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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die guten Vorsätze

Reflexionen zum schon begonnenen Jahr, bevor alles wieder seinen gewohnten Gang geht…

Von Gabriele Deylitz

Sie gleicht der Gretchen-Frage – die Frage nach den guten Vorsätzen fürs neue Jahr. Und wer es versäumt, sie sich selbst vorzulegen – Widerwillen? Vergesslichkeit? Erlahmung? –, wird von anderen noch stets daran erinnert. Woher dieser Drang, dieser innere Zwang, diese Verpflichtung sich selbst gegenüber? Ist es das Erbe unserer christlichen Ideologie? Die eingefleischte Überzeugung, dass wir Sünder sind, also unvollkommen, vor allen Dingen schwach, für Fehlleistungen und Unterlassungen programmiert, sodass wir darum ständig an uns arbeiten müssen?

Gabriele Deylitz; Foto: Petra Kammann

Die guten Vorsätze für das neue Jahr – unterscheiden sie sich eigentlich wesentlich von den nicht eingehaltenen Vorsätzen des Vorjahres? Und resultieren sie dann nicht aus einer Negativbilanz, die im neuen Jahr ausgeglichen werden soll und muss?

Statt eine neue Liste mit den alten und vielleicht noch ein paar neuen Vorsätzen aufzustellen, wobei sich die neuen Vorsätze ja aus derselben Quelle speisen, nämlich der Feststellung (und dem nagenden Gefühl), dass es noch einiges gibt, das man nicht erreicht hat, aber hätte erreichen können und sollen, ist das umgekehrte Verfahren möglich und möglicherweise sinnvoller: Keine Mängelliste erstellen, sondern eine Positivbilanz.

Was ist einem geglückt, was gelungen, was hat einen zufrieden gemacht? Wann ist man sogar einmal über seinen Schatten gesprungen, hat Ängste bewältigt, Konflikte gelöst? Dann aber auch die Frage, weshalb man seine Vorsätze nicht oder nicht vollständig hat erfüllen können. Handelte es sich möglicherweise um Aufgaben oder Vorhaben, die gar nicht dem eigenen Bedürfnis entsprachen, sondern nur äußeren Erwartungshaltungen, und deswegen von ihrem Listenplatz allmählich nach unten gewandert sind, bis man sie plötzlich gar nicht mehr wahrnahm? Hat man seine Fähigkeiten und Kompetenzen überschätzt und deshalb keine Erfolge verbuchen können?

Wie steht es mit dem allseits nachles- und hörbaren Anspruch an den zeitgenössischen Bürger, ein verantwortungsvolles Mitglied unserer globalen Gesellschaft zu sein? Wie schafft man das?

Es gibt immer Gründe, weshalb Vorsätze scheitern. Es lohnt sich, darüber ohne Bedauern nachzudenken. Wer weiß, wofür es gut war, dass man dieses oder jenes doch nicht durchgesetzt hat. Viele unserer Vorhaben ‚verdanken‘ sich sowieso dem Wettbewerb unserer Leistungsgesellschaft. Wir lassen uns davon unter Druck setzen und er macht Scheitern voraussagbar.

Die traditionelle christliche Ideologie, die uns zur inneren Einkehr und Umkehr auf fordert, ist im Übrigen schon lange durch die neue Selbstoptimierungsideologie ersetzt oder überlagert worden. Eine unüberschaubare Fülle an Ratgebern – Druckerzeugnisse, Vorträge, Workshops und TV-Shows – überschwemmt uns und hat vor allem eins im Sinn: uns zu zeigen, dass es uns an irgendetwas mangelt oder dass wir irgendetwas völlig falsch machen. Schon die Titel suggerieren, dass wir das Optimum unserer Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft haben.

Gemeint ist immer ein Maximum von allem, dessen wir fähig sind. Wieso eigentlich? Der Mensch an sich ist vielseitig begabt. Aber die Erfahrung lehrt uns, dass nur diejenigen Großes erreichen, die sich auf eine Sache konzentrieren.

Diese ständig anwachsenden Selbstoptimierungsangebote müssen einen ja auch schon deshalb nachdenklich stimmen, weil man erstens nicht allen Ratschlägen folgen könnte, denn man käme vor lauter Lektüre gar nicht mehr zum Handeln, aber zweitens auch darüber, woher diese Menschen stammen und woher sie die Chuzpe nehmen, sich als Menschheitsbelehrer aufzuschwingen.

Wissen wir im Grunde nicht sehr genau, was gut und was schädlich für uns und unsere Umwelt ist? Wir brauchen uns nur über seriöse Nachrichten informiert zu halten, um zu wissen, wie und wo wir handeln könnten und sollten, ohne dass wir uns einreden lassen müssen, was für mickrige Menschlein wir sind. Wir wissen ja bereits, dass in jedem von uns die Mickrigkeit – als Inbegriff alles Unerwünschten – steckt.

Aber – und das muss ich als schwerwiegenden Einwand einräumen – , sobald man in sich hineinhorcht, werden bestimmte Standards der Selbstoptimierung stärker von Verdrängungsmechanismen blockiert als man für denkbar hält. Wir kommen ja nicht umhin, uns Ansprüchen zu unterwerfen, um im beruflichen und privaten Leben bestehen zu können. Jeder weiß das. Und bestehen wollen wir. Man kann sich dem nicht einfach schulterzuckend entziehen.

Um eine kritische Befragung solcher Ansprüche machen wir deshalb gern einen Bogen, sie sind quasi sakrosankt, denn sie anzutasten, käme einem Erdrutsch gleich. Viel ist auch die Rede davon, Prioritäten im Leben zu setzen. Die muss man aber erst einmal kennen, und dann braucht man den Mut – sofern sie nicht den gängigen Konventionen entsprechen –, sich nach ihnen zu richten.

Man macht sich immer verdächtig, egal wie man sich entscheidet. Wer sein Berufsleben wichtiger nimmt als sein Privatleben, macht sich ebenso verdächtig wie jemand, der sein Privatleben wichtiger nimmt als sein Berufsleben, sprich: seine Karriere. Verdächtig macht man sich aber nur in der Gruppe, die anderer Auffassung ist.

Man könnte sich beispielsweise fragen, was einem im vergangenen Jahr (und den Jahren davor) leid und lästig gewesen ist und wie man sich davon befreien kann. Das könnte man auf die Liste setzen. Also eine Befreiung von einem Zuviel. Ich bin im Begriff, mit einer gesellschaftlichen Konvention zu brechen, nämlich dem Verfassen von Glückwunschkarten, das mir in meinem langen Leben leid geworden ist.

Wünschen wir einander nicht immer wieder das Gleiche? Könnte man es deswegen nicht gleich lasssen? Man wünscht einander all das Gute in der Regel ja nicht nur für ein einziges neues Lebens- oder Kalenderjahr, sondern für immer, sofern die Wünsche nicht spezifiziert sind. Kann man diese Konvention durchbrechen, ohne Groll zu erzeugen?

Ich habe noch keine Lösung dafür, aber ich arbeite daran. Und während ich daran arbeite, entfallen mir immer häufiger die Termine, an denen ein Glückwunsch fällig gewesen wäre. Dann stehe ich da und überlege, wie ich diese Scharte geschickt auswetzen kann. Hier ist echtes Talent gefragt, mehr als beim Verfassen eines individuell formulierten Wunsches.

SMS- und Email-Botschaften als Ersatz für postalisch versandte Karten und Briefe lehne ich aus Stilgründen ab, aber manchmal sind sie die letzte Rettung. In den bequemen digitalen Glückwünschen meine ich übrigens auch schon eine gewisse Verdrossenheit aufseiten der Absender erkennen zu können. Das Schreiben hat auf diese Weise Zeit bis zum Stichtag, man muss sich also vorher keine Gedanken über den zu verfassenden Text und den Erwerb oder die Gestaltung einer passenden Karte machen. Viele haben in ihren Rechnern sowie einen Vorrat an Textvorlagen und Schmuckkarten.

Andererseits stelle ich fest, dass die Einrichtung von Whats Apps zu einer Fülle nichtiger, sich ermüdend wiederholender Botschaften führt, weil es so bequem ist, dieses Medium zu bedienen. Ich stelle mir vor, dass einer der Erste in einer What’s-App-Gruppe ist, der einen Neujahrswunsch per App aussendet, und alle anderen aus dieser Gruppe schließen sich, weil sie sich nicht lumpen lassen wollen, diesem Wunsch an und schreiben dann schlicht und einfach, weil dem Wunsch ja wirklich nichts Neues hinzuzufügen wäre: Ich / Wir auch.

Dann wüsste jeder, dass jeder andere die Nachricht gelesen und sich dem Gruppenkonsens angeschlossen hat. Und man kann dann diesen Chatverlauf guten Gewissens schnell wieder löschen. Er gibt ja nichts her, was wir nicht schon gewusst hätten.

Aber vorsichtshalber, um mich nicht zu vollmundig als Anti-Optimierungsstratege zu brüsten, greife ich doch lieber noch einmal zu Peter Sloterdijks Buch „Du musst dein Leben ändern!“ (Suhrkamp), das mich im vergangenen Jahr so beeindruckt hat, um mich zu vergewissern, woran ich es bisher möglicherweise habe mangeln lassen. Und dann gehe ich doch noch einmal in mich.

 

 

 

 

 

 

 

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