„Mapping the Studio“ in Venedig (2): Punta della Dogana
Palazzo Grassi und Punta della Dogana – zwei fantastische Museen in Venedig mit Werken der klassischen und zeitgenössischen Moderne aus der Sammlung François Pinault. Heute stellen wir die Punta della Dogana vor.
Von Erhard Metz
Das Dreieck der Punta della Dogana am Auslauf des Canal Grande in die Bucht von San Marco; © Palazzo Grassi, ORCH orsenigo_chemollo
Blick vom Portikus der Punta della Dogana auf den Campanile di San Marco; Foto: Erhard Metz
Wenn es ein Maximum gäbe, ein Ensemble von einer der fantastischsten Städte der Welt, blaugrünem Meereswasser samt frischer salziger Brise, dem berühmten „Mantel der Geschichte“, dessen Saum zu streifen wir uns wähnen, und einer einzigartigen Ausstellung eben jener eingangs genannten Kunst, so wäre es hier und nirgend anderswo anzutreffen: an der Punta della Dogana.
Draussen, vor dem Portikus an der Spitze, treffen wir auf den über lebensgrossen Knaben mit dem Frosch in der Hand von Charles Ray, stets streng bewacht von einem grimmig bewaffneten Uniformierten. Für einen heranwachsenden Menschen, den Blick nach vorn in die Zukunft gerichtet, soll er stehen. Aber der Frosch – Daffke des Künstlers? Soll das – bizarrer Weise nicht nur von Touristen, sondern auch von manchen Exponenten des Kunstbetriebs fälschlich für marmorn gehaltene – Standbild den Menschen in seinem Sieg über das einst auch sumpfige Gelände symbolisieren, auf dem Venedig in der Lagune errichtet wurde? Er soll den Markuslöwen als Aushängeschild Venedigs ablösen, sagen andere. Und was raunt der – insofern durchaus erotisch aufgeladene – Volksglaube, im Brüder-Grimm-Märchen vom Froschkönig etwa oder im indianischen Mythos von der Froschfrau Kaaka?
Charles Ray, Boy with Frog, 2009, cast stainless steel and acrylic polyurethane, 247 x 91 x 96,5, © Palazzo Grassi SpA. Foto: ORCH, orsenigo_chemollo
Gemessen am Wert manches im Museum gezeigten Werkes lediglich schlappe 20 Millionen Euro liess sich François Pinault die Wiederherrichtung der im 17. Jahrhundert von dem Baumeister Giuseppe Benoni (1618 bis 1684) errichteten einstigen Zolllagerhallen kosten – er soll sie auf 30 Jahre geleast haben. Architekt war wiederum der unter anderem für seine Museumsbauten Weltruhm geniessende, dem Minimalismus verpflichtete Tadao Ando, der bereits den Palazzo Grassi ausgestattet hatte. Mit Ando hatte sich Pinault gegen ein konkurrierendes Angebot der Guggenheim Foundation durchgesetzt, die immerhin die renommierte Star-Architektin Zaha Hadid aufgeboten hatte. Ando verwandelte die heruntergekommenen historischen Hallen in eines der weltweit spektakulärsten und schönsten Kunstmuseen. Pinault eröffnete es listig einen Tag vor dem Eröffnungsakt der Kunst-Biennale 2009.
Eingangshalle des Museums:
Felix Gonzalez-Torres, Untitled (Blood), 1992, Plastic beads, metal rod, variable dimensions;
Rachel Whiteread, Untitled (One Hundred Spaces), 1995, Resin, 100 units, variable dimensions;
Maurizio Cattelan, Untitled, 2007, Taxidermied horse: horse hide, fiberglass, resin, 300 x 170 x 80 cm;
Luc Tuymans, Untitled (Still Life), 2002, Oil on canvas, 347 x 500 cm;
Richard Prince, Untitled, 2007, Acrylic and collage on canvas, 2 parts, 365,8 x 518, 2 cm;
© Palazzo Grassi SpA. Foto: ORCH, orsenigo_chemollo
Tadao Ando hütete jeden Backstein des überkommenen Mauerwerks wie auch das – wo immer noch verwendungsfähige – hölzerne Dachgebälk und entfernte lediglich die im Laufe der Jahrhunderte hinzugefügten Bauteile. Jedoch zog er Böden und Zwischendecken aus Beton sowie einen Baukörper mit Wänden aus poliertem Sichtbeton ein. Schlicht mit dem Prädikat grandios versehen wir die Lichtführung in den einzelnen Räumen. Eine Herausforderung der besonderen Art war die Absicherung der unterirdisch installierten Gebäudetechnik vor der Geissel Venedigs, dem jährlichen Acqua Alta.
Erhalten blieb die Würde des rund dreieinhalb Jahrhunderte alten Bauwerks; geschaffen wurde ein einzigartiger Inszenierungsrahmen für eine vermutlich dem Selbstverständnis wie dem Repräsentationsbedürfnis Pinaults entsprechende, Gross- und Grösstformatiges bevorzugende Schau.
Maurizio Cattelan, Untitled, 2007, Taxidermied horse: horse hide, fiberglass, resin, 300 x 170 x 80 cm;
© Palazzo Grassi SpA. Foto: ORCH, orsenigo_chemollo
Maurizio Cattelans mit dem Kopf durch die Wand rennendes Pferd konnten wir – ebenso wie Takashi Murakamis grossformatigen spermaschleudernden Lonesome Cowboy samt seinem weiblichen Gegenpart Hiropon – zu Udo Kittelmanns Zeiten im Frankfurter MMK bewundern, und etwas Wehmut im Gedenken an solche Zeiten mag sich einstellen, wenn wir den Tag näher kommen sehen, an dem es uns, von wohlschmeckender wie reichhaltiger heimischer Hausmannskost wunderbar gesättigt, in Frankfurt doch wieder einmal nach grossen internationalen Ausstellungsevents im Haus an der Domstrasse gelüstet, wie sie damals Gang und Gäbe waren und sie beispielsweise das Städel Museum fortlaufend pflegt.
Cindy Sherman, Untitled, 2007-2008, Color photograph;
Cindy Sherman, Untitled, 2007-2008, Color photograph;
Jeff Koons, Bourgeois Bust – Jeff and Ilona, 1991, Marble;
© Palazzo Grassi SpA. Foto: ORCH, orsenigo_chemollo
Maurizio Cattelan, All, 2008, 9 sculptures marbre white Carrara marble, variable dimensions, © Palazzo Grassi SpA. Foto: ORCH, orsenigo_chemollo
Nachbarschaftlich vereint: Cindy Shermans inszenierte Selbstporträts und Jeff Koons bourgeoise marmorne Büste; Hiroshi Sugimotos bizarre Kostümfotos der Serie „Stylized Sculpture“ und Maurizio Cattelans neun marmorne leichentuchbedeckte, in einer Reihe am Boden Liegenden.
Paul McCarthy, Train, Pig, Island, 2007, Foam, mixed media, 266 x 558 x 124 cm, © Palazzo Grassi SpA. Foto: ORCH, orsenigo_chemollo
Mitunter geht es nicht nur grösstformatig, sondern auch schrill, pompös zu in Pinaults Museen. In manchem scheinen Themen wie Macht, Gewalt und Sex zu dominieren. Ein Zufall das im „Berlusconi-Land“? Wohl doch eher dem Sammler geschuldet. Sobald mich jemand beobachtet – so oder ähnlich soll sich François Pinault einmal geäussert haben -, wie ich ein Kunstwerk genauer betrachte, steigt der Marktwert des Künstlers. Und das genau ist ein Problem. Der sogenannte Kunstmarkt ist ausser Rand und Band. Wenn Sammler, denen es, pardon, auf eine Million mehr oder weniger nicht so streng ankommt, den Künstler kaufen, den sie unbedingt haben wollen, fängt sich die nach oben offene Preisspirale an zu drehen. Der Milliardär kauft Künstler, die in der – veröffentlichten – Meinung den „grossen Namen“ haben. Diese Künstler wiederum schaukeln gegenüber den Milliardären ihre Preise hoch. Es werden Summen gezahlt, die das eine oder andere Objekt nun wirklich nicht wert sind. Die aus öffentlichen Haushalten finanzierten Museen haben in dieser Preisspirale das Nachsehen. Eine gesunde, nicht zu beanstandende Entwicklung? Keineswegs.
Blick von der Punta della Dogana auf den Campanile und die Bucht von San Marco; Foto: Erhard Metz