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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Juli, 2009

Max Pauer

2009, Juli 29.

„Im Anfang liegt alles beschlossen.“

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Introspektion, Ölmalerei hinter Kunststofffolie, 2008

„Introspektion“ betitelt Max Pauer seine Arbeit.

Röntgenblick in das eigene Ego, das eigene Cerebrum mit seiner unendlich erscheinenden Zahl an Verschaltungen und Funktionen, Botenstoffe ausschüttend, Hormone dirigierend, Nerven bis in die entferntesten Körperwelten stimulierend, von dort wiederum Stimulationen empfangend? Der Blick in ein diversifiziertes physisches und psychisches Geflecht von Senden und Empfangen, Wohlbefinden und Schmerz, Liebe und Angst, Hinwendung und Flucht, Zuversicht und Verzweiflung, ein Geflecht von Fragen und dem Suchen nach Antworten? Der Blick in ein unerschliessbares Geheimnis, das Geheimnis des Lebens, der eigenen Existenz? Weiterlesen

Mit Att Poomtangon auf Fischfang im Frankfurter Portikus

2009, Juli 25.

An der Wand ein kleiner Zeitungsausschnitt, Frankfurter Rundschau, 30. November 1988: Ein Artikel über einen Mann, “in dessen Augen sich, so wurde erzählt, Himmel und Fluss spiegelten”. Von Aal-Pfeiffer ist die Rede, von Joseph Pfeiffer, dem letzten der einst rund 45o Mainfischer allein im südlich des Flusses gelegenen Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. Am Rechneigrabenweiher hat ihm die Stadt ein Denkmal gesetzt.

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Wer den Zeitungsausschnitt an einer Wand der Frankfurter Ausstellungshalle Portikus lesen möchte, muss sich zunächst auf ein kleines Abenteuer einlassen: eine Art von Boot besteigen, das keines ist, vielmehr eine schwarze Plastikschüssel, in einen LKW-Reifenschlauch gebettet, das Gefährt schwankt bedenklich beim Entern, ein Sturz ins Wasser scheint nicht ausgeschlossen, endlich, wir sitzen in dem kleinen Rund, eine Hand stösst es vom hölzernen Ufersteg ab, reicht uns noch ein Paddel – wir treiben auf dem Wasser. Mit jedem Paddelschlag dreht sich das schwimmende Etwas um sich selbst, erst langsam lernen wir, es mit dem hölzernen Werkzeug in eine Richtung zu bugsieren, vielleicht gar zur ersehnten Lektüre des nur spärlich beleuchteten Zeitungsartikels an der entfernten Wand. Es ist dunkel, es ist Nacht über dem Wasser im Portikus, nur ein paar kleine Punktlichter leuchten, Sternen gleich, vom Himmel, einem Fischernetz, auf uns herab. Fische, an besagtem Netz aufgehängt, halten die Lämpchen in ihren Mäulern. Weiterlesen

Hochschule für Gestaltung Offenbach: Rundgang 2009

2009, Juli 21.

Von Erhard Metz

Hochschule für Gestaltung Offenbach, von Kennern einfach HfG genannt; am Hafen 2; in der Ölhalle, 30 mal 20 Meter gross, fünf Meter hoch – ein idealer Ausstellungsort für grossformatige Exponate. Zum HfG-Rundgang 2009 präsentieren Studierende der Hochschule Arbeiten aus den Bereichen Malerei (Professor Adam Jankowski), Bildhauerei (Professor Wolfgang Luy) und Fotografie (Professor Martin Liebscher). Die dortige Ausstellung ist – wegen des grossen Zuspruchs – noch freitags, 24. und 31. Juli, und samstags, 25. Juli und 1. August 2009, jeweils von 16 bis 20 Uhr geöffnet. Wir empfehlen allen an aktueller Kunst Interessierten unbedingt einen Abstecher nach Offenbach.

Ähnlich wie bei dem Rundgang der Städelschule 2009 beschränken wir uns auf eine Auswahl an figurativer, dieses Mal durchweg grossformatiger Malerei. Sechs sehr unterschiedliche künstlerische Positionen stellen wir hier vor. Wir möchten die Arbeiten, die den hohen Qualitätsstandard der HfG- Studierenden und der Hochschule selbst belegen, frei aller (selbsteitlen) Kommentierungen allein für sich sprechen lassen – sie bieten jedweden Stoff für eine intensive Auseinandersetzung mit ihnen. Diesen Künstlerinnen und Künstlern werden wir gewiss wiederbegegnen.

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Goekhan Erdogan, untitelt, 2009 Weiterlesen

Wahlkampfgetöse – im Frankfurter Kunstverein kunstvoll entlarvt

2009, Juli 19.

„Gemeinsam in die Zukunft“

Es nähert sich unaufhaltsam die Zeit, dass wir uns reif fühlen – reif für die Insel, nein, nicht für Sylt, das ist ja Wahlkampfgebiet, also Schlachtfeld für die Parolen der politischen Parteien in der drohend hereinbrechenden Zeit der Bundestags- und Landtagswahlkämpfe. Es müsste schon etwas weiter in die Ferne gehen – wir überlegen, wo wir ein sicheres Plätzchen finden könnten, unerreichbar für Fernseh- und Radiowahlwerbespots, eine Zeitung brauchten wir dort auch nicht unbedingt, wenn man unter den mehreren Übeln das kleinere wählen müsste.

Wäre da nicht die Eröffnungsausstellung des Frankfurter Kunstvereins unter der neuen Direktion von Holger Kube Ventura. Nach einem Rundgang im Steinernen Haus am Frankfurter Römerberg schöpfen wir nicht nur Hoffnung, nein, wir finden Gewissheit, dass wir nicht fliehen müssen: Der Besuch der Ausstellung „Gemeinsam in die Zukunft“ härtet uns ab gegen das bevorstehende Ungemach, den Gang in das Reisebüro brauchen wir nicht anzutreten.

Zum einen sehen wir Arbeiten der REINIGUNGSGESELLSCHAFT, einer Künstlerkooperation „Labor im Denkraum Kunst an der Schnittstelle zu anderen gesellschaftlichen Bereichen“ mit Adresse in Dresden.

„Gemeinsam in die Zukunft“ – die Floskel wurde der Zeit der Vereinigung Deutschlands entliehen – nimmt sich das sogenannte Superwahljahr 2009 vor, das in der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September seinen Höhepunkt erreichen dürfte. Es geht um Rhetorik und Bildsprache der um Sieg und Macht kämpfenden politischen Parteien, um die Hohlheit, die Beliebigkeit und parteiübergreifende Austauschbarkeit, die inhaltliche Leere der einschlägigen Slogans, Gesten, Farben und Symbole, mit denen das Wahlvolk optisch wie akustisch immer wieder traktiert wird. Um die Sicht- und Fühlbarmachung der oft grossen Diskrepanz zwischen den Politparolen einerseits und der Lebenswirklichkeit andererseits.

„Je stärker die politischen Handlungsfelder“, schreibt Holger Kube Ventura, „in allgemeine Werte wie zum Beispiel Sicherheit, Gerechtigkeit oder Freiheit abstrahiert werden, desto austauschbarer sind sie.“ Und weiter: „Da in Wahlkampfzeiten weniger mit Argumenten als mit austauschbaren Parolen Öffentlichkeit hergestellt wird, manifestiert sich in solchen Zeiten deutlicher als sonst eine grundsätzliche Kluft zwischen Staat und Bevölkerung: Den Proklamationen und Richtungsappellen der politischen Stellvertreter stehen die Lebensrealitäten von Einzelnen und Teilgesellschaften gegenüber, die möglicherweise ganz andere Einschätzungen oder Fragen haben. Wie gross die Distanz dazwischen sein kann, manifestiert sich nicht zuletzt in der Wahlbeteiligung.“

Ähnlich die Arbeiten der 1954 in Wien geborenen Malerin Johanna Kandl: Die dargestellten Szenerien eines alltäglichen Gemüse- und Trödel-Marktgeschehens – das für das „grosse“ nationale und globale Marktgeschehen steht – entlarven die mit ihnen in Verbindung gebrachten, aufgemalten Slogans aus Politik und Wirtschaft als Sarkasmus und Zynismus, als Lügen.

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Johanna Kandl, o. T., 2001, 80 x 56,5 cm, Courtesy Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale Weiterlesen

53. Biennale Arte Venedig 2009 (9) – Roman Ondák: Verweigerung

2009, Juli 14.

Von Erhard Metz

Die Tschechische und die Slowakische Republik haben in den Giardini Pubblici einen gemeinsamen Pavillon. Er soll leicht aufzufinden sein, entnehmen wir dem Ausstellungsplan, einfach schräg gegenüber dem Haus der Deutschen.

Wir sind gespannt auf das, was es zu sehen gibt. Erwartungsvoll gehen wir über den bekiesten Platz in Richtung üppig wuchernden Grüns der Bäume und Sträucher.

Aber wo ist eine Eingangstür? Und wo ist denn überhaupt dieser Pavillon?

Ja, Wände und Dach sind wohl vorhanden, aber … Wir versuchen, uns zu orientieren.

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Innerhalb der vier Wände: ist dies denn ein Gewächshaus? Der Kiesweg verläuft geradewegs durch den Pavillon. Rechts und links dieses Wegs setzt sich die Vegetation des Gartens fort.

Und die Ausstellung, das Kunstwerk? Weiterlesen

Zum letzten Mal: die „Waldschlösschenbrücke“

2009, Juli 12.

Auch wir glossierten seinerzeit – wie könnte es anders sein – die berühmte Welterbe-Vernichtungsanlage und Sächsische Freistaatsgroteske  Waldschlösschenbrücke.  Am 25. Juni 2009  entzog das UNESCO-Welterbekomitee nun endlich dem „Dresdner Elbtal“ den Welterbetitel. Und das ist gut so.

„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“, lautet ein geflügeltes Wort. Warum sollte deshalb der Brücke im schönen Elbtal nicht auch ein wunderschöner grosser Park folgen? Selbstverständlich ein Industrie“park“, versteht sich.

Nun leben wir im schönen Frankfurt am Main und nicht im fernen Dresden, und die Dresdener sollen sehen, wie sie ohne den Titel auskommen, uns ist es „Wurscht“, frei nach dem – Friedrich August III. zugeschriebenen – Motto „Machd doch eiern Drägg alleene!“. Und Rhinolophus hipposideros – die Kleine Hufeisennase – wird auch mit Brücke überleben können.

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(Rhinolophus hipposideros, Foto: Dodoni, wikimedia commons GFDL)
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53. Biennale Arte Venedig 2009 (7) – Elmgreen & Dragset

2009, Juli 9.

Der Tote im Pool

Von Erhard Metz

Eine riesige Bungalow-Villa, davor ein Gartenschwimmbad, darin ein Toter. Korrekte Kleidung: schwarze Hose und weisses Hemd, jedoch Hosenbeine und Ärmel aufgekrempelt, dunkle Socken und schwarze Schuhe am Beckenrand geordnet abgelegt. Der Tote treibt bäuchlings auf dem Wasser, die Arme über den Kopf erhoben, eine hilflose, fast flehentliche Gebärde. Oder eine ins Groteske überhöhte Karikatur?

„Tod in Venedig“? Nun, so respektlos wollen wir mit Thomas Manns Meisterwerk nicht umgehen.

Aber ein Zeichen unserer Zeit, ein Zeichen der Finanz- und Wirtschaftskrise könnte es schon sein: Freitod eines gescheiterten Börsenspekulanten? Eines bankrotten Investmentbankers? Oder steckt nicht gar die Kunst, zumindest der Kunstbetrieb in der Krise? Also der Freitod eines Kunsthändlers, der seine „Blue chips“ nicht mehr an den millionenschweren Mann bringen kann? Eines Galeristen, der sich an dem, was er für marktträchtige Kunst hielt, verhoben hat?

Michael Elmgreen und Ingar Dragset inszenieren den Tod im Pool als Teil einer Gemeinschaftsausstellung im Pavillon Dänemarks sowie im benachbarten Pavillon der drei nordischen Länder Finnland, Norwegen und Schweden. „The Collectors“ lautet beziehungsreich ihr Titel. Und wir dürfen daher etwas sicherer in der Annahme gehen, dass es dem Künstler-Duo durchaus um zeitgenössische kulturell-ökonomische Phänomene geht.

Elmgreen & Dragset – die beiden treten mit dem Firmen-„&“ auf – verwandelten in Kooperation mit 24 Künstlern, Designern und entsprechenden Kollektiven den nordischen Pavillon in den Luxusbungalow eines homosexuellen Kunstsammlers. Eine grosszügige Wohnlandschaft ist ebenso wie eine Schlaflandschaft in die um einige Stufen erhöhte Hauptgebäudeebene eingesenkt. Eine futuristische Kücheneinrichtung beschränkt sich auf das Notwendigste. Dafür zieren verschiedene Kunstwerke meist homoerotischen Sujets den Raum und die Wände.

Der Tote im Pool: Ein Ende im hedonistischen Überdruss, in der Apokalypse der Dekadenz, im – purgatorischen? – Freitod. Menetekel? Vision? Ach ja, wir befinden uns ja auf der Biennale 2009 in Venedig, mitten im alleraktuellsten Kunstbetrieb (wäre da nicht noch der einwöchig zeitgleiche Messe-Markt der Art Basel).

Michael Elmgreen und Ingar Dragset, ersterer in Dänemark, letzterer in Norwegen geboren, leben und arbeiten in Berlin, seit 1995 in einer künstlerischen Kooperation. Das Duo Elmgreen & Dragset, weltweit bekannt für seine Installationen und Performances, entwarf das „Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“, das im Mai 2008 in Berlin, nahe dem „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, enthüllt wurde.

„The Collectors“

Es ist fein eingedeckt im zur Villa gestalteten dänischen Pavillon – aber durch die Mitte des Esstisches, durch Stühle und Teller geht ein Riss. Die Welt ist zerrissen, geteilt in Gut und Böse, Nord und Süd, Reich und Arm, Glück und Pech.

Wohltätig ging es zu in der Villa, Bittgesuche und Dankschreiben Armer, Obdachloser, in Not Geratener bekleiden, sorgfältig passepartoutiert und auf das Feinste gerahmt, die Wand hinter dem Esstisch.

Das Künstlerduo Elmgreen & Dragset verwandelte mit seiner Arbeit „The Collectors“ – wiederum in Kooperation mit einer Reihe von Künstlern und Designern – den unmittelbar neben dem nordischen Pavillon gelegenen Pavillon Dänemarks in diese Villa.

Längst hat, längst musste das Kunstsammler-Ehepaar das Haus verlassen. Nur die Stumme Dienerin blieb.

Die Treppe in der Bibliothek ist zerbrochen – kein Weg führt mehr dorthin, wo „Oben“ ist. Auf einem Spiegel im Flur ein Abschiedswort. „FOR SALE“ – so steht es auf einem Schild vor dem Anwesen geschrieben.

Die Abbildungen mußten nach Ausstellungsende aus urheberrechtlichen Gründen leider entfernt werden.

→ 53. Biennale Arte Venedig 2009 (9) – Roman Ondák: Verweigerung

 

Auch zur 53. Biennale Arte 2009: Venedig im Zeichen der Musik

2009, Juli 7.

Von Erhard Metz

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Junge Musikerinnen und Musiker in venezianischen Kostümen des 18. Jahrhunderts laden zu einem Konzert der I Musici Veneziani mit Antonio Vivaldis „Le Quattro Stagioni“ ein. Weiterlesen

53. Biennale Arte Venedig 2009 (6) – Aleksandra Mir bringt „Venezia“ in die ganze Welt

2009, Juli 3.

Von Erhard Metz

Von Publikum vielfach umlagert: die zweiteilige Installation von Aleksandra Mir im Palazzo delle Esposizioni und in den Arsenale (in Frankfurt am Main ist die Künstlerin durch ihre Ausstellung „Triumph“ bekannt).

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VENEZIA (all places contain all others) Installation/Intervention, Foto: Erhard Metz

Ständer für Postkarten, Kartons auf Holzpaletten: gefüllt mit Ansichtskarten, die Rückseiten mit dem üblichen Blanko-Adressfeld bedruckt, fertig zum Verschicken. Aleksandra Mirs Installation umfasst denn auch gleich einen echten Briefkasten der Poste Italiane und einen Verkaufsstand für Briefmarken auf dem Ausstellungsgelände.

„VENEZIA (all places contain all others)“

betitelt die Künstlerin ihre Aktion. 1 Million farbige Bildpostkarten hat sie drucken lassen, von 100 Motiven mit jeweils einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Die Postkarten liegen in den Ständern und Kartons für die Dauer der aktuellen Biennale für die Besucher zur kostenfreien Entnahme aus. Ein jeder kann so viele Karten mitnehmen, wie er möchte. Weiterlesen

53. Biennale Arte Venedig 2009 (5) – Die Komoren und Monsieur Pinault

2009, Juli 1.

Von Erhard Metz

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Einen nationalen Pavillon zur Biennale hat sie nicht: die Union der Komoren im Indischen Ozean. Kein Wunder bei einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von gut 800 US-Dollar (Deutschland rund 45.000). Und dennoch ist der föderale Inselstaat bei all seiner Armut zum ersten Mal bei einer Biennale in Venedig vertreten.

Kuratiert von Wahidat Hassane verankerten der italienische Künstler Paolo W. Tamburella und fünf komorische Dockarbeiter am Ufer der Bacino di San Marco, am Eingang zu dem Pavillon-Park der Giardini Pubblici, ein im Hafen der Komoren-Hauptstadt Moroni verlassenes Djahazi-Boot. Beladen ist es mit einem braun angestrichenen Container. Dieser trägt zu beiden Seiten die Aufschrift „CAPITAL FORWARDING SOLUTIONS“. Weiterlesen