Von Erhard Metz
Wir holen etwas weiter aus: Nach Einführung der Videotechnik, insbesondere seit der Digitalisierung und Miniaturisierung und damit der Allverfügbarkeit entsprechender Geräte wurde es nahezu jedermann möglich, sein eigener Autor, Regisseur, Kameramann und Produzent zu sein, das neue Medium erfuhr eine flächendeckende „Demokratisierung“. Bereits Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre hatte die Entwicklung der Videokunst zu einer eigenständigen Kunstgattung begonnen. Die documenta 11 im Sommer 2002 in Kassel war bereits massgebend von Videokunst geprägt (SPIEGEL ONLINE kritisierte damals allerdings noch: „stetigem Video-Geflimmere“). Seit langem bietet die Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach den Studiengang Visuelle Kommunikation mit entsprechenden Lehrinhalten an, und die Städelschule in Frankfurt unterhält eine Professur „Film“, die selbstverständlich auch den Bereich Video umfasst und die derzeit der bekannte Film- und Videokünstler Douglas Gordon mit der „Filmküche“ innehat.
Videokunst – ein heute vielleicht schon eher bereits veralteter Begriff – wird, neben der Digitalen Kunst, der Computer- oder elektronischen Kunst, vielfach als Teil einer „Medienkunst“ verstanden. Die Entwicklung ist dynamisch – man spricht bereits von Netzkunst, Softwarekunst oder Game Art und manch anderem mehr. Die Übergänge von einer Gattung zur anderen sind ebenso fliessend wie die Übergänge zwischen Videokunst und Filmkunst – gerade manche Arbeiten von Douglas Gordon gelten hierfür als Beispiele.
Zur Videokunst gehören zum einen die vielfach dokumentierenden Charakter tragende Video-Performance, bei der sich mitunter der Künstler selbst – auch ganz unmittelbar körperlich – in den Mittelpunkt der Arbeit stellt bzw. sich zu ihrem Gegenstand macht, zum anderen die Video-Installation und auch die „Video-Skulptur“, die oft einen ortsspezifischen Ansatz verfolgen und die sich medienübergreifend mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen verbinden können. Mitunter ist auch der das Kunstwerk bildende künstlerische Prozess selbst Gegenstand des Werkes. Meist handelt es sich dabei um mehr oder weniger ausgeprägt konzeptuelle Arbeiten.
Die Videokunst erweist sich für den Künstler als ein komplexes wie schwieriges Terrain: In einer von ständigen Beschleunigungsprozessen geprägten Gesellschaft (jene Prozesse erfahren übrigens gerade auch in der Videokunst Widerhall und Reflexion) fordert sie vom Betrachter Geduld: Kann der an das häusliche Fernseh-Zapping Gewohnte („Fernseh-Zapper“ bleiben im Durchschnitt nur rund zwei Minuten ununterbrochen bei einem Programm, selbst „Fernseh-Verweiler“ noch nicht einmal eine Viertelstunde¹) an einem Bild, an einer Skulptur, an einer Installation nach einem ersten Blick rasch vorübergehen, nötigt ihn ein Video zum Bleiben. Man muss sich eine Videoarbeit schon einmal in voller Länge ansehen, auch wenn manche Videos als Loop geschaffen sind, also zeitlich unabhängiger angesehen werden können, und manch andere wiederum – auch nach der Intention des Künstlers selbst – zunächst kein vollständiges Betrachten der gesamten Sequenz erfordern.
Schwierig schliesslich bleibt das künstlerische End-Produkt als solches – und auch seine Verkäuflichkeit: in Gestalt eines heute ausschliesslich digitalen Datenträgers (auch dessen Haltbarkeit ist jedoch zeitlich begrenzt), signiert und vielleicht im Rahmen einer Künstleredition präsentiert. Als Käufer von Produkten der Videokunst kommen primär Museen und spezielle Sammler in Betracht. Videokünstler sehen zu Recht davon ab, ihre Werke allgemein zugänglich ins Internet zu stellen. Videokunst kann jedoch nicht an die Wand gehängt oder auf einer Vitrine platziert werden, versagt sich also generell einem traditionellen „bürgerlichen“ Akzeptanz-, Rezeptions- und Konsumverhalten.
Heute stellen wir eine Künstlerin vor, die sich derzeit im Schwerpunkt der Videokunst widmet, aber auch in der Malerei bereits erfolgreich unterwegs war (unter anderem im Frühsommer 2011 in der Ausstellung „Datumsgrenze“ im Frankfurter 1822-Forum, die ein Katalog dokumentiert) und die sich nicht auf eine Kunstgattung festlegen will: Margarethe Kollmer.
Die Künstlerin, die bereits über einen Diplom-Abschluss Visuelle Kommunikation an der HfG Offenbach verfügt (Studiengänge Kunst und Medien, Professoren Heiner Blum und Alex Oppermann), verliess vor wenigen Tagen zum Semesterschluss als Absolventin der Filmklasse des bereits vielfach erwähnten Professor Douglas Gordon – und als dessen Meisterschülerin – die Städelschule. Wir werden ihr im Sommer im Rahmen der Absolventenausstellung 2014 gewiss wiederbegegnen.
Noch keine Videokunst und gut an eine Wand zu hängen: „I think it is fair if you clap at least as long as it took me to perform this“, Installation, Tintenstrahldruck, 2012; Foto: © Margarethe Kollmer Weiterlesen