Eine Zwischenbetrachtung über die Natur
2015, März 31.Essay
Von Gunnar Schanno
Die Natur, wenn der Mensch sie in reflektierter Weise von sich selbst trennt, ist dem Menschen gegenüber indifferent. Sie ist, wenn sie in anthropomorpher, vermenschlichter Weise wie ein handelndes Individuum versinnbildlicht wird, neutral und konsequent in ihren Reaktionen. Was ihr angetan wird, gibt sie zurück – gibt sie zurück mit absoluter Zuverlässigkeit, unbestechlich und integer, unnachsichtig und emotionslos. Selbst die im Menschen innerlich wirkende Natur zahlt das zurück, was der Mensch sich selbst, seiner Natur in sich, seinem Körper, gegeben hat, belohnt und bestraft im Maße dessen, was er ihr im eigenen Ich als biologische Zentrale zugefügt, entzogen, womit er sie überhäuft und strapaziert hat. Die von innen und außen wirkende Natur versetzt den Menschen in die Stadien zwischen den Grenzwerten von Gesundheit und Krankheit. Die Natur vergisst nichts. Sie ist nicht romantisch. Sie ist buchhalterisch gewissenhaft, wenn sie Bilanz zieht, wenn es um Plus oder Minus geht, sie verrechnet jedes Atom, jedes Molekül, jede Verknüpfung, sie registriert das Sichtbare und das Unsichtbare, den Stoß und die Strahlung, die physisch verträgliche und die unverträgliche Substanz.
Die Natur außerhalb des Menschen Ich ist angelegt auf Erhalt ihres je eigenen Lebensraums, auf Ausreizen ihres Terrains bis an des Menschen Grenzen. Wo er sich aus künstlichem, gestaltetem, künstlerisch verfremdetem, von ihm zum Kulturraum erklärten Areal zurückzieht, folgt die Natur in natürlicher, unstilisierter, originär unkultivierter Direktheit. Für die Natur ist der Mensch als selbstreflektierendes Wesen zum Waffenträger besonderer Art geworden. Wo er wirkt, hinterlässt er im Zuge technischer Ausstattung eine Spur der Naturverdrängung, des künstlichen, manipulierten Natursurrogats, der Naturverwüstung, wenn nicht der Naturzerstörung. Doch wo sie endet und durch den Menschen in seiner passageren Übermacht gegenüber der Natur nicht weiter verfolgt und sich selbst überlassen wird, schafft sich die Natur mit größter Selbstverständlichkeit ihren Raum, erobert ihn in völliger Absichtslosigkeit und doch zwischen Zielstrebigkeit und Gelassenheit zurück. Wo Natur sich selbst überlassen bleibt, der Zügelung, der Selektion, des Beschnitts und der Stutzung in Gärten und Parks nicht klein und domestiziert gehalten wird, wo sie aus der menschseits gewünschten Obhut und Zügelung, bis in ihre Gene manipulativ erzielten Dienerschaft und Einverleibung entlassen ist, da reißt sie alle Grenzen ein, zerkleinert, zermürbt, zerstäubt alles Menschenwerk, da kennt sie Limits nur noch, wo Ursache und Wirkung in Gegenseitigkeit den Grad ihrer Materialisierung und Objektivierung festlegen.
Joseph Werner (genannt der Jüngere, 1637-1710): Diana von Ephesos als Allegorie der Natur, Radierung, um 1680, Art Institute of Chicago; wikimedia commons
Natur ist auch indifferent gegen sich selbst Weiterlesen