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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alle Artikel zu Schirn Kunsthalle

Schirn lockt mit „König der Tiere“ und „Wildnis“ (Teil 1)

2018, November 9.

Wilhelm Kuhnerts imposante Löwenbilder und Metapher für Sehnsuchtsorte

Blick in die Kuhnert-Ausstellung in der renovierten Schirn Kunsthalle, Foto:Petra Kammann

Von Hans-Bernd Heier

Wie kaum ein anderer Maler seiner Zeit hat Wilhelm Kuhnert (1865–1926) mit seinen Arbeiten die westliche Vorstellung von Afrika und afrikanischer Natur geprägt. Als einer der ersten europäischen Künstler bereiste er Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrmals die zu jener Zeit noch weitgehend unerforschte damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika. Die auf diesen Reisen entstandenen Zeichnungen und Ölskizzen der dortigen Tier- und Pflanzenwelt dienten ihm als Vorlagen für monumentale Gemälde, die er nach der Rückkehr in seinem Atelier in Berlin anfertigte. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet dem nahezu in Vergessenheit geratenen Künstler die erste große Retrospektive. Parallel dazu ist unter dem schlichten Titel „Wildnis“ eine umfassende Themenschau zu sehen, die die weitverbreitete Sehnsucht nach ursprünglicher Natur in den künstlerischen Fokus rückt. Vereint sind Kunstwerke aller Medien, die den Verbindungenvon Wildnis und Kunst im 20. und 21. Jahrhundert nachgehen.

Wilhelm Kuhnert „Löwe“, ohne Jahr, Öl auf Leinwand, 165 × 328 cm; Fort Worth Zoological Association, USA; Foto: Jeremy Enlow

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Neben der „Neuen Altstadt“ Frankfurt: die „neue“ Schirn Kunsthalle

2018, Oktober 1.

Von Erhard Metz

„Eigentlich“, scherzte Schirn-Direktor Philipp Demandt bei der Vorstellung der renovierten Schirn Kunsthalle Frankfurt, „ist ein Museum ja am schönsten, wenn es leer ist“. Und er fügte hinzu, man habe tatsächlich überlegt, während einiger „Publikumstage“ die Riesenhalle ohne Exponate und Ausstellungsarchitekturen für die interessierte Allgemeinheit zu öffnen, was sich am Ende jedoch nicht als realisierbar erwies. Und letztlich freuen sich Schirn-Chef Philipp Demandt und die Stellvertretende Direktorin Inka Drögemüller natürlich auf den 25. Oktober 2018, wenn nach den umfangreichen, rund fünf Millionen Euro kostenden Sanierungsmaßnahmen die erste Ausstellung mit dem Titel „König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika“ eröffnet werden kann.

Nach der Renovierung strahlende Gesichter im Partnerlook: Schirn-Direktor Philipp Demandt und Stellvertretende Direktorin Inka Drögemüller Weiterlesen

The Land in between. Ursula Schulz-Dornburgs Fotografien von 1980 bis 2012 im Städel

2018, August 21.

Sichtbare und unsichtbare Kontinente, verlorene Menschen, Utopien und eine unerhörte Stille 

Das Dazwischen ist Thema der 1938 in Berlin geborenen und in Düsseldorf lebenden Fotografin Ursula Schulz-Dornburg. Sie dokumentiert und bannt die Schrecken der Transitorte, Grenzlandschaften, Wüsten und Relikte vergangener Kulturen auf ihren Fotos, aber auch deren Schönheit. Mehr als 200 dieser eindrucksvollen Arbeiten sind noch bis zum 9. September 2018 in der Retrospektive „Ursula Schulz-Dornburg. The Land In-Between“ im Frankfurter Städel zu sehen: Fotografien, die zwischen 1980 bis 2012 auf ihren Reisen an Kult- und Kulturstätten in Europa, im Nahen Osten und in Asien entstanden. Die fast durchgängig analogen Schwarz-Weiß-Fotos hat die Künstlerin in 13 umfangreichen Werkgruppen selbst zusammengestellt. Sie stammen aus der Städelschen Sammlung selbst, aus dem Archiv der Künstlerin sowie von privaten Leihgebern.

Von Petra Kammann

↑ Ausstellungsansicht: Ursula Schulz-Dornbergs Fotos, die längs der georgischen Grenze entstanden, Foto: Petra Kammann

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Zwei Sommer-Installationen in Schirn und Städel – mal anders gesehen

2018, Juni 29.

WORTKÜNSTE

Eine verbale Intervention

Das Städel Museum mit Städel Garten, Foto: Städel Museum

von Uwe Kammann

In der Gesellschaftssatire „The Square“ – ein mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichneter Film – spielt ein schlichtes Quadrat eine Hauptrolle: als Kunstwerk, das es in einem fiktiven modernen Museum zu „verkaufen“ gilt. Sprich: Es soll als Attraktion auch mit den Instrumenten des Marketings dem Publikum als großartige Ikone eines interaktiven Fortschritts ans Herz gelegt werden. Leicht lässt sich ahnen, was der Regisseur da im Schilde führt – klar, die Entzauberung eines Kunstbetriebs, der in seinen vorbereitenden Meetings ein völlig leeres, aber jargontypisches begleitendes Geschwurbel zur Grundlage seiner Aktivitäten macht.

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„Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ im Städel

2018, Mai 28.

Auf der Suche nach Wahrheit und Erkenntnis

Erstmals Hauptwerke der beiden figurativen Künstler in gemeinsamer Schau

Von Hans-Bernd Heier

Frank Auerbach und Lucian Freud zählen zu den bedeutendsten figurativen Künstlern der englischen Nachkriegskunst. Dank mäzenatischer Unterstützung konnte das  Städel Museum zwei Werke dieser Ausnahmekünstler erwerben. Hinzukommen einige als Schenkungen zugesagte hochkarätige Arbeiten, die den Sammlungsbestand ausgezeichnet ergänzen. Dies nimmt die Graphische Sammlung des Städel Museums zum Anlass, erstmals Hauptwerke der beiden Künstler in einer gemeinsamen Ausstellung zu präsentieren.

Lucian Freud „Head of Bruce Bernard“, 1985, Radierung, 295 × 300 mm,  Köln; Foto: Städel Museum; © The Lucian Freud Archive / Bridgeman Images

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Publikumsmagnet für Nachtschwärmer – Die lange Nacht der Museen 2018 in Frankfurt und Offenbach

2018, April 30.

Atemberaubender Kunstgenuss für alle Sinne

Alle Jahre wieder…

Wenn sich am 5. Mai die Nacht über die Stadt senkt, öffnen sich in über 40 Kulturstätten in Frankfurt und Offenbach die Tore zur NACHT DER MUSEEN 2018. Ein paar Tipps fürs nächste Wochenende

50 Jahre 68er: Happenings, Jazz & Minirock im Museum Giersch der Goethe-Universität – Die Schau „Freiraum der Kunst“ erinnert an die legendäre Studiogalerie auf dem Campus Bockenheim

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Frankfurt 2017 – Eine Rückblende

2017, Dezember 30.

Ein Jahresreigen und Frankfurts beständiger Auf- und Umbau

Ein kleiner Rückblick auf das Jahr 2017 zeigt, wie vielfältig die kulturelle Szene in Frankfurt / RheinMain einst war und wie sehr sie heute immer noch in Bewegung ist. Typisch für die freie Bürgerstadt, in der die deutschen Kaiser gewählt wurden und viel später dann die erste deutsche Demokratie in der Paulskirche grundgelegt wurde. Die traditionelle Messe- und Geldstadt, die sich als Drehscheibe für Königsbesuche und den Fernhandel empfahl, zeichnete sich daher immer schon durch ihre Internationalität aus und das schon ganz ohne Flughafen.

Text und Fotos: Petra Kammann

                     

Fenster auf die Geschichte im frisch eröffneten Historischen Museum und diskret-pfiffiger Hinweis auf die Magritte-Ausstellung 2017 in der Schirn

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„Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ in der Frankfurter Schirn

2017, November 2.

Faszination und Gefährdung einer jungen RepublikVerlorene Illusionen und neue Entdeckungen

„Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ heißt eine äußerst packende Ausstellung, die Ingrid Pfeiffer in der Frankfurter Schirn zusammengestellt hat. Da stehen Künstler der Zeit zwischen 1919 und 1933 im Mittelpunkt, welche die extremen sozialen Spannungen, die politischen Kämpfe und heftigen gesellschaftlichen Umbrüche dieser Epoche ins Bild gesetzt haben und das mit äußerst unterschiedlichen Mitteln: als Ölbild, Aquarell oder Zeichnung. Die thematische Schau versammelt komprimiert unter neun Themenkomplexen 190 Gemälde und Grafiken sowie einige Skulpturen von insgesamt 62 Künstlern und vor allem Künstlerinnen wie Jeanne Mammen, Lea Grundig, Hanna Nagel, Elfriede Lohse-Wächtler oder die Bildhauerin Renée Sintenis.

Von Petra Kammann

Dodo, Logenlogik (für die Zeitschrift Ulk), 1929
Dodos künstlerische Interessen galten modernen Großstadt-
orten wie Bars, Tanzcafés, Theater und Revuebühnen

 ↓ Hilde Rakebrand, Selbstporträt mit erhobenen Händen, 1931,
Öl auf Sperrholz, 29 x 26 cm, Albertinum / Galerie Neue Meister,
Staatliche Kunstsammlung Dresden, ©Joachim Menzhausen,
Foto: buk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Die Dresdner Künstlerin zog sich 1933 in die „innere
Emigration“ zurück, nachdem sie Malverbot bekommen hatte

Die umfassende Studie der Pariser Unterwelt, Balzacs Roman „Glanz und Elend der Kurtisanen“, mag den Titel wie auch die Vielfalt der Frankfurter Schau „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“  inspiriert haben. In dem Roman nämlich präsentiert der sprachgewaltige französische Schriftsteller der Comédie humaine eine Welt der großen und kleinen Gauner, der Prostitution und der Methoden von Justiz und Polizei, der vernichtenden Gewalt menschlicher Leidenschaften, anhand derer er die Angehörigen verschiedenster Gesellschaftsschichten gleichzeitig entwickelt und daran scharf seine Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft formuliert.

Der Querschnitt durch die damalige Gesellschaft ist darin so breit angelegt, und der plötzliche Umschlag von Glück in Verzweiflung wird anhand so vieler Schicksale dargestellt, dass man sich der emotionalen Wucht seiner Beschreibungen nicht entziehen kann. Ein Effekt, den man in ähnlicher Weise auch beim Besuch der Frankfurter Schau erlebt. Doch während Balzacs Roman das Pariser Leben in der Epoche der 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts quer durch die verschiedensten Gesellschaftsgruppen, vom Pariser Hochadel bis zur Unterwelt, beschreibt, konzentriert sich die Schau in der Schirn auf die künstlerische Gestaltung der Zustände zwischen 1919 und 1933. Die unter der Weimarer Verfassung stehende Epoche, die sich auf den verschiedensten Ebenen im heftigem Umbruch befand, legt so manche Parallele zur aktuellen Situation nahe…

Plakate aus der Zeit der „Weimarer Republik“
Foto: Petra Kammann 

Schon die expressiven Plakate im Aufgang zur Ausstellung geben einen ersten Eindruck von der politisch aufgeladenen Stimmung der Weimarer Zeit, in der die erste demokratische Verfassung grundgelegt wurde. In der schmalen Etage der Schirn, wo die stilistisch in Stil und Aussage so vielfältigen wie unterschiedlichen Werke dicht beieinander hängen, lässt die Intensität der visuellen Eindrücke, die von den einzelnen Bildern ausgehen, aber keineswegs nach. Fast atem- und sprachlos verfolgt man förmlich die zeitliche Entwicklung der Geschehnisse, die fast unweigerlich ihren Lauf auf ein dramatisches Ende nehmen.

Im Anschluss an die Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit ihren 1,5 Millionen Opfern befindet sich in Deutschland alles in radikalem Wandel: Ökonomie und Kultur, Politik und Unterwelt. Da sehen wir in der ersten Abteilung verzweifelte, ausgemergelte Gestalten, versehrt, teils mit Glasaugen, stark vom Ersten Weltkrieg gezeichnet, verarmt und häufig ausgegrenzt auf der Straße neben dem neuen Typus des ungerührten selbstbewussten Unternehmers oder Industriebarons mit dicker Zigarre. Den Kriegsopfern wurden die versprochenen Renten wegen der unüberwindbaren Reparationszahlungen nicht gezahlt. Die saturierten Bürger bleiben davon ungerührt.

Horst Naumann, Weimarer Fasching, um 1928/29 ,
Öl auf Leinwand, 91 x 71 cm, Albertinum, Galerie Neue Meister,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden 

Dennoch herrscht in der durch den Krieg ausgelösten Depression in der jungen Weimarer Demokratie zunächst auch eine energiegeladene Aufbruchsstimmung. Die Sehnsucht nach Freiheit und Emanzipation der Geschlechter bricht sich Bahn in neuen Bildern: frech, frivol, sportlich und mondän. Sie prägten nicht zuletzt das Bild der „goldenen Zwanziger Jahre“ des Sündenbabels Berlin mit seinen Amüsierlokalen, den Variététheatern und dem Zirkus, wo verruchte Frauen mit Bubikopf und Zigarette Charleston tanzen, wo sich starke machohafte Männer amüsieren und wo homosexuelle Knaben sich einander hingeben.

Doch bald schon werden in den quirlig, nervösen Bildern der Künstler auch die Schattenseiten sichtbar. Die Gefahren und Bedrohungen lauern all überall. Da rütteln Spekulation und Inflation an den Grundfesten der jungen Weimarer Republik mit ihrem noch nicht gefestigten Demokratieverständnis, das mehr und mehr in Aufruhr übergeht. Da stehen die wachsende Arbeitslosigkeit und Armut in starkem Kontrast zu den Exzessen und dem Luxus des Nachtlebens. Die überbordende kreative Energie der deutschen Großstädte, allen voran Berlin, scheint dem neuen Leben, in dem es vor allem um Gewinnmaximierung und Tempo zu gehen scheint, nicht gewachsen zu sein. Die Schulden wachsen, die Prostitution verdoppelt oder verdreifacht sich gar und die Inflation nimmt von Tag zu Tag immer weiter Fahrt auf, bis sie ihren Höhepunkt am „Schwarzen Freitag“ erreicht.

Georg Scholz, Café (Hakenkreuzritter), 1921, Aquarell, 30 x 49 cm, Sammlung Merrill C. Berman

Fasziniert von der neuzeitlichen Metropole samt ihrer Ambivalenz, entwickelte George Grosz (1893 – 1959) sich zu einem der bekanntesten deutschen Maler und Satiriker der Moderne, der den Menschen in all seinen triebhaften Facetten vorführte, indem er die Geschichte von Aufstieg, Ehrgeiz, Alkohol, Leidenschaft, Exzess, Tragik und Fall, Ängsten und Vergessen in allen Variationen karikierte. Er wurde daher auch zum meistgehassten Künstler der Nationalsozialisten, dem man die deutsche Staatsbürgerschaft entzog, so dass er in die Vereinigten Staaten emigrieren musste, wollte er überleben. Wie seismographisch er seine Umgebung wahrnahm, sieht man an einem der Schirn-Exponate, an der von ihm gestalteten Titelseite der Zeitschrift „Die Pleite“, aus dem Jahre 1923, wo er frech die deutsche Weihnachtstanne mit Hakenkreuz und Stahlhelm dekoriert zeichnete.

Das rasante Tempo der politischen Entwicklung hatte Konsequenzen im Alltag der Menschen und veränderte ihr Verhältnis zur Politik. Die Straße – kaum wurde sie noch als schicke großstädtische Flaniermeile erlebt –,  wird sie auch schon zum Elendsort ähnlich wie das Bordell, wo Morphium und Opium gespritzt und Krankheiten übertragen werden. Oder sie gerät zum neuen Erlebnisraum von Aufruhr und Brutalität. Kurzum: Der vielversprechende kurze Rausch der Freiheit wird als äußerst doppelbödig und schmerzhaft erlebt. So geht die Todessehnsucht mit der totalitären Abenddämmerung der Weimarer Republik Hand in Hand. Das alles entging weder dem Blick der Künstler, noch dem der Künstlerinnen, die inzwischen auf Kunstgewerbeschulen oder Akademien selbstbewusst ihre eigenständigen Ausbildungen gemacht hatten.

Rudolf Schlichter, Margot, Berlin, 1924, Öl auf Leinwand,
110,5 x 75 cm, Stadtmuseum Berlin, © Viola Roehr von
Alvensleben, München, Foto: Michael Setzpfandt, Berlin

So wurde damals auch ein neuer moderner Frauentypus geschaffen, entweder lasziv mit Pelz oder Federboa oder auch mit praktischer Kurzhaarfrisur und androgyner Kleidung mit Anzug und Krawatte, mit der sie sich plötzlich zum Konkurrenten des Mannes stilisierte. Zum Typus Frau gehörten nun auch neue Berufe wie Stenotypistinnen, Sekretärinnen und Telefonistinnen, Ärztinnen, politische Aktivistinnen und nicht zuletzt Künstlerinnen. Da entwirft zum Beispiel Lotte Laserstein (1898 – 1993) im Jahre 1930 mit großer Verve das Plakat „Die gestaltende Frau“, während Hanna Nagel (1907 – 1975) sich für „Frauen in Not“, die unwillentlich schwanger geworden sind, und für den Abtreibungsparagraphen einsetzt, und Christian Schad (1894 – 1982) ganz selbstverständlich, kühl und sachlich zwei in sich versunkene, sich küssende Knaben zeichnet und Jeanne Mammen (1890 – 1976) wiederum 1931 die schummrige Atmosphäre eines Transvestitenlokals wiedergibt.

Die künstlerischen Auf- und Umbrüche sind mit ihrer Lust an Grenzübertretungen und ästhetischen Experimenten aber nicht nur in der Metropole Berlin zu erleben. Auch in Städten wie Dresden, Leipzig, Rostock, Stuttgart, Karlsruhe, München oder Hannover versuchten Künstler der Zeit, das Zeitgeschehen ob der Krise zu kommentieren, zu dokumentieren, zu parodieren oder oft genug auch  seismographisch das vorwegzunehmen, was im Raume stand.

Kurt Günther, Der Radionist (Kleinbürger am Radio), (1927)  Tempera auf Holz  55 x 49 cm, Staatlich Museen zu Berlin , Nationalgalerie

Dass es seit der Berliner Funkturm-Ausstellung auch schon eine mediale Auseinandersetzung mit dem „elektrischen Zeitalter“ gab, zeigt sich besonders an der Darstellung von „Radionisten“ wie bei Max Radler (1904 – 1971) oder Kurt Günther (1893 – 1955). Denn neben dem Theater hatte das neue Medium Radio an Bedeutung gewonnen. Ab 1923 wurde zunächst aus dem Vox-Haus gesendet  und ab 1931 aus dem von Hans Poelzig gebauten Rundfunkhaus in Berlin, wo auch Schriftsteller wie Bertolt Brecht oder Walther Benjamin ins Mikrofon sprachen.

Die Schau lässt auch die düsteren Prophetien eines Franz Radziwill (1895 – 1983) nicht aus, der, nachdem man Paul Klee 1933 von der Düsseldorfer Akademie suspendiert hatte, für kurze Zeit dessen Stelle übernommen hatte, weil er der NSDAP beigetreten war. Aber auch er erhielt ab 1938 Ausstellungsverbot und mehr als 50 seiner frühen Werke wurden in die Ausstellung „entarteter Künstler“ aufgenommen. Auf seinem Bild „Todessturz Karl Buchstätters“ von 1928 zeigt er in einer nächtlich-surreale Szenerie, wie sich der Pilot in den Tod stürzt. Dabei sind das darunterlegende Haus, die Bahnschranke und der Strommast in ein unwirklich rätselhaftes Licht ohne sichtbare Lichtquelle getaucht.

Surreal wirken auch die häufig entleerten Industrie- und Maschinenlandschaften wie die des Bauhauskünstlers Carl Grossberg (1894 – 1940), diejenigen von Karl Völker (1898 – 1962) oder von Oskar Nerlinger (1893 – 1969), bei denen die arbeitenden oder rennenden Menschen, so welche auftauchen, zu vorgestanzten Teilchen der Maschinerie werden.

Carl Grossberg, Weiße Tanks (Harburger Ölwerke), 1930, Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm, Sammlung Family Olcese, © Sammlung Family Olcese

Wütende, ironische und prophetische Bilder sind in der Schirn in Frankfurt zu sehen, welche auf das Ende dieser bewegten Zeitspanne aufmerksam machen, in der ob der Experimentierfreude viele Errungenschaften, die uns heute so selbstverständlich erscheinen, auf den Weg gebracht wurden. Manchmal hätte man sich dazu auch dokumentarische Fotos wie die eines Otto Sander oder Filmausschnitte als Ergänzung der Eindrücke gewünscht. Aber vielleicht erreicht einen auch die konzentrierte Unmittelbarkeit des zur damaligen Zeit Empfundenen und künstlerisch-malerisch Umgesetzten noch stärker. Der gelungene Begleitkatalog aus dem Hirmer Verlag regt dazu an, seine Kenntnisse auf jeden Fall immer wieder zu vertiefen und dabei interessante Entdeckungen zu machen, selbst dann noch, wenn die Ausstellung am 25. Februar 2018 endet. Dann kann man sich auch die unbekannteren Künstler und Künstlerinnen aus der Zeit mit ihren vielfach gebrochenen Lebensläufen wieder vor Augen führen und sich von ihrem Mut anstecken lassen.

Aber man kann die Ausstellung mit einer von „Babylon Berlin“-Star Volker Bruch gesprochenen Audiotour erkunden.

Peace: Auf Friedenssuche in der Schirn

2017, Juli 3.

Der Taiwanesische Künstler Lee Mingwei

„PEACE“  – Die derzeitige Sammelausstel­lung in der Schirn versteht sich als Impuls, darüber nach­zu­den­ken, was Frie­den für uns heute sein kann.  12 internationale Künstler haben zu dieser Fragestellung ihr ästhetisches Statement – größtenteils Installationen – abgegeben, darunter der französische Schriftsteller Michel Houellebecq und die Künstler Jan de Cock, Minerva Cuevas, Ed Fornieles,  Surasi Kusolwong, Isabel Lewis, Katja Novitskova, Heather Phillipson, Agnieszka Polska, Timur Si-Qin, Ulay und auch der taiwanesische Künstler Lee Mingwei mit seinem seit 1998 laufenden Work in Progress: „The Letter Writing Project“. Der englische Begriff  „Peace“ wird in dieser Gruppenausstellung dabei sehr weit gefasst. Für die einen kann er die kritische Auseinandersetzung mit der globalisierten Konsumgesellschaft und ihren ökologischen und sozialen Verwerfungen bedeuten, für die anderen wiederum die Suche nach dem inneren Frieden in der Beschäftigung mit ganz privaten Dingen wie zum Beispiel Houellebecq mit seinem Hund. Daneben finden beglei­tend Live-Events wie etwa Vortra­̈ge, Lesun­gen, Poetry-Perfor­man­ces sowie Tanz- und Musik­ver­an­stal­tun­gen statt. Aber auch das Publikum ist gefordert. Die Kommentare zum Thema Frieden werden im digitalen Auftritt der Schirn weitergeschrieben. Die Ausstellung ist bis zum 24. September zu sehen.

Von Petra Kammann

Lee Mingwei in der Schirn, Foto: Petra Kammann

Mehr und mehr öffnet sich die Kunst weltweit für Formen, in denen die Besucher einbezogen werden, in denen das Werk erst in dem Moment entsteht, in dem Zuschauer ihm begegnen. In den Projek­ten des in Taiwan gebo­re­nen Küns­tlers Lee Ming­wei (*1964)  geht es um intime Begeg­nun­gen zwischen Menschen. Dabei spie­len Austausch und das Geschenk eine tragende Rolle. Was das mit Frieden zu tun hat? Aggression, Frustration und schließlich Unfrieden geschieht häufig aus einer Kränkung heraus, die einen zunächst einmal in Stockstarre versetzt und einen Abbruch der Kommunikation und der sich zusammenballenden Aggression nach sich zieht. Mit wem aber würde ich gerne wieder Frieden schließen? Und wie lassen sich dabei Hemmschwellen überwinden? Weiterlesen

Magritte. „Der Verrat der Bilder“ in der Schirn.

2017, April 13.

Es ist, was es ist, nicht! Das gedanklich-malerische Spiel um Schein und Sein.
Das aus den großen internationalen Museen und Privatsammlungen zusammengetragene Œuvre des belgischen Künstlers Magritte ist bis zum 5. Juni 2017 in der Frankfurter Schirn zu sehen. Eine gute Gelegenheit, die anstehenden Feiertage für einen Ausstellungsbesuch zu nutzen.

Von Petra Kammann

Eingang zur Magritte-Ausstellung in der Frankfurter Schirn Weiterlesen