Verkehrswende: Denn sie wollen, was sie tun
Fahrradfreundliches Frankfurt: ein uneingeschränkter Erfolg?
Von Uwe Kammann
Alles bestens. Jedenfalls dann, wenn es nach dem Frankfurter Verkehrsdezernat und der University of Applied Sciences (UAS) geht. Die dortige Einrichtung mit einer Anfang 2021 von Dennis Knese übernommenen Professur für nachhaltige Mobilität und Radverkehr hat gerade eine von der Stadt 2022 in Auftrag gegebene Studie („Abschlussbericht“) vorgestellt, welche die 2021 begonnene tiefgreifende Umgestaltung des Oeder Wegs nachzeichnet und die Auswirkungen untersucht (so mit Befragungen, Zählungen und Kamerabeobachtungen). Das Ergebnis fällt nahezu uneingeschränkt positiv aus. Die im Zuge einer Mobilitäts-/Verkehrswende angestrebten Ziele seien erreicht worden: auf der nun „fahrradfreundlichen Nebenstraße“ (Nomenklatur der Stadt) herrsche deutlich weniger Auto-, stattdessen mehr Fahrradverkehr, die Aufenthaltsqualität habe sich erhöht, ebenso die Verkehrssicherheit und eine Lärmminderung. Das ganze Ergebnis werde von der Mehrheit der Anwohner positiv beurteilt. Die FAZ kommentierte dies in ihrem Bericht zur Pressekonferenz (25. April) und deren Tenor: Es komme darauf an, wie man es sieht …
Neu am Grüneburgweg: ab nach rechts in die Wohnstraße, Foto und alle Fotos; Uwe Kammann
Wie sieht es nun der Autor von FeuilletonFrankfurt, der seit 45 Jahren – mit einer kleinen Ausnahme – in Frankfurt lebt (und zwar multimobil: zu Fuß, per Velo, Auto oder Bahn)? Hier seine Einordnung – durch viele Gespräche mit Frankfurter Bürgern gestützt – und seine kommentierenden Anmerkungen zu diesem kommunalen Wende-Projekt, das seit dem von einer Bürgerinitiative initiierten „Radentscheid“ mit großer Energie vorangetrieben wird. Ein Polit-Projekt allerdings, das auch zu einem heftigen Meinungsstreit in der Stadtgesellschaft geführt hat und immer noch führt, zumal weitere Folgemaßnahmen realisiert wurden und noch geplant sind. Das Ganze sei modellhaft auch als „Blaupause“ zu verstehen, so eine Kernaussage bei der Vorstellung der begleitenden Studie (sie ist, wie auch weiteres Material zum Thema, unter diesem Beitrag zu finden).
Bei der Vorstellung des Abschlussberichtes (von links): Studienleiter Prof. Dr.-Ing Dennis Knese (UAS), Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert, Stefan Lüdecke (Leiter der Koordinierungsstelle Radverkehr und Radverkehrsbeauftragter der Stadt Frankfurt)
Es hört sich überaus vernünftig, einleuchtend und allgemein akzeptabel an, wie Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert in einem Interview mit FeuilletonFrankfurt die Ziele der Verkehrs-/Mobilitätswende charakterisiert hat. Es gehe um „gute Funktionalität“ und um eine „„menschengerechte Stadt“. Wer wollte da widersprechen?
Allein, der persönliche Eindruck nach den bislang realisierten Maßnahmen ist ein ganz anderer. Danach geht es unter dem sanften Aktionstitel „fahrradfreundlich“ vor allem darum, das Auto als Verkehrsmittel zurückzudrängen. Schärfer formuliert: es zu vergrämen und dessen Bewegungen in der Stadt weitgehend zu vermindern (als neuer Begriff taucht inzwischen „Verkehrsverpuffung“ auf). Die ungehinderte Zugänglichkeit ganzer Stadtquartiere soll weitgehend eingeschränkt („Insellösungen“), der dort ausgeschlossene Verkehr stattdessen auf die umgebenden Hauptstraßen verlagert werden. Dies, grob umrissen, ist die Zielsetzung, wenn es um Hauptlinien der jetzt propagierten Verkehrs-/Mobilitätswende geht; natürlich wird sie auch mit notwendigem Gegensteuern angesichts klimatischer Veränderungen begründet.
Einmündung in die Eschersheimer Landstraße: für Autos verboten
Über diese Punkte soll später diskutiert werden. Eingangs geht es um direkte Reaktionen, solche, die mit dem Oeder Weg begonnen haben, sich dann fortsetzten, als die erste Sperrung wegen des Ausweichverkehrs in Nebenstraßen durch weitere Sperrungen ergänzt wurden. Am Grüneburgweg kam es jetzt – nach einer ersten Diagonalsperrung bei der Einmündung der Feldbergstraße – zu einem aktuellen Höhepunkt: nämlich zur einseitigen Teilsperrung dieser vorher ganz normalen Geschäfts- und Wohnstraße. Die nie und nimmer, wie jetzt programmatisch tituliert, eine „Nebenstraße“ war und ist.
Verwunderung, Verwirrung, Ablehnung, Zorn: Das gehörte jetzt zum Reaktionsfächer, wie er an mehreren Beobachtungstagen vielfach von Passanten, aber auch von hilfsweise regelnden Verkehrspolizisten spontan zu hören war. Mit der Schlussfolgerung, wie leicht – in sich jedoch absolut konsequent – aus einem vornehmlich grün grundierten Stadt-Traum ein alltäglicher Albtraum wird. Mit einer im Ganzen und im Detail verwirklichten Verkehrsplanung wider jegliche Vernunft, wider alles, was man als rational bezeichnen könnte (die jetzigen Planer werden natürlich das Gegenteil behaupten).
Verunsicherung … der Zebrastreifen ist weg
Speziell die einseitige Sperrung des letzten, zur Eschersheimer Landstraße führenden Teils des Grüneburgwegs (die Gegenrichtung dürfen Autos befahren) ist völlig dysfunktional. Eine Reihe von Autofahrern war zu beobachten, die hier nicht – wie nun vorgeschrieben – nach rechts in die schmale Wohnstraße Im Trutz abgebogen, sondern nach optischem Instinkt (oder im reinen GPS-Vertrauen?) geradeaus weitergefahren sind. Wer bislang aus diesem Westend-Gebiet schlicht in Richtung Eschersheimer Turm fahren wollte, muss nun zum Anlagenring durchfahren, die Alte Oper passieren und in größerer Linksschleife in die Hochstraße einbiegen, schon jetzt eher ein staubelasteter Flaschenhals. (Doch wer weiß, vielleicht werden so durch Zauberkraft Emissionen vermindert, wie auch sonst bei den vielen neuen Umwegen …).
Wie auch immer: Zu konstatieren waren und sind durch die Neuregelungen am Grüneburgweg lauter gefährliche Situationen, gemildert und entschärft erst durch vorsichtiges Hin und Zurück der Fußgänger; verschärft allerdings durch einige ultraforsche Radler aller Art, welche die ihnen nun ausdrücklich in großen Lettern gewidmete „Fahrradstraße“ auch entsprechend einseitig interpretieren.
Gut gedeihender Schilderwald
Ebenso schlimm wie die beschriebene Dysfunktionalität ist das durch die vielfachen Neuregelungen des Straßenraums entstandene Straßenbild. Wer je auf das Kriterium Schönheit und ästhetische Gestaltung im Städtebau gesetzt hat, kann nur entsetzt sein. Entstanden ist eine Orgie an rotweißen Pollern und weißen Schrägmarkierungen an den Straßenecken („Gehwegnasen“), ein neuer Schilderwald ist wegen der vielen neuen Funktionszonen – so für Lieferverkehr, Gastronomie, eRoller – mit spürbarer Inbrunst gepflanzt worden. Schließlich muss alles verkehrstechnisch und rechtlich abgesichert werden.
Gut gesicherter Leerraum, frei von Fahrradbügeln
Dazu natürlich Fahrradbügel überall, gerne vor oder hinter Einmündungen, nicht allerdings auf der großen Fläche einer langen Parkbucht vor dem Rewe-Supermarkt – die ist sorgfältig mit Pollern versperrt, ansonsten aber leer. Wundern kann man sich auch über nun fehlende Zebrastreifen, bislang gut gelernte Sicherheitselemente für Fußgänger. Dafür haben die Weiß-Markierer ansonsten flächendeckend ganze Arbeit geleistet. Die früheren Ampelanlagen: abgeschaltet (an einer anderen, fast toten Kreuzung zur Oberlindau leuchtet es hingegen weiterhin rot, gelb, grün). Das alles ist weder im Einzelnen noch in der Summe zu begreifen und zu glauben. Man meint, einem surrealen Theaterstück aus dem Tollhaus von Regelungswütigen beizuwohnen. Befragte Polizisten sprachen schlicht von einem Schildbürgerstreich.
Wer allerdings Autoverkehr in der Stadt für weitgehend überflüssig hält, die stählernen Vehikel für lästige und vielfach schädliche Abgesandte des Teufels hält, wer zudem vornehmlich und vordringlich auf die universelle Mobilität der eigenen Füße, des Fahrrads und der vorhandenen Busse und Bahnen setzt, der wird angesichts des zunehmend rot eingefärbten, allüberall markierten und verpollerten Neuen Frankfurts sagen: Bingo, das ist die Superlösung.
Gut gesichert und exklusiv: ein Fahrrad-Abstellplatz
Bei diesem Gewinn an Aufenthaltsqualität (dies wird immer als Ziel propagiert und auch konstatiert) macht es gar nichts, wenn verbliebene Wege durch Wohnstraßen führen, die Umwege unumgänglich länger und damit die Emissionen größer werden, wenn Auswärtige aufgrund überholter Navi-Angaben herumirren: Hauptsache, wir exekutieren den durch eine Bürgerinitiative angestoßenen und durch die vorgehende Stadtregierung auf den Weg gebrachten „Radentscheid“, und zwar so, wie wir ihn jetzt behördlich auslegen, in eigener Vollmacht, in jeder Konsequenz. Unser (vornehmlich grüner) Wille, von den damaligen Koalitionspartnern nicht gebremst, geschehe, wo immer wir die Möglichkeit sehen, und seien die Folgen noch so absurd und staufördernd wie auf der Berliner Straße, wo ein meist leerer roter, die halbe Fahrbahn einnehmender Fahrradstreifen wohlwollend lediglich als Street-Art ausgelegt werden kann (ein anderer funktionaler Grund allerdings vorgeschoben wird).
Jeweils ein paar Stunden der Beobachtung an vielen der bisherigen Wende-Schöpfungen, eine Reihe von Befragungen am Rande, das Einsammeln der Urteile von Polizeibeamten vor Ort: Das alles führt (natürlich, völlig unwissenschaftlich, allein auf der Grundlage der persönlichen Empirie) zu einem immerwährenden Nicht-Begreifen. Verstehen das andere besser, ist das nur Beharrungsvermögen und reaktionärer Starrsinn, entspringt das den Verlustängsten eines alten Mannes, den seine angestammte Autoliebe blind macht?
Eine solche absolute Liebe hat gerade einmal wieder eine junge Historikerin in der FAZ herbeiphantasiert, auch andere Autoren im dortigen Feuilleton (wie Niklas Maak und Edo Reents) geißeln diese angeblich urdeutsche Eigenschaft (waren sie noch nie im Ausland?). Nun, nicht zu vergessen, Überreste dieser angeblichen, auf jeden Fall aber verwerflchen Liebe werden von den Planern noch bedient, ein paar Parkplätze gibt es noch, wie auch im Oeder Weg oder im ebenfalls nun fahrradfreundlich ausgestaltetem Kettenhofweg. Diese Restplätze sind auch auf kürzesten Abschnitten mit eigenen blauen Schildern gekennzeichnet. Bitte schön, signalisiert diese Schilderitis, wir sind doch gar nicht so, wir wollen doch die Autos nicht vollständig vertreiben, verdrängen oder gar verbieten.
Diesen Grundsatz – die Mobilitätspolitik richte sich nicht gegen Autos, es gehe lediglich um die Verminderung der früheren Dominanz – hat der Leiter des Mobilitätsdezernats, Wolfgang Siefert, im schon erwähnten ausführlichen Interview hier in FeuileltonFrankfurt unterstrichen. Zwar räumte er auch ein, dass durch die bereits eingeführten Diagonalsperren und Modalfilter sich in angrenzenden Nebenstraßen „gewisse Mehrbelastungen“ ergeben hätten. Doch dies, so der zugrundeliegende Generaltenor, sei angesichts des übergeordneten Ziels der Verkehrsverminderung in Kauf zu nehmen.
Wer die Antworten des Mobilitätsdezernenten auch im Subtext liest, der erkennt schnell: Diese Verkehrspolitik ist eindeutig eine Klientelpolitik, be- und gefördert aufgrund eines gehörigen Drucks durch eine Fahrradlobby, die auf erhebliche mediale Unterstützung zählen konnte und kann. Der von der Vorgängerkoalition aus SPD, CDU und Grünen 2019 beschlossene „Radentscheid“ (der gemeinsame Antrag RN 895 ist der „Fahrradstadt Frankfurt“ gewidmet) gilt nun als eindeutiges, kompromisslos auszulegendes Non-plus-Ultra für alle nachfolgenden Entscheidungen und Ausführungsvarianten.
Dies also haben die initialen 40.000 Pro-Unterschriften einer Bürgerinitiative bewirkt, die für lediglich zehn Prozent der Frankfurter Wahlberechtigten stehen; was ja auch heißt: dass beispielsweise alle Menschen, die zu den Pendlern gehören, auch alle Besucher und Kunden aus dem Umland nicht berücksichtigt sind. Doch die aus dem „Radentscheid“ abgeleitete Verkehrspolitik ist zum ehernen Vollzugsgesetz geworden, offensichtlich völlig immun gegen Alltagserfahrungen und zahlreiche Bürger-Einwände.
Und natürlich, jetzt kann sie sich auch auf die Abschluss-Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung berufen, welche die University of Applied Sciences (UAS) im Auftrag der Stadt geliefert hat. Dass diese Universität (die auf ihrer Homepage ausdrücklich ihre Fahrradfreundlichkeit und ihre Nachhaltigkeit hervorhebt) kurz zuvor im Rahmen einer Mobilitäts-Werkstatt (ReLUT) eine Professur für nachhaltige Mobilität und Radverkehr eingerichtet hatte (2020), war sicher eine willkommene Voraussetzung für die Vergabe der Studie. Der Amtsinhaber, Prof. Dr. Ing. Dennis Knese, betonte auf der aktuellen Pressekonferenz, dass er diesen Auftrag gerne angenommen habe.
Ein Bürgertreff am Grüneburgweg, optional und gut gesichert
Das Ergebnis ist, wie nicht anders zu erwarten (ganz nach dem Habermas’schen Zusammenspiel von Erkenntnis und Interesse), positiv und bekräftigend. Verkehrsdezernent Wolfgang Siefert ist jedenfalls – mit Verweis auf den „faktenbasierten Ansatz von neutraler Seite“ statt subjektiver Einschätzungen – überaus zufrieden: „Die Ergebnisse stimmen mich sehr positiv“. Insofern ist die vorliegende Studie auch als tragfähige Unterfütterung des städtischen Masterplans Mobilität aus dem vergangenen vergangenen Oktober einzustufen, der sich als Strategiemuster bis 2035 versteht und die bisherigen Maßnahmen aufnimmt und fortschreibt. Und der dabei – falls sich Rahmenbedinungen ändern sollten – für eine „Nachschärfung“ der „messbaren“ strategischen Ziele plädiert. Verwiesen wird dabei auf die Beteiligung von 3000 Bürgern, die Hälfte davon Jugendliche.
Ist das – ebenso wie angeführte begleitende Online-Werkzeuge – tatsächlich eine musterhafte Teilhabe der Bevölkerung, pardon: Stadtgesellschaft? Nun, es gibt eine Reihe von individuellen Äußerungen, aber auch von Vertretern der diese Verkehrspolitik attackierden Bürgerinitiativen, welche übereinstimmend lauten: bei Sitzungen des zuständigen Ortsbeirates seien alle Einwände gegen die Planungen abgeschmettert worden, teils in höchst arroganter oder auch süffisanter Weise.
Auch hier wieder der Punkt, dass Sichtweisen sehr unterschiedlich, oft gegensätzlich ausfallen: jene der Akteure, die sich auf professionelles Wissen berufen, und jene derer, die – naturgemäß eher anonym – ihre persönlichen Erfahrungen anführen. Dass andere Gruppen – wie betroffene Gewerbetreibende – sich schon aus geschäftlichem Eigeninteresse eher nicht mit städtischen Vertretern anlegen wollen (auf deren Wohlwollen sie im Zweifel angewiesen sind), ist anzunehmen.
Dass auch Sachstände je nach persönlicher Ausgangslage unterschiedlich bewertet werden (Prof. Dennis Knese hob dies am Beispiel der befragten Gewerbetreibenden am Oeder Weg hervor), zeigt auch eine auf den Grüneburgweg zielende Studie der Goethe-Universität, die zu abweichenden Ergebnissen kam. Die Unterschiedlichkeit je nach Vorlieben und Vorverständnis wird auch gelten, wenn es um das neueste Frankfurter Projekt geht: dem Etablieren von Insel-Lösungen ganzer Quartiere („Superblocks“ in ungefähren Flächen-Abmessungen von 400 mal 400 Metern). Dort soll im Inneren der Autoverkehr weitgehend ausgeschlossen werden (bei Ausnahme spezieller Funktionen, vom Liefervekehr bis zu Rettungsdiensten).
Parkende Poller in der Braubachstraße
Als Vorbild für derartige Insel-Abschottungen nennen die Befürworter speziell die Stadt Barcelona. Was sie lieber nicht erwähnen: dass die dortige linksalternative Bürgermeisterin Ada Colau wegen dieser entschlossen propagierten Anti-Auto-Politik abgewählt wurde und inzwischen auch bereits realisierte Insellösungen (mit absolutem Vorrang für Fußgänger und Zweiräder) wieder aufgehoben wurden, teils aus formalen Gründen, aber auch, weil die funktionalen Nachteile zu offensichtlich waren. Dazu gehören neben gefährlichen Zweirad-Kapriolen auch beträchtliche Geschäftseinbußen und vor allem eine beschleunigte Gentrifizierung: Im weitgehend abgeschirmten Innern stiegen – nicht verwunderlich – die Mieten überproportional.
Sperranlage Ecke Grüneburgweg/Feldbergstraße/Wolfsgangstraße
Ein solcher Mechanismus ist mittel- und langfristig auch bei Frankfurter Lösungen dieser Art zu erwarten. Denn klar: In der Insel lebt es sich ruhiger. Mit dem Nebeneffekt: Der gleichwohl nicht ausbleibende allgemeine Verkehr wird auf die umliegenden Straßen verlagert. Ganz nach der Formel: Entlastung hier, Mehrbelastung dort. Wobei zu fragen ist: Haben die Inselbewohner alle gar kein Auto mehr, oder vermehren sie ihrerseits bei eigenen Fahrten den Außenverkehr, exportieren also so glücklich wie unbefangen ihre Auto-Emissionen aller Art?
Ganz nebenbei: Beobachtern drängt sich hier ein Paradox auf. Während die Grünen allgemein im großen Maßstab stets gegen Abschottungen sind (Stichwort: ‚Festung Europa’), befürworten sie hier, auf lokaler Ebene, vehement eine Politik des Abgrenzens und Ausschließens: priorisierende Exklusion statt der sonst gepredigten Inklusion.
Was die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit aufwirft. Denn auch sonst ist bei einer verengenden, nominell progressiven Verkehrspolitik zu konstatieren: Wohlhabende und gut Situierte genießen einen Vorrang, können sich teurere Lösungen auf allen Mobilitätsgebieten (vom Parkraum bis zum eAuto) leisten; Normalverdiener hingegen geraten schnell an ihre Grenzen, werden finanziell ohne Bedanken einfach an den Rand geschoben – sie sollen gefälligst sehen, wo sie mit ihren Autos bleiben (auf die sie oft bei ihren Arbeitswegen und –zeiten angewiesen sind). Hauptsache, im Inneren der Städte lässt sich, polemisch überspitzt, eine Bullerbü-Idylle herbeiregeln und das Öko-Gewissen entlasten.
Das alles ist eine höchst einseitige Sicht auf eine funktionierende Stadt und die mit ihrer Vielfalt verbundenen höchst komplexen Verkehrsströme – die immer auch mit sehr unterschiedlicher sozialer Teilhabe zu tun haben. Und es schimmert (dies offenbart das Musterbeispiel des völlig überregelten Grüneburgwegs) eine Grundeinstellung durch: die Beschneidung individueller Verantwortung und Entscheidungsfreiheit zugunsten einer alles kasuistisch regelnden Vorsorge und Absicherung. Wer es polemisch mag: Es geht um betreutes Gehen, Fahren, Sitzen, Stehen und Leben.
Dabei lässt sich an der Natur leicht ablesen und einsehen, dass alle stabilen und/oder mobilen Modelle bei Netzsystemen auf einer ungehinderten Verteilung von Grob bis Fein beruhen und das Zerschneiden von Knoten oder das punktuelle Verstopfen von Arterien und Adern zu schweren Funktionsstörungen führt. Doch diese Lebenspraktiken scheinen die Missionare einer in ihren Augen unverzichtbaren Verkehrswende nicht zu beeindrucken. Sie setzen auf ihre strengen Regelmodelle, erklären sie für unverzichtbar und notwendig – nicht zuletzt im Sinne der besseren Gesellschaft, heute natürlich auch mit Blick auf Klimaveränderungen und deren Folgen.
Ein Lieblingsprojekt mancher Stadtplaner: Sperrung des Mainkais
So wird – zurück zur Frankfurter Realität – auch unvermindert der Plan weiterverfolgt, die wichtige Ost-West-Verbindung nördlich des Mains, also den Mainkai, komplett für Autos zu sperren. Und dies, obwohl der bisherige Verkehr erträglich ist und bei einer Sperrung unausweichlich die Straßen in Sachsenhausen und vor allem das südliche Mainufer zusätzlich belastet würden. Und dies alles, obwohl am Mainkai in der Realität kein wirklicher neuer Stadtraum entstünde, sondern lediglich die Verbreiterung einer ohnehin vorhandenen Flanierstrecke am Fluss. Die zentrale Fußgängerquerung zwischen Römerberg und Eisernem Steg, der eigentliche Hotspot, ist zwar hässlich, funktional jedoch völlig ausreichend. Natürlich ließe sich diese Passage aufwerten und einladender gestalten – ohne dass dies auf Kosten des Ost-West-Verkehrs ginge.
Gerade hat sich Oberbürgermeister Mike Josef – aus Überzeugung?, notgedrungen?, zeitgeistgemäß? – bei einem FAZ-Gespräch für eine Verminderung des Verkehrs in der Innenstadt ausgesprochen. Im gleichen Atemzug befand er allerdings: „Wir können die Städte nicht einfach dichtmachen“. Vielleicht ein Widerspruch? Das (Nicht-)Dichtmachen bezog sich auf das mit einem Zuzug verbundene Wachstum. Wie das allerdings gestaltet werden soll und kann, das sagte er nicht. Beim Verkehr nannte er exemplarisch Paris als Vorbild, das große Verkehrsknoten zurückgebaut habe.
Sorgfältig gestaltete Verkehrsbeschilderung in Paris
Nun, es sind vor allem die früheren Schnellstraßen an den Seine-Ufern, oberhalb der Quais, die Paris umgewidmet hat. Die Stadt hat zudem im Innern ein generelles Tempolimit von 30 verordnet und die kommerziellen eRoller verboten. Fahrrad- und Autoverkehr werden in der Regel getrennt, auch baulich. Doch ansonsten sind die großen Boulevards und Straßen das, was sie immer waren: eben Straßen, sorgfältig gestaltet und schön möbliert, von den Lampen über die Bänke bis zu den Verkehrsschildern.
Dabei sei ein kleiner literarischer Ausflug gestattet. Rainer Maria Rilke, der Paris eher als Ausbund der Moderne hasste, notierte Anfang des 20. Jahrhunderts: „Automobile sind bei solchen Fahrten ins Bois schon sehr verbreitet und man sieht solche in allen möglichen Formen. Wie verrückt rasen sie an den Wagen vorbei und zwischen dem Gedränge hindurch. Dazwischen gibt es natürlich immer noch schöne Equipagen und Kutschierwagen: Gottseidank! Denn wenn es nur Automobile geben wird, wird man es vor Angst, Gestank und Gefahr kaum in einer solchen großen Stadt aushalten können.“
Schlichte Schönheit: eine verkehrsberuhigte Straße in Paris
Die heutigen Stilllegungswünsche mit Vorrang für Fußgänger und Radfahrer (unabhängig davon, dass viele Menschen aus vielfältigen Gründen das Fahrrad nicht nutzen können und ihnen auch der ÖPNV zu beschwerlich ist) begründet der Frankfurter Mobilitätsdezernent auch damit, dass lange Zeit dem Autoverkehr die absolute Priorität eingeräumt worden sei.
Wer auf die städtebaulichen Entwicklungsphasen zurückblickt, wird leicht einwenden: Das Ziel der autogerechten Stadt, in den 60er Jahren allgemein geteilt (und als damals absolut moderne Experten-Forderung an vielen Stellen mit aus heutiger Sicht hanebüchenen innerstädtischen Schnellstraßen – teils sogar Autobahnen – realisiert), dieses Ziel ist längst verworfen, wurde und wird durch Rückbauten korrigiert. Stattdessen kam es – nach dem Frühwerk (1953) der Kasseler Treppenstraße –spätestens seit der Münchner Umwidmung der zentralen Kaufingerstraße zu einer ausgedehnten Fußgängerzone (1972, zur Olympiade!) republikweit zu einem Siegeszug dieser monofunktionalen Verkehrsflächen – was heute zunehmend schon wieder in Frage gestellt wird.
Auch hier noch einmal ein Ausflug: Der Rom-Migrant Golo Maurer wünscht sich in einer ganz frischen Liebeserklärung an die Stadt den früheren Autoverkehr als absolutes städtische Lebenselement zurück. Er beklagt eine zunehmende Verödung, die von den „gutgemeinten“ verkehrsberuhigten Straßen und Fußgängerzonen auf den Stadtkörper ausgehe. Der hingegen sei ein komplexes Ökosystem mit zahlreichen Akteuren. Maurers Schlussfolgerung: „Eine Stadt (…) ist darauf angewiesen, dass Verkehr durch sie hindurchfließt. (…) Verkehr heißt ja, dass Menschen, die in dieser Stadt wohnen oder etwas erledigen wollen, in ihr verkehren, mit dem Auto, mit dem Taxi, mit dem Bus, mit dem Fahrrad, zu Fuß, wie auch immer. Der Fußgänger ist nur eine Form des Verkehrs, welche die Stadt vom Freizeitpark unterscheidet.“
Verkehrsschild am Eisernen Steg: auch die Eisenbahn gehört zum Mainkai
Vieles gäbe es noch zu erwähnen und zu erörtern, das Thema wird uns nicht verlassen. Zumal die Stadt Frankfurt auch an anderen Stellen nicht mit infantilen Scheußlichkeiten spart, so bei der taufrischen Großbemalung der Kaiserstraße, um Besucher auf Kunst-Art durchs (naja: gewöhnungsbedürftige) Bahnhofsviertel zu lotsen. Tatsächlich wäre es wichtig, in der Verbindung von Politik und Bürgerforen wirklich offen – frei von den jetzigen Vorgaben und Einschränkungen – über städtebauliche Neuordnungen nachzudenken. Was selbstverständlich einschließt: auch praktikable und wirksame Lösungen zu erörtern, um den Autoverkehr so stadtverträglich und menschenfreundlich wie möglich zu gestalten (wie steht es beispielsweise mit Park&Ride?).
Unbedingt muss es auch darum gehen, nachhaltig die Qualität der öffentlichen Räume zu steigern oder überhaupt erst herzustellen, natürlich auch mit Blick auf klimatische Erholung – Brunnen und Bäume gehörten hier schon immer zu den Klassikern. Dass die öffentlichen Räume in der Stadt zunehmend verlottern, dass sie in vielem eine Schande darstellen und dringend ein effektives Handeln gefordert ist, das hat kürzlich ein Symposion des urban future forum eindrucksvoll belegt.
Handbuch der Stadtbaukunst, Hrsg. Christoph Mäckler, Jovis Verlag
Hier sei lediglich noch eine Empfehlung ausgesprochen, eine, die unbedingt auch alle städtischen Planer, egal in welchem Amt, und alle begleitenden Wissenschaftler beherzigen sollten, ebenso und sowieso alle am Wohlergehen ihrer Stadt interessierten Bürger: und zwar die (intensive!) Lektüre des „Handbuchs der Stadtbaukunst“ (herausgegeben vom Frankfurter Architektur-Doyen Christoph Mäckler und dem hier ansässigen Institut für Stadtbaukunst). Wer beispielsweise dort im vierten, speziell den Straßenräumen gewidmeten Band an vielen Beispielen studiert, wie schön gestaltete Straßen ganz unterschiedlichen Typs aussehen und wie sie zum positiven Lebensgefühl beitragen können, der wird angesichts der aktuellen Frankfurter Desaster nur in tiefste Depressionen verfallen. Oder sich herausgefordert fühlen und rufen: So geht es nicht weiter.
Richtig ist: Das Handbuch ist noch ganz frisch, gerade im Jovis-Verlag erschienen. Aber die zahlreichen herausragenden Beispiele waren natürlich teilweise auch vorher anderswo zu studieren, wenn auch nicht so perfekt dargestellt und eingeordnet. Allein, in Frankfurt kümmert niemanden der Verantwortlichen die Schönheit eines Straßenbildes. Sie waren und sind – allerdings, so wohlmeinend und wohlwollend wie man nur sein kann – völlig zeitgeist-blind. Ob das so bleiben muss? Noch ist an vielen Stellen Schlimmes zu befürchten, die Pläne sind ausgreifend, von der jetzt noch klassischen und gut funktionierenden Bockenheimer Landstraße bis zur wunderbar städtischen Schweizer Straße.
Doch gilt das Prinzip Hoffnung. Es muss nicht zu spät sein. Auch von der Wende jetzigen Typs kann es eine Wende geben. Hin zur Stadt des lebendigen Miteinanders.
Der Weg in die Zukunft: offen
Verkehrswende Anhang Material
Die Studie „Abschlussbericht Oeder Weg“ der University of Applied Sciences (UAS)
https://nextcloud.frankfurt-university.de/s/CopZorjBmyFc6Xn
Zusammenfassung des UAS-Abschlussberichtes
Berichterstattung im Journal Frankfurt zum Abschlussbericht
Die politische Grundlage des Radentscheids:
https://www.radentscheid-frankfurt.de/wp-content/uploads/2019/07/NR_895_2019.pdf
Frankfurter Neue Presse: Erläuterungen des Radentscheids (2019)
Verstärkter Vorstoß der Fahrradlobby im Jahr 2019
https://www.adfc-frankfurt.de/frankfurt-aktuell/ausgaben/2019-02/2019_2_07_radentscheid_der/
Interview des ADFC mit Prof. Dennis Knese (UAS)
https://www.adfc-frankfurt.de/frankfurt-aktuell/ausgaben/2021-04/2021_4_05_ab_sofort/
Handbuch der Stadtbaukunst,
herausgegeben von Prof. Christoph Mäckler und dem Institut für Stadtbaukunst, Jovis-Verlag 2024, 89 Euro
Studie zum Grüneburgweg
Informationsveranstaltung:
Interessierte Bürgerinnen und Bürger lädt der Ortsbeirat 3 (Nordend) gemeinsam mit dem Dezernat für Mobilität am Montag, 29. April, um 19 Uhr in das Gehörlosen- und Schwerhörigenzentrum in der Rothschildallee 16 a zu einer Informationsveranstaltung ein. Dort soll erneut der Abschlussbericht vorgestellt werden.