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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Belgien gedenkt seines größten Malers James Ensor zum 75ten Todestag

Masken, Skelette – und Jesus, der im Triumphzug nach Brüssel zieht

von Simone Hamm

„Ensor. Inspired by Brussels“ heißt die große Ausstellung in der Königlichen Bibliothek zu Brüssel (KBR). Sie ist im Palast von Karl von Lothringen aus dem 18. Jahrhundert zu sehen. Zu Ensors Zeiten war der Palast ein Museum, in dem es auch einen Kupferstichsaal gab. Der Künstler Ensor war dort tief berührt von Rembrandts Radierungen. Auch moderne Kunst gab es im Palast zu sehen. Und mehr noch: Ab 1887 stellt Ensor dort mit seiner Malergruppe Les XX aus. Und das ist das Außergewöhnliche an dieser Ausstellung. Wir stehen genau da, wo Ensor einst stand und betrachten einige der Gemälde, die er hier ausgestellt hatte. Weil Ensor in Flandern geboren wurde, betonten und betonen flämische Nationalisten, dass James Ensor Flame war. Dabei sprach er noch nicht einmal gut Flämisch. Zu Hause wurde Französisch gesprochen und geschrieben.

Muscheln, Collections d’art des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

Künstlerisch hat das Brüssler Leben, haben die Brüsseler Malerfreunde Ensor weit mehr beeinflusst als die Rochen am Strand von Ostende. In Ostende wird James Ensor 1860 geboren, wächst an der belgischen Küste auf. Sein Vater besaß einen Laden, in dem es Muscheln, Masken, Chinoiserien zu kaufen gab. Inspiration für seine Gemälde, so wie auch das Meer, das Strandleben. Mit 17 Jahren geht Ensor nach Brüssel an die Kunstakademie. Erst 13 Jahre später wird er wieder nach Ostende zurückkehren, um den elterlichen Souvenirladen zu übernehmen.

Der Rochen, Collections d’art des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

An der Akademie will Ensor farbig malen und muss antike Skulpturen abzeichnen. In den Malklassen gibt es Wettbewerbe. Ensor landet stets auf einem der letzten Plätze. Enttäuscht davon, wie altmodisch es hier zugeht, verlässt er schließlich die Akademie. Dabei ist Brüssel doch der Ort, an dem sich die Avantgarde der Maler trifft. Bald geht er bei Marietta und Ernest Rousseau ein und aus, besucht deren Salons, feiert Maskenbälle, lernt Dichter, Musiker und Freidenker kennen. Das ist eine Umgebung, die ihm deutlich mehr zusagt.

 

 

 


Selbstporträt von James Ensor, Collections d’art des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

Er lässt die akademische Malerei hinter sich, malt sich selbst als stolzen Künstler. Eines seiner ersten Selbstporträts ist im ersten Saal in der Ausstellung: „Ensor – inspired by Brussels“ zu sehen. Er gibt sich sehr selbstbewusst. Nur wenige Monate, nachdem er die Akademie verlassen hat, malt er mit erst zwanzig Jahren eines seiner wichtigsten Werke: „Le Lampiste“, der Lampenputzer. Es ist ein erstaunliches Monumentalgemälde, es zeigt keinen griechischen Gott, keinen römischen Helden, sondern einen einfachen Jungen, einen Kinderarbeiter, der die Öl- und später die Gaslampen in den Straßen warten musste. Konzentriert blickt der Knabe auf seine Lampe, die Schirmmütze hat er tief ins Gesicht gezogen. Es liegt eine tiefe Innigkeit in diesem Gemälde.

 „Der Lampenputzer“,  Collections d’art des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

Der kleine Lampenputzer ist sehr stolz auf seine Arbeit. Das wird seine Zukunft sein. Kurator Daan van Heesch glaubt, dass Ensor in diesem Gemälde schon eine gewisse Sozialkritik einbauen wollte, auch wenn sie hier noch sehr implizit ist.

James Ensor hat sich zu einem realistischen Künstler entwickelt, der sich für soziale Themen interessiert. Er malt mit einer für die damalige Zeit sehr radikalen Technik, nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit dem Spachtel, mit dem er seine Farbe mit sehr breiten und groben Strichen auftragen kann. Auch das war damals etwas extrem Anti-Akademisches.

Ensor und seine Malerfreunde sind Avantgardisten, sie nennen sich  „Les XX“, „die Zwanzig“, denn soviel waren sie und stellten gemeinsam ihre Werke aus.

Ensors soziales Engagement wird zunehmend deutlicher. Er wettert gegen die politische Autorität von Leopold II. und das das politische Establishment. Er interessiert sich viel mehr für die Bedürfnisse seines Volkes, erlebt die sozialen Unruhen auf den Straßen von Brüssel, die Massendemonstrationen, die das konservative Belgien in jenen Jahren im Sturm erobern.

Was wollt ihr? Brüssel im 19. Jahrhundert, , Collections d’art des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

Eine Zeichnung in rot, weiß und blau zeigt Leopold II. mit Krone und Monokel zeigt, wie er auf demonstrierende Arbeiter herunterschaut. „Que voulez vous? N’êtes-vous pas content? Un peu patience. Pas de violence!„Was wollt ihr? Seid ihr nicht zufrieden? Beruhigt Euch. Ein bisschen Geduld, keine Gewalt“ steht unter dem Bild des bärtigen König geschrieben, der den Kongo, den er seinem persönlichen Besitz zurechnete, brutal ausbeutete, wo er Kautschuk und Elfenbein rauben ließ. Zehn Millionen Kongolesen, so der amerikanische Historiker Adam Hochschild, seien dabei ums Leben gekommen.

James Ensors berühmte Masken und Skelette sind natürlich auch zu sehen. Als er sie zuerst ausgestellt hat, schimpft ein Kritiker: „Ausgeburten eines kranken Geistes und eines anmaßenden Mannes, der nur auf einen Skandal aus ist“.

„Skandalisierte Masken“, Collections d’art des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

„Skandalisierte Masken“ heißt ein Ölgemälde. Ein maskierter Mann sitzt an einem Tisch, eine Flasche vor sich. In der geöffneten Tür steht eine Frau, ebenfalls maskiert. Sie trägt eine Sonnenbrille. In der Hand trägt sie einen Stock. Ist sie eine Hexe, die den armen Mann einschüchtert? Eine verzweifelte Frau, die genug hat von den Alkoholexzessen ihres Mannes.

„Zwei Skelette streiten sich um einen eingelegten Hering“.

Sie stehen am Meer, einer trägt eine Pelzmütze. Jeder Totenkopf hat ein Ende des Herings zwischen den Zähnen. Sie ziehen daran. Der Titel des Bildes ist ein Wortspiel. „Hareng saur“ heißt saurer Hering auf Französisch. Spricht man es schnell, hört man so etwas wie Art Ensor, Ensor Kunst.

„Die seltsamen Masken“, 1891

 In warmen Pastellfarben schauen uns „Fremde Masken“ an, sie tragen Phantasiehüte. Ein Harlekin hält eine Lampe hoch. Eine Dame mit Violine liegt ziemlich regungslos am Boden. Sie sehen wie Puppen aus.

„Weiße und rote Clowns entfalten sich“

Auch Stilleben sind zu sehen, Zeichnungen vom Strand in Ostende, die an Cartoons erinnern, Badende, Küssende, Spanner, kleine Hunde.

„Die bösen Doktoren“ eine Realsatire?

Ensor hat zarte und fratzenhaft expressive Zeichnungen geschaffen, aber auch höchst ironische, wenn etwa blutrünstige Ärzte einem armen Patienten einen riesigen Wurm aus dem Leib ziehen oder Satan und seine Legionen Jesus am Kreuz attackieren.

„Satan und die fanatischen Legionen quälen den Gekreuzigten“

Jesus zieht dann auch ein in Brüssel, in Ensors monumentalstem Gemälde von 1888/89. Es ist ein sehr bunter Triumphzug, eine Mischung aus Karnvalsumzug und Parade. Und eine parodistische Anspielung auf das ikonische Rubens-Bildnis  Christi Einzug nach Jerusalem. Das Original hängt in Los Angeles und gilt mit seinen vier mal zweieinhalb Metern nicht mehr als transportabel. In der Königlichen Bibliothek müssen sich die Besucher mit einer Kopie begnügen.

Kopie aus konservatorischen Gründen von „Der Einzug Christi in Brüssel“

„Inspired by Brussels“ ist eine großartige Ausstellung. Die Gemälde und Zeichnungen sind klug gehängt. Und der OAusstellungsort, die königliche Bibliothek, ist ein ganz besonderer. Denn hier ist mit etwas Phantasie noch etwas von Ensor Wirken zu spüren, so  wie er einst durch die Gänge ging.

Vor allem aus der Frühzeit des Malers gibt es viel zu entdecken. Die meisten seiner Bilder hat Ensor bis 1900 gemalt. Die Maskenbilder hingegen stammen aus dem Jahre 1920. die Besucher können hier tief eintauchen in das Leben des Künstlers.

Die Ausstellung

Ensor. Inspired by Brussels“ ist noch bis zum 2. Juni zu sehen.

Dienstag bis Sonntag von 10.00 – 17.00 Uhr. An Feiertagen geschlossen.

Der Katalog

„Ensor& Brussels“ ist hervorragend, herausgegeben von Daan van Heesch. 216 Seiten. Über 200 Abbildungen, Mercatorfonds & Yale University press. 35 €.

 

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