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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurt 2017 – Eine Rückblende

Ein Jahresreigen und Frankfurts beständiger Auf- und Umbau

Ein kleiner Rückblick auf das Jahr 2017 zeigt, wie vielfältig die kulturelle Szene in Frankfurt / RheinMain einst war und wie sehr sie heute immer noch in Bewegung ist. Typisch für die freie Bürgerstadt, in der die deutschen Kaiser gewählt wurden und viel später dann die erste deutsche Demokratie in der Paulskirche grundgelegt wurde. Die traditionelle Messe- und Geldstadt, die sich als Drehscheibe für Königsbesuche und den Fernhandel empfahl, zeichnete sich daher immer schon durch ihre Internationalität aus und das schon ganz ohne Flughafen.

Text und Fotos: Petra Kammann

                     

Fenster auf die Geschichte im frisch eröffneten Historischen Museum und diskret-pfiffiger Hinweis auf die Magritte-Ausstellung 2017 in der Schirn

Aber Frankfurt leidet auch heute immer noch an den Wunden des Zweiten Weltkrieges und es arbeitet unverdrossen an dem Aufbau einer neuen Mitte. Auf den Grundstrukturen des mittelalterlichen Zentrums erfindet es auf dichtgedrängtem Raum eine neue Altstadt mit modernem Zuschnitt. Da trifft man ganz nahe beim Römer auf römische Reste eben und in einem völlig umgekrempelten neuen Historischen Museum, im Saalbau, auf einen erst kürzlich entdeckten Stauferhafen. Knapp daneben werden die alten wiederaufgebauten Kirchen wie auch der Römer unmittelbar überragt von Häusern, die in den Himmel zu wachsen scheinen. Eröffnet wird die neue vieldiskutierte neue Altstadt aber erst im kommenden Jahr.

Blick in die Ausstellung „Glanz und Elend der Weimarer Republik“

Stolz ist Frankfurt schon darauf, aber Übermut entsteht deswegen nicht. Idylle ist trotz manch rekonstruierter Fachwerkbauten an dieser Stelle nicht angesagt. Spätestens die greifbar nahe Ausstellung „Glanz und Elend der Weimarer Republik“ in der Ausstellungshalle Schirn erdet wieder und mahnt. Anhand von stilistisch ganz unterschiedlichen Kunstwerken seismographisch wacher Künstler und Künstlerinnen zeigt sie Parallelen zur Jetztzeit auf und lässt die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Sehnsucht nach Demokratie als ein höchst zartes Pflänzchen erscheinen.

Daniel Cohn-Bendit, Staatspräsident Emmanuel Macron, Islam-Spezialist Gilles Keppel und Uni-Präsidentin Prof. Birgitta Wolff diskutierten in der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität

Und auch dort, wenig weiter im Westen der Stadt, wo nach der atemberaubenden Sprengung des AfE-Turms der Geisteswissenschaftler 2014 die Universität auf dem einstigen I. G -Farben-Gelände und späteren US-Hauptquartier im Begriff ist, sich einen neuen Campus zu bauen, da drohte am Ende des Sommers ein ungeheuerlicher Kriegsfund, eine Riesenbombe, ein komplettes Viertel in die Luft zu sprengen. Auf einer Baustelle etwa 300 Meter nördlich des Poelzig-Gebäudes wurde ein Blindgänger einer englischen Luftmine entdeckt. Seine Entschärfung machte die größte Evakuierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erforderlich. Doch dank der wunderbaren und besonnenen Arbeit der Entschärfer platzte die Bombe… nicht. Ein bisschen Glück war vielleicht auch dabei.

Ausstellung über die Malerfreundschaft Matisse und Bonnard im Städel

Aber in Frankfurt wird nicht nur das Leben, sondern es werden vielmehr auch Kunst und Kultur gefeiert. „Es lebe die Malerei!“ heißt es dribbdebach noch bis Mitte Januar in einer hervorragenden Ausstellung im Städel: mit Bildern und Skizzen der beiden französischen Maler der Moderne, Matisse und Bonnard. Die Exponate sind aus der ganzen Welt an den Main gekommen, um auf die einmalige und nicht auf Konkurrenz bedachte fruchtbare Freundschaft zwischen den beiden französischen Malern Matisse und Bonnard aufmerksam zu machen, die sich in ihrer jeweiligen Kunst zwar beeinflussten, dabei aber immer ihren je eigenen Stil bewahrten, weil für sie die Malerei selbst das Höchste war.

Umfeld des Meisters von Flémalle: Kostbarkeiten im Liebieghaus 

Malerei ist am Museumsufer sogar in das benachbarte Liebieghaus eingezogen, wo man ansonsten die Kunst der Bildhauerei über mehrere Jahrhunderte verfolgen kann. Dort können wir nun „In neuem Glanz“ und in aller Finesse erleben, wie behutsam heute ein Altarfragment des Meisters von Flémalle restauriert wurde, das in der Hoch-Zeit der niederländischen Malerei entstanden ist. Es wird dort im Zusammenhang mit niederländischen und deutschen Skulpturen aus der Zeit präsentiert und macht auf die Tiefenwirkung und Dreidimensionaliät der Malerei aufmerksam.

„Präsens“ von Jil Sander im ganzen Museum Angewandte Kunst

Ein paar Häuser weiter wiederum, im vom amerikanischen Architekten Richard Meier erbauten Museum Angewandte Kunst, wurde das ganze Haus freigeräumt, um Jil Sander, dieser ungewöhnlich konsequenten deutschen Modeschöpferin, die angemessene Bühne zu bereiten. Gemeinsam mit dem Museumsdirektor Wagner K. hat sie das Gesamtwerk puristisch, schlicht und edel gestaltet und bis in feinste Detail ihre selbstgeschaffene Marke durchdacht und durchgesetzt. Bemerkenswert in der Schau ist auch der von ihr gestaltete Landschaftsgarten und die Konzeption von Architektur für ihre Showrooms sowie ihre Zusammenarbeit mit dem Künstler Mario Merz.

Dagegen wirkt im Ikonen-Museum ebenfalls auf der Sachsenhäuser Seite die Ausstellung „Liebe, Glanz und Untergang. Die hessischen Prinzessinnen in der russischen Geschichte“ geradezu prunkvoll. Auch hier kommen die Exponate, die persönlichen Gegenstände der vier Prinzessinnen aus dem Haus Hessen – Großfürstin Natalja Alexejewna, Kaiserin Marija Alexandrowna, Großfürstin Jelisaweta Fjodorowna und Kaiserin Alexandra Fjodorowna – erstmalig in einem deutschen Museum zusammen. Wegen ihrer Mildtätigkeit haben die hessischen Prinzessinnen eine tiefe Spur in der russischen Geschichte hinterlassen. Die Exponate im Ikonen-Museum stammen allerdings nicht allein – aber auch – aus dem Fundus des mit der Geschichte verbundenen Donatus Prinz und Landgraf von Hessen bzw. aus der gemeinnützigen hessischen Hausstiftung.

Alexander B. Bulay, Generalkonsul der Russischen Konföderation, im Gespräch mit Donatus Prinz und Landgraf von Hessen

Die Gemälde und Gegenstände wie Kleider und Münzen, das Geschirr, die Orden bis hin zu persönlichen Schriftstücken und Dokumente sind von weither angereist, aus den wichtigsten Museen Russlands, vor allem aus Moskau und Sankt Petersburg und auch aus Jordanville in den USA und aus Baku in Aserbaidschan. Sie alle stellten die Leihgaben für die ungewöhnliche Schau zur Verfügung. Vielleicht ein Versuch, die abgebrochenen Gesprächsfäden durch die wirtschaftlichen Sanktionen wieder aufzunehmen?

In Frankfurt ist aber auch der kritische Geist zuhause. Die „Neue Frankfurter Schule“ hat allen klargemacht, dass man das Bedeutungsschwere auch mal „auf die leichte Schulter“ nehmen und damit auflösen kann. So wirkt ein Blick ins Leinwandhaus, dem Sitz des heutigen Caricatura Museums hibdebach, in dieser Hinsicht Wunder. Da findet nämlich aus Anlass des 80. Geburtstags zu Ehren des verstorbenen Robert Gernhardt (1937 – 2006) eine köstliche Ausstellung statt. Da kann man anschließend auch mal schmunzelnd auf die bewegte Frankfurter Geschichte schauen.

Respektlos geht Gernhardt etwa mit dem Frankfurter Nationalheiligtum Goethe um

Apropos Goethe. Neben Goethes Geburtshaus im Großen Hirschgraben am früheren Sitz des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels entsteht gerade das neue Deutsche Romantik-Museum. Der Bau, der mangels Geld zunächst gar nicht zustande zu kommen schien, konnte dank der großzügigen Frankfurter Stifter-Tradition jedoch schon in diesem Jahr Richtfest feiern. Stolz stand bei diesem Anlass die engagierte Zivilgesellschaft Frankfurts inklusive zweier OBs vereint zusammen – allen voran Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts und des Goethe-Hauses, die vor allem die zielstrebige Vorkämpferin für das Deutsche Romantik-Museum war und auch der Architekt Christoph Mäckler, der ihm die äußere Form gibt.

Die engagierte Zivilgesellschaft Frankfurts vereint mit den politischen Repräsentanten, mit Prof. Anne Bohnenkamp-Renken (4.v.l.) und Architekt Christoph Mäckler (3.v.l.)

Gebaut wird und wurde auch andernorts in Frankfurt. Doch in der Frankfurt School of Finance & Management an der Adickesallee im Frankfurter Nordend konnte wiederum schon Einzug gehalten werden. Hier schaute man bei der „Einweihung“ auch über den Tellerrand des rein Geschäftsmäßigen: „Eliten in Europa kommt eine besondere Verantwortung zu, engagieren Sie sich für dieses Europa, die Grundlage unseres Wohlstands“, appellierte der französische Politologe, Festredner, Friedenspreisträger und außerdem gebürtige Frankfurter Prof. Alfred Grosser an die Studierenden und alle Gäste anlässlich der Eröffnungsfeier. Bei der Gelegenheit sollten wir übrigens auch nicht vergessen, dass – unabhängig vom Sitz der Europäischen Zentralbank – die erfolgreiche europäische Bewegung „Pulse of Europe“ ebenfalls von Frankfurts Mitte ausgegangen ist.

Eröffnungsfeier in der Frankfurt School of Finance & Management

Ebenso spektakulär war Frankfurt im vergangenen Jahr auch in der zeitgenössischen Kunstszene präsent. Da gewann die Frankfurter(Oddenbacher)in Anne Imhof den Goldenen Löwen für den besten diesjährigen Beitrag auf der Biennale in Venedig. „Die Auszeichnung zeigt einmal mehr die internationale Bedeutung der Kunststadt Frankfurt am Main, was nicht zuletzt an der weltweit renommierten Städelschule liegt, an der Anne Imhof ihre Ausbildung genossen hat“, kommentierte Ina Hartwig, die Frankfurter Kulturdezernentin, die Auszeichnung. Auch das zählt zu den herausragenden Ereignissen, dass die renommierte Städelschule ihr 200. Jubiläum unter großem Publikumsandrang feierte, worüber Erhard Metz ausführlich berichtete. Kuratiert hatte Imhofs Venedig-Beitrag Susanne Pfeffer. Und sie wiederum ist auch gleich die „Personalie des Jahres“.

Susanne Pfeffer – die künftige Leiterin des MMK

Denn sie folgt auf den Weggang der renommierten MMK-Leiterin Prof. Susanne Gaensheimer, die sich nach Düsseldorf an die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen verabschiedet hat. Zufall über Zufall?

Diese splitterhaften Eindrücke spiegeln nur wenige herausragende Ereignisse des zurückliegenden Jahres. Sie vermitteln vielleicht eine Ahnung von dem, was sich ständig in der Frankfurter Kulturszene abspielt und worüber regelmäßig Renate Feyerbacher, Hans-Bernd Heier und Erhard Metz berichten, gleich ob im Theater, in der Oper, in der Musikszene und in der Literatur, nehmen wir mal die Frankfurter Buchmesse, welche immerhin die größte der Welt ist, aus.

Restaurierung oder Abriss und Neubau? Mit der „maroden“ Theater-Doppelanlage werden wir uns im kommenden Jahr beschäftigen müssen

Aber nicht nur der Stadt selbst bleiben etliche wichtige Baustellen erhalten – man denke nur an die Schaffung von neuem Wohnraum oder an die Grundsteinlegung  von Kulturgebäuden wie das Casals Forum – ein Konzertsaal mit erstklassiger Akustik und Ausstattung – sowie ein angegliedertes Studien- und Verwaltungszentrum für die Kronberg Academy in Kronberg.

Jazz-Legende Emil Mangelsdorff spielte bei der Grundsteinlegung des Casals Forums der Kronberg Academy

Nach der Machbarkeitsstudie zum Komplex Schauspiel/Oper wird im kommenden Jahr sicher eine Entscheidung in Frankfurt darüber fallen, wie es mit dem Gebäude der Theater-Doppelanlage, die schon für völlig marode erklärt worden war, weitergehen wird. Da kam es fast schon der Verhüllung des Reichstags vor seinem Umbau durch Christo & Jeanne-Claude gleich, als der italo-amerikanische Künstler Federico Solmi kürzlich auf der B3, der Biennale des bewegten Bildes, seinen gezeichneten 110 m langen Film, die Groteske,  als Weltpremiere auf die Glasflächen dieses besonderen Stadttheaterbaus projizierte. In seinem Bilder-Mix aus Games, Pop-Kultur und Zeichnungen demaskiert er gewissermaßen die Realität als übergroßen Vergnügungspark mit überzogenen Gestalten und lässt somit neu über das nachdenken, was sich im Inneren abspielt oder abspielen sollte. Mit seinem Tusch von „The Great Farce“ verabschieden wir uns vom alten Jahr und blicken gespannt auf die Überraschungen des kommenden Jahres.

Schauen Sie ab und zu auch in unser Archiv. Sie werden sich wundern, was Sie da alles finden, nicht zuletzt etliche Berichte über Aktivitäten der rührigen „freien Szene“! Der Rückblick gibt zwangsläufig nur splitterhaft wieder, was hier los ist. Und bleiben Sie uns gewogen!

Das Team von FeuilletonFrankfurt

wünscht allen Lesern

einen guten Rutsch

in ein ideenreiches und gelungenes

Neues Jahr 2018

 

 

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