Die einflussreichen Gelehrten
Von Renate Feyerbacher
Im Anschluß an die erste Folge „Die Gründungsväter der Universität Frankfurt und ihre Mitbegründer und Stifter“ folgt ein Blick auf einige einflussreiche Gelehrte an der Hochschule.
Die einflussreichen Gelehrten
Eine aussergewöhnliche Persönlichkeit war Franz Oppenheimer (1864-1943). Der assimilierte Jude, der auch anfangs mit Hitler sympathisierte, verliess 1938 Deutschland. Er, der sich in der deutschen Kultur verwurzelt fühlte, bekannte sich zeitlebens zu ihr, kehrte aber zu Lebzeiten nicht mehr zurück und wurde – testamentarisch verfügt – 2007 auf dem Sachsenhäuser Friedhof neben seiner zweiten Frau begraben.
Oppenheimer studierte zunächst Medizin, unter anderem bei Paul Ehrlich, der später in Frankfurt lehrte und dessen Dissertation betreute. Er hatte in seiner Praxis, die er nachher aufgab, die Not der Menschen kennengelernt. Er betätigte sich als Chefredakteur und Schriftsteller. Die Gedankenwelt des Sozialismus und der „Freiländer“-Bewegung erreichten ihn und wurden in seinem Leben bestimmend. Er gründete eigene landwirtschaftliche Siedlungsprojekte in Deutschland und in Palästina. Alle Gründungen scheiterten im Endeffekt. Kurz nach der Jahrhundertwende begegnete er Theodor Herzl, dem Begründer des politischen Zionismus, und beteiligte sich massgeblich an dieser Bewegung.
Danach folgten der philosophische Doktorgrad in Kiel, Promotion und Habilitation im Fachgebiet Volkswirtschaftslehre, Privatdozentur, dann Titularprofessur in Berlin, die ihn bis 1919 beschäftigten. Dann übernahm er die erste Professur für Soziologie an der Frankfurter Universität, die er zehn Jahre lang inne hatte.
Oppenheimer war kein Marxist. Er war überzeugt, mit seinem „liberalen Sozialismus“, der keine Wettbewerbsbeschränkung zuliess, einen Beitrag zur Lösung der sozialen Frage zu leisten. Mit seinen wirtschaftstheoretischen Ausführungen, seinem „Dritten Weg“, „der weder im Kapitalismus noch im Kommunismus enden sollte“, hatte er Erfolg. Dagegen waren die interdisziplinären Vorlesungen seiner „Frankfurter Schule“ bei den Studenten, zu denen der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, gehörte, sehr beliebt. Oppenheimers Bild schmückte Erhards Bonner Arbeitszimmer.
Einer, der auch nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, war der Quantenphysiker Otto Stern (1888-1969), der 1933 in die USA emigrierte und in Pittsburgh eine Forschungsprofessur erhielt. Nur einmal nach Kriegsende besuchte er aus privaten Gründen Ostberlin. Dennoch lebte er trotz der Emigration in der deutschen Kultur weiter, sprach Deutsch und schrieb in Deutsch. Zürich wurde für Monate im Jahr zur neuen Heimat.
Er ist einer der ganz Grossen seines Fachbereichs. Seine bahnbrechende Methode schuf die Voraussetzung, um den inneren Bauplan des Atoms zu entschlüsseln. Er war der erste, der einzelne Atome isolieren und daran Quanteneigenschaften messen konnte. Er wurde zum Wegbereiter der modernen Quantenphysik, dem es wie seinem Lehrer und Freund Albert Einstein allerdings schwerfiel, sie zu akzeptieren. Kernspintomographie, Maser und Laser, Atomuhr und anderes sind ohne Otto Sterns Forschungsergebnisse nicht denkbar.
Frankfurt war in den 1920er Jahren ein Zentrum der Physik von internationaler Bedeutung. Namhafte Wissenschaftler arbeiteten hier, unter ihnen Max von Laue, ab 1914 Professor für Theoretische Physik, der im gleichen Jahr den Nobelpreis erhielt. Es gelang ihm, Otto Stern als ersten Privatdozenten in der Physik nach Frankfurt zu holen. Nach kurzem Intermezzo liess dieser sich beurlauben, da er sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte. Laut Vorlesungsverzeichnis hielt er aber Vorlesungen. Öfters kam er auch nach Berlin, wo er Albert Einstein traf. Nach dem 1. Weltkrieg war er Privatdozent bei Max Born. Dieser, ebenfalls Nobelpreisträger, war schon bald dem Ruf nach Göttingen gefolgt, weil die Universität Frankfurt Otto Stern eine etatgesicherte Professur verweigerte. Born schrieb dem gemeinsamen Freund Einstein, der Dekan habe geäußert, „Stern hat einen entsetzlichen jüdischen Intellekt“. Einstein hatte dagegen eine „ausgezeichnete Meinung“ von ihm. Stern wechselte die Universität, wurde Professur in Rostock und folgte einem Ruf nach Hamburg. Hier forschte und lehrte er zehn Jahre, unterbrochen von einem Forschungssemester in Berkeley.
In seiner kurzen Frankfurter Zeit schrieb Otto Stern Physikgeschichte. Hier gelang ihm zusammen mit Walther Gerlach das Stern-Gerlach-Experiment – im Gebäude des Physikalischen Vereins in der Robert-Mayer Strasse. Dieses grundlegende Experiment, dessen Ergebnisse heute noch aktuell sind und diskutiert werden, hatte, wie noch zwei andere Experimente, Nobelpreisqualität. Den Nobelpreis erhielt er jedoch erst 1943, obwohl er mehrfach vorgeschlagen worden war. Mit dem Weggang Otto Sterns, dessen menschliche Qualitäten gewürdigt wurden, endeten Frankfurts physikalische Sternstunden.
Plakat mit Otto Stern; Foto: Renate Feyerbacher
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