„Schreiben ist Glück“ – Eine Mirjam Pressler gewidmete Ausstellung im Jüdischen Museum
Dem Glück einen Stuhl hinstellen
von Christian Weise
„Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen“, begrüßt Besucher ab dem 19. April im Jüdischen Museum Frankfurt eine Ausstellung, die der Kinderbuchautorin und Übersetzerin Mirjam Pressler (1940–2019) gewidmet ist.
Ein Stuhl für das Glück, Ausstellungsansicht von Christian Weise
Einen Zugang zur wunderbaren Begegnung mit Mirjam Pressler könnte das Bild der Katze sein. Sollen Katzen doch sieben Leben haben. Ähnlich könnte man das spannende Leben der Autorin in sieben Phasen einteilen. Sieben Themenbereiche sind es auch, nach denen die Ausstellung dann organisiert ist.
Foto in der Ausstellung: Mirjam Pressler mit Katze
Über die ersten Lebensphasen voller Schwierigkeiten mochte Mirjam Pressler, geboren als Marianne Gunkel in Darmstadt-Eberstadt, nicht viel erzählen. Wer fragt bei Katzen schon nach ihrer Herkunft?! Presslers eindrucksvolles Motto war: „Nimm deine Kindheit und lauf!“
Uri Orlevs, „Lauf, Junge, lauf“. übersetzte Pressler 2002
Die ersten wichtigeren Stationen in ihrem Leben waren, die Schule an der Bergstraße abbrechend, ein Aufbruch nach Frankfurt, wo sie ein Studium an der Städel-Schule aufnahm, später der Wechsel nach München, wo sie den Fotografen Jehuda Pressler kennenlernte und den sie nach ihrer Konvertierung zum Judentum heiratete. Hatte er die selbstbewusste junge Frau mit Kinngrübchen als Motiv entdeckt? Mit ihm bekam sie drei Töchter, unternahm allein eine Erkundungsreise durch Israel und die Kibbuzim. Nach ihrer Scheidung betrieb sie in München eine Reihe von Jahren einen Jeansladen.
Mitmachstation „In welchem Land würdest du gern ein Jahr leben?“, Foto: Christian Weise
Die Stationen, die Mirjam Pressler bekannt machten, waren die von ihr veröffentlichten zahlreichen Kinderbücher und Übersetzungen.
Anlass für die Ausstellung war, dass das Jüdische Museum Frankfurt seit 2021 einen Teilnachlass Mirjam Presslers aufbewahrt, darunter auch Material rund um Anne Frank, mit deren Familie sie freundschaftliche Kontakte unterhielt.
„Nimm deine Kindheit und lauf!“ Mirjam Pressler lief und lief und lief. Ab 1979 veröffentlichte sie endlich Kinderbücher. Dem Jeansladen war gekündigt worden. Welch Glück! Nach Presslers erstem Kinderbuch, „Bitterschokolade“, das sogleich ausgezeichnet wurde, folgte bald „Novemberkatzen“. In der Ausstellung findet sich auch ein selbstentworfenes Katzenbuch, außerdem Katzenzeichnungen. Welches Mädchen mag sich nicht hiermit identifizieren?
Das ausgestellte selbstentworfene Katzenbuch
Die von Dr. Franziska Krah kuratierte Ausstellung, die sich besonders an Jugendliche richtet und diese anregen will, ebenfalls zu schreiben und zu „laufen“, gliedert sich in sieben Wirkungswelten, die ansprechend als Träume charakterisiert werden, als Träume, die Mirjam Pressler in Wirklichkeit umsetzte: Traum vom Schreiben; Traum von Anne Frank; Traum von Israel; Traum vom Judentum; Traum vom Malen; Traum von der Mutterschaft; Traum vom Übersetzen. Einer dieser Träume, einmal Künstlerin zu werden, verschwand lange Zeit im Keller und wurde nun in der Ausstellung wieder hervorgeholt. So wollen die Träume Mirjam Presslers allesamt anregen, eigene Träume zu träumen und umzusetzen.
Um die Besucherinnen und Besucher anzustiften, ist die Ausstellung durchsetzt mit verschiedenen Mitmachstationen: „In welchem Land würdest du gern ein Jahr leben?“, „Wie forderst du das Glück zum Bleiben auf?“ Als Impuls gibt es für die Einfallslosen sogar eine Schale mit Glückskeksen.
Hier kann sich jede(r) einbringen:„Wie forderst du das Glück zum Bleiben auf?“
Die Frage der Mitmachstation „Ist das ‚Tagebuch der Anne Frank‘ für dich eher ein Zeitdokument oder ein literarisches Werk?“ muss man nachprüfen, regt zur Lektüre an.
„Welche Worte sollten wir in jeder Sprache kennen?“ ist sicher nicht nur mit dem Begriff „Buch“ beantwortet, der als erste Anregung auf der Wand notiert ist.
Zusätzlich hängen neben den Mitmachstationen Postkarten, die zur Kontaktaufnahme anregen möchten.
Worauf die Beschreibung der Ausstellungsmacher mit dem Wort „Traum“ schon hinweist: Es waren Lebenserfahrungen im umfassenden Sinne, die Mirjam Presslers Bücher so anziehend und erfolgreich machten. Wie das Buch von Anne Frank schildert Mirjam Pressler schwierige Phasen des jugendlichen Lebens, Brüche, erste Lieben, Probleme mit Eltern, Katastrophen. Sie will Lebensmut vermitteln: „Nimm deine Kindheit und lauf, eine andre kriegst du nicht.“
Mirjam Presslers Bücher verleihen den Lesern Sprache, sie trifft den richtigen Ton, was auch später über ihre Übersetzungen gesagt wurde.
Zentrale Sätze wie „Wer nicht redet, erstickt“ durchziehen die Ausstellung
Für eine Kinderbuchautorin passend, die in der Kindheit eher sprachlos war, sich nur in Büchern Sprache lieh, bietet die Ausstellung mehrfach Ecken des Rückzugs zum Lesen. Darüber hinaus können Schulklassen und Horteinrichtungen sich sogar „Bücherkisten ‚Mirjam Pressler‘“ ausleihen.
In der Lesecke kann man sich in die Bücher vertiefen, Foto: Christian Weise
Mirjam Pressler wandte sich zweimal intensiver dem Judentum zu, weshalb die Ausstellung auch einen angemessenen Platz im Jüdischen Museum hat: Als knapp Zwanzigjährige besuchte sie Kibbuzim in Israel, und konvertierte vor ihrer Heirat, entsprechend eingewiesen, zum Judentum. Zwei Jahrzehnte später wurde sie beauftragt, das Tagebuch der Anne Frank neu und vollständig zu übersetzen. Angeregt von dieser Beschäftigung bereitete sie dem Schicksalsgott „Kairos“ erneut den Stuhl, schrieb eine Biografie der Familie Frank und unternahm neue, perspektivenwechselnde Relektüren von Themen und Figuren, die einst Klassiker der Weltliteratur beschrieben wie: Golem, Shylock… Außerdem übersetzte sie israelische Autorinnen und Autoren. Religiös war Mirjam Pressler indes nicht, allenfalls „buchreligiös“.
Der Übersetzerin ist auch ein Teil der Schau gewidmet, Foto: Christian Weise
In den 40 Jahren nach ihrem 39. Geburtstag verfasste Mirjam Pressler rund 40 Bücher und übersetzte ganze 350 Bücher, u.a. von Amos Oz. Viele von ihnen schlug sie selbst den deutschen Verlagen vor.
Ihr letztes Buch schrieb sie auf der Intensivstation, nicht ohne damit auch etwas selbstironisch auf Anne Frank anzuspielen: „Ich bin’s, Kitty. Aus dem Leben einer Katze“.
Gewissermaßen ihr Vermächtnis: „Ich bin’s, Kitty“, Foto: Christian Weise
Am Eingang sehen Besucher die junge Mirjam Pressler, die ihnen frech die Zunge rausstreckt. Das Foto gibt gegen alle widrigen Erfahrungen des Kindseins perfekt wieder, wie der Titel der Ausstellung lautet „Schreiben ist Glück“.
Am Eingang der Ausstellung, Foto: Christian Weise
PS: In meinem Glückskeks fand ich den Spruch Mirjam Presslers: „Selbst im Garten Eden wäre es nicht gut, allein zu sein“. Diese Überschrift des 9. Kapitels von ihrem Buch „Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen“, die an chassidische Sprüche erinnern könnte, lese ich so: „… im Garten Eden auf einem Stuhl, im Schoß bittere Schokolade, eine Novemberkatze und ein Buch, ein Buch Mirjam Presslers.“
Die partizipative Ausstellung Mirjam Pressler: Schreiben ist Glück“ läuft vom 19.4. – 1.9.2024 im Jüdischen Museum Frankfurt, https://www.juedischesmuseum.de/besuch/ausstellungen/detail/mirjam-pressler/
Viele Bücher Mirjam Presslers sind im Verlag Beltz & Gelberg in Weinheim gerade in der Gegend also, wo sie ihre Jugend verbracht hat, zu wohlfeilem Preis erschienen.
Ein sehr schönes Interview mit Mirjam Pressler sendete einst der Deutschlandfunk:
https://www.deutschlandfunk.de/zum-tod-von-mirjam-pressler-wenn-das-glueck-kommt-muss-man-100.html