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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Oktober, 2007

Absolventenaustellung 2007 „Hit the Road Jack“ der Städelschule Frankfurt am Main

2007, Oktober 20.

Absolventen der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Frankfurt am Main, der Städelschule – sind sie die „Rembrandts“, die „Picassos“, die „Warhols“ von morgen und übermorgen? Wir wünschen es ihnen. Ein steiniger Weg liegt vor ihnen, der sich aber auch als erfüllend und beglückend erweisen kann. Allemal droht die bekannte „Brotlosigkeit“ der Künste. Für viele jedenfalls. Manche werden der Versuchung erliegen, sich dem willig-billigen Zeitgeist anzudienen, andere werden als Einzelkämpfer um immer neue Möglichkeiten ringen.

Das Städel Museum in Frankfurt am Main eröffnete am 18. Oktober 2007 unter einem riesigen Besucherstrom die Ausstellung „Hit the Road Jack“ mit Abschlussarbeiten der diesjährigen Hochschulabsolventen. Der Absolventenpreis ging an den Künstler Martin Hoener für seine aussergewöhnliche Arbeit „Sinnbild der umgekehrten Vorstellung von Dir in meiner Seele (Porträt des Mr. Glendinning aus ‚Pierre‘ von Herman Melville), 2007“. Martin Hoener wurde 1976 in Wedel bei Hamburg geboren. Er studierte zuletzt in den Klassen der Städel-Professoren Thomas Bayrle und Michael Krebber. Hoener hatte bereits Einzelausstellungen in zwei Frankfurter Galerien sowie zahlreiche Gruppenausstellungen in Deutschland und im Ausland. Herzliche Glückwünsche auch von hier aus an den Preisträger!

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Martin Hoener, Preisträgerarbeit „Sinnbild der umgekehrten Vorstellung von Dir in meiner Seele (Porträt des Mr. Glendinning aus ‚Pierre‘ von Herman Melville), 2007“
(Öl auf Leinwand, gerahmt)

Stifter des Preises ist der Verein Städelschule Portikus e.V., die Auszeichnung ist mit 2.000 € dotiert. Weiterlesen

Taryn Simon – die Realität hinter der Fotografie – ein Nachklapp

2007, Oktober 11.

“An American Index of the Hidden and Unfamiliar” im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK)

Ein Nachklapp oder: Nachhilfestunde für die Frankfurter FDP

Zur Zeit läuft im Frankfurter Museum für Moderne Kunst eine der bemerkenswertesten Ausstellungen der jüngeren Vergangenheit. Wie notwendig sie ist, stellt jüngst die Frankfurter FDP-Fraktion in einem Ausmass unter Beweis, das einem bei aller Abgebrühtheit gegenüber der „Kunstferne und Begriffsstutzigkeit“ (Zitat FAZ), ich möchte sagen: dem Banausentum mancher Politiker doch den Atem stocken lässt.

Wie die FAZ unter dem Titel „Setzen, Sechs! Die FDP geht ins Museum“ dankenswerter Weise glossierte, soll die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion die Ausstellung nach eigener Aussage erst verstanden haben, nachdem sie die dazugehörigen Texte gelesen hat. Deren Schriftgrad – wie wir wissen, Teil der künstlerischen Konzeption – bereitete ihr offensichtlich Verdruss. Nun fordert die FDP-Fraktion im Frankfurter Stadtparlament den Magistrat per förmlichem, vom Fraktionsvorsitzenden unterschriebenen Antrag wohl allen Ernstes auf, „… die Texte neben den Ausstellungsobjekten in städtischen Museen mit gut leserlicher Schrift zu versehen … Gerade bei der laufenden Ausstellung im Museum für Moderne Kunst ‚An American Index of the Hidden and Unfamiliar‘ von Taryn Simon ist es dringend erforderlich, dass die Texte zu den Bildern gelesen werden, um die Ausstellung zu verstehen. Sie sind jedoch so klein geschrieben, dass sie nur aus nächster Nähe zu lesen sind.“

Na, da läuft die FDP-Fraktion Taryn Simon voll in das aufgeklappte künstlerische Messer. Das kommt davon – so meine Erklärung – , wenn man als ordo- und neoliberaler politischer Scheuklappengänger wohl kaum anderes als Markt und Kommerz im Kopf hat. Es bewahrheitet sich: Kunst war noch nie so notwendig wie heute! „Setzen, Sechs“, wie die FAZ schreibt? Mindestens – besser noch: Klassenziel nicht erreicht, Schuljahr wiederholen!

Taryn Simon – die Realität hinter der Fotografie

2007, Oktober 10.

„An American Index of the Hidden and Unfamiliar“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK)

Realität hinter der Fotografie? Ein Widerspruch? Ist nicht die Fotografie ein Dokument der Wirklichkeit? Das war nur in deren Anfangsjahren so. Bald kam die Verfälschung durch immer raffiniertere Retuschetechniken. Mit der Digitalisierung folgte der Absturz: Eine Fotografie taugt in aller Regel nicht mehr für die Dokumentation: Jeder Beliebige kann mit überall verfügbarer Software Fotografien manipulieren und verfälschen. (Exkurs: Die Befreiung der Fotografie von der Last, zu dokumentieren, verhalf ihr andererseits schon vor langem zu neuen Spielräumen als eigenständiges künstlerisches Ausdrucks- und Gestaltungsmedium).

Was ist also jetzt das Besondere an dem fotografischen Werk von Taryn Simon? Als erstes ihre Versicherung, keine digitalen Manipulationen unternommen zu haben. Wir schenken ihr gerne Glauben und wissen um die Integrität ihres künstlerischen Schaffens.

Das nächste Besondere – und damit ein Wesen ihrer Kunst – ist, wie ich meine, der Weg, auf dem sie uns zu einer bislang verborgenen Realität führt, zu nicht gekannten Einblicken, zu Erkenntnissen über uns und über die Befindlichkeit, den Zustand unserer Gesellschaft. Taryn Simon wäre keine Künstlerin, wenn sie uns nicht diesen besonderen Weg führte: den Weg zunächst der sinnlichen Wahrnehmung von Schönheit und Opulenz ihrer Fotografien; der damit Hand in Hand gehenden Verführung, sich auf optisch-kulinarische Pfade zu begeben, die sich, früher oder später, als Irrwege entpuppen; den Weg der plötzlichen Wendung von Schönheit zu Ernüchterung und Erschrecken; zu der Verlegenheit und Unmut weckenden Selbsterkenntnis, ausgelegte Fallstricke nicht rechtzeitig erkannt zu haben.

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U.S. Customs and Border Protection, Bannware, John F. Kennedy International Airport, Queens, New York

„Afrikanische Rohrratten übersät mit Maden, afrikanische Süßkartoffeln (dioscorea), Andenkartoffeln, Kürbispflanzen aus Bangladesh, Buschfleisch, Cherimoya-Frucht, Curryblätter (murraya), getrocknete Apfelsinenschalen, frische Eier, afrikanische Riesenschnecke, Impala-Schädeldecke, Jackfrucht-Samen, Cythera-Pflaume, Kolanüsse, Mango, Okra, Passionsfrucht, Schweinsnase, Schweinsmaul, Schweinefleisch, rohes Geflügel (Huhn), südamerikanischer Schweinskopf, südafrikanische Strauchtomaten, südostasiatische Limonette infiziert mit Zitronenkrebs, Zuckerrohr (poaceae), ungekochtes Fleisch, unidentifizierte subtropische Pflanze in Muttererde.

Alle Gegenstände auf dem Foto wurden aus dem Gepäck von Passagieren beschlagnahmt, die innerhalb eines Zeitraums von 48 Stunden aus dem Ausland kommend am Terminal 4 des JFK Airport in die Vereinigten Staaten einreisten. Die beschlagnahmten Gegenstände werden identifiziert, analysiert und dann entweder zermahlen oder verbrannt. JFK fertigt mehr internationale Passagiere ab als jeder andere Flughafen in den Vereinigten Staaten.“

(© Taryn Simon für Bild und Text, Courtesy Gagosian/Steidl) Weiterlesen

Heide Weidele

2007, Oktober 4.

Heide Weidele – nicht nur Phantasien in Licht

Von Erhard Metz

Industriepark Höchst, Hermann Scheer, Experte für erneuerbare Energien, designierter Wirtschafts- und Umweltminister in einem möglichen Kabinett Ypsilanti in Hessen: „Es gibt keinen Abfall, es gibt nur Material zur falschen Zeit am falschen Platz“. Der Materialist. Es geht um „Ersatzbrennstoffe“.

Ortswechsel.

Oberrad, ein Garten, ein Atelier, Heide Weidele: „Eine interessante These, aber nicht mein Ansatz. Meine Materialien sind Plastik-Gegenstände und -überbleibsel, ‚Abfälle‘ aus Haushalten, aber sie ‚leben‘ weiter und fordern mich zu neuer Gestaltung auf“.

Es ist einer jener zauberhaften Spätsommer- oder Frühherbstnachmittage, wir sitzen in der Sonne im grossen, wildernden Garten voller alter Bäume, Sträucher und Büsche, abblühender Blumen, die die Pracht des ausklingenden Sommers erkennen lassen, von letzten Schmetterlingen umflogen. Wir trinken hocharomatischen Tee, gebraut aus frisch gepflückter „gemeiner“ sowie englischer Pfefferminze. Das Atelier: eine 150 Meter lange ehemalige Seilerbahn im südlichen Frankfurt. Wundersam bizarres, rostiges Maschinengewirr, behütet von feinen Spinnweben. Ein Glücksfall, dieser Garten, dieses Atelier.

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Materialien im Atelier Weiterlesen