Absolventenausstellung 2014 der Städelschule “Pashmina” im MMK-Zollamt (5)
Billie Maya Johansen: „Lines in Transparency“
oder: Grau mit zehn Prozent Weiss
Wir haben länger überlegt, ob wir uns überhaupt auf ein Ranking einlassen sollten und wenn ja, welche Arbeit der 34 ausstellenden diesjährigen Absolventinnen und Absolventen der Städelschule wir – aus unserer subjektiv-individuellen Sicht – als die „beste“ ausgezeichnet hätten. Denn jede künstlerische Arbeit ist im Grunde eine singuläre Leistung. So ist es also gewiss kein leichtes Unterfangen, doch kommen wir zu einem Ergebnis. Und wenn wir nun schon unsere „Lieblingsarbeit“ benennen, dann muss auch eine „Urkunde“ her. Hier ist sie:
Urkunde
FeuilletonFrankfurt
verleiht seinen
Preis zur Absolventenausstellung 2014
an
Billie Maya Johansen
für ihre Arbeit
Lines in Transparency
Von seiner Aufmachung und Ausstattung her ist das rund zehnminütige Video, in Wiederholungen abgespielt über einen grossformatigen Monitor, im Grunde bereits ein Kurzfilm. Drehbuch und Dialoge schrieb die Künstlerin. Die Hauptrolle der Clara Krug spielt die Schauspielerin Stephanie Engel. Gedreht wurde der Film in den Räumen der DWS Investments Company in der Mainzer Landstrasse. Die Arbeit wurde von der Hessischen Filmförderung unterstützt.
Der Inspiration für den Film liegt der Roman „Das graue Tuch und zehn Prozent Weiss – Ein Damenroman“ des heute – zu Unrecht – vielerorts in Vergessenheit geratenen Schriftstellers und Zeichners Paul Scheerbart (1863 bis 1915) zugrunde. Von ihm stammt auch das Lautgedicht „Kikakokú! Ekoraláps!“ (erschienen 1897 in seinem Roman „Ich liebe dich! Ein Eisenbahn-Roman mit 66 Intermezzos“), das die Protagonistin Clara im Laufe der Filmsequenzen vor einem virtuellen Publikum vorträgt. Scheerbart versuchte, wie man weiss vergeblich, das Perpetuum mobile zu erfinden und wurde zu Lebzeiten als Verfasser fantastischer und skurriler Romane und Gedichte bekannt. Insbesondere fand er dabei die Unterstützung des jungen Verlegers Ernst Rowohlt. Scheerbarts Interesse galt auch der Glasarchitektur, seine entsprechenden Abhandlungen und Romaninhalte beeinflussten durchaus die Architekten seiner Zeit. Vergleichbares gilt ebenso für seine Überlegungen zum Theater.
Kurz zusammengefasst nun die „Story“: Stararchitekt Edgar Krug entwarf eine gläserne Ausstellungshalle. Bei einem Konzert dort trifft er die Pianistin und Organistin Clara in ihrem grauen Kleid mit weissem Besatz. Er ist begeistert von der Komplementarität zwischen seinem architektonischen Kunstwerk und der Erscheinung der Frau. Edgar heiratet Clara mit der vertraglichen Massgabe, dass sie sich stets und ausschliesslich in diesem Stil kleidet. Ihre Zusage stösst bei ihren Freundinnen auf heftige Kritik. Das Paar reist um die ganze Welt, wobei Edgar verschiedene Glasbauprojekte realisiert, aber auch viel Kritik erfährt ebenso wie Clara wegen ihrer grau-weissen Garderobe. Als Edgar Clara von der vertraglich eingegangenen Kleidungsverpflichtung entbindet, ist es zu spät: Clara hat sie nunmehr für sich selbst verinnerlicht.
In Johansens Film führt Clara – jetzt eine gefeierte Schauspielerin – ihr Leben samt der Kleidungsverpflichtung auch nach Edgars Tod fort. Ihr Mann erscheint ihr in Stimmen aus dem Jenseits als stets präsent.
Bitte auf das Filmstill klicken und einen Preview sehen:
Billie Maya Johansens filmische Arbeit besticht bereits durch ihren formalen Aufbau und ihre besondere Bildsprache und Ästhetik, in der sie die ästhetischen Ansprüche des Stararchitekten Edgar Krug und seiner Frau Clara visuell umsetzt. Die Architektur gerät zur begehbaren Skulptur, in der sich Clara als ein wiederum gleichsam skulpturales Kunstwerk bewegt. In der für sich bestechenden Ästhetik des Grau spielen immer wieder Farben eine zentrale Rolle, die die filmische Montage durchziehen – man könnte von einer durchaus „malerischen“ Arbeit sprechen. Faszinierend die Stimme des verstorbenen Ehemanns aus dem Off, mit der Clara sich in einem ständigen Dialog befindet. Dabei geht es in dem Streifen keinesfalls um eine vordergründige Diskussion um Emanzipation. Das in die Tiefe menschlicher Psyche hineinleuchtende Werk beansprucht den Betrachter durch seine vielfältigen erzählerischen Elemente, Handlungsebenen, Schichtungen und Brechungen, die schon alsbald und erst recht nach mehrmaligem Anschauen ein geschlossenes, überzeugendes Ganzes bilden.
Billie Maya Johansen studierte an der Funen Drawing and Painting School, der Design School in Odense, an der Ærø College Art School und der Funen Art Academy. 2011 kam sie an die Städelschule in die Klasse von Professorin Judith Hopf und 2013 an die Hochschule für bildende Künste Hamburg zu Jeanne Faust, Professorin für Mixed Media und künstlerische Entwicklungsvorhaben. In Berlin war sie künstlerische Assistentin von Alexander Komarov.
Unsere Empfehlung kann nur lauten: Hingehen in den MMK-Zollamtssaal – und ansehen!
Werk und Filmstill © die Künstlerin
“Pashmina. Absolventen der Städelschule 2014″; MMK-Zollamt; bis 10. August 2014
→ Absolventenausstellung 2014 der Städelschule “Pashmina” im MMK-Zollamt (6)
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