Von Ingrid Malhotra
© Text und Fotos
Essen ist hier richtig spannend …
Vor einiger Zeit war ich zu einem Vortrag im China-Institut, über Marco Polo, genauer gesagt, über die nach wie vor nicht so recht gelöste Frage „War er nun in China oder nicht?“
Spannendes Thema, spannende Frage, spannender Vortrag.
Aber sehr überrascht hat mich die Information des Vortragenden, dass Marco Polo in den chinesischen Annalen der Zeit nicht erwähnt wird. Gut, klar, Chinesen interessieren sich in erster Linie für China und andere Chinesen. Und im 13. Jahrhundert sowieso, ausländische Barbaren waren ja so unglaublich unwichtig …
Aber dennoch, angesichts des unbändigen Stolzes, mit dem viele Chinesen reagieren, wenn man Marco Polo erwähnt – schliesslich habe er die bedeutendsten Errungenschaften chinesischer Gourmetkultur, nämlich Nudeln und Teigtaschen, dem rückständigen und unwissenden Rest der Welt mitgeteilt -, ging ich eigentlich davon aus, dass der Besuch des Marco Polo sich ins kollektive Gedächtnis der Chinesen unauslöschlich eingebrannt hatte.
Muss aber wohl doch ein neueres Phänomen sein …
Die Gourmetkultur hingegen ist alles andere als neu!
Es ist nahezu unmöglich, in China schlecht zu essen!
Hier glauben ja immer noch erschreckend viele, chinesisches Essen sei dieses pseudo-eingedeutschte, pseudo-kantonesische Zeug. Es geht nichts über gesunde Vor- und Fehlurteile, nicht wahr? Denn DAS chinesische Essen gibt es ebenso wenig, wie es DAS europäische Essen gibt. Der Spannungsbogen reicht von Sichuan bis Beijing, von Shanghai bis Hohhot, von Hong Kong bis Xi’an.
Und die zahlreichen Regionalküchen unterscheiden sich nicht nur in Details der Zubereitung, sondern schon in den Grundzutaten. Im Süden Chinas wächst Reis, dort ist Reis dementsprechend auch immer dabei, als Beilage, als Bestandteil von Gerichten, als Reisnudel und als Reisbrei. Im Norden wächst Weizen, und natürlich ist der dann immer dabei, als Nudel, als Pfannkuchen, als Brei, als praktische Teigtasche für eine Vielzahl von delikaten Inhalten.
(Übrigens, unsere Lieblingsbeilage, die Kartoffel, gilt in China als Gemüse … Aber das ist ja auch leicht zu erklären, denn als die Kartoffel aus Südamerika sich anschickte, den Rest der Welt zu erobern, hatten die Chinesen schon längst leicht zuzubereitende Beilagen, bei uns sah das damals noch ein bisschen anders aus!)
Das hat den grossen Vorteil, dass man in den nordöstlichen Landesteilen schon zum Frühstück nicht nur den allgegenwärtigen Reiscongee bekommt, sondern auch leckere Teigtaschen mit den unterschiedlichsten Füllungen. So frühstücke ich gerne, manchmal gibt es sogar auch einen trinkbaren Kaffee dazu …
Congee ist übrigens ein dünnflüssiger Reisbrei, der intensiv nach gar nichts schmeckt. Deshalb mischen die Chinesen gerne eingelegte Gemüse, gebratenes Hackfleisch oder geschnetzeltes Lamm hinein, auch Fisch ist ziemlich beliebt. Aber mir macht es entschieden mehr Spass, über Mittag- und Abendessen nachzudenken. Vielleicht unternehmen wir einmal eine kleine Rundreise und schauen, was man an verschiedenen Orten so zu essen findet und was für die jeweilige Region typisch ist:
Am besten starten wir vielleicht in Hong Kong, denn erstens gehört Hong Kong trotz der Rückgabe an China irgendwie doch nicht so recht dazu, und zweitens ist Hong Kong ein einziger Gourmettempel: es gibt nichts, was es hier nicht gibt! Ein Spaziergang durch die verschiedenen Märkte ist ein gewaltiges Vergnügen, auch wenn es für europäische Augen gewöhnungsbedürftig ist, dass sogar die Teile der zerschnittenen Fische noch zappeln und auf dem Holzblock umherspringen. Aber die Zutaten müssen eben total frisch sein. Und manche Fische sind zu gross, um sie lebend in einem Plastiktütchen mit Wasser nach Hause zu tragen.
Dim Sum in Hong Kong
Hier gibt es ganze Strassenzüge, die auf bestimmte Arten von Restaurants spezialisiert sind Weiterlesen