Absolventenausstellung 2012 “Zauderberg” der Städelschule im MMK-Zollamt (2)
Helena Schlichting und Phillip Zach
Nach Vorstellung der Gewinnerin des Absolventenpreises 2012, Anne Imhof, widmet sich die neue Folge unseres Reports zwei raumbezogenen Installationen, die sich beide mit der ortsspezifischen Situation des Ausstellungsraums „Zollamt“ auseinandersetzen.
Helena Schlichting, „Bitte, nach Ihnen“, 2012, Installation, zweiteiliger Vorhang als Träger von metallischem Silber und nicht entwickelten Silber-Halogeniden, verschiedene Vorhangstoffe, genäht und verkettelt, Breite 7,20 m, Höhe variiert; © Helena Schlichting
Helena Schlichting verkleidet den von der Eingangshalle in den Ausstellungsraum führenden Treppenaufgang mit raumhohen Vorhängen jeweils zur Linken und zur Rechten, die sich nach oben hin zu einem nur noch die halbe Breite der Treppe freigebenden Durchgang verengen. Vorhänge öffnen, schliessen und verändern Räume und Situationen, sie können verbergen und verschleiern wie ebenso zum Auseinanderziehen und Dahinterschauen herausfordern. Die Verengung des Zugangs im Treppenhaus bewirkt, so will es uns scheinen, eine Hinführung und Konzentration, eine Fokussierung auf das zu Erwartende im Ausstellungsraum.
„Zauderberg“ lautet ja bekanntlich der Titel der diesjährigen Absolventenausstellung der Städelschule: Was bedeutet zaudern? Die deutsche Sprache kennt viele ähnliche Begriffe wie zagen, zögern, zweifeln; unsicher, unentschieden, unentschlossen, unschlüssig, im Zwiespalt darüber sein, ja auch ängstlich sein, etwas zu tun oder nicht zu tun. Was bedeutet es für eine Künstlerin, einen Künstler, mit einer Arbeit – für manche oder gar viele zum ersten Mal überhaupt – in einem institutionellen Rahmen in die Öffentlichkeit zu gehen, dabei auf Zustimmung, Ablehnung oder – vielleicht am schlimmsten – auf Gleichgültigkeit zu stossen? Was geschieht bei der Werkauswahl, bei der endgültigen Entscheidung, diese und nicht eine andere Arbeit in der Ausstellung zu präsentieren? Wieviel an Mut und Selbstbewusstsein mag es erfordern, im konkreten Fall sogleich den Eingang zum musealen Ausstellungsraum mit Vorhängen zu verkleiden – und zu verwandeln?
Es lohnt sich, sehr genau hinzuschauen – was man ja Kunstwerken generell schuldet – , auch ein Niederbücken sei dazu gefordert: Feine Strukturen und Zusammenhänge wollen erkannt, gesehen und gelesen, vielleicht auch gedeutet werden. Es braucht seine Zeit dazu. Auch die Künstlerin hat viel an Lebenszeit mit dieser Arbeit verbracht, an der, unseren Beobachtungen nach, allzu viele Besucherinnen und Besucher allzu schnell vorübergehen.
Im übermächtig erscheinenden, sich in Zugluft sanft bewegenden Vorhang kann, wer möchte, eine ganze Welt, einen Mikrokosmos entdecken, gaukelnden Chimären und Fabelwesen nachspüren, die auf unerwartete Weise den auf den spröden Namen „Zollamt“ lautenden Raum beleben.
Helena Schlichting und Kurator Bernd Reiß
Auch Phillip Zach verändert, jetzt den Ausstellungssaal selbst, auf nachhaltige, wenn auch gänzlich andere Weise: Die Zwischenräume der dem Wetter- und Schallschutz dienenden Doppelfenster der Halle füllt er rundum und sämtlich mit allerlei Quadern und Würfeln sowie mit Lettern und Schriftzeichen aus dem Werkstoff Polysterol. Wer zu den Fenstern hinausblicken will, kommt an diesen Gebilden und Konstruktionen nicht vorbei, mag sich im freien Blick eingeschränkt fühlen, erlebt jedoch zugleich wundersame neue Perspektiven.
Phillip Zach, „Sometimes crime does pay.“, „Everybody needs at least one window.“, „Okay“, „Something is what it is. (Level X)“, „not on my account…“, 2012, Fensterinstallation, Polysterol, Dimensionen variabel; © Phillip Zach
Ein Glücksfall die durch die „Neue Altstadt“-Grossbaustelle arg verschmutzten Fenster der Ausstellungshalle: Im Zauberlicht der tiefstehenden, spätnachmittäglichen Sonne bewirken sie ein fast übersinnliches Zusammenspiel zwischen der chaotisch-riesigen Baugrube und deren Randbebauung mit den Objekten des Künstlers, hier den umgestürzten Lettern. Aufbau, Abriss, Neubau – von fern grüssen die Gebäude so antagonistischer Institutionen wie Paulskirche und Commerzbank.
Monsterhaft und bedrohlich scheint sich unter blauem Himmel ein Baukran über die Objekte des Künstlers zu schieben.
Nach Osten dann der durch die künstlerische Installation abermals verstellte und veränderte Blick auf die Domstrasse und hinüber zum Dom.
Ungewohnt und überraschend also dieser veränderte Blick durch die Museumsfenster. Die Chiffren des Künstlers in den Leibungen der doppelten Verglasung stellen die gewohnte Aussicht infrage. Neue Beziehungen zwischen dem Innen und dem Aussen entstehen; mancher Betrachter mag sich erst jetzt der Bedeutung dieser Fenster im musealen Raum des „Zollamts“ bewusst werden.
Beide Arbeiten sind hoch konzeptuell. Die Künstlerin und der Künstler liessen sich dabei vielleicht, wenn nicht wahrscheinlich, von Überlegungen leiten, die dem Betrachter verschlossen bleiben. Darauf kommt es unserer Auffassung nach auch gar nicht so sehr an. Denn entscheidend ist, dass die Werke dem Betrachter Anstösse geben, ihn dazu auf- und herausfordern, sich mit ihnen und mit der Umgebung, in die sie „einbettet“ sind, auseinanderzusetzen, mit allen Nachwirkungen, die sich dazu einstellen können. Der Schlüssel zum Schloss „Kunst“ ist nicht an der Museumskasse erhältlich.
Helena Schlichting, 1976 in Frankfurt am Main geboren, studierte zunächst an der Hochschule für Gestaltung HfG Offenbach, bevor sie an die Staatliche Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – in die Klasse von Professorin Judith Hopf wechselte.
Phillip Zach wurde 1984 in Cottbus geboren. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und beendete jetzt seine künstlerische Ausbildung an der Städelschule bei Professor Willem de Rooij.
“Zauderberg. Absolventen der Städelschule 2012″, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main – Zollamt, bis 11. November 2012
Fotos: FeuilletonFrankfurt