„Giulio Cesare in Egitto“ Dramma per musica von Georg Friedrich Händel
Gewalt gegen Frauen – eine KriegswaffeÂ
von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt
Seine berühmteste Oper „Giulio Cesare in Egitto“, (Julius Cäsar in Ägypten), im Februar vor 300 Jahren in London uraufgeführt, erlebte in der Oper Frankfurt nun eine außergewöhnliche Aufführung, die vom Publikum gefeiert wurde.
Božidar Smiljanic (Achilla; hinter der Vitrine) und Bianca Andrew (Sesto; rechts kniend)
Cäsar hat seinen Gegner Pompeius besiegt und bis nach Alexandria / Ägypten verfolgt. Es ist das Jahr 48 v.Chr. Im Palast schlendert er gestikulierend an den Stelen vorbei, die alle seine Büste tragen. Er kollabiert und verliert seinen Lorbeerkranz.
Er und die anderen Römer tragen eine Faminalia, eine Bekleidung, die bis unter das Knie reicht, eine Art schwarzer Faltenrock. Die ägyptische Hofgesellschaft, Herrscher Ptolemaios (Tolomeo) und Schwester Kleopatra, hat Irina Spreckelmeyer alle weiß gekleidet.
Cornelia, die Ehefrau von Pompeius und ihr Sohn Sextus bitten Cäsar, dessen Sieg sie anerkennen, um Versöhnung. Cäsar ist bereit. Aber Cäsar, sowie Mutter und Sohn ahnen nicht, was mittlerweile mit Pompeius geschehen ist.
Tolomeo hat Pompeius köpfen lassen, um Cäsars Gunst zu gewinnen. In einem Schaukasten sitzt der misshandelte Körper des toten Pompeius. Bühnenbildner Etienne Pluss steigert die Spannung, die bis zur endgültigen Zerstörung des ägyptischen Palastes führt, mit wenigen Details – ein Höhepunkt ist der Holz-Thron mit vielen Stufen des blutrünstigen, jugendlichen Herrschers. Licht – gestaltet von Joachim Klein – verdichtet die eine oder andere Szene.
Cäsar ist entsetzt und beklagt den Tod von Pompeius: „[..] deine Trophäen und deine Größe sind nur noch Schatten, ein Schatten bist du selbst! So endet jeder menschliche Ruhm. [..] Elendes Leben, wie zerbrechlich du bist!“ (1.Akt.)
Die Oper „Cäsar in Ägypten“ von Georg Friedrich Händel (1685-1759), in der das Liebespaar Cäsar und Kleopatra im Mittelpunkt stehen, ist eine einzige Spirale der Gewalt, die in der Musik ihren Ausdruck findet.
Cäsar wollte die Thronstreitigkeiten zwischen den Geschwistern Kleopatra, die mit 18 Jahren den Thron bestieg, und Ptolemaios, damals ein 13jähriger Knabe, die beiden wurden verheiratet, schlichten. Kleopatra war von dem Bruder und seinen Höflingen aus dem Palast vertrieben worden. Schon früh hatte Kleopatra von ihrem Vater lernen müssen, Demütigungen zu ertragen.
Heimlich war sie, nun 21jährig, mit einem Nachen in Alexandria gelandet, und setzte alles daran, Cäsar zu begegnen und Hilfe von ihm zu bekommen. Der 54jährige Cäsar sank ihr in die Arme.
Pretty Yende (Kleopatra)
„Kriege werden auf den Körpern von Frauen ausgetragen“, diese hochaktuelle Feststellung äußerte Regisseurin Nadja Loschky im Gespräch mit Dramaturgin Mareike Wink (Programmheft S.8). Sie bezieht sich auf Kleopatra, aber vor allem auf Cornelia, nun Witwe.
Die einst gesellschaftlich hochstehende Frau, wird zum Freiwild, Sesto gedemütigt.
Cornelias Leidensgeschichte durchzieht das gesamte Werk. Sie ist dem Begehren und den Brutalitäten sowohl von Achilla, Berater und Heerführer, als auch von Tolomeo ausgesetzt.
Achilla ist sogar bereit, Cäsar zu töten, wenn er dafür Cornelia bekommt.
Nadja Loschky, die mit Händels „Julius Cäsar in Ägypten“ ihr Debüt an der Frankfurter Oper gibt, leitet seit kurzem in Doppelspitze das Bielefelder Theater. 1983 in Landstuhl nahe Kaiserslautern geboren, begeisterte sie  sich schon früh fürs Theater. Sie studierte an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin, danach Assistentin bei Hans Neuenfels. Sie ist engagiert an bedeutenden Opernhäusern und mehrfach ausgezeichnet. Konzeptionelle Mitarbeit leistete Yvonne Gebauer.
Loschky hört zuerst die Musik und fragt sich, was entfacht sie in mir, dann beschäftigt sie sich mit dem Libretto, das der Komponist und Musiker Nicola Francesco Haym (1678- 1729) nach Giacomo Francesco Bussani verfasste. Allein neun Libretti schrieb Haym für Händel, dazu gehört „Tamerlano“.
Lawrence Zazzo (Giulio Cesare)
Das historische Geschehen um Cäsar und Kleopatra spielt für die Regiseurin eine wichtige Rolle, „um die jeweilige Ausgangssituation der Figuren zu verstehen und ihr Agieren nachvollziehen zu können.“ (Programmheft S. 7) Das Schluss-Liebesduett „Un bel contento“ („Süsse Zufriedenheit wird mein Herz empfinden..“ ) lässt nicht die zukünftigen gewaltsamen Geschehnisse, die später beide in Rom erleiden, erahnen.
Loschky gelingt ein exzellenter Spannungsbogen mit Rückblicken, Erinnerung durch lyrische, aber auch brutale Szenen, die sehr realistisch sind und manchmal tief durchatmen lassen: Achillas und Tolomeos Umgang mit Cornelia.
v.l.n.r. Nils Wanderer (Tolomeo; oben) und Cláudia Ribas (Cornelia) mit zwei Statisten der Oper Frankfurt
Verhöhnt, bedroht wird auch Tolomeos in der Badewannenszene von Cäsar und Begleiter und schließlich von Sesto, der ihn hoch oben auf dem Holzthron ermordet.
Cornelia flieht danach aus Angst geradezu vor Sesto,zu  ihrem Sohn  – keine Umarmung aus Erleichterung. Am Ende sitzen beide weit auseinander. „Menschen, denen Gewalt widerfährt, reproduzieren Gegengewalt“, so deutet die Regisseurin diese Entfremdung zwischen Mutter und Sohn.
Die Figuren, die Haym schuf, sind Menschen mit Stärken und Schwächen, sehr individuell gezeichnet, die Händel zu wunderbaren Arien, die die Londoner mehr als Rezitative liebten, motivierte.
Der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo , der in Händels Oper „Tamerlano“ schon in Frankfurt gefeiert wurde, brauchte in der Premiere anfangs Zeit und hatte auch nicht den Glanz, den seine ansonsten ausgezeichnete Stimme als Cäsar hätte bieten müssen.
Pretty Yende, weltberühmte aus Südafrika stammende Sopranistin, sang zum ersten Mal an der Oper Frankfurt. Zunächst hoffende, zweifelnde Cleopatra steigert sie sich im 3. Akt zur aktiven mutigen Königin – dramatisch ihre Koloratur-Töne. Ihr Rollendebüt.
Die Rolle der Cornelia singt Cláudia Ribas auch zum ersten Mal. Der Mezzosopran der gebürtigen Portugiesin, die seit einem Jahr zum Opernstudio gehört, einfach grandios auch ihre Darstellung. Sie war der Star des Abends.
Die aus Neuseeland stammende Mezzosopranistin Bianca Andrew, die aus dem Opern-studio ins Ensemble wechselte, gefiel als Sesto – hervorragend.
Auch dem jungen (1997) in St.Petersburg geborenen Countertenor Iurii Iushkevich, der als Nireno Cleoptra beisteht, flogen die Sympathien des Publikums zu. Countertenor Nils Wanderer, der zum ersten Mal an der Oper Frankfurt singt, wird als widerlicher Tolomeo stürmisch gefeiert. Das Frankfurter Ensemblemitglied Božidar Smiljanić gab Achilla, der Cornelia misshandelte, seine kraftvolle Bassbaritonstimme. Curio, der Gefährte von Cäsar, ist mit Jarrett Porter, seit einem Jahr im Opernstudio, bestens besetzt.
Wie immer präsentiert Tilman Michael einen ausgezeichneten Chor. Michael wird übrigens eine Auszeit für ein Jahr an der Oper Frankfurt nehmen können, um an der Metropolitan Opera in New York zu wirken.
Pretty Yende (Cleopatra) und Iurii Iushkevich (Nireno)
Reich ist die Orchesterbesetzung: zwei Blockflöten, Traversflöte, zwei Oboen, zwei Fagotte, vier Hörner, Viola da Gamba, Harfe, Laute, Orgel, Cembalo, acht erste und sechs zweite Violinen, Violen, Violoncelli und Kontrabass. Kapellmeister Simone Di Felice leitet das Frankfurter Opernorchester manchmal eine Spur zu zaghaft.
Gesungen wird in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln. Auf vier Stunden mit zwei Pausen muss man sich einstellen. Aber es lohnt sich.
Weitere Vorstellungen: Â am 14.,20., Nachgespräch Oper im Dialog, 27. April, am 4., 8.,10.,18. Mai.
Und – es gibt einen Trailer:
Karten: 069-212-49494
Zum Schluss noch eine aktuelle Meldung: „Ministerpräsident Boris Rhein zeichnet den Intendanten der Oper Frankfurt, Bernd Loebe, mit dem Hessischen Kulturpreis 2023 aus. Der gebürtige Frankfurter erhält den Preis für seine außergewöhnlichen Verdienste um die schönen Künste in Hessen und der Welt.“
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