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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schirn lockt mit „König der Tiere“ und „Wildnis“ (Teil 1)

Wilhelm Kuhnerts imposante Löwenbilder und Metapher für Sehnsuchtsorte

Blick in die Kuhnert-Ausstellung in der renovierten Schirn Kunsthalle, Foto:Petra Kammann

Von Hans-Bernd Heier

Wie kaum ein anderer Maler seiner Zeit hat Wilhelm Kuhnert (1865–1926) mit seinen Arbeiten die westliche Vorstellung von Afrika und afrikanischer Natur geprägt. Als einer der ersten europäischen Künstler bereiste er Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrmals die zu jener Zeit noch weitgehend unerforschte damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika. Die auf diesen Reisen entstandenen Zeichnungen und Ölskizzen der dortigen Tier- und Pflanzenwelt dienten ihm als Vorlagen für monumentale Gemälde, die er nach der Rückkehr in seinem Atelier in Berlin anfertigte. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet dem nahezu in Vergessenheit geratenen Künstler die erste große Retrospektive. Parallel dazu ist unter dem schlichten Titel „Wildnis“ eine umfassende Themenschau zu sehen, die die weitverbreitete Sehnsucht nach ursprünglicher Natur in den künstlerischen Fokus rückt. Vereint sind Kunstwerke aller Medien, die den Verbindungenvon Wildnis und Kunst im 20. und 21. Jahrhundert nachgehen.

Wilhelm Kuhnert „Löwe“, ohne Jahr, Öl auf Leinwand, 165 × 328 cm; Fort Worth Zoological Association, USA; Foto: Jeremy Enlow

Wilhelm Kuhnert wurde an der Königlich Akademischen Hochschule für Bildende Künste in Berlin als Tier- und Landschaftsmaler ausgebildet. Er interessierte sich bereits früh für afrikanische Wildtiere, deren Aussehen und Verhalten er allerdings zunächst nur im Berliner Zoo aus nächster Nähe studieren konnte. Mit dieser Vorliebe traf er genau den Nerv der Zeit. Denn mit dem Entstehen der zoologischen Gärten um die Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs zeitgleich der Markt für Tiergemälde und –skulpturen. Dadurch erschloss sich für die junge, aufstrebende Künstlergeneration des späten 19. Jahrhunderts ein breites Tätigkeitsfeld. Besonders Darstellungen von Löwen, Tigern oder Elefanten galten als Sinnbilder für Stärke, Herrschaft und Überlegenheit und vermittelten das Lebensgefühl einer Gesellschaft, die nach ihrem machtpolitischen „Platz an der Sonne“ strebte.

„Elefanten“, 1917, Öl auf Leinwand, 122 × 218 cm; JKM Collection®, National Museum of Wildlife Art, Jackson, Wyoming, USA

„Wilhelm Kuhnert gehört zu den herausragenden Malern und Zeichnern seiner Zeit. Kuhnerts Bilder sind nicht nur Spiegel wie Mittel der Kunst- und Naturwissenschaftsgeschichte, sondern auch der Kolonialgeschichte. Wenn die Schirn Kunsthalle Frankfurt also nunmehr Wilhelm Kuhnert die erste Retrospektive überhaupt widmet, dann nicht trotz, sondern eben wegen jener ‚großen weißen Flecken‘, die Kuhnert in der Ferne suchte – und die heute noch in unserer kollektiven Erinnerung bestehen. Diese Geschichte, die wir erzählen wollen, lehrt uns so manches über die Mechanismen von Kunst und Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, Gedenken und Vergessen – und in all dem über uns selbst“, betont Schirn- Direktor und Kurator Dr. Philipp Demandt.

Wilhelm Kuhnert beim Malen, 9. September 1911; © Nachlass Wilhelm Kuhnert

Seine Expeditionen nach Afrika ging Kuhnert nicht nur künstlerisch, sondern geradezu wissenschaftlich an. „Als erster Freilichtmaler in Afrika zeichnete und malte er die Tiere nicht bloß, sondern beobachtete sie und ihren Lebensraum eingehend, notierte Verhaltensweisen, mit dem Ziel, die natürliche Umgebung als elementaren Teil des Tierdaseins in das Bildwerk zu integrieren“, erläutert Mit-Kuratorin Dr. Ilka Voermann. Die vor Ort entstandenen Zeichnungen und Ölskizzen der dortigen Tier- und Pflanzenwelt dienten ihm später im Atelier als Vorlagen für seine höchst beeindruckenden realistischen Gemälde.

Um die Imposanz  des dargestellten Großwilds noch zu steigern, bediente er sich eines Kunstgriffs: Er malte die Tiere aus leichter Untersicht und steigerte dadurch noch ihre mächtige Erscheinung. Seine Kunst zeigt dabei Anklänge an den Impressionismus, etwa in Bezug auf die Freilichtmalerei. Kuhnert stellte diese großformatigen Arbeiten national wie international mit großem, auch finanziellem Erfolg aus und wurde so zum führenden Interpreten der afrikanischen Tierwelt.

„Die Strecke“ (Selbstporträt), 1915, Öl auf Leinwand, 123 × 199 cm; Privatsammlung; Foto: Marc Richter

Die Schirn präsentiert mit rund 120 Werken die erste große Retrospektive zum Leben und Werk des Künstlers, der von Löwen besonders fasziniert war und deswegen als „Löwen-Kuhnert“ bezeichnet wurde. Aber nicht nur die kapitalen Wildtiere begeisterten den Maler, sondern auch die Farbenfülle der exotischen Vogelwelt. Präsentiert wird eine kleine Auswahl von prächtigen Vogelbildern.

Vereint sind in der Schau neben Studien und Gemälden aus europäischen und amerikanischen Museen, Privatsammlungen und dem Nachlass Kuhnerts auch zahlreiche Druck- und Werbegrafiken sowie Publikationen des Künstlers. Neben der Tierwelt spielen auch die Landschaft und die afrikanische Steppe in seinem Schaffen eine hervorgehobene Rolle, wie er ausführlich in seinen Tagebüchern schildert. Die packende Ausstellung beleuchtet Kuhnerts Werk sowohl vor dem Hintergrund der Kunst- und Naturwissenschaftsgeschichte als auch der deutschen Kolonialgeschichte.

„Afrikanische Löwen“, um 1911, Öl auf Leinwand, 163 × 127 cm; JKM Collection®, National Museum of Wildlife Art, Jackson, Wyoming, USA

Beim Malen erfasste Kuhnert das Charakteristische der Tiere mit höchster Präzision. Er war zwar kein Biologe oder Zoologe, dennoch zeugen seine detaillierten künstlerischen und schriftlichen Studien von großem Interesse an der afrikanischen Tierwelt, das weit über malerische Fragen hinausging. Seine Tierdarstellungen wurden in zoologischen Büchern wie „Brehms Tierleben“ und in Publikationen des Frankfurter Zoodirektors Wilhelm Haacke ebenso verbreitet wie auf Schulwandbildern. Selbst auf Schokoladenverpackungen der Firma Stollwerck fanden sich Abbildungen seiner Werke. Obwohl Wilhelm Kuhnert bis heute zu den meistgesammelten Malern gehört, ist sein Œuvre einer großen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

„Indem er sich in seinen Gemälden auf die Tier- und Pflanzenwelt beschränkt, stellt Wilhelm Kuhnert Afrika nicht als kulturellen, sondern als Naturraum dar. Es ist laut Voermann „ein Naturraum, der vermeintlich keine eigene Geschichte hat und damit frei für Interpretationen und Sehnsüchte ist. Kuhnerts Werke sind nicht nur bloße Abbildungen afrikanischer Natur, sondern der Künstler eignet sich den Naturraum an und füllt ihn mit westlichen Vorstellungen und Werten. Diese koloniale Ästhetik und Darstellungsstruktur ist bis heute in zahlreichen Medien präsent“.

Grundlage für Kuhnerts künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tier war auf seinen Expeditionen die Jagd. Die Ausstellung beleuchtet deshalb auch den Aspekt des Jagens im Schaffen des Künstlers, u. a. mit dem Bild „Die Strecke (Selbstporträt)“ (1915) sowie mit zahlreichen vor Ort gefertigten Zeichnungen und historischen Fotografien – darunter eine Aufnahme seines Berliner Ateliers, das mit zahlreichen Jagdtrophäen ausgestattet war.

„Krieger auf dem Pfad vor dem Kibo“, 1917, Öl auf Leinwand, 100 x 163 cm; Courtesy Kunst-Kompetenz-Petra Kern, Heidelberg

Die Jagd diente vornehmlich zwei Zielen: der Nahrungsversorgung des bis zu 70 Personen umfassenden Expeditionstrupps und dem künstlerischen Studium. Der Abschuss bot ihm die einzige Möglichkeit, um beim Malen nahe genug an das Tier heranzukommen. So zeugen Kuhnerts Reisetagebücher von seiner großen Bewunderung der Tier- und Pflanzenwelt Afrikas und zugleich von einer leidenschaftlichen Jagdtätigkeit. In seinen persönlichen Aufzeichnungen sowie in seinen späteren Publikationen prangerte der Maler allerdings die unkontrollierte und systematische Großwildjagd an.

Weder die Logistik seiner Expeditionen noch der Markterfolg seiner Kunst sind ohne den Kolonialismus denkbar, dessen Profiteur und Akteur Kuhnert war. Auch diesen Aspekt beleuchtet die Schau. Dabei blieb sein Verhältnis zum Kolonialismus ambivalent. Obwohl er während seiner zweiten Expedition in den sogenannten Maji-Maji-Krieg (1905–1908) geriet und auch kurzzeitig an Kampfhandlungen bei Mahenge teilnahm, hat er diese Kriegerlebnisse nur in wenigen Bleistiftskizzen und einigen Ölgemälden festgehalten. Generell spielten Menschen in seinen Arbeiten nur eine untergeordnete Rolle und dienten primär als Staffagefiguren, die die Weite der Landschaft verdeutlichen sollten. Dabei war Kuhnert ein äußerst talentierter Porträtmaler, wie sein „Askari“-Bildnis zeigt.

„Askari“, 1906, Öl auf Leinwand, 49 x 36 cm;  Privatsammlung, Foto: Jens Weyers

Als Mitglied im Verein Berliner Künstler und im Verband deutscher Illustratoren beschränkte sich Kuhnerts Ausstellungstätigkeit in Deutschland weitgehend auf die jährlich stattfindende Große Berliner Kunstausstellung. Weitaus aktiver war er bei Jagd- und Kolonialausstellungen, auf denen koloniale Realität mit landwirtschaftlichen Produkten, Tiertrophäen, lokalem Kunstgewerbe und Kolonialwaren wie Kaffee und Schokolade für ein breites Publikum in Szene gesetzt wurde. Kuhnert war oft der einzige oder einer der wenigen präsentierten Künstler. In Großbritannien wurden seine Werke ab 1911 regelmäßig in der „Fine Art Society“ in London präsentiert. Auf der Weltausstellung in St. Louis, USA, wurde der Künstler 1904 mit einer Goldenen Medaille ausgezeichnet.

Die Ausstellung „König der Tiere – Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika“ wird vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain gefördert und ist bis zum 27. Januar 2019 in der Schirn zu bewundern.

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