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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Tanzabende in Köln und Bonn: Donnerschläge in Köln. Träumer in Bonn

Eine Welt im Dunkeln

Botis Sevas Mama / Until We Sleep bei tanz.köln am Schauspiel Köln

von Simone Hamm

Kaum zu erkennende Gestalten im nebeligen Dunkel vor leuchtenden Leuchtstoffröhren, die schräg in die Bühne hereinragen. Sieben zottelige Wesen. Ein Pfeifen ist zu hören, das zu Vogelzwitschern wird. So beginnt Botis Sevas „Mama / Until We Sleep“. Botis Seva und seine siebenköpfige Tanztruppe „Far From Norm“ wollen tief eintauchen in die Geschichte des Kolonialismus und des Postkolonialismus.

Mama /Until We SleepBotis Seva / Far from the Norm,Foto: Tom Visser

„Far from Norm“ wird europaweit gefeiert für seine Fusion aus HipHop, modernem und afrikanischem Tanz. In seiner neuen Choreografie geht Botis Seva nach Afrika.Er will die Geschichte einer afrikanischen Stammmesmutter, ihrer Gruppe, ihrer Kinder und Ahnen erzählen. Eine Frau auf der Suche nach Glaube und Hoffnung.

Sevas Tanzstil ist eine Mischung aus Krump, dem energiegeladenen urban dance aus Los Angelos, bei dem nicht nur Füße und Beine, sondern auch Arme, Brust und Schultern in unaufhaltsamer Bewegung sind, und das gepaart mit afrikanischen Elementen. Die Tänzer stampfen auf, gehen tief in den Boden, bilden einen Kreis.

Es sind aggressive Tänzer im Schatten, deren Gesichter nicht zu erkennen sind. Sie rasen über die dunkle leere Bühne (Bühne: Matter Design), werden kurz zu einer Einheit, springen nach hinten, kriechen auf allen vieren, verstreuen sich wieder. Sie kämpfen miteinander. Drehen sich schwebend. Machen feste, zügige Schritte. Schütteln ihre Dreads. Hände schnellen zwischen den Lichtröhren hervor (Lichtdesign: Tom Visser). Donnerschläge sind zu hören. Schüsse. Zischen, Rhythmische Musik (Komposition: Torben Sylvest). Ein Drache fällt über die Stammesfürstin her (einfach großartig: Victoria Shulungu), beißt ihr in den Hals, saugt ihr das Blut aus. Ein Jäger mit einem Gewehr kommt hervor, schießt,auf sie, zielt ins Publikum. Es ist eine unglaubliche Dynamik auf der Bühne.

Doch so ganz ist die Geschichte dieser Frau nicht zu verstehen. Es gibt einzelne große Momente, starke Szenen. Eine Erzählung ist es nicht.

Botis Seva komponiert wunderbare Bilder, die leider allzuoft im Finsteren bleiben und die manchmal hart am Kitsch vorbeischrammen, etwa, wenn der Jäger erscheint. Auch die vielen pseudoreligiösen Momente wirken wenig überzeugend: Ein gefiedertes Wesen, eine Maske, eine Gottheit, zu der sich die Tänzer wenden. Ein Geist, vielleicht ein Ahne, der die Frau beschützen soll.

Die Tänzer bleiben unter sich, das Publikum ist außen vor. Haben wir den Traum einer großen afrikanischen Frau gesehen? Oder ihre Lebenswirklichkeit? Das bleibt ebenso im Dunklen wie die Bühne.

Am Ende steht die suchende Frau allein auf der Bühne vor den Lichtröhren, durch die jetzt Punkte sausen. Dann geht auch sie. Hoffnung will nicht aufkommen. Keiner der Tänzer kommt hervor, um den Schlussapplaus zu genießen.

Aterballetto © Christophe Bernard

Düsteres, Leichtes und Schönes. Aterballetto an der Oper Bonn

Aterballetto, die Fondazione della Danza aus der Reggio Emilia ist die profilierteste italienische Tanzkompanie. Jetzt ist sie wieder an den Rhein gekommen – im Rahmen der „Highlights des internationalen Tanzes“ an der Oper Bonn.„Dreamers“ habt sie ihren Abend betitelt.

„Secus“ von Ohad Naharin bildete den Auftakt. Tänzer, die zunächst in drei Reihen hintereinander gestanden haben, kreuzen sich am Bühnenrand, zeigen ihre Handrücken und ballen die Fäuste, schlagen sich an die Stirn. Sie wirken wütend, ja verzweifelt, werden aggressiver. Dann umarmen sie sich. Aus dem Kampf ist Versöhnung geworden.

In der schönsten  Passage  tanzen die Tänzer zu einem indischen Popsong. Sie stehen hintereinander, kommen einer nach dem anderen nach vorn, breiten die Arme aus, stürmen über die Bühne. Endgültig haben Lachen, Frohsinn, ja Liebe über Verzweiflung und Kampf gesiegt.

Choreograf Philippe Kratz  wurde für sein Werk „O“ von zwei humanoiden Robotern inspiriert,  die 2017 in Hongkong vorgestellt wurden. Sie kommunizierten und interagierten miteinander. Es war eine Art feierlicher Tanz der Roboter. Eine Zukunft, in der menschliches Können an anorganisches Material weitergegeben wird, schien möglich, lange vor KI.

Es war ein langer Prozess, dieses rhythmische Stück auf die Bühne zu bringen. Fünf Monate probten die beiden Tänzer mit Kratz, filmten sich, bauten das Stück auf, demontierten es, bauten es wieder auf.

Herausgekommen ist etwas Einzigartiges: immer wieder neue Schritte, immer wieder neue Formationen zu einer gleichförmigen, monotonen und doch spannenden, vibrierenden Musik hypnotisieren die Zuschauer. Sind es Menschen, die wie Roboter tanzen? Sind  Roboter in Menschenhaut geschlüpft? Doch diese Gefühle, dieses Drängen können nur Menschen zeigen. Noch. Philosophische Fragen werden gestellt. Das  Pas de deux „O“ ist ein kleines Meisterwerk.

Eine kompositorisch und musikalische Riesenherausforderung ist Johan Ingers „Bliss“. Bliss heißt Segen und so stellt ihn sich Inger vor: Er vertanzt Keith Jahres berühmtes Köln Konzert. „Bliss“ beginnt mit dem Duo zweier Männer. Dann zwei Paare. Mehr und mehr Tänzer kommen hinzu. Inger geht ganz auf den Rhythmus des Klavierkonzertes. Die Tänzer machen unglaublich schnelle, kleine Schritte, überqueren barfuß rasch die gesamte Fläche der Bühne. Sie bilden kleine Gruppen, ja Schwärme. Sie wirken wie sehnsuchtsvolle Vögel, dann wieder wie verliebte Paare. Es scheint, als berühren sie den Boden kaum. Ein fröhliches Stück, dass die harte Arbeit der Tänzer so unglaublich leicht aussehen läßt.

So sollte es sein bei Aterballetto: Das Düstere, die Zukunft mit Robotern zeigen und auf wunderbare Art transformierten in Leichtigkeit und Schönheit.

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