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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kein Wildschwein im Atelier: Die Fotokünstlerin Astrid Korntheuer

Von Erhard Metz

„Heute habe ich mit meinem Stativ ein Wildschwein erschlagen. Schon wieder ein Paradies“ – so lautet der vielversprechende, wenn auch sich etwas gewalttätig ausnehmende Titel der neuesten Bilderserie der Fotokünstlerin Astrid Korntheuer, ausgestellt in der Frankfurter Galerie Heike Strelow. Und sie setzt noch eins drauf: Die Untertitel dieser über 60 Fotografien heissen jeweils – und je nach Sichtweise eher abschreckend oder im Gegenteil wiederum vielversprechend – „Gestrüpp“.

Weniger dramatisch klingen da schon die Bilderserien „Nature Morte“ (auf Deutsch also „Stillleben“, aus dem Jahr 2009), „Picture of Home“ (2011/2012) oder „Storytelling“ (2008) – wiederum geheimnisvoller die Titel „Loh“ (2005/2006), „Patagonien“ (2004/2005) oder „Glör“ (2003/2004).

Aber sollten nun böse Zungen das Gerücht verbreiten, es sei ein Wildschwein – einiges Durcheinander anrichtend, wie auf Astrid Korntheuers Fotografien ja unschwer zu erkennen sei – in deren Atelier herumgetobt und die Künstlerin habe es im Zorn dortselbst an Ort und Stelle mit ihrem Stativ erschlagen, so würden wir einem solchen Verdacht doch heftig widersprechen wollen. Denn bei näherem Hinsehen erweist sich, was voreilig als Unordnung gescholten worden sein könnte, doch als Ordnung, als wohlüberlegte sogar, als eine Ordnung freilich der anderen und besonderen Art und des tieferen Sinns. Die Ordnungshüterin ist nämlich eine Künstlerin!

Heute habe ich mit meinem Stativ ein Wildschwein erschlagen. Schon wieder ein Paradies:
Gestrüpp 8 (2010-2012), Inkjet-Print, 125 x 100 cm und 80 x 64 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Gestrüpp – was ist das eigentlich? Unkraut, Wildwuchs, Dickicht, dem man mit Beil und Machete, besser noch gleich mit Motorsense und Kettensäge zu Leibe rücken sollte? Einfach weghauen, dieses Zeug, um dem Menschen, der vermeintlichen Krone der Schöpfung, den Weg in den ebenso vermeintlichen immerwährenden Fortschritt zu planieren? Nein. Astrid Korntheuers Fotografien lassen uns jenseits einer von Menschenhand gestalteten und damit ver- wie entfremdeten Welt das Wahre und Wesenhafte einer Natur erkennen, die bei aller üppigen schöpferischen Selbstbestimmtheit ihrer eigenen Gesetzmässigkeit folgt – im Werden und Wachsen, im Blühen und Früchte Tragen, im Vergehen und dem Nachkommenden den Weg bereitend.

Es ist die Schönheit der reinen, unversehrten Natur, die uns in Korntheuers Gestrüpp-Fotografien begegnet. Mag die Künstlerin auch hier ein Hälmchen oder dort ein Zweiglein in gestalterischer Intention in die rechte Position gerückt haben, so präsentiert sie uns doch ohne kunsttheoretischen Überbau und kunstphilosophischen Krakeel in diesen Arbeiten ein ums andere Mal ein Arrangement, das wir fast schon als ein Opus perfectum betrachten dürfen. Erstaunlich und faszinierend die Tiefe der Darstellungen, die quasi Dreidimensionalität der Bilder.

Es sind Momentaufnahmen, denn einen Augenblick später bereits kann eine Windbö manches verändern, ganz zu schweigen vom Getrampel eines durch das Unterholz schnürenden Wildschweins, um den Titel dieser Serie wieder aufzugreifen und ihm unsere Referenz zu erweisen. Doch sind diese Momentaufnahmen Zeugen eines Kontinuums im stetigen Prozess des Erneuerns. Hinter jedem Halm, hinter jedem Blatt öffnet sich der Mikrokosmos einer belebten Welt, die den meisten Menschen doch so fern und verschlossen bleibt. Was alles kann ein einziger Tritt eines Wanderstiefels zerstören!

In Korntheuers Gestrüpp gestaltet die Natur sich selbst, das den Verschluss der Kamera bestimmende Auge der Fotografin entscheidet, was im Jetzt festgehalten werden muss, weil es im Danach bereits ein anderes ist. Es sind ruhige, schöne Bilder, die wir gerne betrachten.

Bleibt dann noch die Sache mit dem Paradies … aber das gibt es, das weiss natürlich die Künstlerin, bekanntlich nicht mehr auf Erden. Das Wildschwein hat es gewiss nicht zerstört. Kann es sein, dass es der Mensch war, der solches tat?

Gestrüpp 5 und 6 (2010-2012), Inkjet-Print, je 125 x 100 cm und 80 x 64 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Gestrüpp 42 (2010-2012), Inkjet-Print, 125 x 100 cm und 80 x 64 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Astrid Korntheuer, diesmal nicht im Gestrüpp, sondern in der Frankfurter Galerie Heike Strelow (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Vielleicht sollten wir hier kurz innehalten und unseren Blick einmal auf Handwerk und Technik der Künstlerin lenken. Sie arbeitet mit schwerem Gerät, das in einem eigentümlichen Kontrast zu Anmut und Leichtigkeit vieler ihrer Motive steht. Ihre Grossformat-Plattenkamera liefert Diapositive wie Negative im aus heutiger Sicht gigantischen Format von 10 mal 12 Zentimeter. Zwar scannt Astrid Korntheuer dieses Material in den Computer ein, doch bearbeitet sie es lediglich in dem Masse, wie es auch in einer klassischen Dunkelkammer möglich wäre (Ecken aufhellen oder abdunkeln und vergleichbare Operationen). In keinem Falle fertigt sie etwa Collagen aus mehreren zusammengesetzten Aufnahmen.

Nature Morte 92 (2009), Inkjet Print, coated, 110 x 137,5 cm und 50 x 62,5 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Was im „Gestrüpp“ seine Fortentwicklung findet, war in dem vorangegangenen Zyklus „Nature Morte“, in den Stillleben der Künstlerin, bereits wesenhaft angelegt. Aber kommen Sie uns, liebe Leserinnen und Leser, jetzt bloss nicht wieder mit dem Wildschwein (dem ja künstlerischerseits, wenn auch von zarter Frauenhand, ohnehin mit dem Stativ der Garaus gemacht wurde)! Was wir sehen, sind wundervoll ausbalancierte Kompositionen, im Atelier in penibler Kleinarbeit auf das Sorgfältigste inszeniert, komponiert, ausgeleuchtet, mit der Grossbild-Plattenkamera fotografiert. Wer sich in solch eine Arbeit betrachtend vertieft – und auch dazu braucht es keines herbeigequälten Überbaus – wird schier unendlich viel entdecken. Man muss nicht bei „Nature Morte 92“ an Schneeflocken und weihnachtlich stimmende Tannenzweige, den Geruch von jahrmarktlich gebrannten Mandeln und Zimtgebäck denken – dem, der dies möchte, sollte man es aber nicht verwehren. Andere Betrachter entdecken vielleicht Humorvolles, Ironisches, Sarkastisches in dieser Komposition, wieder andere mögen das Chaos, die Apokalypse und damit das Ende aller Tage assoziieren. Unser Urteil steht fest: Sehenswert, aufhängenswert und deshalb – Kunst kann man nämlich kaufen: erwerbenswert!

Nature Morte 35 (2009), Inkjet Print, coated, 137,5 x 110 cm und 62,5 x 50 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Nature Morte 139 (2009), Inkjet Print, coated, 110 x 137,5 cm und 50 x 62,5 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Es hat etwas von Dekonstruktion und anschliessender Konstruktion – wir sprachen ja eingangs von einer neuen Ordnung freilich der anderen und besonderen Art und erhoben die Künstlerin gar zur Ordnungshüterin. Das ist wohlüberlegt und berechtigt: Astrid Korntheuer konstruiert aus ihren vorgefundenen oder auch bereits bearbeiteten Materialien einen neuen künstlerischen Kosmos, in dem – Chaostherie hin, Chaostheorie her – alles seinen Platz hat, oft genug den einzig richtigen und möglichen.

Diese Feststellung gilt gleichermassen für ihre Arbeiten in dem Zyklus „Picture of Home“. Sie scheinen uns sehr folgerichtig auf jenen des narrativen Zyklus „Storytelling“ aufzubauen, in welchem sie uns mit ihren Arrangements im Studio oder unter freiem Himmel kleinere und grössere Geschichten erzählt, die wir weiterspinnen und in denen wir irgendwann unsere eigenen zu erkennen beginnen.

Picture of Home 9 (2011-2012), C-Print, 100 x 80 cm und 62,5 x 50 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Picture of Home 29 (2011-2012), C-Print, 100 x 80 cm und 62,5 x 50 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Storytelling: Tür, Kalb, Marshmallows, Nofretete, Luftballons (2008), C-Print, 100 x 125 cm und 40 x 50 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Storytelling: Objekte draussen, Zitrone, Schirm, Ventilator, Stuhl (2008), C-Print, 100 x 125 cm und 40 x 50 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Ein Blick, wenn auch ein kleiner nur, auf frühere Arbeiten der Künstlerin aus den Zyklen „Paintings“, „Horizons“, „Loh“,  „Patagonien“ oder „Glör“ darf nicht fehlen, weil sie uns den Werdegang der Fotokünstlerin wie von selbst erklären:

Painting 104 (2005-2007), C-Print, 105 x 129 cm und 46 x 56 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Horizon 10 (2007), Inkjet Print, 80 x 100 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Loh 10 (2005-2006), Inkjet Print, 100 x 125 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Patagonien: Ushuaia 3 (2004-2005), C-Print, 120 x 145 cm und 50 x 60 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Glör 35 (2003-2004), Inkjet Print, 110 x 137,5 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

Astrid Korntheuer, 1979 in Schwelm geboren, studierte von 1999 bis 2005 an der Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach bei der Professorin Rosalie und den Professoren Heiner Blum und Frank Schumacher mit dem Abschluss Diplom. Weitere Stationen ihres künstlerischen Werdegangs waren unter anderem ein ERASMUS-Studium in Antwerpen und ein Artist in Residence-Aufenthalt in Hangzhou/China. Sie erhielt Förderungen durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die Stiftung Kunstfonds und die Kunststiftung Nordrhein-Westfalen sowie zahlreiche andere Förderungen und Stipendien im In- und Ausland. Die Zahl ihrer Ausstellungen kann sich sehen lassen.

Und nun kommen wir doch noch einmal auf der Künstlerin wilde Geschichte mit dem Wildschwein zurück: Die Medien berichten immer häufiger, dass manche dieser Tiere den Wald verlassen und Ausflüge in menschliche Siedlungen unternehmen, sogar im Wiesbadener Kurpark sollen sie bereits gesichtet worden sein. Dass sie dabei in so manchen von menschlichem Ordnungs“sinn“ verunstalteten kleinbürgerlichen Vorgärten mal so richtig nach Wildschweinherzenslust „aufräumen“, ist überliefert. Dass Astrid Korntheuer jemals ein solches oder ein anderes Tier erschlagen würde, glauben wir nun allerdings ganz und gar nicht.

Ein kleiner Ausschnitt aus Astrid Korntheuers künstlerischem Werk, das man schon jetzt zu Recht als Œuvre bezeichnen kann, ist derzeit in der Frankfurter Galerie Heike Strelow zu sehen – im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung mit skulpturalen Arbeiten von Jáchym Fleig, die eine gesonderte Darstellung rechtfertigen. Für Mittwoch, 20. März 2013, 19.30 Uhr, laden Galerie, Künstlerin und Künstler zu einem Werkstattgespräch ein. Die sehr sehenswerte Ausstellung selbst endet am 5. April 2013.

 

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