein, Felix Kultau, Zac Langdon-Pole, Erika Landström, Hannah Levy, Julien Nguyen, Thuy-Han Nguyen-Chi, Anna Lucia Nissen, Jonathan Penca, Filippa Pettersson, Esper Postma, George Rippon, Veronika Russell, Marcello Spada, Anna-Lisa Theisen, Luke Willis Thompson, Ana Vogelfang und Anna Zacharoff.

In diesem Jahr stehen Malerei, Film und Installation im Zentrum des Ausstellungsgeschehens. Wichtige Themen der Ausstellung seien, so das MMK, die Aneignung und Umwidmung etablierter künstlerischer Strategien der Konzeptkunst sowie ikonografischer Motive der klassischen Malerei und der Popkultur. In diesem Sinne bedienten sich die Absolventen bekannter Bildmotive, um Konventionen von Präsentation und Repräsentation zu hinterfragen. Konzentrieren wir uns heute auf sechs Positionen der Malerei – für uns immer noch, pardon, eine der Königsdisziplinen der „Schönen Künste“.

„Parked Like Serious Oysters“ – so lautet bekanntlich der Titel der diesjährigen Leistungsschau, auf den sich die Ausstellenden verständigt haben. Et voilà – hier ist sie, die oyster, die Auster also, jenes geheimnisvolle, edle Perlen produzierende Tier, so könnte man jedenfalls meinen, gemalt von Anna Zacharoff:

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Anna Zacharoff, That feeling when you put fresh bedsheets on, 2015, Ausstellungsansicht

Wir möchten Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, im Bereich der Malerei nicht mit Beschreibungen und Erklärungen behelligen, denn in der Malkunst versteht sich das meiste von selbst, will sagen sie eröffnet einen weiten Interpretationshorizont, sie spricht in ihren Farben und Formen – gleich, ob figurativ, ungegenständlich oder abstrakt – Sinne und Gefühle des Betrachters ganz unmittelbar an. Oder wie es der fälschlicherweise Goethe zugeschriebene Kalauer formuliert, dass das Bild bzw. das Kunstwerk im Auge des Betrachters entstehe. Also – es ist schlicht eine Leistungsschau, die wir hier widerspiegeln möchten.

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Julien Nguyen, All Too Human, 2015

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Maximilian Arnold, Turn Left, 2015, Ausstellungsansicht

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Veronika Russel, Treated as a Drawing, 2015, © Veronika Russel

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Ana Vogelfang, The Mermaid from the Bahnhofsviertel, 2015, Acrylic on canvas, © Ana Vogelfang

Larissa Hägele bietet eine dreiteilige, aus Fotografie und Malerei bestehende Arbeit an, wir zeigen hier den grösseren dritten Teil, ein Gemälde in Öl auf Leinwand:

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Larissa Hägele, Muscle (Detail), 2015, Photography, oil on canvas

In einer weiteren Folge widmen wir uns den Bereichen Skulptur und Installation.

„Parked Like Serious Oysters“. Absolventen der Städelschule 2015, MMK 3, bis 15. November 2015

Abgebildete Werke © die entsprechenden Absolventen/Absolventinnen;
Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2015 „Parked Like Serious Oysters“ (3)

„Parked Like Serious Oysters“: Mit dem etwas schräg anmutenden Titel der diesjährigen Absolventenausstellung haben wir uns bislang noch kaum beschäftigt. Nun gibt es die weltweit verbreitete, artenreiche Tierfamilie der Austern seit etwa 250 Millionen Jahren, für viele Menschen zählen die Muscheln zu den Kulinarien, und ihre Perlen schätzen Mode- und Schmuckindustrie – aber das hatten die Städel-Studierenden bei der Titelwahl wohl nicht im Sinn. Nein, sie entnahmen dazu vielmehr einen Satz aus dem „Manifeste Cannibale Dada“. Erfunden hatte es der französische Künstler und Schriftsteller Francis Picabia (1879 – 1953), der es 1920 in Paris immerhin von dem berühmten Dichter und Schriftsteller André Breton (1896 – 1966) vortragen liess. „Que faites vous ici, parqués comme des huîtres sérieuses … ?“ heisst es im die damaligen Anwesenden provozierenden französischen Originaltext. Das Manifest findet man übrigens im SCHIRN-Magazin im Rahmen eines erhellenden Beitrags von Katharina Cichosch veröffentlicht.

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Francis Picabia in seinem Atelier; Bildnachweis: wikimedia commons/Sammlung George Grantham Bain in der Library of Congress, Washington D.C.

Um Protest gegen die bürgerliche Welt und ihre Werte gehe es also, gegen die Starrheit des bestehenden Systems; mit dem Titel hätten die Absolventen ein Zitat ausgewählt, das als Vorsatz für die Zukunft verstanden werden kann: sich nicht festlegen zu lassen und stets mit bestimmtem Blick Neuem und Unbekanntem entgegenzutreten, so das MMK.

So weit, so gut.

Nachdem wir die Absolventenpreisträgerin sowie die „Malerinnen und Maler“ bereits vorgestellt hatten, folgt jetzt eine Auswahl an skulpturalen und installativen Arbeiten. Es handelt sich zumeist um konzeptuelle Kunst, die das Konzept, die Idee, den Gedanken für die Bedeutung eines Kunstwerks als gleich- oder gar vorrangig gegenüber seiner Ausführung erachtet und sich oft erst durch die Auseinandersetzung mit dem Künstler und dessem Denken erschliessen lässt.

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Luke Willis Thompson, Untitled, 2015, Installationsansicht

Hochglanzpoliert wie ein Jeff Koons-Ballon, aber unverkennbar eine Anspielung auf Marcel Duchamps revolutionäre Arbeit „Fountain“, pfiffig-witzig im Spiel mit den Objekten und deren Bedeutungsumkehr und schliesslich mit – immer noch – politischem Bezug: Luke Willis Thompson verwendet Teile eines US-amerikanischen, allein von Schwarzen (denen der Zugang zu den Brunnen der weissen Bevölkerung verwehrt war) benutzen Trinkbrunnens aus der Zeit der Rassentrennung.

Auch hier ein Zitat: auf den ersten Blick erkennbar der Bezug auf Claes Oldenburgs „Bedroom Ensemble, Replica I“ aus dem Jahr 1969, das „tierische Schlafzimmer“, eines der Filetstücke in der Sammlung des MMK. Ironisch die Verkleinerung wie zugleich Verfremdung des von oberflächlichen Betrachtern so empfundenen „Originals“ in der MMK-Dauerausstellung, das jedoch seinerseits vom Künstler offen als Replika I ausgewiesen wurde: Auf dem Kopfteil des Betts steht ein Staubsauger, dessen Schlauch auf der Bettstatt liegt wie auch zwei Staubpuschel, ein kleines Staubpinselset und schwarze Hausputz-Handschuhe. Das Ganze statt auf Teppichboden auf den unwirtlichen Klinkerkacheln des ehemaligen Zollamtssaals.

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Marcello Spada, Bedroom Ensemble, 2015, Conservation toolls, acrylic, fabric, mdf; Installationsansicht © Marcello Spada

Im folgenden einige weitere hoch interessante Arbeiten, die wir des längeren betrachteten, im Blick auf unsere „last minute“-Publikation – die äusserst sehenwerte Ausstellung endet bereits am kommenden Sonntag – ohne nähere Kommentierung:

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Ian Edmonds, Chaken Dispirit, 2015, Mixed media, Installationsansicht (auf dem Boden Detail der den Ausstellungsraum durchziehenden Arbeit von Benedikte Bjerre „Romancing in thin Air, 2015, Aluminium, elastic, polypropylene)

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George Rippon, Age of Consent, 2015, Ladders, bitumen, ladder brackets, awnings, earth, stinging nettle, American wild flowers, thistle, model train figure, pot

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Anna-Lisa Theisen, Fences, 2015, Metal, fabric, plastic, cement, sand

Die seit längerem als „Mainstream“ verbreitete, an der Städelschule offenbar dominierende konzeptuelle Kunst – wie werden Kunsthistoriker in 50 oder 100 oder gar 200 Jahren über sie urteilen und richten? Wird sie im historischen Rückblick lediglich als eine Episode im sich ständig verändernden Kunstgeschehen erscheinen? Wer unter den der Konzeptkunst verhafteten Studierenden wird jemals den – auch materiellen – Durchbruch im aberwitzig irrlichternden, mitunter sozusagen von Paranoia gekennzeichneten aktuellen Kunstbetrieb erreichen, wieviele andere werden demgegenüber den steinigen Weg in die bekannte „Brotlosigkeit“ der Kunst antreten müssen?

Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit Beiträgen u. a. von MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer, Städelschulrektor Philippe Pirotte, Professorin Judith Hopf, Kuratorin Anna Goetz und Martina Cooper – leider in nicht nachvollziehbarer und tadelnswerter Weise nur in Englisch. Mit welcher kulturellen Legitimation verweigert man sich hier der deutschen Sprache?

„Parked Like Serious Oysters“. Absolventen der Städelschule 2015, MMK 3, bis 15. November 2015

Abgebildete Werke © die entsprechenden Absolventen/Absolventinnen; Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2016

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Wieder einmal öffnet heuer die Städelschule (ihr offizieller Titel lautet Staatliche Hochschule für Bildende Künste) ihre Ateliers für das Publikum zur traditionellen Rundgangsveranstaltung – und wie in den vergangenen Jahren werden etwa 15.000 Besucherinnen und Besucher und möglichst noch mehr erwartet. Der Startschuss fällt am Freitag, 12. Februar 2016, um 18 Uhr mit der Verleihung der Rundgangspreise in der Mensa des Hauptgebäudes Dürerstrasse und anschliessend um 20 Uhr mit der Eröffnung der ersten Einzelausstellung des libanesischen Künstlers Lawrence Abu Hamdan in der der Hochschule zugehörigen Ausstellungshalle Portikus auf der Maininsel.

Während des dreitägigen Events werden Studierende der international renommierten Professoren wie Ben van Berkel, Johan Bettum, Peter Fischli, Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Tobias Rehberger, Willem de Rooij und Amy Sillman, ihre Ateliers öffnen und der Öffentlichkeit einen Einblick in ihre Praxis gewähren. Zu den Lehrenden gehören ferner die Professoren Daniel Birnbaum, Isabelle Graw und Philippe Pirotte. Die Studierenden des Studiengangs Curatorial & Critical Studies haben ein Programm von Vorträgen und Gesprächen zusammengestellt, die in der Aula des Hauptgebäudes stattfinden werden. Videokünstler und Filmemacher zeigen ihre Produktionen im Deutschen Filmmuseum und die Architekturklasse stellt in ihren Klassenräumen aus.

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Städelschul-Rektor Professor Philippe Pirotte im Pressegespräch

Rektor Professor Philippe Pirotte, Professorin Judith Hopf, Prorektorin, und Professor Willem de Rooij erläutern im Pressegespräch Aufgaben und Position der Kunsthochschule: Was ist das Besondere an dieser mit rund 130 Studierenden des Fachbereichs Freie Bildende Kunst und circa 60 Studierenden des Fachbereichs Architektur im nationalen wie internationalen Vergleich zahlenmässig eher kleinen Hochschule? Sie vergibt keine Diplomzeugnisse – lediglich kann der Titel „Meisterschüler“ eines Professors erworben werden. Lehrende und Studierende begegnen sich gewissermassen auf Augenhöhe. Die Studentinnen und Studenten sollen von der Vorstellung befreit werden, als Teil einer universitären Struktur auf ein Ziel hin, also etwa für den Erwerb eines Diploms zu arbeiten oder ihr Studium als eine Art Business zu begreifen. Ziel des Studiums ist vielmehr die Entwicklung einer freien, selbstbewussten, Eigeninitiative entfaltenden künstlerischen Persönlichkeit. In diesem Sinne werden die Studierenden („wir behandeln sie als Künstler und nicht als Schüler“) von Anfang an in ihrem bereits im Aufnahmeverfahren unter Beweis gestellten künstlerischen Potential bestärkt, wobei die Lehrenden deren sich über zehn Semester erstreckenden Weg an der Hochschule behutsam beratend und auch korrigierend begleiten.

So sollen die Studierenden im Diskurs mit ihren Professoren wie auch den Mitstudierenden gleichermassen „Lust“ an der Kunst und am künstlerischen Experiment wie Verantwortlichkeit für Kunst samt deren gesellschaftlichem Stellenwert entwickeln, was auch ein stetiges Sich-Selbst-Befragen und Infragestellen („warum mache ich dies?“) wie auch das Bewusstsein für die Risiken einer Existenz als Künster, Kurator oder Architekt einschliesst.

Entsprechend haben früher an den Akademien gepflegte starre Kategorisierungen etwa in Bereiche wie Malerei, Skulptur, Foto oder Video seit längerem ihre Bedeutung verloren zugunsten eines spartenübergreifenden Kunstverständnisses, obgleich es beim bevorstehenden Rundgang nach wie vor auch einiges an reiner Malerei, an Zeichnungen oder Druckgraphik zu sehen gibt. Und entsprechend hat sich die Kunst mehr und mehr auf das Performative hin entwickelt.

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↑ Blick in die Lichthalle des Haupthauses;
↓ Nicht erschrecken beim Gang durch die Flure: eine Arbeit von Max Eulitz

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Fotos: Erhard Metz

Rundgang 2016 (2)

Wir gratulieren herzlich den Rundgang-Preisträgerinnen und -preisträgern:

Antje und Jürgen Conzelmann-Preis
Eliza Douglas (Klasse Willem de Rooij)

Ernst & Young-Preis
Kitsum Cheng (Klasse Judith Hopf)

Preis der Frankfurter Künstlerhilfe e.V.
Valentina Knezevic (Klasse Douglas Gordon)

Engel & Völkers-Preis
Benjamin Horns (Klasse Michael Krebber)

Preis der Landwirtschaftlichen Rentenbank
(Gruppen-Förderpreis) Natalia Rolon und Bradley Davies (Klasse Michael Krebber)

Linklaters LLP Preis
Elif Saydam (Klasse Amy Sillman)

Stylepark Preis
Janusch Ertler (Klasse Douglas Gordon)

Pre Real Estate-Preis
Filmpreis (geteilt) Rosa Aiello und Alexey Vanushkin

Filigran Trägersysteme-Preis
Joon Yeon Park (Klasse Tobias Rehberger)

Preis der Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung
(Reisestipendium) Mickael Marman (Klasse Michael Krebber)

Der diesjährigen Jury gehörten an: Professor Vinzenz Hediger (Filmwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt), Professorin Isabelle Graw (Kunsttheorie, Städelschule) und Philip Graf Solms (Vorstandsmitglied Städelschule Portikus e.V.).

Unser diesjähriger Rundgang nebst traditioneller Bild-Berichterstattung fiel leider der Februar-Grippe zum Opfer (abgesehen von einigen wenigen fotografischen Impressionen während des vorausgegangenen Pressegesprächs). Shit happens, c’est la vie, dumm gelaufen!

Hier nun diese leider nur wenigen Impressionen:

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↑ Blick in das Atelier H8
↓ Eine Arbeit von Dario Wokurka

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↑ Noriko Takizawa, Listen to the breathless mountain
↓ Aileen Murphy, Mildred Rasher Bean

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Eine Arbeit von Sóley Ragnarsdóttir

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen/Künstler; Fotos: Erhard Metz

Absolventenausstellung 2016 „Croissant“ – Absolventenpreis an Stuart Middleton

Die Kunst ist international und die Jury unabhängig – so hat denn auch der törichte „Brexit“ keine Rolle bei der Entscheidung gespielt, den diesjährigen Absolventenpreis des Vereins Städelschule Portikus einem Briten zuzusprechen: Stuart Middleton heisst der Glückliche, und er hat die mit 2000 Euro dotierte Auszeichnung verdient.

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So strahlen Preisträger: Stuart Middleton, den man nach dem Spruch der Jury von draussen erst in das vollbesetzte Foyer des MMK 3 hereinholen musste; mit ihm freut sich Anna Goetz vom MMK Frankfurt, Jury-Mitglied und Kuratorin der Ausstellung

Die Preisträgerarbeit: ein „gebasteltes“ Modellauto, ein Mercedes „Sprinter“. Modellautos wecken, keine Frage, den Spieltrieb, besonders in Männern. Ein „Hingucker“ also, zumal direkt auf dem Weg zur Ausstellungshalle anzutreffen. Auf der Dachgalerie reichliches, sperrig erscheinendes, mit Plane und Stricken gesichertes Gepäck, auch eine sechssprossige Leiter fehlt dort nicht, das Fahrzeug selbst mit allerlei Gegenständen vollgestopft bis zum Gehtnichtmehr (ein kurzer Blick zwischen die beim Presserundgang geöffneten Hecktüren war uns erlaubt). Es ist allseitig mit dem Logo G4S versehen, welches – ebenso wie die tiefblaue Lackierung – für eine niederländische Geld- und Werttransportfirma steht. Aber ein gepanzertes Auto will das Modell nicht vermitteln, eher einen auf Erkundungsreise gehenden Camper. Oder birgt der Wagen ein Filmequipment, gar eine notärztliche Erste-Hilfe-Ausrüstung in sich? Eine kleine Absperrung, wie man sie von Strassenbaustellen kennt, umgibt das Modell auf der rechten Seite.

Der Name der Arbeit: Puppet, Puppe also (im Englischen steht es auch für Marionette).

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Stuart Middleton, Puppet 02, 2016, verschiedene Materialien, © Stuart Middleton, Fotos FeuilletonFrankfurt

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Die Begründung der Jury (ihr gehörten neben der bereits genannten Anna Goetz Professor Philippe Pirotte, Rektor der Städelschule, Kolja Reichert, Autor und Journalist, Philip Graf zu Solms, Vorstandsmitglied des Vereins Städelschule Portikus und Christian Spies, Professor für Kunstgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt an):

„Die Jurymitglieder, bestehend aus drei Fachleuten, dem Rektor der Städelschule und einem Vertreter des Städelschule Portikus e.V., sind zu der Entscheidung gekommen, dem Künstler Stuart Middleton den Preis zu verleihen. Diese Entscheidung fiel der Jury sehr schwer angesichts der vielen herausragend guten Arbeiten in der Ausstellung.

Der Status von Stuart Middletons Arbeiten ist offen. Seine Objekte sind sowohl eigenständige Skulptur im Raum als auch Protagonisten in minutiös gebauten Stop-Motion-Filmen. Als verstörend banale Widergänger unserer Gegenwart, rufen sie ein dystopisches Grundgefühl auf und rütteln an der brüchig gewordenen Grenze zwischen Realität und Modell.“

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↑ Eröffnen die Absolventenausstellung nebst Preisverleihung: Peter Gorschlüter, stellvertretender MMK-Direktor, und Städelschul-Rektor Professor Philippe Pirotte
↓ Verkündung des Preisträgers im Treppenaufgang zur Ausstellungshalle: Philip Graf zu Solms, Vorstandsmitglied des Vereins Städel Portikus; neben ihm Elisabeth Haindl, Vorsitzende des Vorstands

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Alle freuen sich: Elisabeth Haindl, Professor Christian Spies, Anna Goetz, Stuart Middleton, Peter Gorschlüter, Professor Philippe Pirotte und Co-Kuratorin Sabrina Franz

Ob wir dem Modellfahrzeug eines Tages wiederbegegnen werden, etwa in einem Stop-Motion-Film des Künstlers, als Akteur oder als Objekt? Als „Puppe“? Oder befinden sich „Puppen“ in ihm, die ihm einst entsteigen und ein eigenwilliges Film-Leben entfalten werden? Was also mag das Fahrzeug beherbergen, für welchen Zweck könnte all sein Inhalt bestimmt sein? Auf welche Reise will es uns mitnehmen? Oder will es uns ganz und gar entführen?

Puppen – der Titel der Preisträgerarbeit. „Grenze zwischen Realität und Modell“, wie die Jury formulierte. Ein Beispiel finden wir in „I am just going outside I may be some time“ auf Vimeo (bitte anklicken und „Vollbild“ einstellen):

© Stuart Middleton

Stuart Middleton, 1987 in Crewe, Grossbritannien geboren, studierte freie bildende Kunst an der Städelschule in der Klasse von Professor Michael Krebber. Zuvor absolvierte er von 2006 bis 2009 ein Studium der Malerei am Camberwell College of Art in London. Im vergangenen Jahr beim Rundgang 2015 gewann er, zusammen mit Victoria Colmegna und Natalia Rolón Sotelo, den Gruppen-Förderpreis der Landwirtschaftlichen Rentenbank.

Fotos (ausser Vimeo-Beitrag): Erhard Metz

Absolventenausstellung 2016 „Croissant“ (2)

Auch so könnte man es sich vorstellen: Da sitzen die diesjährigen Absolventen der Städelschule vormittags beisammen bei Kaffee und – Croissants – , köstlich, unsereiner verspeist, wenn er ihrer habhaft wird, gut und gerne zwei zum Frühstück, selbst drei wären nicht ausgeschlossen. Und wenn man in besagter Runde sich nun noch für die bevorstehende Absolventenausstellung einen Titel aus der Kopfhaut massieren will – na eben: Croissant! Aber so einfach ist die Sache mal wieder nicht, hatte man doch eine andere Bedeutung des französischen Wortes im Sinn: „croissant“ im Sinne von steigend, zunehmend, wachsend – très bien, mes dames et messieurs, endlich mal was in Französisch statt dem ewig-langweiligen Kunst-Englisch: Quelle inspiration magnifique! Bravo, chapeau et félicitations!

Neben dem Gewinner des Absolventenpreises Stuart Middleton verliessen 25 weitere – jetzt ehemalige – Studierende den sicheren Hort dieser einzigartigen Kunsthochschule; es geht fortan hinaus in die freie wie raue Welt einer Existenz am Kunstmarkt, denn Künstlerinnen und Künstler müssen mit ihren Ideen, ihrer Kreativität und – was bei allem nicht zu kurz kommen darf – ihrem (auch und gerade) handwerklichen Können ihren künftigen Lebensunterhalt verdienen. Und das wird beileibe nicht einfach sein! Denn: „Wer Künstler werden will, muss Risiken eingehen“, bekannte jüngst HfG-Präsident Professor Bernd Kracke bei der Rundgangsveranstaltung der Kunsthochschule im benachbarten Offenbach.

Zu denen, die dieses Risiko nicht scheuen, zählen dieses Jahr neben Stuart Middleton und den Studierenden, deren Arbeiten wir nachfolgend (und stellvertretend für all die anderen) abbilden, die vormaligen Studentinnen und Studenten William Alexander Bacon, Kitsum Cheng, Andrew de Freitas, Anders Dickson, Lina Hermsdorf, Benjamin Horns, Martin Kähler, Theresa Kampmeier, Ellen Yeon Kim, Soojung Kim, Yuki Kishino, Chloé Malcotti, Aislinn McNamara, Luzie Meyer, Xerxes Oakman, Bonny Poon und Elif Saydam aus den Klassen der Professorinnen und Professoren Peter Fischli, Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Tobias Rehberger, Willem de Rooij, Amy Sillman und Josef Strau.

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Olga Cerkasova, Dead or alive, 2016, Acrylic on canvas

Bereits zum achten Mal stellt das MMK 3 den ehemaligen Zollamtssaal für die Absolventenausstellung der Städelschule als einen institutionellen Rahmen zur Verfügung und setzt damit die erfolgreiche Kooperation mit der Hochschule fort, aus der in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Ankäufe für die MMK Sammlung hervorgegangen sind. Und wiederum setzen die Schulabgänger ihre Kreativität und ihr thematisches Material in den künstlerischen Medien Malerei, Video, Installation, Performance sowie Skulptur um.

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James Gregory Atkinson erläutert seine Arbeit „Hypersensitive (Blowing things out of  proportion)“, 2016, Inkjet print mountet on Dibond; neben ihm die Ko-Kuratorin der Ausstellung Sabrina Franz

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Eine sehr schöne, intelligent wie homorvoll erdachte zweiteilige Arbeit zeigt Jasmin Werner: „ambivalent ladder (Entrance Sans Souci)“ – oben – und „ambivalent ladder (Exit Cascade)“ – unten -, erstere zu Beginn, letztere am Ende des Ausstellungssaals, beide aus 2016, die Werkbeschreibungen lauten „Aluminum, thread rods, wing screws, thermal paper“. Sinnbild für Aufstieg und Fall einer Künstlerexistenz, für deren Fragilität? Nicht doch, wer von der Städelschule kommt, hat das Ticket zum Erfolg zumeist bereits in der Tasche!

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Wir bekennen gerne: Die Videoinstallationen von Franziska Wildt faszinieren uns vom ersten Moment an. Eine Zaubermeisterin! Da gibt es nur eines: hingehen und anschauen!

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Ikue Higuchi, Someone’s portrait, 2016, Fabric

Zwei schöne Arbeiten, die eine, mittelformatig auf Leinwand (links), die andere, kleinformatig auf Papier (rechts), sehen wir von Martin Kozlowski.

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Magnus Andersen zeigt eine Kombination aus Malerei und Skulptur, der Rahmen ähnelt einem Kaminportal

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Magnus Andersen, Arte et Marte, 2016, Acrylic, chalk and glue on canvas, wood

Der Hingucker zum US-amerikanischen Wahlkampf: die himmelhohe Arbeit von Anina Troesch: Was ist aus der stolzen „Stars and Stripes“ geworden? Die Stripes hängen lustlos-schlaff herunter, und die Stars? Zwei sind noch übrig geblieben – symbolisieren sie den finalen Showdown zwischen Kandidatin und Kandidat?

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Anina Troesch, flag, 2016, fabric

Eine kleine Auswahl von Arbeiten nur, sie mögen in der hochkarätigen, absolut sehenswerten Ausstellung für all die anderen Absolventinnen und Absolventen stehen, von denen wir gewiss früher oder später hören – und vor allem sehen – werden!

Zwei Absolventinnen, Ellen Yeon Kim und Franziska Wildt, zeigten am Eröffnungsabend jeweils eine Performance, ein zweifellos anspruchsvolles, aber auch flüchtiges, oft situationsbezogenes künstlerisches Medium, welches sich meist nur schwierig beschreiben oder visuell dokumentieren lässt.

Zur Ausstellung erscheint eine von den Absolventen entworfene lose Sammlung von Karten. Die offene Form dieser Publikation soll die Vielfalt der Künstlerpositionen repräsentieren.

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen / Künstler; Fotos: Erhard Metz

→ 200 Jahre Staatliche Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – Frankfurt am Main

→ 200 Jahre Staatliche Hochschule für bildende Künste – Städelschule – Frankfurt am Main (3)

 

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