Peace: Auf Friedenssuche in der Schirn
Der Taiwanesische Künstler Lee Mingwei
„PEACE“ – Die derzeitige Sammelausstellung in der Schirn versteht sich als Impuls, darüber nachzudenken, was Frieden für uns heute sein kann. 12 internationale Künstler haben zu dieser Fragestellung ihr ästhetisches Statement – größtenteils Installationen – abgegeben, darunter der französische Schriftsteller Michel Houellebecq und die Künstler Jan de Cock, Minerva Cuevas, Ed Fornieles, Surasi Kusolwong, Isabel Lewis, Katja Novitskova, Heather Phillipson, Agnieszka Polska, Timur Si-Qin, Ulay und auch der taiwanesische Künstler Lee Mingwei mit seinem seit 1998 laufenden Work in Progress: „The Letter Writing Project“. Der englische Begriff „Peace“ wird in dieser Gruppenausstellung dabei sehr weit gefasst. Für die einen kann er die kritische Auseinandersetzung mit der globalisierten Konsumgesellschaft und ihren ökologischen und sozialen Verwerfungen bedeuten, für die anderen wiederum die Suche nach dem inneren Frieden in der Beschäftigung mit ganz privaten Dingen wie zum Beispiel Houellebecq mit seinem Hund. Daneben finden begleitend Live-Events wie etwa Vorträge, Lesungen, Poetry-Performances sowie Tanz- und Musikveranstaltungen statt. Aber auch das Publikum ist gefordert. Die Kommentare zum Thema Frieden werden im digitalen Auftritt der Schirn weitergeschrieben. Die Ausstellung ist bis zum 24. September zu sehen.
Von Petra Kammann
Lee Mingwei in der Schirn, Foto: Petra Kammann
Mehr und mehr öffnet sich die Kunst weltweit für Formen, in denen die Besucher einbezogen werden, in denen das Werk erst in dem Moment entsteht, in dem Zuschauer ihm begegnen. In den Projekten des in Taiwan geborenen Künstlers Lee Mingwei (*1964) geht es um intime Begegnungen zwischen Menschen. Dabei spielen Austausch und das Geschenk eine tragende Rolle. Was das mit Frieden zu tun hat? Aggression, Frustration und schließlich Unfrieden geschieht häufig aus einer Kränkung heraus, die einen zunächst einmal in Stockstarre versetzt und einen Abbruch der Kommunikation und der sich zusammenballenden Aggression nach sich zieht. Mit wem aber würde ich gerne wieder Frieden schließen? Und wie lassen sich dabei Hemmschwellen überwinden?
Wen habe ich gekränkt und wem würde ich einen Brief schreiben, und das am besten ganz neutral, ohne das Gesicht zu verlieren? Habe ich im entscheidenen Moment den Zeitpunkt verpasst, die richtigen Worte zu finden? Da muss dem Künstler Lee Mingwei, der zeitweise in Tokio und in New York lebte, der partizipatorische Gedanke für seine langfristig angelegte Aktion gekommen sein. Für ihn bedeutet „Peace“ zunächst einmal, über die innere Ruhe und das Denken oder gar über das Meditieren zur Ruhe kommen, zu sich selbst zu finden: „Erst wenn ich eine Balance zwischen schön und hässlich, zwischen schlecht und gut finde, kann ich mich zunächst vertrauten Freunden und der Familie zuwenden und dann erst wieder nach außen, in die Öffentlichkeit, gehen. “
In der Ausstellung PEACE sind zwei Arbeiten von ihm zu erleben. Seine partizipative Installation „The Letter Writing Project“, seit 1998 ein work in progress, bildet den Auftakt zur Gesamtpräsentation in der Schirn: bestehend aus drei puristischen, Ruhe ausstrahlenden klösterlichen Zen-Zellen, die der Künstler mit einem Handwerker aus Kyoto sorgfältig entworfen und gebaut hat.
Wer sich hinein begibt, kann in der Begegnung mit sich selbst auf den Ursprung seiner Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse stoßen, aber auch auf die Angst, diese zu artikulieren.
Die Besucher können dann diese für sie nicht beherrschbaren Emotionen, für die sie sich nie die Zeit genommen haben, in Briefen formulieren und diese in die Schlitze der in der Installation angebrachten Holzhalterungen stecken, wo dann andere Besucher sie entweder lesen oder sie der Schirn übergeben, um sie an bestimmte Adressaten verschicken zu lassen. Das Schreiben selbst hat für Mingwee eine reinigende Funktion. Im Laufe der Jahre hat der inzwischen in Paris lebende Künstler an die 60 000 Briefe zusammengetragen.
„Getting connected to the world“ – Die Beziehung, die mittels des Mediums Brief mit der Außenwelt geschaffen wird, wie auch das so entstandene Netzwerk zwischen Menschen gelten dem Künstler als die eigentlichen Kunstwerke, die bewusst machen, wie sehr wir alle von unseren Emotionen bestimmt sind.
Ein so unaufgeregtes wie fragiles Projekt. Ob es Kriegstreiber abhält, ist fraglich. Und doch zeigt es Alternativen auf, die so so offen sind wie der Friede selbst.
Das Statement von Lee Mingwei
„When my maternal grandmother passed away, I still had many things to say to her but it was too late. For the next year and a half I wrote many letters to her, as if she were still alive, in order to share my thoughts and feelings with her.
For The Letter Writing Project, I invited visitors to write the letters they had always meant to but never taken time for. Each of three writing booths, constructed of wood and translucent glass, contained a desk and writing materials. Visitors could enter one of the three booths and write a letter to a deceased or otherwise absent loved one, offering previously unexpressed gratitude, forgiveness or apology.
They could then seal and address their letters (for posting by the museum) or leave them unsealed in one of the slots on the wall of the booth, where later visitors could read them. Many later visitors come to realise, through reading the letters of others that they too carried unexpressed feelings that they would feel relieved to write down and perhaps share. In this way, a chain of feeling was created, reminding visitors of the larger world of emotions in which we all participate. In the end, it was the spirit of the writer that was comforted, whether the letter was ever read by the intended recipient or others.’ – Lee Mingwei
In Zusammenarbeit mit dem Städel Museum, dem Deutschen Architekturmuseum, dem Museum Angewandte Kunst und dem Museum für Moderne Kunst sowie mit ortsansässigen Sänger/innen arrangiert die Arbeit „Sonic Blossom“ (2013) eine Geschenksituation. Dabei stellen Sänger/innen Besuchern die Frage: „Darf ich Ihnen ein Lied schenken?“ Beide sitzen und stehen sich gegenüber, während eines von fünf Liedern von Franz Schubert vorgesungen wird. Sonic Blossom ist im Städel (4.–9. Juli), im Deutschen Architekturmuseum (11.–16. Juli), im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (15.–20. August), im Museum Angewandte Kunst (22.–27. August) und in der SCHIRN (19.–24. September) zu erleben. Das gültige Ticket für das jeweilige Haus garantiert für den Einlass.