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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Städelschule: Rundgang 2012 (2)

Rundgang 2012 – Jahresausstellung der Studierenden der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule

Rundgang-Plakat 2012

Einmal jährlich – oder sozusagen eineinhalb Mal, wenn man die Absolventenausstellung im Herbst mitrechnen will – öffnet sich die Städelschule, die Staatliche Hochschule für bildende Künste, wie sie offiziell heisst, dem Publikum, unlängst wieder am vergangenen Wochenende beim traditionellen „Rundgang“, an dem sich auch heuer wieder fast alle der rund 150 Studierenden der freien bildenden Kunst sowie die rund 40 Studierenden der Architekturklasse beteiligten. Die „Rundgänge“ sind längst zu einem festen Bestandteil der Frankfurter Kulturwelt geworden

: Rund 13.000 Besucher kamen schon im vergangenen Jahr und wohl auch jetzt aktuell in die Ateliers des Stammhauses an der Dürerstrasse und der Dependance in der Daimlerstrasse, um die Arbeiten der Studierenden in den Klassen der Professoren Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Christa Näher, Tobias Rehberger, Willem de Rooij, Simon Starling und Ben van Berkel kennenzulernen.

Martin Wenzel, Auf der Suche nach dem Längengrad, 2012, verbundene Stromkabel aufgerollt auf einem 5 Meter langen Kartonrohr, kleiner Haufen Produktionsabfall; im Hintergrund an der Wand und unten: Foto vom „Arbeitsplatz“, 2012

Gross das Kunstwerk – klein das Atelier, jedenfalls in der Darstellung des Künstlers: Martin Wenzel umwickelt ein fünf Meter langes Pappe-Rohr mit den buntesten Stromkabeln, die man wohl auftreiben kann (Frage an Mathematiker: wieviele Meter Länge messen, bei geschätztem Rohrdurchmesser von 15 cm, die miteinander verbundenen Kabel?). Das Ganze hängt er schwebend an der Decke auf. Ein elektromagnetisches Feld wird die Wicklung kaum erzeugen, aber der Strom muss – ja, wieviele Meter denn nun? – fliessen, um die Glühbirne zum Leuchten zu bringen, die am Ende des Rohrs je nach dessen Position den „kleinen Haufen Produktionsabfall“ bescheint.

Winzig dagegen das Foto vom Arbeitsplatz des Künstlers, mit vier Stecknädelchen an die Wand gezwickt. Tisch und Hocker entfalten auf ihm Magie und kleben an der Senkrechten, der überdeckte Schriftzug entzieht sich der Entschlüsselung. Durch das entsprechend ausgerichtete Rohr betrachtet entschwindet der „Arbeitsplatz“ gänzlich in der Ferne.

Eine Erkundung und Vermessung der Welt auf eigene Art und eine kritisch-witzig-ironische Arbeit, wie wir sie schätzen.

Malerisch und geheimnisvoll die stillen, verschwiegenen Bilder von Seth Pick, diesjähriger Gewinner des Förderpreises der Hans und Stefan Bernbeck-Stiftung, des bestdotierten unter den zur Eröffnung des Rundgangs verliehenen Preisen.

Seth Pick, Preisträgerarbeiten

Die pastell-zarten Farbtöne täuschen, denn eruptiv-explosiv geht es in dem „Epizentrum“ genannten, ebenfalls eher kleinformatigen Bild von Alexander Tillegreen zu. Wie kosmische Gaswolken stiebt es auseinander, es schleudert schwarze Partikel umher, war das kleine, bombenähnliche Teil in der Bildmitte der Auslöser? Oder liesse sich in der unteren Bildhälfte ein kaum angedeutetes Schulterbild einer Person erahnen, deren Kopf explodiert?

Alexander Tillegreen, Epizentrum, Acryl und Sprühfarbe auf Leinwand, 50 x 80 cm

Nicht nur dekorativ sind die vier Leuchtkästen, die Moritz Uebele im Lichthof positioniert – wir möchten sie uns aber in einem anderen Umfeld vorstellen. Die suggestive Kraft der einzelnen Glasfelder kann sich im Hin und Her des Treppenhauses nicht angemessen entfalten.

Moritz Uebele, EQUINOX, 2012, 4 Lichtkästen, Fichtenholz, Leuchtstoffröhren, bedrucktes Acrylglas, je 143 x 97 x 20 cm

Wer sitzt hier im Rampenlicht der Weltbühne? Niemand, der Stuhl im Biedermeier-Stil (echtes oder „zweites“ Biedermeier?) ist leer. Die Sitzfläche hat Patrick Alan Banfield mit einem Netzwerk bespannt und mit 24karätigem Goldlack sowie mit Silberlack veredelt – wir schenken den Karat-Angaben trotz hohen Goldpreises Glauben. Pompös das Podest (in der Weitwinkel-Aufnahme natürlich überhöht geraten), das den Stuhl fast zum Thron erhebt. Der Blick des nicht vorhandenen Stuhlsitzenden geht zur grossen Balkontüre hinaus, das starke wie kalte Fotolicht beleuchtet die Szenerie von hinten. Wo aber ist der Star, der Staatsmann? Oder am Ende der Delinquent? Denn eigentlich möchte man sich nicht daraufsetzen, auf diesen Stuhl: seiner metallisch glänzenden Sitzfläche trauen wir Hinterhältiges, gar Tödliches zu … bereit zur elektrischen Exekution. Im Scheinwerferlicht des Boulevards?

Patrick Alan Banfield, Corpus / Something, Biedermeier-Stuhl, Tageslicht-Filmleuchte, 24 ct-Goldlack, Silberlack; im Hintergrund rechts zwei Arbeiten von Alexander Tillegreen

Ein kniffliges Vexierspiel: Melanie Matthieu klebt an ein Fenster des Ausstellungsateliers acht exakte Abzeichnungen von acht Fenstern des der Städelschule gegenüberliegenden Städel Museums. Es gilt für den Betrachter, den Standpunkt aufzusuchen, von dem aus die Zeichnungen mit den realen Fenstern optisch zur Deckung kommen. Fotografieren lässt sich diese Überlappung nicht. Eine geistvolle Arbeit – Projektion der Künstlerin, ihre Werke dereinst im Bestand des berühmten Museums wiederzufinden?


Melanie Matthieu, Simultaneous existence of the most diversified types under identical circumstances, 2012, Kugelschreiber auf Papier, 8 Teile

Künstlerische Ausbildung und spätere künstlerische Existenz, das Verhältnis zwischen Künstler und Werk, die Position des Künstlers im Kollektiv der Studierenden wie in der Gesellschaft: Themen des Pressegesprächs mit Städelschul-Rektor Nikolaus Hirsch und Isabelle Graw, Professorin für Kunstgeschichte und Kunsttherie an der weltweit hoch renommierten, im internationalen Vergleich jedoch kleinen Hochschule, an der Professoren und Studierende in einem intensiven Diskurs stehen.

Hirsch und Graw verweisen auf die Mitwirkung der – sich durchaus konkurrenzierenden – Studierenden bei der gewollt gemischten Positionierung ihrer Arbeiten in den einzelnen Ateliers. Ebenso wichtig sei es, dass die Studierenden Projekte und Formate im Kollektiv entwickelten. Bemerkenswert sei die Zunahme der Kunstform der Performance, in der sich ein Künstler oft selbst zum Kunstprodukt mache und die überlieferte Distanz zwischen Künstler und seinem Kunstwerk, hinter dem er sich gewissermassen verstecken könne, überwinde. Eine Kunsthochschule bedeute – nicht zuletzt in diesem Sinne – für die Studierenden eine Art Testlauf, wie sie sich selbst und ihr Werk später in der Gesellschaft vermitteln können, wobei es keinesfalls eine Aufgabe der Schule sei, dem Einzelnen etwa eine Vermarktungsstrategie an die Hand zu geben.

Eine bedeutende Rolle komme, betonen Nikolaus Hirsch und Isabelle Graw, dem 2003 zusammen mit Daniel Birnbaum an der Schule gegründeten Institut für Kunstkritik zu. Leben – namentlich ein inszeniertes – und Werk eines Künstlers stehen in einer Wechselbeziehung, in der ersteres durchaus selbst Werkcharakter annehmen und das Werk andererseits zur Quasi-Künstlerperson mutieren kann – eine Thematik, mit der sich das Institut aktuell befasst.

Ein wichtiges Feld stellt schliesslich die Kooperation der Städelschule mit der Frankfurter Goethe-Universität dar, so der Masterstudiengang zu dem Komplex Kuratieren und Kritik „Curatorial Studies – Theorie – Geschichte – Kritik“.

Wünschenswert sei es, unterstreicht Hirsch, die bereits bislang bestehende Vernetzung der Schule mit der Stadt Frankfurt und ihrer Stadtgesellschaft zu verstärken und auszubauen. Entsprechende Wünsche gerade auch der Stadt selbst liessen sich jedoch im Blick auf die bereits am und oft unter dem Limit liegende finanzielle Ausstattung der Schule nicht realisieren.

(abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstler; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

–  Teil 3  –

 

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