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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„KOLLWITZ“ im Städel

Politisch engagierte Mahnerin mit eindrücklicher Bildsprache von zeitloser Wucht

Von Hans-Bernd Heier

Sie ist die berühmteste deutsche Künstlerin des 20. Jahrhunderts: Käthe Kollwitz (1867–1945). Das Städel Museum widmet der Ausnahmekünstlerin unter dem kürzesten Titel „KOLLWITZ“ eine hervorragende Schau. In Deutschland ist sie bis heute geradezu ein Mythos. Die Künstlerin reizte nicht etwa die Malerei, obgleich sie diese in München studiert hat, sondern das zeichnerische und druckgrafische Arbeiten. Hier fand sie zu einer eigenständigen Bildsprache von eindringlicher Unmittelbarkeit und emotionaler Wucht.

„Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf“, Feder und Pinsel in Sepia auf Büttenpapier 1889/91,Käthe Kollwitz Museum Köln; Foto: Käthe Kollwitz Museum Köln

In ihrer Kunst thematisierte sie aus neuer Perspektive existenziell menschliche Fragen, auch unbequeme Themen, und wollte damit auf die Gesellschaft einwirken. Ihr Werk hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Im Städel sind mehr als 110 eindrucksvolle Arbeiten auf Papier, Plastiken und frühe Gemälde der Künstlerin versammelt, darunter exzellente Leihgaben.

„Es gibt neben Käthe Kollwitz wohl keine andere Künstlerin in Deutschland, die sich so selbstbestimmt und zielstrebig eine derart frühe und anhaltende Karriere erstritt. Ihr Schaffen wirkte bis in die USA und nach China – und wurde von vielen gesellschaftlichen wie politischen Ismen instrumentalisiert, gerade auch im Nachkriegsdeutschland“, sagt Städel-Direktor Philipp Demandt. „Diesen deutschen ‚Mythos Kollwitz‘ zu beleuchten und das Gesamtwerk dieser bedeutenden Künstlerin der Klassischen Moderne in den Blick zu nehmen, erscheint daher umso zwingender“. Das Städel Museum hat Werke von Käthe Kollwitz bereits zu ihren Lebzeiten erworben und bewahrt seit dem Ankauf der Sammlung Goedeckemeyer durch die Stadt Frankfurt im Jahre 1964 einen fundierten Bestand vor allem ihrer Druckgrafik.

Ausstellungsansicht; Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Selbstbewusst verweigerte Kollwitz sich allem Gefälligen und behandelte stattdessen Themen, die im damals männerdominierten Kunstbetrieb für Künstlerinnen ungewöhnlich waren. Keine Künstlerin vor ihr hatte außerdem so konsequent und entschieden das arbeitende Proletariat dargestellt. Im Gegensatz zu der damals verbreiteten Vorstellung einer „l’art pour l’art“ vertrat die engagierte Künstlerin zeitlebens die Ansicht, Kunst könne und müsse Zwecke verfolgen.

Sie sah sich als etablierte Künstlerin geradewegs in der Verantwortung, an einer gesellschaftlichen Veränderung mitzuwirken. „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind“, schrieb sie in ihrem Tagebuch von 1922. Käthe Kollwitz war eine unermüdliche, politisch engagierte Mahnerin, deren Blick vor allem den einfachen Menschen galt, die auf den Schattenseiten der Gesellschaft lebten.

Dieses Eintreten für soziales Engagement brachte ihren Arbeiten, wie auch denen des ähnlich denkenden Ernst Barlach, nicht nur Zustimmung ein, sondern auch den verächtlichen Ruf der „Rinnsteinkunst“. Noch heute ist in Deutschland kaum ein anderer Künstlername – im Positiven wie Negativen – stärker mit Vorstellungen und Emotionen besetzt als der von Kollwitz. Schon zu Lebzeiten rankten sich um die Künstlerin einseitige Stereotype: Sie galt als „pessimistische Elendsmalerin“, als „religiöse Künstlerin“ oder als „sozialdemokratische Agitatorin“, obwohl sie nie einer Partei angehörte. Durch die politische Vereinnahmung von Kollwitz in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg klingen diese Klischees teils noch immer nach

„Selbstbildnis mit vorgestreckter Hand“, schwarze Kreide auf Zeichenkarton um 1900, Käthe Kollwitz Museum Köln; Foto: Käthe Kollwitz Museum Köln

Die im Nationalsozialismus verfemte Künstlerin diente nach 1945 als Vorbild für den kulturellen wie geistigen Neuanfang. Es setzte ein öffentliches, identitätsstiftendes Kollwitz-Gedenken ein, das ab 1946 zur Gründung von Kollwitz-Schulen führte. Während des Kalten Krieges wurde die Künstlerin auf beiden Seiten der deutschen Grenze politisch funktionalisiert: „Ihre Werke wurden vereinfachend entweder als „realistisch-revolutionär“ (Ost) oder „ethisch-humanistisch“ (West) gedeutet“, erklärt Demandt.

Heute ist unbestritten, dass Käthe Kollwitz zu den großen Ausnahmeerscheinungen in der Kunst der Klassischen Moderne zählt. Nach keinem anderen Künstler oder anderen Künstlerin sind in Deutschland mehr Straßen, Schulen und Plätze benannt wie nach ihr. Auch Denkmäler und sogar Briefmarken erinnern an die experimentierfreudige, unkonventionelle Künstlerin.

„Die Eltern“, Blatt 3 aus der Folge „Krieg“, Holzschnitt auf Japanpapier, 1921/22; Städel Museum Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum

In ihrem druckgrafischen Frühwerk orientiert sich Käthe Kollwitz zunächst an historischen Themen, die sie in der naturalistischen zeitgenössischen Literatur findet, wie „Die Weber“ von 1897/98 und „Bauernkrieg“ von 1902/02-1908. Mit diesen beiden Serien gelingt ihr der künstlerische Durchbruch. Während sich die Künstlerin bei den „Webern“ von Gerhart Hauptmanns Drama hat inspirieren lassen, basiert der zweite Zyklus auf einer wissenschaftlichen Abhandlung über die erste Rebellion auf deutschem Boden um 1524/25. Kollwitz richtet darin den Fokus auf die Entrechtung und Erniedrigung der Bauern, die der Obrigkeit ausgeliefert sind, wie auf den ausgestellten Arbeiten ausdrucksstark zu sehen ist.

Als grandiose Zeichnerin und technisch experimentierende Druckgrafikerin hat Käthe Kollwitz bereits früh zu einem unverkennbaren Stil gefunden. „Kollwitz weigerte sich, Kunst nur um ihrer selbst willen zu schaffen, und traf daher die radikale Entscheidung, vor allem grafisch zu arbeiten. Sie wählte anti-bürgerliche, letztlich auch politische Themen und verhandelte sie aus neuen Blickwinkeln in einer einprägsamen, bis heute packenden Bildsprache. Ihre Kunst ist, wie große Kunst immer, zeitlos und zeitlos aktuell“, so die Kuratorin Regina Freyberger, Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1800 am Städel Museum.

„Weiblicher Rückenakt auf grünem Tuch“, Kreide- und Pinsellithografie mit Schabnadel, 1903, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett; Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz

Kollwitz’ bereits früh getroffene Entscheidung, Motive und Themen aus dem Milieu der Arbeiter zu gestalten, war auch ästhetisch motiviert. Das vermeintlich Direkte, Ungekünstelte dieser Menschen reizte sie; später kamen die Erfahrungen aus der Kassenarztpraxis ihres Mannes hinzu und führten zu sozialem Engagement und zu einfühlsamen Werken wie „Brustbild einer Arbeiterfrau mit blauem Tuch“ (1903) oder „Zwei Studien einer Arbeiterfrau“ (1910). „Im Kern war die Motivwahl, das künstlerische Interesse an der Arbeiterschaft, anti-bürgerlich und widersprach der klassischen Ästhetik“, sagt Demandt.

Eine Reihe außergewöhnlicher Selbstbildnisse veranschaulicht zu Beginn der Ausstellung ihre künstlerische Vielfalt. Kollwitz, die in den rund 55 Jahren ihrer Schaffenszeit in Zeichnung, Druckgrafik und Plastik über 100 Selbstporträts schuf, setzte sich in diesen Werken nicht nur mit ihrer eigenen Person oder der Rolle als  Künstlerin, Frau und Mutter auseinander. Sie erprobte dabei auch technische Verfahren sowie Ausdrucksformen wie Haltungen und Mimik für spätere Kompositionen wie beispielsweise für das ausdrucksstarke „Selbstbildnis mit vorgestreckter Hand“ zeigt.

Ausstellungsansicht mit mahnendem Anti-Kriegs-Plakat; Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Neben frühen Gemälden sind erste Radierwerke sowie Studienblätter aus dieser Schaffensphase zu sehen, die eindrücklich die Wechselwirkung zwischen Zeichnung und Radierung nachvollziehbar machen. Schon in ihren frühen Werken thematisierte Kollwitz aktuelle, existenziell menschliche Themen. Später reflektierte sie auch den Erfahrungshorizont von Frauen – eine damals für das Werk einer Künstlerin ungewöhnliche und emanzipierte Perspektive. „Ihre stärksten Kompositionen zeichnen sich durch große Nahsicht, dynamische Zuspitzungen und eine Konzentration auf die menschliche Figur aus“, betont Regina Freyberger.

„Turm der Mütter“, Modell: 1937/38, Guss: 1969 (?); Museum Folkwang, Essen; Foto: Museum Folkwang – Artothek

Zu sehen sind in der Städel-Schau mit der ansprechenden Ausstellungsarchitektur auch eine Reihe ausdrucksstarker Bronzeskulpturen und Reliefs, darunter auch die Bronze „Pietà (Mutter mit totem Sohn)“ von 1937 – 1939. Mit dieser tief beindruckenden Skulptur thematisierte die Künstlerin erneut – nach über zwanzig Jahren – den tragischen Tod ihres im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohnes Peter. Als bekanntestes und wohl auch umstrittenstes Kollwitz-Denkmal dient eine vierfach vergrößerte Nachbildung dieser Bronze seit 1993 auf Veranlassung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl in der Neuen Wache in Berlin dem zentralen „Gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“.

Die exzeptionelle Ausstellung, die bis zum bis 9. Juni 2024 im Städel zu sehen ist, bietet einen Überblick über die einzelnen Phasen der komplexen Rezeptionsgeschichte der Künstlerin in Deutschland und will laut Demandt „über diese Vergegenwärtigung einen unverstellten Blick auf Kollwitz und ihre Kunst ermöglichen“.

 

Die Ausstellung wird gefördert durch die DZ BANK, den Gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain und den Städelschen Museums-Verein e. V.. Weitere Unterstützung erfährt das Vorhaben durch die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung, die Wolfgang Ratjen Stiftung und die Aventis Foundation.

Zur Ausstellung ist ein von Regina Freyberger herausgegebener Katalog im Verlag Hatje Cantz erschienen; Museumspreis: 48 Euro. Ein kostenfreies Digitorial®: führt mit interaktiven Modulen und informativen Kurztexten in die Themen der Ausstellung ein; weitere Informationen unter: www.staadelmuseum.de

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