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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für August, 2011

Biennale Arte Venedig 2011 (5): Christoph Schlingensief oder: der Gold-Pavillon

2011, August 31.

Einst waren wir Papst! Sind wir heute Biennale Venedig? Wir wissen es nicht, denn FeuilletonFrankfurt ist keine Bild-Zeitung, und das ist auch gut so!

GOLD für Deutschland, endlich einmal nicht in Form von Medaillen für Menschen in ekligbunter, mit Werbung der aufdringlichsten Art bedruckter Kunststoffkleidung, die ihre ach so kurze Lebenszeit in „Muckibuden“ vergeuden oder, schlimmer noch, mit Anabolika, Beta-2-Agonisten oder Cannabinoiden versüssen. Nein, GOLD für Deutschland heisst heuer:

GOLD für KUNST!

GOLD für den “besten nationalen Auftritt ‘Christoph Schlingensief’“ zur diesjährigen Biennale in Venedig, für den Deutschen Pavillon, für die Kuratorin („Kommissarin“) Susanne Gaensheimer, für – posthum – Christoph Schlingensief.

Susanne Gaensheimer und Aino Laberenz (Witwe Christoph Schlingensiefs, links) mit dem Goldenen Löwen

Wir gestehen – nicht weil wir wie die meisten Leute hinterher klüger sind als vorher -: den Deutschen Pavillon haben wir schon bei unserem ersten Besuch am Eröffnungstag mit „weichen Knien“ verlassen. Christoph Schlingensiefs künstlerische Arbeit ist für uns auf eine unerhört aktuelle Weise bedeutsam und relevant geworden. Weiterlesen

Andreas Scholl – weltberühmter Countertenor

2011, August 29.

Eine musikalische Rheingau-Reise

Text und Fotografien: Renate Feyerbacher

„Eine wunderbare Idee“ nannte Andreas Scholl die Veranstaltung am 16. Juli 2011, die das Rheingau Musik Festival ausgezeichnet organisiert hatte. Wunderbar deshalb, weil er den Menschen, seinem Publikum, nahe sein konnte wie im Kirchhof von Hallgarten und nicht – wie nach einem Konzert in den Kulturtempeln – Anzug und Krawatte auszieht und verschwindet.

Andreas Scholl im Kirchhof von Mariae Himmelfahrt Hallgarten / Oestrich-Winkel

Deshalb, weil er seine Heimat vorstellen durfte, in die er nach 20 Jahren Aufenthalt in Basel und weltweit zurückgekehrt war. Deshalb, weil er seine Lieblingsensembles und wohl auch seine Lieblingsmusikerin, die Lebensgefährtin Tamar Halperin, einladen konnte. Die israelische Cembalistin und Musikwissenschaftlerin, die über ihren favorisierten Komponisten Johann Sebastian Bach (1685 bis 1740) an der renommierten Juilliard School in New York promovierte, spielte Bachs Suiten beim ersten Halt in der Schiersteiner Christophoruskirche. Weiterlesen

Pisa von innen II (3)

2011, August 28.

von © Salias I.

Mittwoch, 4.5.11

Alles hat geklappt: wecken, wickeln, trösten, anziehen, tränken, das Baby Abschied nehmen lassen von der Mama, die heute so früh zur Arbeit muss; dann selber aufs Klo gehen, schnell frühstücken, das Baby befrieden, beruhigen, bändigen, nebenbei die Sachen packen, Jacke, Schuhe anziehen, dann hat es sich nochmal eingeschissen: alles wieder ausziehen, wickeln, wieder anziehen; und am schlimmsten: sein Gesicht mit Sonnencreme einschmieren, das will die KiTa bei Ankunft schon erledigt haben.
Nur das Essen hat nicht geklappt: das Baby wollte noch nichts. Um rechtzeitig in der KiTa zu sein, drücke ich ihm zwei Reiswaffeln in die Hände, die es auch festhält, aber leider nicht isst; so brechen wir auf, mag es unterwegs die Waffeln essen, die es weiter festhält.
Um 9 Uhr treffe ich mit dem Baby in der KiTa ein, gerade noch rechtzeitig (die Bringzeit endet um 9.00), aber gerade jetzt fängt es an, seine Reiswaffeln anzuknabbern. So ein Pech: rennt es nun mit der bröckelnden Reiswaffel ausgerechnet in die Arme von G, unserer strengsten Erzieherin!
G’s Rüffel war vorhersehbar: „Du weisst doch, dass die Kinder nichts zu essen mitbringen sollen!“
Ich gebe mein Vergehen zu Weiterlesen

Der Unmensch

2011, August 19.

Ein Kommentar
von Hans-Burkhardt Steck

Rechtsanwalt und Dipl.-Soziologe

Magnus Gäfgen ist ein scheusslicher Mensch. Keiner mag ihn leiden, und er tut mit Hingabe und kongenialer anwaltlicher Vertretung alles, damit das so bleibt.

Eigentlich ein richtiger Unmensch. Aber gibt es eigentlich Unmenschen? Urmenschen schon, aber Unmenschen? Und wenn es Unmenschen gibt, müsste es doch eigentlich auch Untermenschen geben …

Woran könnte man solche Herrschaften erkennen? Zum Beispiel daran, dass sie weniger Rechte als wir anständigen, braven und gerechten Bürger haben. Selbst dran schuld, an ihrem unmenschlichen Charakter.

In so einer anwaltlichen Praxis beobachtet man ein interessantes Phänomen: Weiterlesen

Reisen: Apulien

2011, August 17.

Apulien – Eine Bahnreise in den Stiefelstöckelabsatz

Text: © Juliane Adameit

Bitte einsteigen, die Fahrt geht ’gen Süden immer geradeaus.

Per Bahn führt der Weg ab Frankfurt am Main quer durch Bella Italia. Zunächst geht es mit Umsteigen über Basel oder Zürich über die Alpen durch die Schweiz. Die Durchreise dauert nicht lange. In Eile, aber mit Weile fährt der Zug bei Chiasso dann schliesslich nach Italien ein. Zuerst kommt Como, dann aber gleich Mailand, die italienische Partnerstadt von Frankfurt. Nach den grünen Weiden, der Alpenidylle und den vielen Seen entlang der Zugstrecke durch die Schweiz ist man nun wieder mitten in der Stadt. Der erst kürzlich umfassend renovierte Bahnhof von Mailand erwartet den Reisenden geschäftig, umtriebig und hastig. Viele Menschen rennen noch dem Zug hinterher oder man trifft sich rasch auf einen Kaffee in der Bar. Am Kiosk wird noch schnell eine Zeitung mitgenommen. Dann geht es aber auch schon weiter. Die Verbindungen sind für die Reisenden ab Mailand in andere italienische Städte und Regionen sehr gut, weshalb die Weiterfahrt per Bahn wirklich empfehlenswert ist. Noch viel mehr lässt sich sagen: nichts scheint nach den vielen Erfahrungen auf Reisen durch Italien besser zu sein als der Zug. Trenitalia ist ein perfekter Partner für die Touren durch das Stiefelland. So fährt der italienische Eurostar-Zug klimatisiert in etwa neun Stunden von Mailand direkt bis nach Lecce. Am besten fährt es sich in der Nebensaison, wenn nicht viele Reisende unterwegs sind. Die Monate Juli und August sollte man meiden – wenn man es kann. Denn so ist es im Zug bequemer, gemütlicher und ruhiger. Aber nicht nur das, auch vor Ort in Apulien ist es dann ebenfalls gemütlich, ruhig und idyllisch.

Die Reise geht der Länge nach durch Italien, vorbei an Bologna, Ancona und dann immer weiter nach Foggia, Barletta, Bari, Brindisi bis nach Lecce. Überall kann man aussteigen und einen Kurzbesuch machen. Ab Ancona geht der Blick durchs Zugfenster immer auf die Adria, denn der Zug fährt auf der Strecke bis nach Lecce etwa fünf bis sechs Stunden immer am Meer und vor allem am Sandstrand entlang. Bei Sonnenschein schillert hier die Adria in allen Türkistönen. Atemberaubend ist es, das Farbspiel zwischen Meer und Himmel aus dem Zugfenster zu beobachten. Es lässt einen nicht mehr los. Es geht durch Tunnel, an den Trabucchi (traditionelle, ins Meer gebaute Fischerhäuschen aus Holz) vorbei, bis links vom Zug die ersten Hügel des Gargano sichtbar werden. Apulien ist erreicht.

Foto: © Caroli Hotels, Caroli House & Boat

Foggia ist der erste Halt in Apulien Weiterlesen

Pisa von innen II (2)

2011, August 15.

von © Salias I.

Montag, 2.5.11

Der Morgen schält sich aus der halb schlafend, halb wach durchlebten Nacht heraus, das zahnende Baby bringt mich dahin, das Tagesgrauen als eine Erlösung aufzufassen, aus der plärrenden, hin und her wälzenden Unrast des Seins die Ruhe zu suchen im Gewohnten und Berechenbaren des Berufsalltags.
Die Bahn ist pünktlich, mein Schlafplatz unbehelligt, ich schmiege mein Ohr an die Kopfstütze der gepolsterten Bank, tauche für zwanzig Minuten in tiefen Schlummer.
Kraftlos dem Zug entstiegen, lasse ich mich bergab rollen, da mein Unterricht in unserer Aussenstelle „Talsohle“ beginnt – eine geographische Ortsbezeichnung und zugleich eine Metapher, die so halb auf unsere Bildungspolitik zutrifft Weiterlesen

„Geile Welt“ – „heile Welt“? Sandra Mann in der Frankfurter Oberfinanzdirektion

2011, August 13.

Von Erhard Metz

Wer als Künstlerin oder Künstler zur Eröffnung einer Ausstellung den stets umtriebigen ehemaligen MMK-Direktor Jean-Christophe Ammann ordert, muss sich auf manches gefasst machen, neben willkommenen Streicheleinheiten beispielsweise auch auf kritische Worte. So geschah es Sandra Mann zur Eröffnung ihrer Foto-Ausstellung „Geile Welt“ in der Frankfurter Oberfinanzdirektion. Nein, die Texte, die die Künstlerin neben ihren Fotografien drapiert, hielt er nicht unbedingt für ratsam oder gar notwendig. Vielmehr solle sich Sandra Mann, so riet der Kunstprofessor, auf die Bildsprache ihrer Arbeiten verlassen, denen er, vollkommen zu Recht, eine eindrucksvolle Präsenz und hohe Qualität bescheinigte.

„Geile Welt“ reimt sich irgendwie auf „heile Welt“, so dachten wir, als wir uns auf den Weg zur Ausstellung machten  – schön wäre es, wenn wir es bei diesem Wortspiel belassen könnten. Dem aber ist nicht so, denn Sandra Manns Welt ist mindestens so unheil wie vielleicht eben gerade noch heil. Aber sehen Sie selbst, liebe Leserinnen und Leser:

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Biennale Arte Venedig 2011 (4): Sigalit Landau bespielt den Israelischen Pavillon

2011, August 10.

„Die israelische Künstlerin Sigalit Landau zoomt sich direkt hinein in das Grauen des Alltags, versteht sich als Archäologin verdeckter, verschütteter Gefühle.“ Wir zitieren heute aus der „taz“.

Und wo wir gerade dabei sind, zitieren wir auch die Künstlerin selbst: „Man versucht, dem Schmerz zu entrinnen, indem man noch mehr Schmerz produziert.“

Die bereits international bekannte, in Jerusalem geborene  Sigalit Landau bespielt mit Installationen und Videos den Israelischen Pavillon zur 54. Biennale Arte in Venedig. „One man’s floor is another man’s feelings“ lautet beziehungsreich der Titel ihrer Arbeit. „Durchaus studiert mit heissem Bemühn“ haben wir den „Überbau“ in Gestalt einer 18seitigen Pressemeldung, eines sogenannten Flyers und natürlich des Beitrags im Ausstellungskatalog, der die Präsentation als ein Sprungbrett für die doch bereits arrivierte Künstlerin apostrophiert. Wasser, Salz und Erde sind die metaphorisch aufgeladenen Elemente, von denen sie handelt.

Hier aber nun eine „Basis“-Betrachtung, unser eigener Eindruck also ohne vorheriges Studium aller Schriftlichkeiten:

Das Wasser

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Pisa von innen II (1)

2011, August 9.

von © Salias I.

Vorwort des Herausgebers: Als wir vor ziemlich genau einem Jahr – zum Beginn des neuen Schuljahrs – die erste Folge einer Schulerzählung „Pisa von innen“ publizierten, betraten wir – nicht nur als Nichtpädagoge – Neuland. Nach der abschliessenden 23. Folge hatten wir mit der Erzählung ein interessiertes grösseres Publikum erreicht. Nun hat der uns persönlich bekannte Autor – der als in Hessen tätiger Studienrat authentisch, aus verständlichen Gründen jedoch unter Pseudonym schreibt – eine in fünf Kapitel gegliederte Folgeerzählung verfasst, die wir, wiederum zum Beginn eines Schuljahrs, das Licht der Welt erblicken lassen. Ein jeder möge sich sein eigenes Urteil über den Zustand der hessischen Berufsschulpolitik und die damit einhergehenden absehbaren Folgen für unsere Gesellschaft bilden. Und damit überlassen wir Salias I. erneut das Wort.

Im April 11

Die Osterferien beginnen mit steigender Temperatur: Freitag, Abend, es sind 38,0° C Fieber. Brav durchgehalten im Dienst, bis zum letzten Schultag. Ich weiss, woher das Fieber kommt: Es ist Psycho – die Entscheidungs-Krise.

Warum, ich wollte ans Gymnasium wechseln, stellte einen Versetzungsantrag, mit der Begründung, dass ich nicht mehr so weit pendeln will. Von meiner Schule wurde ich freigegeben. Und ein humanistisches Gymnasium, nennen wir es Humboldt-Gymnasium, hat Bedarf in meinen Fächern, keine fünf Fahrradminuten von meiner Wohnung entfernt! Aber will ich wirklich dorthin?

Um die mir fremde Schulform kennenzulernen, hospitierte ich in verschiedenen Jahrgangsstufen des Humboldt-Gymnasiums:

Klasse 5 – das waren so viele kleine Wesen, süss und aufgeweckt, standen bei ihrer altehrwürdigen Lehrerin an, um für ihre schön geschriebene Hausaufgabe einen farbigen Stempelabdruck ins Heft zu bekommen. Kein Problem, neunzig Minuten lang aufzupassen, sie ermahnten sich gegenseitig schon bei Kleinigkeiten, über die ich hinwegsehen würde.

Klasse 7, die als schwierig gilt: Was habe ich da Böses gesehen? Manche Schülerinnen langweilten sich: eine schaute still aus dem Fenster Weiterlesen

Der Frankfurter „Jedermann“

2011, August 6.

Geld, Gier, Glamour –
der Frankfurter „Jedermann“ in der Naxos Halle – Theater Willy Praml

Text: Renate Feyerbacher

Sie rennen, stolzieren, schlenkern ihre Business-Köfferchen mit Akten und Geld, schiessen, tanzen zu poppiger Musik – es sind die Gäste, die in grosser Abendrobe Jedermanns Einladung gefolgt sind. So wird das Publikum, während es in die ausverkaufte Halle strömt, eingestimmt.

Dann geht die Party genauso hüpfend, tanzend, stolzierend und springend weiter mit dem Prolog: „Ladies and Gentlemen. Wir spielen heute ein altes Stück. Es heißt „Everyman“. The leading part is everyman. That means: everyone, you and I and all of us“. Mit diesen Worten hat Max Reinhardt, österreichischer Theaterregisseur, Intendant und Theatergründer, der 1937 das deutschsprachige Theatergeschehen verlassen musste, 1940 in Hollywood eine Werkstattaufführung des „Jedermann“ eingeleitet. Zusammen mit dem österreichischen Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, der die alte Legende deutschsprachig wiederbelebte, hatte er bereits 1911 „Jedermann“, „das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ im Berliner Zirkus Schumann uraufgeführt. Weiterlesen