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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Oktober, 2010

„Blindheit des Sehens“ im Frankfurter KunstBlock

2010, Oktober 30.

„Bildnisse sehen nicht? Du irrst Dich, die Bilder und Figuren sehen mit den Augen, die sie betrachten“ schrieb der Literatur-Nobelpreisträger José Saramago.

Und der Philosoph und Essayist Paul Valéry: „Ein Kunstwerk sollte uns immer beibringen, dass wir nicht gesehen haben, was doch vor unseren Augen liegt.“

Blindheit des Sehens – so der Titel einer Ausstellung im Frankfurter KunstBlock (Bellavista Film), kuratiert von Florian Koch in Kooperation mit dem benachbarten DialogMuseum („Blindenmuseum“) und dem Frankfurter Künstler Klaus Schneider. Provokation? Realität?

Gleich zu Beginn nimmt ein „Buch“ unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Klaus Schneider hat es in der Bibliothek der Bellavista aufgestellt, es ist aus Holz, der Titel und die einzige aufklappbare „Seite“ in Brailleschrift, auf der linken Innenseite mit Holzkugeln materialisiert, denen Versenkungen in der rechten entsprechen. Wir können sie nicht lesen. Nicht den Inhalt des Geschriebenen erfassen. Unsere Fingerkuppen gleiten hilflos über die Holzkügelchen.

Blinde lesen, was sie nicht sehen können.
Wir Nichtblinden sehen, was wir nicht lesen können.

Klaus Schneider, wer-wir B (oben) und A (unten), 1996 und 2001, Nussbaum- und Buchenholz, Scharniere, Holzkugeln, 30 x 25 × 6 und 25 × 25 × 6 cm (Fotos: Klaus Schneider) Weiterlesen

„Das Rheingold“ an der Berliner Staatsoper

2010, Oktober 29.

Das Rheingold“ von Richard Wagner an der Berliner Staatsoper
Vorabend des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“

Natur und Musik im Einklang

Betrachtungen von Renate Feyerbacher

Die Musik dieses Wagner’schen Grossprojektes im Schillertheater: kann das gut gehen? Die Grösse des Gebäudes in der Bismarckstraße ist nicht zu vergleichen mit dem Staatsopern-Gebäude Unter den Linden, das nun saniert wird. Ja, es gelang. Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin beweisen es. Die Feinheiten der Musik kommen geschärft zur Geltung. Beinahe jedes Wort des Textes ist zu verstehen. Noch nie habe sie den Text in einer Wagner-Oper verstanden, heute Abend jedoch – so war eine Dame zu vernehmen.

FRICKA Ekaterina Gubanova FROH Marco Jentzsch FREIA Anna Samuil DONNER Jan Buchwald Tänzer der Eastman Company LOGE Stephan Rügamer WOTAN Hanno Müller-Brachman; Staatsoper Berlin, Foto: © Monika Rittershaus Weiterlesen

„Love kills – Betting on the Muse“

2010, Oktober 26.

„Love kills – Betting on the Muse“
Eine Ausstellung von Florian Heinke und Sandra Mann

Da kann man sich schon einmal, selbst in der experimentierfreudigen Frankfurter Kunstszene, verblüfft die Augen reiben: In einer – bei aller langen Zeit der aufwändigen wie sorgfältigen Vorbereitung – doch recht kurzfristig anberaumten Ausstellung begegnen wir allerlei Hochpreisigem und sicherlich kaum Erwerbbarem bereits arrivierter Grössen des Kunstbetriebs zwischen und neben Arbeiten aufstrebender Künstlerinnen und Künstler des heimischen Umfelds. Zur erstgenannten Kategorie dürfen wir Namen wie beispielsweise Thomas Bayrle, Anton Corbijn, Jack Goldstein, Barbara Klemm, Jonathan Meeze, Christa Näher, Nam June Paik, Tobias Rehberger oder gar Gerhard Richter nennen. In der Einladungskarte erscheinen sie bunt gemixt mit den Namen derer, die sich noch auf dem zumeist mühsamen Weg des Aufstiegs zum Gipfel des von den Kunstgöttern vereinnahmten Olymp befinden.

So freut sich denn auch Professor Jean-Christophe Ammann, der erste und langjährige Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, über den Mut und das Selbstbewusstsein der jüngeren Künstlergeneration, ihre aktuellen Arbeiten mit denen der im Betrieb längst Etablierten zu messen.

Sandra Mann, Florian Heinke und Jean-Christophe Ammann in der Ausstellung; Foto: FeuilletonFrankfurt
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Bernhard Jäger – Späte Hommage zum 75. Geburtstag

2010, Oktober 24.

Bernhard Jägers Figuren – fantastisch, grotesk, seziert, analysiert, systematisiert
Späte Hommage zum 75. Geburtstag

Text und Fotografien: © Renate Feyerbacher
(1 Foto Ute Wittich)


Bernhard Jäger am 8. September 2010 in seinem Frankfurter Atelier

Aus Bernhard Jägers Dankesrede zur Verleihung des Preises der Heitland-Foundation Celle, am 16. Mai 1998:

„Ich danke meinem Vater, dass er mich gezeugt hat, aber nur dafür.

Ich danke meiner Mutter, die hochschwanger 1935 mit dem Flugzeug von Berlin nach München flog, um mich dort zur Welt zu bringen.

Ich danke Karl Valentin, dass er sich bereit erklärte, mein Patenonkel zu sein. Weiterlesen

Karl-Ströher-Preis an Cyprien Gaillard

2010, Oktober 23.

Ausstellungsansicht: Cyprien Gaillard, Geographical Analogies, 2006-2009; Foto: FeuilletonFrankfurt

Mit 20.000 Euro gehört der Karl-Ströher-Preis zu den höchstdotierten deutschen Preisen für Gegenwartskunst. Die Summe teilt sich in ein Preisgeld von 10.000 Euro unmittelbar für den Künstler und in den gleichen Betrag, der zum Ankauf eines Werkes des Preisträgers für das Frankfurter Museum für Moderne Kunst MMK bestimmt ist. Der Preis wird alle zwei Jahre von der Karl-Ströher-Stiftung verliehen, die 1983 auf Wunsch des 1977 verstorbenen Darmstädter Unternehmers und Sammlers Karl Ströher von dessen Familie gegründet wurde. Am 21. Oktober 2010 erhielt der französische Künstler Cyprien Gaillard die Auszeichnung. Weiterlesen

Jahr der Stille 2010: Oktober

2010, Oktober 22.

Frankfurt am Main hat ein „Haus der Stille“. Es ist ein architektonisches Kleinod und steht auf dem Campus Westend der Universität, neben den Studentenwohnheimen. Es ist in dieser Form in Deutschland einmalig: ein offenes Haus als ein Rückzugsort innerhalb der Johann Wolfgang  Goethe-Universität, an dem Vertreterinnen und Vertreter aller Religionen und Kulturen sich begegnen können, an dem man zusammenkommen kann, um gemeinsam zu schweigen, zu meditieren oder zu beten. Weiterlesen

Christiana Protto und der Hauch eines west-östlichen Zaubers

2010, Oktober 20.

Vom Hauch eines west-östlichen Zaubers soll die Rede sein – wie das? Wir konkretisieren: Nicht um den West-östlichen Divan soll es gehen, sondern um Fernöstliches, genauer gesagt um China.

Wir stellen dazu auch einmal – jedenfalls für die Momente unserer Betrachtungen – alle tagespolitischen, alle uns über das Jahr hinweg begleitenden Sorgen und Bedenken, wenn es um das politische China geht, und all das hintan, was sich mit der mutig-klugen Entscheidung des Komitees zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo schon ergeben hat und noch ergeben wird. Denn hier und heute soll es um nichts anderes als um Kunstwerke gehen, ganz individueller Art und ohne jeglichen Überbau, so jedenfalls möchten wir es verstehen.

Und fast überflüssig, es unseren Leserinnen und Lesern erneut zu signalisieren: dass wir sie nicht mit den üblichen Sprachwerkzeugen aus dem Handwerkskasten hochgerüsteter kunsthistorischer Gelehrsamkeit traktieren.

Nun, es begann recht unspektakulär, in einer Atelierwohnung im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, als wir eines Stapels dünnen, feinen Papiers ansichtig wurden, wir bemerkten, dass sich manche der Blätter wohl unter dem Einfluss von Flüssigem, so erklärten wir es uns, etwas verzogen hatten, das eine oder andere uns sozusagen knautschig ansah, auch von den Rändern her eine Spur fledderig erschien, und deshalb wurden wir neugierig. Und wieder einmal bestätigte sich die Erfahrung, dass Neugier produktiv ist und belohnt wird.

Es können gerade jene beschriebenen Eigenschaften sein, die aus einem gewöhnlichen Blatt dünnen Papiers etwas ganz besonderes zu machen vermögen. Aber was sind das eigentlich für Papiere, was bedeuten sie uns, dass wir uns ihnen mit steigender Empathie zuwenden?

Hut

Zettel, vielleicht von einem Notizblock abgerissen, zumeist liniert, mit einem Aufdruck chinesischer Schriftzeichen versehen Weiterlesen

„Hoffmanns Erzählungen“ in der Oper Frankfurt

2010, Oktober 19.

Die Fantasie ist meine Amme – „Hoffmanns Erzählungen“ in der Oper Frankfurt

Betrachtungen von Renate Feyerbacher

Hoffmann und Offenbach: zwei Gleichgesinnte

Der Literat, Musiker, Zeichner und Jurist E. T. A. (Ernst Theodor Amadeus) Hoffmann (1776 bis 1822), gebürtig in Königsberg, und der Komponist Jacques Offenbach (1819 bis 1880), in Köln geboren, haben einiges gemeinsam: Beide arbeiteten nicht um der hehren Kunst willen, sondern um schnell Geld ins Säckel zu bekommen. Beide hatten einen ausgeprägten Geschäftssinn. Beide wurden von Gläubigern verfolgt.

Beide sind sehr gesellig. Der eine streift über die Pariser Boulevards, der andere sitzt häufig im Weinhaus Lutter & Wegner, wo er bis morgens erzählt und trinkt. Beide sind auf Effekte aus, auf die Wirkung beim Publikum. Beide haben eine Schwäche für Fantastisches. Hoffmanns Gespensterwelt, seine Phantasmagorien ziehen den Komponisten in Bann.

14jährig geht Offenbach nach Paris, um mit Musik Geld zu verdienen. Da ist in Frankreich bereits die Begeisterung für den deutschen Poeten E. T. A. Hoffmann voll entbrannt. Offenbach, der Cello-Virtuose, wird von den französischen Zeitungsleuten mit Hoffmann in Verbindung gebracht: „Mit seinen langen Haaren, seinem schmalen Wuchs und seiner geistvollen Stirn könnte man ihn für eine Gestalt aus den fantastischen Erzählungen Hoffmanns halten“, hiess es 1843.

Acht Jahre später erlebt Offenbach die Uraufführung des fantastischen Dramas „Les Contes d’Hoffmann“ („Hoffmanns Erzählungen“) der Autoren Michel Carré und Jules Barbier. Es basiert auf Erzählungen des deutschen Poeten. Offenbach ist begeistert. Der Stoff lässt ihn nicht mehr los.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kippt die Stimmung. Die Begeisterung für Hoffmanns Werk schlägt um. Goethe hatte ja schon früh gewettert „krankhafte Werke eines leidenden Mannes“. Ebenso schwindet Offenbachs Ruhm. Der „Abgott der Boulevards“ muss dringend ein Werk schaffen, das ihn aus der finanziellen Misere holt. Da erinnert er sich an „Les Contes d’Hoffmann“, die er 25 Jahre zuvor im Théâtre National de l’Odéon sah. 1877, drei Jahre vor seinem Tod, beginnt der Komponist mit der Oper. Diesmal nimmt er sich Zeit mit der Arbeit. Er hinterlässt allerdings ein Opern-Fragment. Der Epilog ist nur vorgezeichnet.

Alfred Kim (Hoffmann; rechts stehend in blauem Jackett) sowie im Hintergrund v. l. Florian Plock (Peter Schlemihl), Brenda Rae (Olympia), Elza van den Heever (Antonia), Michael MacCown (Cochenille), Claudia Mahnke (Giulietta) und Chor der Oper Frankfurt; Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel Weiterlesen

Pisa von innen (12)

2010, Oktober 15.

Pisa von innen
Eine authentische Erzählung

von © Salias I.

Erster Teil (12)

Nachlass

Die platonische Liebe indes nährt nicht; zuhause gebe ich mich erstmal der Welthungerhilfe hin, und dann habe ich nichts anderes mehr im Sinn als einen üppigen Mittagsschlaf.

15.30 Uhr. Ich verabschiede mich von dem unschuldigen Sonnenschein, der mir ins Zimmer scheint, kuschle mich in die Federn, es ist gut, wie es nachlässt, ich übergebe mich der Erlösung eines Schlafes, der mich aufnehmen, der endlos währen, nichts mehr denken, nichts mehr spüren lassen möge als vollkommenes Nachlassen.

Aber alles endet, Weiterlesen

Lateinamerika – eine aufstrebende Region

2010, Oktober 10.

Lateinamerika – eine aufstrebende Region

Text / Gespräch und Fotos: © Renate Feyerbacher

Übersetzung: Nadine Mager*

Vor zwei Jahren eröffnete in Frankfurt am Main das lang ersehnte Instituto Cervantes, das spanische Kulturinstitut, das sein deutsches Gegenüber im Goethe-Institut hat. Seit einem Jahr ist Mercedes de Castro Direktorin des spanischen Instituts, das in das ehemalige, denkmalgeschützte Amerikahaus in der Staufenstrasse zog. Ein grossartiger kultureller Wind weht dort, seitdem Frau de Castro das Haus führt. Sie absolvierte ein D.A.A.D – Stipendium in Hamburg, arbeitete im spanischen Bildungs- und Erziehungsministerium, leitete das „Cervantes“ in Bremen und war in München stellvertretende Chefin des dortigen Instituto.

Pünktlich zur Buchmesse, die Argentinien zu ihrem Schwerpunkt erkoren hatte, gab es ein Forum der iberoamerikanischen Kulturen, in dessen Mittelpunkt die neue Iberoamerikanische Kulturcharta stand. Es war eine Uraufführung. Die Kulturcharta, die auf Deutsch vorliegt, wurde zum ersten Mal in Europa vorgestellt, wie Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, stolz verkündete. Hochkarätig besetzt war denn auch das Podium, auf dem auch der Generalsekretär von SEGIB, des 2005 gegründeten Secretaria General Iberoamericana, Enrique Iglesias, sass. Die Familie des 1931 in Spanien geborenen Staatsmanns wanderte nach Uruguay aus, als der Junge drei Jahre alt war. Enrique Iglesias führte bedeutende Banken und war Aussenminister von Uruguay. Er besitzt die spanische und die uruguayische Staatsbürgerschaft, eine gute Voraussetzung für eine intensive lateinamerikanisch-europäische Zusammenarbeit. Mit auf dem Podium waren, ausser der Hausherrin, noch der spanische Botschafter und Juergen Boos.

(von links) der spanische Botschafter Rafael Dezcallar de Mazarredo, Enrique Iglesias, Mercedes de Castro, Juergen Boos

Für FeuilletonFrankfurt beantwortete Enrique Iglesias Fragen zur Kulturcharta und zu SEGIB, das in den vier Bereichen Politik, Wirtschaft, Soziales und Kultur aktiv ist Weiterlesen