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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für August, 2010

Pisa von innen (5)

2010, August 31.

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Pisa von innen
Eine authentische Erzählung

von © Salias I.

Erster Teil (5)

Mittagspause 13.00-13.30

Ich eile, eile um das ganze Experimentierzeug wegzuräumen, ein Schüler hilft dabei, um 13.10 komme ich herunter, und bis ich mir das immergleiche Brot mit Erdnussbutter geschmiert habe und neben mampfenden Kollegen im Lehrerzimmer sitze, ist von der Mittagspause nur noch eine Viertelstunde übrig.
Meine Schnitte ist öde, aber ich hatte keine Zeit, etwas anderes zu besorgen. Nicht öde ist der Smalltalk mit dem Kollegen R: dass wir für die Schule alles mögliche lernen müssen, was wir nicht studiert haben – zum Beispiel für den WISO-Unterricht: Weiterlesen

„Mapping the Studio“ in Venedig (2): Punta della Dogana

2010, August 29.

Palazzo Grassi und Punta della Dogana – zwei fantastische Museen in Venedig mit Werken der klassischen und zeitgenössischen Moderne aus der Sammlung François Pinault. Heute stellen wir die Punta della Dogana vor.

Von Erhard Metz

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Das Dreieck der Punta della Dogana am Auslauf des Canal Grande in die Bucht von San Marco; © Palazzo Grassi, ORCH orsenigo_chemollo

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Blick vom Portikus der Punta della Dogana auf den Campanile di San Marco; Foto: Erhard Metz

Wenn es ein Maximum gäbe, ein Ensemble von einer der fantastischsten Städte der Welt, blaugrünem Meereswasser samt frischer salziger Brise, dem berühmten „Mantel der Geschichte“, dessen Saum zu streifen wir uns wähnen, und einer einzigartigen Ausstellung eben jener eingangs genannten Kunst, so wäre es hier und nirgend anderswo anzutreffen: an der Punta della Dogana. Weiterlesen

Jahr der Stille 2010: August

2010, August 28.

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Wandrers Nachtlied, Johann Wolfgang Goethe * 28. August 1749

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(Bildnachweis: D. Gordon E. Robertson/wikimedia commons cc)

Das “Jahr der Stille 2010″ lädt dazu ein, Stille begleitend in den Jahreslauf zu integrieren. Es will Aufmerksamkeit schaffen für einen Wert, dessen Wichtigkeit wir alle betonen – dessen konkrete Praxis wir aber oft vernachlässigen. Getragen wird das “Jahr der Stille 2010″ von über fünfzig Partnern – christlichen Bewegungen, Kirchen, Verbänden, Verlagen, Organisationen und Werken unterschiedlicher konfessioneller Prägung, die das Anliegen eint, das Thema Stille bewusst in ihre Aktivitäten einfliessen zu lassen.

FeuilletonFrankfurt wird das “Jahr der Stille” mit einem Beitrag zur Mitte eines jeden Monats begleiten.

Pisa von innen (4)

2010, August 26.

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Pisa von innen
Eine authentische Erzählung

von © Salias I.

Erster Teil (4)

3. + 4. Stunde: 10 BFS X2

Immer noch vorstrapaziert von den Elektrikern rüste ich mich innerlich für die nächste Doppelstunde in meiner „bösen“ 10 X2. Das einzige, was dort einigermaßen funktioniert, ist das Diskutieren – wenn die Schüler am Thema interessiert sind. Immerhin können wir das im Fach PoWi gebrauchen und die Themen hin und wieder nach den Vorlieben der Schüler ausrichten. Weil aber im letzten Halbjahr u.a. die miesen Ergebnisse der Klassenarbeit die Noten runterzogen, habe ich auch hier für jeden ein Referat verpflichtend gemacht; heute sind zwei Schüler dran, von denen keiner bereit ist, vorzutragen. Ich muss aber erst die Zeugnisse ausgeben, Weiterlesen

Pisa von innen (3)

2010, August 24.

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Pisa von innen
Eine authentische Erzählung

von © Salias I.

Erster Teil (3)

Dienstag, 4.3.8

Halb betäubt würge ich den Wecker ab, schalte die Nachtlampe ein, bei schalem Licht versuche ich, die Augen offen zu halten, mich zu orientieren: Die Kopfschmerzen sind weg, das ist gut, heute acht Stunden Unterricht: sehr schlimm!
Du bist doch krank, raunt mir meine Frau zu; obwohl schlaftrunken sorgt sie sich: Ich solle nicht gehen! – Doch doch, es geht doch, ich muss gehen, murmle ich, ich bin ja wieder gesund. Den schlimmsten Tag der Woche habe ich hinter mir.

Am schlimmsten heute: die 10 X2 (da bin ich Klassenlehrer). Kollege B, der Stellvertretende Schulleiter, nannte meine Klasse beim Elternabend „die böseste Klasse, die wir seit Jahren hatten“. – Ja, das könne man doch nicht so hinnehmen, meinte eine der entsetzten Mütter. – „Da bleibt uns gar nichts anderes übrig“, sagte Herr B, „solche Klassen finden Sie an jeder Schule.“
Dass die Klasse besonders böse sei, stimmt nicht so ganz: Erstens haben wir jedes Jahr ähnliche Klassen, zweitens ist die Klasse ebenso wenig „böse“ wie ihre Schüler; man kann sie, wenn sie vereinzelt auftreten, sogar gern haben, ein jeder mit seinen Schwächen und Macken: Der A, der so Macho ist, dass er bei jeder kleinen Kritik, und sei sie noch so berechtigt, aufbraust, Weiterlesen

Biennale Venedig ohne Christoph Schlingensief

2010, August 22.

Nun hat sie sich doch durchgesetzt, sie tritt mit ihrem hässlichen Gesicht ans Tageslicht; wir wollten sie partout nicht wahrhaben, hatten alles versucht, sie zurückzudrängen, in das Reich des Schweigens zu verbannen, ihre Existenz zu negieren: Die böse Frage nach dem Plan B, für den Fall, dass etwas doch einträte, was nicht hätte eintreten dürfen: der frühzeitige Tod des grossen Künstlers Christoph Schlingensief. Er sollte zur nächstjährigen Biennale in Venedig den deutschen Pavillon gestalten.

Aber es kann nach dem Tod dieses Mannes keinen Plan B für Venedig geben. Wenn es jetzt überhaupt noch etwas geben sollte, so müsste dies ein vollkommener Neuanfang sein. Im wahrsten Sinne aller Zeitrechnung bei der Stunde 0. Denn Schlingensief ist nicht zu ersetzen.

Sollte man am Ende den deutschen Pavillon im kommenden Jahr leer stehen lassen, um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich vorzustellen, was dieser herausragende Künstler uns in jenem Haus in den Giardini Pubblici alles hätte erzählen können?

Christoph Schlingensief erlag am 21. August 2010 im Alter von 49 Jahren seinem Krebsleiden.

→ Kein “Tod in Venedig”: Christoph Schlingensiefs Werk im Deutschen Pavillon zur Biennale 2011

„basis“: Sommerausstellung 2010 in Frankfurt am Main

2010, August 22.

Von potentieller Dummheit war die Rede, als der Frankfurter Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth unlängst die Sommerausstellung 2010 von „basis“, des Vereins zur „Förderung kreativer Produktionsmöglichkeiten und Inhalte“, im Atelierhaus Gutleutstrasse eröffnete. Denn von Dummheit zeugte es, wenn eine weltoffene Stadt wie Frankfurt am Main nichts unternähme, um ihre Künstlerinnen und Künstler nicht nur zu fördern, sondern auch deren Arbeit in die Stadtgesellschaft hinein zu kommunizieren. So stellt das Kulturdezernat unter anderem 40 preiswerte Ateliers bereit. Darüber hinaus fördert es, wiederum unter anderem, den Verein „basis“ mit seinen 45 Arbeits- und Produktionsräumen in der Elbe- sowie weiteren 75 entsprechenden Räumen in der Gutleutstrasse (nicht zu vergessen ferner die Unterstützung der 45 Ateliers von „atelierfrankfurt“ in der Hohenstaufenstrasse). Neben den regelmässigen Sonderausstellungen dieser Ateliers legen deren jährliche, von den Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern vielbesuchte und geschätzte „Open Doors“ ein beredtes Zeugnis ab von der in der Stadt reich versammelten künstlerischen Kreativität und Leistungsfähigkeit.

Zurück nun zur „basis“-Sommerausstellung 2010: „Feeding the World“ lautet trefflich ihr Motto, und wahrlich: Kunst versteht sich – und wird unserem Eindruck nach mehr und mehr verstanden (gerade auch an einem Banken- und Dienstleistungsstandort wie Frankfurt am Main) – als ein unverzichtbares Grundnahrungsmittel. An der aktuellen, sommerlich-künstlerischen „basis“-Nähr-Aktion beteiligen sich Isabel Albrecht, Verónica Aguilera, Valentin Beinroth, Johanna Bieligk, Nicolaj Dudek, Wiebke Grösch, Özlem Günyol, Florian Jenett, Stefanie Kettel, Sandra Kranich, Astrid Korntheuer, Levent Kunt, Mustafa Kunt, Frank Metzger, Nashun Nashunbatu, Stefanie Pretnar, Katharina Schücke und Oliver Voss. Erstmals wird eine derartige Ausstellung in einem der basis-Häuser kuratiert: von dem in Berlin lebenden freien Autor und Kurator Ludwig Seyfarth.

Wieder einmal haben wir die Qual der Wahl: Die Arbeiten von neun Künstlerinnen und Künstlern stellen wir exemplarisch vor als einen Querschnitt durch die bis zum 12. September 2010 dauernde Ausstellung, die sich Kunsthungrige keinesfalls entgehen lassen sollten. Lassen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, im besten Sinne mit Kunst „füttern“.

Astrid Korntheuer,1979 in Schwelm geboren, studierte von 1999 bis 2005 an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach bei den Professoren rosalie, Heiner Blum und Frank Schumacher. Sie arrangiert für ihre fantastischen fotografischen Arbeiten die verschiedensten Materialien, die sich bei nachhaltiger Betrachtung als ein behutsam wie sorgfältig entwickeltes kompositorisches Ganzes erweisen. Verblüffend die räumliche Tiefenwirkung, gleichsam „Dreidimensionalität“ ihrer Fotografien der Serie „Nature morte“. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Offenbach.

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Astrid Korntheuer, „Nature Morte 113“, 2009, Injektprint Aludibond, 115 x 142,5 x 5 cm (im oberen Teil leider mit einem störenden Lichtreflex)
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Pisa von innen (2)

2010, August 21.

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Pisa von innen
Eine authentische Erzählung

von © Salias I.

Erster Teil (2)

5. + 6. Stunde: 12 FOS I2

Vor den Zwölfern, die nach dem Vorangegangenen die reine Freude sind, stürze ich mich zur Einführung in die Elektrochemie in Experimente, um zu demonstrieren, wie eine elektrische Spannung aus den Stoffen entstehen kann. Dabei amüsiert mich heimlich die Manipulierbarkeit der Schüler, wie ich sie vorführe:
„Ich habe hier eine Kupferelektrode“, raune ich, wie ein Zauberer einen Stab vor dem Publikum schwenkend. „Diese Elektrode ist mit dem Messgerät verbunden, und hier kommt eine Zinkelektrode, die an den anderen Pol des Messgerätes angeschlossen ist: Was wird passieren, wenn ich gleich beide Elektroden zusammenhalte?“ Weiterlesen

Realitätsverlust

2010, August 20.

Realitätsverlust

wenn wir keine Angst
vorm Altern hätten
dann müssten viele
den Gürtel enger schnallen
– die Schönheitschirurgen
– die Pharmaindustrie
– die Beauty-Farmen
– die Kosmetik-Branche
mit ihren Anti-Aging-Produkten…

wenn wir keine Angst
vorm Altern hätten
dann wär die Grübelei zu Ende
wir hätten mehr Zeit
für unsere Alten
und wir hätten Geld
für die
die von unserer Angst nichts wissen
nur Armut, Hunger, Elend kennen

wenn wir einfach sein könnten
wie wir sind
dann wären wir viel freier
wir könnten uns Lachfalten lachen
und wir hätten die Stirn
dieselbe zu runzeln
über die
die daran verdienen wollen
– die Schönheitschirurgen
– die Pharmaindustrie
– die Beauty-Farmen
– die Kosmetik-Branche
mit ihren Anti-Aging-Produkten…

(Ich sehe wohl ein,
dass ich phantasiere!)

© Claudia Johann

„Was unternehmen die Kids eigentlich heutzutage, wenn sie die Schule schwänzen?

Nun… jetzt kann ich’s ja verraten: Ich begab mich sommers – und vor allem winters – in den warmen, ruhigen Schutz der Stadtbibliothek! Ich liebte die unzähligen zu Büchern gebundenen Geheimnisse, die in langen, hohen Regalen nur darauf zu warten schienen, von mir gelüftet zu werden… Vor allem mochte ich Kurzgeschichten/Novellen, wie z. B. von Guy de Maupassant, Somerset Maugham und Maxim Gorki…
Gorki (eigentlich Alexej Maximowitsch Peschkow) heißt der „Bittere“. Er stammte aus ärmsten Verhältnissen, und aus der Bitternis seines Lebens heraus wurde Gorki zum Beschützer der Erniedrigten und Beleidigten… und beeindruckte mich sehr!
Bis ich anfing Gedichte zu schreiben, war’s noch ein langer Weg… doch vielleicht wurde damals, in jener eher unrühmlichen Zeit, der Grundstein dafür gelegt… ?!?!?“

Bild und Text: Claudia Johann

Pisa von innen (1)

2010, August 18.

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Alle hier geschilderten Geschehnisse sind wirklich passiert. Deshalb wurden sämtliche Namen und Orte dieser authentischen Erzählung anonymisiert.  Der Verfasser, „Salias I.“, ist dem Herausgeber bekannt: Er ist Studienrat an einer hessischen Berufsschule.

Pisa von innen
Eine authentische Erzählung

von © Salias I.

Erster Teil (1)

Eine Woche im Getriebe

Ich bin Lehrer, soviel ist schon mal klar.
Was aber bewirke ich? Welchen Sinn hat meine Arbeit? Ich weiß nicht recht. Ich schreibe.
Nehmen wir mal diese Woche, eine Woche Schule unter Volllast, wollen wir mal sehen?
Ich weiß nicht. Ich schreibe einfach nur.

Montag, 3.3.8

5.42 h, darf nicht mehr schlafen, nicht mehr träumen, ganz untraumhaft greifen die Gedanken des Tages nach mir: Heute Schule, es ist Montag, das heißt sechs Stunden Chemie-Unterricht – Selbstmitleid! Ich taumle aus dem Bett, fühle mich schwach, noch krank, darf doch nicht mehr krank sein, hatte dieses Halbjahr schon eine ganze Woche gefehlt, noch mal darf Chemie nicht ausfallen, Weiterlesen