home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Mai, 2010

Reichlich schräg in der Frankfurter Westend Galerie: Italienische Architekturen von Siegbert Jatzko

2010, Mai 30.

fivizzano-430

Ricordo di Fivizzano (Massa Carrara), 2009, 52,4 x 72,5 cm

Von Erhard Metz

Hat hier gerade ein Erdbeben die Horizontale verrückt? Oder hat sich bei uns nach dem Genuss einer Flasche bestem Brunello di Montalcino nebst zwei, drei Grappe di Moscato d’Asti die Optik etwas verschoben?

Nein, wir stehen in der Frankfurter Westend Galerie, kerzengerade und auf sicherem Boden vor den Zeichnungen von Siegbert Jatzko. Was wären denn, Hand auf’s Herz, diese Zeichnungen, wenn sie der Künstler der strengen Renaissance-Perspektive unterworfen hätte? Nett, aber nicht aufregend. Und was ist eines ihrer Geheimnisse, der Geheimnisse ihres Erfolgs? Ihre wundervolle perspektivische Verzeichnung, die ihnen – obgleich oder gerade weil die Szenerien menschenleer sind – eine besondere Art von Leben einhaucht. Die Baulichkeiten gewinnen eine eigene Dynamik, sie setzen sich gewissermassen in Bewegung und es scheint, als wollten sie auf uns zukommen. Weiterlesen

Christiana Protto

2010, Mai 27.

Home Abroad – zu Hause in der Welt?
Christiana Protto,
das Wanderatelier und die Lebensreise

Von Erhard Metz

Kunst sei eine Vermittlerin des Unaussprechlichen, darum scheine es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen, schrieb Johann Wolfgang Goethe. Ja, er hat recht. Aber ein paar Gedanken über ein hochinteressantes Œuvre einer bemerkenswerten wie begabten Künstlerin wollen wir dennoch Raum geben. Angesichts der Breite dieses Werkes müssen wir fokussieren: auf ihre Installationen, unter Verzicht auf vieles andere Wichtige, beispielsweise auf ihre fotografischen Arbeiten, auf ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Schlachtung und Fleisch oder auf ihre Tapetenarbeiten, die es zum Einzug in das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel gebracht haben.

Wir glauben dabei nicht, dass sich die Künstlerin, entgegen dem Duktus mancher Rezension, wie er sich uns erschliesst, vorwiegend mit ihrer eigenen Nabelschau befasst, sondern dass sie uns, dem betrachtenden Publikum, etwas mitzuteilen hat, schlage oben nach bei Goethe, wenn wir ihn denn recht verstehen.

Geboren in Grossbritannien, Studium in Florenz und Paris, Atelierstipendium in London, Preise und Lehraufträge in Turin und Rom, halbjähriger Arbeitsaufenthalt in China: „Home Abroad“?

„Home Abroad“ lautet der Titel einer Werkreihe, die Christiana Protto in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem europäischen Ausland begründet hat. Und noch etwas Besonderes hat sie aufgegriffen und für ihre eigene künstlerische Zeit- und Lebensreise weiterentwickelt: das schon aus dem Altertum bekannte „Wanderatelier“. „Mit dem ‚Wanderatelier‘ „, schreibt Protto, „begebe ich mich in unterschiedliche Situationen und entwickle aus der Begegnung mit dem Ort und den Personen die Heimstatt einer fiktiven Bewohnerin auf Durchreise“. Im Kern ist damit bereits alles gesagt.

Wo sie zu Hause im Sinne von Heimat sei, so fragten wir. Als konkreter Ort sei es inzwischen schon Frankfurt am Main, antwortet sie, doch könne sich das nach Kontext und Ebene ändern.

Protto-o.T._(Projektion) 2003-430

o. T., 2003, anlässlich HautNahOst, Frankfurt am Main, Video-Projektion im Aussenraum, 60′ Loop, Videoaufnahme einer vom Wind bewegten Installation aus Tüchern Weiterlesen

Passionsspiele 2010 in Oberammergau

2010, Mai 20.

Von Erhard Metz

Samstag, 15. Mai 2010, 14.30 Uhr: Premiere der Passionsspiele in Oberammergau, alle zehn Jahre nur finden sie statt. Bis knapp 23 Uhr dauert die Aufführung, unterbrochen von einer dreistündigen Pause. Oberammergau toppt darin Bayreuth!

L1050084-430

Das Passionsspielhaus in Oberammergau (Foto: Erhard Metz)

Es regnet ununterbrochen an diesem nebelverhangenen Tag, die Temparatur liegt bei etwa 6 Grad, es sind gefühlte 2 bis 3 Grad Celsius. Das 4700 Sitze umfassende Passionsspieltheater ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Wir sitzen ganz vorn, Reihe 6, nahe der zwar grossenteils planenüberspannten, aber dennoch zugigen 70 Meter breiten Freiluftbühne. Die Kälte dringt weit in den Zuschauerraum ein. Wir wurden vorgewarnt und sind deshalb in einen Pullover, zwei Strickjacken und einen Wintermantel eingehüllt. An den Eingängen werden Vliesdecken ausgegeben – wir nehmen gerne eine, um sie um die Beine zu schlingen – in leuchtendem Rot. (Eventuelle Souvenirsammler haben da nach Vorstellungsende „schlechte Karten“.) Weiterlesen

Jahr der Stille 2010: Mai

2010, Mai 18.

Es lohnt sich, geduldig zu beobachten, was in der Seele im Stillen geschieht, und es geschieht das Meiste und Beste, wenn es nicht von aussen und oben hineinreglementiert wird. Ich gestehe es gerne: Ich habe eine solche Hochachtung vor dem, was in der menschlichen Seele geschieht, dass ich mich scheuen würde, das stille Walten der Natur durch täppische Zugriffe zu stören und zu entstellen.

Carl Gustav Jung (1875 bis 1961), Begründer der Analytischen Psychologie

Pagan_meditation2-430

(Bildnachweis: Dedda71/wikimedia commons CC)

Das “Jahr der Stille 2010″ lädt dazu ein, Stille begleitend in den Jahreslauf zu integrieren. Es will Aufmerksamkeit schaffen für einen Wert, dessen Wichtigkeit wir alle betonen – dessen konkrete Praxis wir aber oft vernachlässigen. Getragen wird das “Jahr der Stille 2010″ von über fünfzig Partnern – christlichen Bewegungen, Kirchen, Verbänden, Verlagen, Organisationen und Werken unterschiedlicher konfessioneller Prägung, die das Anliegen eint, das Thema Stille bewusst in ihre Aktivitäten einfliessen zu lassen.

FeuilletonFrankfurt wird das “Jahr der Stille” mit einem Beitrag zur Mitte eines jeden Monats begleiten.

Begegnung im Dunkeln: Das DialogMuseum in Frankfurt am Main

2010, Mai 16.

Von Erhard Metz

Wir haben eine erstaunliche, ja kaum je für möglich gehaltene Erfahrung gemacht.

Wir begaben uns am frühen Nachmittag eines durchsonnten, helllichten Tages in die absolute Dunkelheit, die Dunkelheit völlig blinder Menschen. Eine Selbsterfahrung, nicht ohne Risiko. Eine jüngere Frau in der achtköpfigen Gruppe – mehr als acht Personen durfte sie nicht umfassen – bekam bereits nach wenigen Minuten Dunkelheit eine Art Panik und schied aus dem Experiment aus, bevor es richtig begonnen hatte. Wir und die anderen sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer hielten es aus.

Und nun die erstaunliche Erfahrung: Nach Wiedereintritt in die Helligkeit fühlten wir uns in den ersten Momenten in einer gewissen Weise verunsichert, aus einer Obhut entlassen, ein Stück einsam, allein.

Was war geschehen? Weiterlesen

„Was für ein Tag“: Gemälde und Texte von Almut und Robert Gernhardt im Frankfurter Holzhausenschlösschen

2010, Mai 11.

„Ich male das, was ich kenne: Tiere, vor allem Katzen, Gegenstände, die ich um mich habe, und Landschaften, die ich sehe, wenn ich aus dem Fenster gucke.

Doch wenn ich male, merke ich, wie vieldeutig und befremdlich alle diese vertrauten Sachen sein können.

Und eigentlich ist es diese Erfahrung, die, unabhängig von den wechselnden Anlässen, das Thema meiner Malerei ist.“

Almut Gernhardt (1940 bis 1989)

Almut Gernhardt_1977.

Almut Gernhardt, 1977 Weiterlesen

Bernstein im Bilderhaus

2010, Mai 9.

Costa Bernstein: Glamour
Malerei-Collagen, Graphiken, Objekte

Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin

Glamour – mehr Schein als Sein? Wieso verfallen wir immer wieder seiner Faszination?

Haftete deshalb dem Wort im Mittelalter der Geschmack von böser Magie und Zauberkunst an?

In der Gegenwart findet man den Ausdruck dann etwa im Musikstil Glamrock, er wird aber auch allgemein für das Verhalten von Stars in Musik und Film verwendet. Wer glamourös ist, verwendet viel Zeit auf sein Aussehen und seine Gesten, seine Selbst-Inszenierung, bewusst oder unterbewusst. Das eigene Leben soll zum Kunstwerk werden.

Das Diktat von „Glamour magazine“: fashion, beauty, hair, makeup, diet, health, sex …

Mit dem Untertitel: For young women interested in fashion, beauty and a contemporary lifestyle.

Auch die Männerwelt ist ebenso betroffen, wenn es um glamouröse Körper geht.

Prunkvolle, elegante Selbstdarstellungen in der Öffentlichkeit und grandiose Events, deren Tendenz es ist, sich durch kolossale Shows, Wow-Effekte und Ausschluss-Mechanismen von Alltag und Durchschnitt abzuheben. Dabei verschränkt sich Emanzipation und Unterwerfung.

Glamour1-430

Glamour 1, Mischtechnik auf Leinwand, 2010, 100 x 80 cm; Nachweis: Galerie Das  Bilderhaus
Weiterlesen

20 Jahre städtisches Atelierhaus in der Frankfurter Ostparkstrasse

2010, Mai 7.

Von Erhard Metz

Es war ein gelungener Auftakt für das viertägige Atelierfest, das der Dezernent für Kultur und Wissenschaft, Professor Felix Semmelroth, gestern abend in den städtischen Ateliers in der Frankfurter Ostparkstrasse eröffnete. Es handelt sich um das erste von der Stadt Frankfurt am Main seinerzeit Frankfurter Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung gestellte Gebäude dieser Art. Was damals als ein Experiment begann, hat sich zwischenzeitlich zu einer wahren Erfolgsstory entwickelt. Heute arbeiten zwölf  Künstlerinnen und Künstler in den Bereichen Malerei, Grafik, Bildhauerei und Konzeptkunst in dem Haus.

L10050188-430

Zero Reiko Ishihara und Wilfried Fiebig begrüssen die zur Eröffnung erschienenen Gäste

 L10050344-430

Susanne Kujer, Felix Semmelroth, Zero Reiko Ishihara und Wilfried Fiebig

Das äusserlich unscheinbare Ateliergebäude birgt reiche Schätze, die es wert sind, gezeigt – und gekauft! – zu werden. Die Besucher können sich davon überzeugen, dass der Pfad zur Kunst nicht unbedingt über New York, London oder St. Petersburg führen muss, sondern dass unmittelbar in Frankfurt am Main Kunst von nationalem und internationalem Rang entsteht.

L1005040-430

Gisela Weber in ihrem Atelier

L1005008-550

Kristin Lohmann vor einer ihrer Arbeiten

L1005042-430d

Max Weinberg in seinem Atelier

L1005009-550

Zero Reiko Ishihara vor einigen ihrer Arbeiten; © VG Bild-Kunst, Bonn

Das Fest wird von einem reichhaltigen kulturellen Rahmenprogramm begleitet. Am Eröffnungsabend zeigte Anna Rodrígues eine afrokubanische Tanzperformance. Am Freitag, 7. Mai 2010 wird um 20 Uhr eine Performance von Sofia Greff zu sehen sein. Am Samstag, 8. Mai, 19 Uhr spielen Mitglieder der „Jungen Sinfoniker“ Kammermusik, und am Sonntag, 9. Mai, 17 Uhr erklingt „Sancho Callao – música latinoamericana“ mit Bara Mbacké und Jorge Galbassini.

Das Atelierhaus ist am 7. Mai ab 18 Uhr, am Samstag, 8. Mai ab 16 Uhr und am Sonntag, 9. Mai, ab 14 Uhr geöffnet. Die Künstlerinnen und Künstler freuen sich auf einen regen Besuch und stehen gern zu Geprächen über ihre Arbeiten zur Verfügung.

Abgebildete Arbeiten soweit nicht anders bezeichnet © jeweilige Künstler; Fotos: Erhard Metz

Die Deutschen lieben Griechenland. Aber klar doch!

2010, Mai 6.

oder: Wie wieder einmal das uralte Prinzip funktioniert „Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“

Für den Fall, dass es jemand nicht verstehen sollte, im Klartext: Verluste trägt stets der Steuerzahler. Was ist das für ein wundersames Wesen, fragen Sie? Na ja, wir denken mal ganz simpel in unserem schlichten Gemüt, beispielsweise wir alle und auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, zugleich in Ihrer begrüssenswerten Eigenschaft als Wählerinnen und Wähler (auch wenn es in diesem Jahr nur um die schöne Politik im wunderschönen Nordrhein-Westfalen geht).

Akropolis-430

Zwar kommt zuerst Spaniens „Malle“, dann Bella Italia, aber auch das schöne Hellas, die Wiege dessen, was man im vergangenen Jahrhundert einmal das christliche Abendland nannte, steht bei den Deutschen hoch im Kurs. Apropos Kurs: da wären wir schon gleich wieder in der hässlichen Welt der Finanzwirtschaft und der internationalen Finanzspekulation angekommen, in der sich so viele dumm und dämlich verdienen. Übrigens – und zwar gerade – auch die Banken. Weiterlesen

Christoph Schlingensief Künstler im Deutschen Pavillon der Biennale Venedig 2011

2010, Mai 3.

Von Erhard Metz

Beginnen wir mit einem Zitat: „… am Ende will ich sicher sein können, dass meine Arbeit einen sozialen Gedanken hat“ (Christoph Schlingensief).

Ein vielversprechender Auftakt. Mehr noch: ein grosser Coup. Und riesengross sind die Erwartungen: Susanne Gaensheimer, MMK-Direktorin und Biennale-Kommissarin 2011, berief Christoph Schlingensief, den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland im Deutschen Pavillon zur Biennale Arte 2011 in Venedig zu gestalten.

mmk_gaensheimer-360

MMK-Direktorin und Kommissarin der Biennale Venedig 2011 Susanne Gaensheimer (Foto: Maruricio Guillén)

„Ich habe in vielen Bereichen gearbeitet“, so Schlingensief in der Pressemeldung des MMK, „als Film-, Theater- und Opernregisseur, Produzent, Alleinunterhalter, Mensch, auch als kranker Mensch und Christ, auch als Politiker und Performer, und ich habe mich auch immer für Künstler interessiert, die die Kunst fast zwanghaft betrieben haben, darin auch nicht unbedingt eine Unterscheidung zum Zwang des Leben-Müssens oder -Wollens gesehen haben … Ich muss zwischen der Musik und dem Bild, den Menschen und der Sprache, dem Gesunden und Kranken, dem Lustigen und Traurigen immer die Chance haben, auch das Gegenteil zu behaupten. An die Eindeutigkeit der Welt glaube ich nicht. Die Aufgabe, den Deutschen Pavillon, einen verdächtigen Repräsentationsbau, nicht für repräsentative Zwecke, sondern für künstlerische Zwecke zu benutzen, ist da genau das Richtige: eine schwere Last, aber Kunst macht leicht, was sonst schwer ist …“ Weiterlesen