Die Feiertage um Weihnachten und Neujahr, noch dazu in diesem Jahr „arbeitnehmerfreundlich“ im Wochenablauf eingebettet, sollten Daheimgebliebenen eine Gelegenheit bieten, im Städel Museum Frankfurt am Main eine der schönsten, bemerkenswertesten und sicher auch spektakulärsten Ausstellungen dieser Jahrzehnte zu besuchen. Ihr Titel: „Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“.
Zum ersten Mal in der Ausstellungsgeschichte werden die entsprechenden herausragenden Bestände des Städel Museums und der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin zusammengeführt, ergänzt durch Leihgaben unter anderem der Londoner National Gallery, dem Madrider Museo del Prado, dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Musée du Louvre in Paris, der St. Petersburger Staatlichen Eremitage, der National Gallery in Washington und dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Bei den meisten der ausgestellten Exponate handelt es sich wegen ihres unschätzbaren Wertes um grundsätzlich nicht ausleihbare Werke. Umso bemerkenswerter ist diese – tatsächlich einzigartige – Schau; obendrein für die Kunstwissenschaft ein bedeutendes Ereignis: bietet diese Zusammenstellung doch erstmals die Möglichkeit des unmittelbaren Vergleichs dieser Gemälde untereinander, die vieles miteinander gemeinsam haben, vor allem die „Entdeckung der Wirklichkeit in der Malerei“. So wollen der Städel-Kurator Jochen Sander und sein Berliner Kollege auf der Grundlage dieser Ausstellung einer weitverbreiteten Ansicht entgegentreten, die in dem legendären „Meister von Flémalle“ den in Tournai tätigen Maler Robert Campin (1375 bis 1444) vermutet. Vielmehr wird mit der Werkschau die These untermauert, bei dem fiktiven „Meister von Flémalle“ handele es sich nicht um eine Einzelperson, sondern um einen Kreis von Malern, wohl unter dem Einfluss Robert Campins, zu denen auch Rogier van der Weyden zählt.
Eine derartige Malerei mit ihrer detailrealistischen Wiedergabe der Wirklichkeit hatten die Menschen des 15. Jahrhunderts noch nicht gesehen. Den Weg zu dieser neuen Malweise ebnete nicht zuletzt die Ölfarbe, bei der das Öl die bisher hauptsächlich als Bindemittel verwendete Tempera ablöste.
Meister von Flémalle, „Madonna an der Rasenbank“, Eichenholz, 40,2 mal 28,5 cm,
Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie
Foto: bpk/Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin/Jörg P. Anders
Bei der in das erste Drittel des 15. Jahrhunderts zu datierenden „Madonna an der Rasenbank“ handelt es sich, wie sich aus Vergleichen mit inhaltlich ähnlichen Werken ergibt, vermutlich um die rechte Tafel eines Diptychons. Auffallend und ungewöhnlich die erschrockene, ja angstvolle und abwehrende Gebärde des Jesuskindes. Sie scheint sich gegen eine Darstellung der späteren Passion – des Schmerzensmannes – auf der dazugehörigen linken Tafel zu wenden.
Auffallend zum Beispiel auch die akribisch-realistische Darstellung der Flora auf dem Boden und auf der Rasenbank, neben einer Vielzahl von Pflanzen sind unschwer Erdbeeren und Löwenzahn auszumachen.
„Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“ im Städel Museum Frankfurt – eine wirklich phantastische Schau von Meisterwerken der Malerei der „ars nova“ an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit.
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