Zwei Sommer-Installationen in Schirn und Städel – mal anders gesehen
WORTKÜNSTE
Eine verbale Intervention
Das Städel Museum mit Städel Garten, Foto: Städel Museum
von Uwe Kammann
In der Gesellschaftssatire „The Square“ – ein mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichneter Film – spielt ein schlichtes Quadrat eine Hauptrolle: als Kunstwerk, das es in einem fiktiven modernen Museum zu „verkaufen“ gilt. Sprich: Es soll als Attraktion auch mit den Instrumenten des Marketings dem Publikum als großartige Ikone eines interaktiven Fortschritts ans Herz gelegt werden. Leicht lässt sich ahnen, was der Regisseur da im Schilde führt – klar, die Entzauberung eines Kunstbetriebs, der in seinen vorbereitenden Meetings ein völlig leeres, aber jargontypisches begleitendes Geschwurbel zur Grundlage seiner Aktivitäten macht.
Ob die Kuratoren zweier Großobjekte unter dem Großrubrum der Installationen diesen Film gesehen haben? Vielleicht. Aber wie auch immer, ob Vorbild oder Abschreckung – auch sie könnten leicht in den Verdacht geraten, allein dem Motto zu folgen, vor allem verbalen Verpackungsaufwand zu betreiben, um ihren Ausstellungsobjekten einen (Mehr-)Wert zu verleihen.
Nehmen wir als erstes den dichtgedrängten bunten Fahnenwald in der Schirn-Rotunde. Was lesen wir dazu auf der grauen Begleittafel (die nur wenige sich anschauen)? Die britische Künstlerin Phyllida Barlow überführe hier in ihrer „skulpturalen Installation“ (Titel: 100Banners2015) „tradierte Materialien von Protestveranstaltungen – wehende Fahnen, Banner und Transparente – in eine räumliche-architektonische Dimension.“ Auf diese Art und Weise, so heißt es weiter, „strukturiert sie den öffentlichen Raum neu, stellt sich den Passanten in den Weg und besetzt den Ort für sich. Diese räumliche Neuordnung und der Rekurs auf eine gängige Form politischer Partizipation unterstreichen ihr generelles Interesse an der Gestaltung des urbanen Raumes.“
Phyllida Barlow, 100Banners2015 in der Schirn-Rotunde
Mmh, aha. Eigentlich ist ja alles, was im städtischen Raum steht, etwas, was diesen Raum gestaltet. Und daran haben ja viele Interesse, von Stadtplanern und Architekten bis zu den Objektgestaltern der Stadtwerke mit Trafohäuschen und Laternenmasten oder die Betreiber von Marktständen auf der Konstablerwache. Nun gut.
Unten auf der Schirn-Tafel geht es weiter im Text. Mit ihrer Installation beziehe sich die Künslerin auf „Fahnen als Symbole von Zusammengehörigkeit und Macht – und für den Widerstand gegen Letztere.“ Und: „Typischerweise versinnbildichen Fahnen Länder, aber sie werden auch bei Paraden oder Protestveranstaltungen genutzt“. Barlow entziehe ihnen allerdings „bewusst ihre Bedeutung: Nirgendwo ist Schrift zu sehen, jede Botschaft fehlt“, die Banner seien schmucklos, die fragile Befestigung durch Sandsäcke verstärke den „Eindruck des Improvisierten“. Ihrer traditionellen Funktion beraubt, seien sie „auf ihre materiellen Bestandteile reduziert“. Dann der bewertende Schlusssatz: „Barlow gelingt es durch ihre künstlerische Strategie des bewussten Dilettantismus, den Träger politischer Bedeutung zu entmystifizieren.“
Ja dann. Nach persönlicher Empirie (erlaubt?) befragte Besucher haben diese Bewertung leider nicht erkannt. Sie sehen – wie der Autor – einen hübschen bunten Fahnenwald, mit heiterer Anmutung, eine die Rotunde füllende Dekoration, und damit nicht unbedingt etwas, was dem Obermotto der Gesamtausstellung entspräche: „Power to the People“. Viel Ratlosigkeit, stetes Kopfschütteln, der „bewusste Dilettantismus“ und der Verzicht auf Beschriftung und expliziten Fahnen-Botschaften führt zum Eigen-Verzicht auf tieferes Verständnis oder das Sich-Einstellen von Assoziationen. Was allerdings allseits wahrgenommen wird: Dass sich der so schön bunte Fahnenwald den Passanten in den Weg stellt. Gut, diese „räumlich-architektonische Dimension“ (Kuratoren-Duktus) ist also erfahrbar. Welche Erkenntnis das vermittelt? Das war nicht in Erfahrung zu bringen.
Manuel Franke, „Colormaster F“
Auch beim Städelgarten stellt sich seit kurzem etwas in den Weg, in zweierlei Hinsicht: ganz direkt körperlich, und dann auch indirekt – indem von der Dürerstraße aus kein einfacher Blick auf den sanften Rasenhügel mit seinem heiteren Bullaugenmuster über dem Kunst-Erweiterungskeller mehr möglich ist. Hier hat im Auftrag des Museum der Düsseldorfer Manuel Franke eine „raumgreifende Installation“ verwirklicht (eine temporäre, wie in der Schirn, dies soll nicht vergessen sein).
Hier, so erklären uns die professionellen Macher des Museums, geht es um ein „monumentales, 50 Meter langes und 2,5 Meter hohes Kunstwerk“, durch das der Städelgarten zwischen Museum und Städelschule „eine neue, körperlich erfahrbare Begrenzung“ erhalte. Das Werk „Colormaster F“ setze der Rasenfläche ene „gebogene Membran in leuchtenden Farben“ entgegen und versperre als „unüberwindliches Hindernis“ einerseits den gewohnten Blick, mache jedoch andererseits den Rasenhügel „in ganz neuer Weise erfahrbar.“
Weiter im Text: Es verändere nicht nur den Garten in seiner räumlichen Konstellation, sondern schaffe auch einen „weiteren, zusätzlichen Raum innerhalb des Gartens, der gleichermaßen offen wie abgeschlossen ist.“ Und darüberhinaus lade das Kunstwerk „die Besucher zum Spielen, Erkunden und Verweilen ein“ und ermögliche somit „einen Sommer lang eine völlig neue und interaktive Erfahrung des vertrauten Städel Gartens.“
Und wer noch mehr kapieren will, warum dieses lange Beton-Ungetüm (dessen feste Masse von einem einschlägigen Rohstoffhersteller für die Aktion gespendet wurde), der sollte unbedingt die Begründung von Martin Engler lesen, dem Leiter der Sammlung Gegenwartskunst am Städel.
Hier der Originalton Engler: „Wir wollten Manuel Franke für unseren Garten gewinnen, weil seine Fragestellungen sich stets mit den Grenzen von Kunst und Gesellschaft auseinandersetzen und wir unseren Garten mit einem seiner gattungsübergreifenden künstlerischen Eingriffe temporär bereichern wollen. Seine Skulptur, die auf einem mächtigen Fundament aus himmelblau eingefärbtem Beton ruht, ist ein Zwitter aus Industriefassade und Museum, aus Malerei und Skulptur, aus Halfpipe und Sitzbank. Sie regt die Besucher zur Partizipation an, indem sie diese etwa einlädt, sich ganz entspannt darauf niederzulassen“.
↑ Manuel Frankes „Colormaster F“:
↓ Eine Anregung zur Interaktion?
Gut, so lassen wir uns also mit dem Vorsatz der Entspannung nieder (obwohl das Vorhaben nicht ganz so bequem gerät), denken nach über die Sinn und Nutzen der Eigenschaftsbeschreibung interaktiv, verfolgen den Gedanken, warum ein schöner und heiterer Garten durch eine solche Barriere – immerhin, farbenfroh ist sie – vor neugierigen Außenblicken geschützt werden muss, sind nur kurz irritiert von der Überlegung, welch aberwitziger Aufwand getrieben wird, um etwas selbstverständlich Gestaltetes wie den bisherigen Außenraum zu verbergen und einen Sommer lang eine überzeugende Architektur in den dritten Rang zu schicken.
Da bekanntlich alles mit allem zusammenhängt, administratorisch bei Städel und Schirn im Besonderen, schweifen die inneren Gedanken auch zurück in die Rotunde der Schirn, die ja ebenfalls vollgestellt ist, dort mit bedeutungsfreien Fahnen (das ist ja der ausdrückliche Wille der ausführenden Künstlerin). Und dabei werden wir lästigerweise angeweht von der impertinenten Erinnerung an ein nun schon etwas älteres Narrativ (ja, so heißen heute alle Klein- und Großmodelle von gepuzzelten Vorstellungen in der gesellschaftlichen Bedeutungsküche): das Narrativ von des Kaisers neuen Kleidern. Zu dessen Kern gehört: Im Grunde kreisen wir oft um etwas nicht Vorhandenes, das allein von Wille und Vorstellung lebt. Dies, zugegeben, ist sicher auch ein Merkmal des Interaktiven. Und all der anderen schönen Verbalguirlanden, welche zum Handwerkszeug der Kunst-Installateure und ihrer Sorgetragenden, der Kuratoren, gehören. Blühende Gärten, schwingende Mauern (wo gerade im Museum der Weltkulturen den „Bounderies“ abgeschworen wird), wehende Fahnen, dekonstruierte Sandsäcke: Alles wird Kunst – dank weit ausholender, raumgreifender Wortkonstruktionen. Oder müssen wir besser sagen: Wortinstallationen, Satzinterventionen? Wir auch immer: Es lebe die Wortkunst– und der von ihr geschaffene Erfahrungsraum.
Alle Fotos, sofern nicht anders erwähnt: Petra Kammann