home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für November, 2015

Hessischer Film- und Kinopreis 2015

2015, November 30.

Hohe Qualität – gute Entscheidungen

Von Renate Feyerbacher

Vor rund einem Monat wurde vor der Alten Oper Frankfurt wieder der Rote Teppich für die Filmschaffenden ausgerollt. Seit 1989/1990 wird der Hessische Film- und Kinopreis verliehen, den das Land Hessen und der Hessische Rundfunk veranstalten.

010-hfkp

Die Preisträger: gar nicht so leicht, alle ins Bild zu bekommen; in der Mitte rechts der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier

Diesjähriger Gewinner in der Kategorie Spielfilm ist „Der Staat gegen Fritz Bauer“ von Regisseur Lars Kraume. Der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in die Wege leitete, ist seit fünf Jahren mehrfach in Verfilmungen präsent: 2010 in der ausgezeichneten Dokumentation von Ilona Ziok, die sechs Jahre daran arbeitete und Schwierigkeiten bei der Finanzierung hatte, denn ihre entsprechenden Anträge wurden oft abgelehnt. Galt Bauer noch im 21. Jahrhundert als Nestbeschmutzer? 2014 folgte der Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ von Giulio Ricciarelli, der die Vorgeschichte der Auschwitz-Prozesse thematisiert. Er war im letzten Jahr beim Hessischen Film- und Kinopreis nominiert und wurde nun als bester fremdsprachiger Film zum Kandidaten für den Oscar-Preis gekürt. In diesem Streifen ist Bauer allerdings nur eine Nebenfigur. Bereits 1966 hatte Regisseur Alexander Kluge den Hessischen Generalstaatsanwalt in dem Film „Abschied von gestern“ auftreten lassen, in ihm plädierte er für die Humanisierung der Justiz. Weiterlesen

STURM-FRAUEN. KÜNSTLERINNEN DER AVANTGARDE IN BERLIN 1910–1932

2015, November 26.

Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle (Teil 1)

DER STURM – Zeitschrift und Galerie zeigten Gespür und Verve für die künstlerischen Neuerungen des 20. Jahrhunderts. Von 1912 bis 1932 veranstaltete der Herausgeber und Galerist Herwarth Walden insgesamt 192 Ausstellungen in Deutschland und mehr als 170 im Ausland. Im STURM wurde eine Freiheit der Künste und Stile propagiert und es wurden auch kunsthandwerkliche sowie die Arbeiten künstlerisch arbeitender Frauen zur Geltung. In der Frankfurter Ausstellung, die bis zum 7. Februar 2016 gezeigt wird, spielen 18 der STURM-Frauen die Hauptrolle.

Von Petra Kammann

!cid_413AA2FD-BD4B-48C3-BF13-B4A94528C851@Speedport_W_921V_1_39_000

Titelblatt der Zeitschrift DER STURM, Jg. 3, Nr. 138/139, Dezember 1912, Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München

Eine neue Zeitrechnung hatte begonnen mit dem temporeichen vorwärtsstürmenden 20. Jahrhundert. Es brodelte auf allen Gebieten: politisch-weltanschaulich, wissenschaftlich, technisch, kosmisch, sozial, psychologisch, lebensreformerisch und so auch in der Kunst. Überall in Europa schlossen sich Künstler zu Bewegungen zusammen. Und in Berlin gab am 3. März 1910 Herwarth Walden (1878–1941) eine deutsche Kunst- und Literaturschrift namens DER STURM heraus. In seiner kritischen Offenheit knüpfte der Pianist, Komponist, Dichter und Nietzsche-Verehrer Herwarth Walden, alias Georg Lewin, an die vom Wiener Schriftsteller Karl Kraus herausgegebene Zeitschrift „Fackel“ an. Weiterlesen

„Qualitätskontrolle“ von Rimini Protokoll im Mousonturm Frankfurt

2015, November 23.

Kopfüber ins Nichtschwimmerbecken
Rimini Protokolls „Qualitätskontrolle“ gastiert im Dezember 2015 im Mousonturm

Von Dietmar Zimmermann

Die Bühne deutet die Architektur eines Swimmingpools an. Die heute 40jährige Maria-Cristina Hallwachs hatte gerade ihr Abitur gemacht, als sie zu Pfingsten 1993 voller Lebenslust kopfüber in den Pool sprang. Leider an der falschen Seite. Im Kinderbecken betrug die Wassertiefe 50 Zentimeter.

„Heute fangen wir mit dem Ende an“, sagt Maria-Cristina Hallwachs: „Mit dem Tod.“ Der sei unspektakulär: „Kein Königinnenmord, nicht triumphal, nicht hässlich. Einfach ein Resultat.“ Und immer präsent: 22 Jahre nach dem Unglück wird Maria-Cristina Hallwachs immer noch künstlich beatmet; sie ist vom Kopf abwärts querschnittsgelähmt und niemals allein. 24 Stunden lang ist ein Pfleger oder eine Pflegerin um sie herum. In Frankfurt werden Sie am 5. und 6. Dezember Timea Mihályi sehen, die ihr Temperament nur mühsam zügeln kann. Sie steht gemeinsam mit ihrer Patientin in einem der wichtigsten, aber auch der emotional berührendsten Theaterabende der letzten Jahre auf der Bühne im Mousonturm. Das heißt: Maria-Cristina Hallwachs steht nicht – sie kann nur noch sitzen, ist an den Rollstuhl gefesselt. Der Schreiber dieser Zeilen sah die im Juni 2013 am Schauspiel Stuttgart uraufgeführte Inszenierung beim Stücke-Festival 2014 in Mülheim an der Ruhr, und damals musste ein zweiter Pfleger, der gelassene, zugewandte und mit einem milden Humor ausgestattete Admir Džinic Maria-Cristina die Nase putzen. Timmy klebte ihr das Pflaster neu, das den Schlauch für die Zufuhr von Atemluft festhält. Alltagseinsätze – für eine Frau, die ohne Hilfe nicht mehr lebensfähig wäre. Würden wir so leben wollen?

151205_Qualitaetskontrolle_HP2_181 © Cecilia Gläsker

Rimini Protokoll, „Qualitätskontrolle“, Bildnachweis: Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main, Foto © Cecilia Gläsker

Wer die Frage vor Beginn der Aufführung verneint, könnte zum Umdenken gezwungen werden. Weiterlesen

Die Ostsee von Glücksburg im Norden bis Strande an der Kieler Förde

2015, November 22.

Die Ostsee Schleswig-Holsteins bietet für jeden etwas, das größte Wasserschloss Deutschlands, weiße Strände, bunte Jachthäfen, viel Natur und immer fangfrischen Fisch

Von Elke Backert

„Bitte schlurfen, sonst stolpern Sie“, ermahnt die Führerin ihre Pantoffelträger. 65.000 Neugierige schleusen sie und ihre Kollegen im Jahr durch das größte Wasserschloss Deutschlands und eines der beliebtesten. Schloss Glücksburg, Ende des 16. Jahrhunderts gebaut, benötigt aber auch jedes Jahr einen riesigen Erhaltungsaufwand. Burgenhaft und mit trutzigen Türmen ruht es im künstlich angelegten See. Doch die Türme waren nie zur Verteidigung gedacht, sondern zum Wohnen, weiß Seine Hoheit Christoph Prinz zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, Herr über das Anwesen an der Ostsee. Wenn die Sonne das Wasser des Sees an der Decke reflektiert, kann man nachempfinden, wie wohl sich die Herzogin im lichten Turmzimmer gefühlt haben musste. Eines steht jetzt als Standesamt zur Verfügung. In der Kapelle finden Gottesdienste und kirchliche Trauungen statt und in den vierzig Räumen des Schlosses, vornehmlich im vier Meter hohen, 30 Meter langen und zehn Meter breiten „Roten Saal“, ein lebendiger Kulturaustausch, Konzerte und Lesungen.

Gluecksburg Wasserschloss (2)-600

Schloss Glücksburg, größtes Wasserschloss Deutschlands

Waffen-Fans finden ein neunläufiges Radschloss-Salven-Gewehr von 1640 vor, anderthalb Zentner schwer: Nach dem ersten Schuss folgten automatisch weitere 112. Ohne Führung würde man kaum das Besondere an den 1680 in Flandern hergestellten Ledertapeten entdecken. Von der Rückseite wurden die Motive in das Kalbsleder eingestanzt, Weiterlesen

Holländische Impressionen (6)

2015, November 21.

Delfshaven

Von Juliane Adameit

Die Zeit für einen Ausflug von Rotterdam nach Delfshaven sollte man sich auf jeden Fall nehmen. Schon die U-Bahnhaltestelle ist sehenswert, denn alles ist vollständig mit blau-weißen Kacheln im Stil der Delfter Porzellanmalerei ausgestattet.

450-Delfshaven

In Delfshaven, heute ein Stadtviertel von Rotterdam, scheint im historischen Zentrum wirklich die Zeit stehengeblieben zu sein. Sehr ruhig und beschaulich geht es in den verwinkelten kleinen Straßen rund um die alte Windmühle und den Museumshafen zu. Im Hafen liegen historische Jachten und Fischerboote vor Anker. Weiterlesen

Kultur und Heimat. Anmerkungen zur Heimat als Kulturbegriff in Zeiten der Migration

2015, November 18.

Von Gunnar Schanno

Heimat als Ursprung

Bei aller Vielfalt des Begriffs in seiner Verwendung: Im allgemeinen Kulturverständnis ist Heimat der Urbegriff für Ursprung und Nähe zur eigenen Lebenswelt, ist Herkunft und früheste Erfahrung und Erleben eines jeden in subjektivster Weise, ist verwoben mit familialer Bindung und Geborgenheit. Heimat steht für Tradition und prägende Sozialisation. Im Heimatlichen ist nichts Zivilisation, sondern alles Kultur, wenn wir die Unterscheidung wieder treffen zwischen rational und emotional durchdrungener Lebenswelt. Heimatliches kann nicht zur Disposition gestellt werden. Heimat steht in vorrationaler Beziehung zum eigenen Selbst. Nichts kann in ihr ersetzt und erneuert werden. Sie ist, was sie ist: Bleibendes und Unvergängliches, Erlebtes und Gefühltes, sie steht am Lebensbeginn und ist Sehnsuchtsort am Lebensende.

So ist Heimat auch das, was wir anstrengungslos wiedererkennen, ist das, was Vertrautheit wachruft, Identifikation bildet, was Tradition und Verbundenheit bedeutet, was innere Entspanntheit auslöst, was keinen stürmischen Veränderungen unterliegt, was – anders als im Kontext des Zivilisatorischen – Ewigkeitswunsch hervorruft. Darin ist Heimat immer Ausprägung und ursprünglichstes Erleben des Kulturellen.

Heimat nämlich leuchtet wie mittragender Grund für die persönliche Lebenswelt vornehmlich in schönen und unverfänglichen Bildern auf, aus vollem Lebensgefühl heraus, im Empfinden nie neutral und nicht vom Rationalen her erfasst, sondern immer fühlend und schicksalsbestimmend. Nichts Furchtbareres als die Konnotation des aus früher Kindheit entstandenen Heimatsgefühls mit erlebter psychischer oder physischer Gewalt!

Der Heimat analog ist die Muttersprache. Das Konnotative, das Mitschwingende, das Atmosphärische, all dies wird in keiner nachkindlich erlernten Zweitsprache gleichrangig erworben. Kann auch eine Zweitsprache Muttersprache werden? Das nur mit kindlicher Frühzeit einhergehende Verschalten von Synapsen, von denen die Neurolinguistik spricht, oder das damit verbundene spannende Phänomen des Bilingualen, soll hier nicht Thema sein. Muttersprache und Heimat, Dialekt und Habitat, sie finden sich auch in verdinglicht gepflegter und gewürdigter Nachschau und in öffentlicher Gestaltung in Volkskunde- und Heimatmuseen – wie wir sie freilich auch in und um Frankfurt aufsuchbar vorfinden.

Nieblum,_Insel_Föhr,_Jens-Jakob-Eschel-Str._11

Nieblum, Insel Föhr, Jens-Jakob-Eschel-Str. 11; Bildnachweis Abhoefer/wikimedia commons CC

Heimat global

In Zeiten geballter Migration erhält der Heimatbegriff einen ganz neuen Klang. Weiterlesen

56. Biennale Arte Venedig 2015 (5)

2015, November 16.

Der deutsche Pavillon

Von Erhard Metz

Man wird sagen können, fast ein jeder der Kommissare/Kuratoren der Nachkriegs-Biennalen arbeitete sich an der vielgeschmähten, 1938 in der Zeit des Nationalsozialismus im Stil und Geist des „Dritten Reiches“ veränderten und verunstalteten Architektur des 1909, also zu Kaisers Zeiten (zunächst als „Bayerischer Pavillon“) im damals beliebten neoklassizistischen Stil errichteten deutschen Pavillons ab. So auch Florian Ebner, Kommissar/Kurator des diesjährigen deutschen Beitrags zur Weltkunstausstellung, im Hauptberuf Leiter der Fotografischen Sammlung im Essener Museum Folkwang.

l1001765-430-k

Der deutsche Pavillon in den Giardini Pubblici zur Biennale 2009

So wurden die Raumarchitektur wie der Grundriss des Gebäudes inwändig durch Ein- und Umbauten maximal konterkariert. Das Hauptportal wurde mit Platten „zugenagelt“, der Zugang erfolgt über eine Nebentür links in der Ecke, dort geht es eine enge, dunkle Stiege hinauf auf die eigens eingezogene Zwischendecke, dann wieder treppab hinab in tiefere Gefilde des Ausstellungsgeschehens. Auf das ebenfalls bespielte Dach kommt der normalsterbliche Besucher nicht hinauf, und da die Kunst dort oben im Freien unter den Bäumen sowieso kaum sichtbar ist, kommt er erst gar nicht auf die Idee.

P

Hinauf, hinunter und wieder hinauf im deutschen Pavillon

„FABRIK“ steht an der Fassade neben dem zugesperrten Hauptportal, es ist zugleich der Name des deutschen Ausstellungsbeitrags – und eine Denk-, Erzähl- und Bilderfabrik ist es in der Tat, die Florian Ebner dem Publikum präsentiert. Weiterlesen

56. Biennale Arte Venedig 2015 (4)

2015, November 15.

Farbkräftige Botschaften: Katharina Grosse und Flaka Haliti

Von Erhard Metz

„Hingucker“ gibt es nicht nur in den Pavillons Chinas und Russlands, sondern auch in den Arsenale. Katharina Grosse baute dort einen Raum, den man am liebsten gar nicht mehr verlassen möchte. Ein Rausch an Farben umfängt den Betrachter, wie man es sonst vergleichbar nur bei einem vielkanaligen Klangereignis erleben kann.

Katharina Grosse, 1961 in Freiburg/Breisgau geboren, studierte an den Kunstakademien in Münster und Düsseldorf. Nach einer Professur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ist sie seit Oktober 2010 Professorin an der erwähnten Düsseldorfer Kunstakademie.

Kann man das legendäre Yves Klein-Blau überbieten? Flaka Haliti versucht es im Pavillon von Kosovo in den Arsenale. Der Faszination der begehbaren Installation kann sich wohl kaum ein Betrachter entziehen.

L1240850-500

Flaka Haliti, Speculating on the Blue, 2015 (Ausstellungsansicht), Sand, Metal, Light, © Flaka Haliti

Flaka Haliti wurde 1982 in Prishtina geboren. Sie studierte zunächst an der Kunstakademie der dortigen Universität und anschliessend – als Meisterschülerin – an der Städelschule in Frankfurt am Main. Die Künstlerin lebt und arbeitet in München, Prishtina und Wien.

Fotos: Erhard Metz

→ 56. Biennale Arte Venedig 2015
→ 56. Biennale Arte Venedig 2015 (5)

 

56. Biennale Arte Venedig 2015 (3)

2015, November 14.

Grosse Auftritte: China und Russland kleckern nicht, sondern klotzen

Von Erhard Metz

Am Sonntag, 22. November 2015, schliesst die diesjährige Kunstausstellung Biennale in Venedig. Wo bleiben denn die Beiträge, fragen uns nicht wenige Leserinnen und Leser – mit einigem Recht. Nun, wir räumen ein, unser Verhältnis zur aktuellen Biennale des Jahres 2015 war nie so richtig von Lust und Leidenschaft geprägt. Das betrifft leider auch den deutschen Pavillon. Nun ist es zwar spät, aber noch nicht zu spät, um noch einige wenige kleine Schlaglichter auf die längst kunstbetrieblichen Charakter der zweifelhaften Art angenommen habende Schau in Venedig zu werfen. Ohnehin sind jetzt Mitte November die unerträglichen und schier nicht mehr auszuhaltenden Touristenströme des Sommers und Herbstes um einiges abgeebbt, und für einen preiswerten last minute-Flug mit einem entsprechendem Hotel ist es eigentlich nie zu spät.

CHINA

L1240826-600

In Pracht und Schönheit Augen und Sinne betörend wie überwältigend: die fantastische Schau von Lu Yang im riesigen chinesischen Pavillon, 1984 in Shanghai geboren; die Künstlerin studierte an der China Academy of Art mit dem Abschluss Master of Fine Art in der Sparte New Media Art. „Walking Nimbus“ und „Wrathful King Kong Core“ heissen ihre in Venedig gezeigten Werkreihen, letztere dem bösen Gott namens Vajrabhairava im Tibetischen Buddhismus gewidmet. Weiterlesen

Ein Besuch mit Geneviève François-Poncet in der französischen Botschaft

2015, November 13.

„Tagebuch eines Gefangenen“ ihres Vaters André François-Poncet, ehemals Botschafter Frankreichs in Deutschland

André François-Poncet zählte zu den bedeutendsten und einflussreichsten Diplomatenpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: ob von 1931-1938 als französischer Botschafter in Berlin, von 1938-1940 in Rom – das Münchener Abkommen war für ihn die Garantie für eine herannahende Katastrophe -, nach dem 2. Weltkrieg als französischer hoher Kommissar der Alliierten oder schließlich von 1949 bis 1955 als erster Botschafter seines Landes in der Bundesrepublik Deutschland. Wie kein Zweiter hat er die Geschicke Deutschlands begleitet und die französisch-deutsche Annäherung nach 1945 maßgeblich mitgestaltet.

Im August 1943 wurde er von Hitlers Schergen gefangengenommen, als er mit seiner Familie in der Nähe von Grenoble zu Tisch saß. Da waren plötzlich SS-Leute mit Maschinengewehr im Anschlag in das Haus gestürmt und hatten André François-Poncet ohne Angabe von Gründen verhaftet. Das war der Beginn der wohl dunkelsten Zeit im Leben des erfolgsverwöhnten Botschafters, Schriftstellers und Humanisten. Zunächst wurde er auf Schloss Itter in Tirol und dann als sogenannter „Ehrengefangener“ im Ifen-Hotel in Hirschegg im Kleinen Walsertal interniert. Dort lebte er mit anderen „Ehrengefangenen“ zwar bestens versorgt, aber doch im Ungewissen. Man war vor Denunzianten niemals sicher, doch über das Radio konnte man heimlich das Weltgeschehen verfolgen. Trotz all der zwiespältigen Erfahrungen hat sich André Francois-Poncet nach dem Krieg ohne Ressentiments sofort wieder der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland gewidmet.

!cid_22FC8866-5095-4B45-92B3-235BF87C1459@Speedport_W_921V_1_39_000-600

Geneviève François-Poncet vor der französischen Botschaft in Berlin

70 Jahre nach seiner Befreiung im Mai 1945 erschienen in diesem Jahr seine bemerkenswerten Tagebuchaufzeichnungen als „Tagebuch eines Gefangenen“, worin er den Alltag der ca. 30 europäischen Persönlichkeiten aus Politprominenz, Generalität und Hocharistokratie beschreibt, welche die Nationalsozialisten in Hirschegg interniert hatten. Der gebildete „Homme de lettres“, der seine Aufzeichnungen auch mit Kritiken deutscher und französischer Literatur würzt, hat diese während seiner Gefangenschaft im Kleinwalsertal von 1943-1945 verfasst. In Frankreich waren sie bereits 1952 unter dem Titel „Carnets d ´un Captif“ herausgekommen.

Anlässlich einer Buchpräsentation im Berliner Institut français und einem damit verbundenen, von Petra Kammann moderierten Gespräch zwischen dem Herausgeber Thomas Gayda und François-Poncets jüngster Tochter Geneviève empfing der französische Botschafter, S.E. Philippe Etienne, die drei Diskutanten persönlich in der französischen Botschaft am Pariser Platz. Für die Tochter François-Poncets war dies nicht nur eine anrührende Begegnung mit der eigenen Geschichte. Madame zeigte ein ebenso hohes Interesse an den Themen der heutigen Botschaft.

Ein Bericht von Petra Kammann Weiterlesen