Landschaften aus dem Verborgenen
Von Hanneke Heinemann
Kunsthistorikerin und Kuratorin
Das Material sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der im Verborgenen genau schaut. Günther Uttecht hält mit seiner kleinen Kompaktkamera Details von Containern und Schuttmulden fest, die von den Passanten meist als unansehnlich, störend und verdreckt wahrgenommen werden. Mit Entdeckerfreude und künstlerischem Gespür findet der Fotograf auf ihnen Strukturen und Texturen, die durch ihre Farbigkeit und spannungsvollen oder harmonischen Übergängen von einer Materialität in die andere wie abstrakte Gemälde wirken. Uttecht will malerisch sein – „ich male mit der Kamera“ – ohne jedoch Malerei zu imitieren. Für seine Ausstellung „Verborgene Landschaften“ im Nebbienschen Gartenhaus hat Günther Uttecht Bilder ausgewählt, die im besonderen Maße Landschaftsassoziationen zulassen. Die 70 x 50 cm großen Formate wirken wie gemalte moderne Landschaftsdarstellungen, oder auch wie Welten aus Fantasiefilmen. Unwillkürlich zieht man Parallelen zu Beispielen aus der Malereigeschichte: Ein kleines rotes Bild direkt am Eingang zeigt Farbverläufe wie in Rothkos Farbfeldmalereien, in einem anderen zeigt die Fläche eine Farbigkeit wie der Himmel in einem Renaissancegemälde, wieder ein anderes erinnert an eine Landschaft Anselm Kiefers mit tiefem Horizont.
(ohne Titel) VL-M-112, 70 x 50 cm, Fotografie
Günter Uttechts Blick ist durch jahrelange Erfahrung unter anderem als Fotojournalist geschärft. Trotzdem kann die Suche nach dem geeigneten Motiv mühsam sein. Mitunter benötigt es Stunden oder Tage, bis er die passende Mulde mit den richtigen Details gefunden hat, die später stark vergrößert eine abstrakte Komposition oder eben eine Landschaft bilden. Später im Studio wählt er für das fertige Bild den präzisen Ausschnitt, stellt gegebenenfalls Helligkeit ein und retuschiert mitunter kleinere Flecken – nutzt also die traditionellen Mittel der Fotografen, die moderne Bildmanipulation nicht benötigen.
(ohne Titel) VL-M-113, 70 x 50 cm, Fotografie
Als Fotograf und Künstler interessieren Günther Uttecht die Spuren der Geschichte seiner Objekte. Er hebt Lack, der von Gebrauchspuren gezeichnet und zerkratzt ist, von Rost zerfressenes Metall hervor, entdeckt unerwartete Schönheit in Spuren meist zufälliger äußerlicher Einwirkungen. Sie sind in den Wänden der schweren Container und Mulden durch Bewegung entstanden, die sich beispielsweise in einer kurvigen Schleifspur, die beim Hochziehen durch den Kran entsteht, oder in den vielfältigen Schrammen und dem abgeplatzten Lack materialisieren. So wandeln sich die Oberflächen im Laufe der Zeit. Die permanente Veränderung am statischen Objekt ist für ihn ein faszinierender Aspekt dieser Arbeit. Findet er später einen Container wieder, hat der sich weiter verändert, neue Verletzungen der Oberfläche sind hinzugekommen und die Korrosionen haben sich vergrößert. Oder die Mulde wurde mit einem neuen Anstrich versehen, der die Spuren weitgehend getilgt hat. So ist es fast unmöglich, ein Bild zu wiederholen.
(ohne Titel) VL-M-103, 70 x 50 cm, Fotografie
(ohne Titel) VL-M-108, 70 x 50 cm, Fotografie
Durch die Vergrößerung des Motivs werden die Details von ihrem Ursprung weitgehend losgelöst. Da Uttecht im Makrobereich fotografiert, können bei leicht gebogenen Metallplatten durchaus gewollte Unschärfen im späteren Bild entstehen, die die malerische Wirkung der Fotografien verstärken. Eine weitere Wirkung der Vergrößerung ist die Loslösung des Motivs aus dem ursprünglichen Kontext. Rückschlüsse auf Herkunft und ursprüngliche Materialität sind kaum noch möglich. Der Betrachter besinnt sich auf seine in Kunst und Malerei erworbenen Seherfahrungen und sieht in den Bildern Landschaften, die harmonisch zwischen Bewegung und Ruhe balancieren.
Die Ausstellung „Verborgene Landschaften“ ist noch bis zum 15. Juni 2014 täglich von 12-18 Uhr im Nebbienschen Gartenhaus in der Bockenheimer Anlage zu sehen.
(Ab dem 5. Juli stellt Günther Uttecht in der Waa’schen Fabrik in Geisenheim andere Arbeiten ohne expliziten motivischen Bezug aus.)
Abbildungen © Günther Uttecht
→ 60 Jahre Frankfurter Künstlerclub im Nebbienschen Gartenhaus