Starker Auftakt: Eröffnung der Frankfurter Buchmesse mit dem Ehrengast Frankreich
Eine besondere Stunde für Europa
Kultur lebt vom Austausch: Der Beginn der Buchmesse
Impressionen von Petra Kammann
„Frankreich als Ehrengast der 69. Frankfurter Buchmesse: Das ist ein Fest für die französische Sprache, mit 180 Autorinnen und Autoren, die aus der ganzen Welt anreisen, um ihre Bücher in Frankfurt zu präsentieren. Der Auftritt Frankreichs bringt uns unser Nachbarland näher, und er lenkt zugleich unseren Blick in die Welt, weil in vielen Ländern Französisch gesprochen wird. Und es hat die wichtigen Politiker Europas auf den Plan gerufen. Am Tag der Eröffnung wurde es dann auch ein Macron-Merkel-Tag.
v.l.n.r.: Buchmessedirektor Juergen Boos, Staatspräsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, dahinter die neue französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes, Alle Foto: Petra Kammann
Der Auftritt setzte ein starkes Zeichen! Neben dem französischen Staatspräsidenten und der deutschen Kanzlerin waren weitere Würdenträger aus dem In- und Ausland zur Eröffnungsfeier gekommen: zum Beispiel die Sécrétaire Perpétuel“ der legendären Académie française Prof. Hélène Carrère d’Encausse sowie zahlreiche LiteratInnen, KünstlerInnen, SchauspielerInnen und VerlegerInnen.
Erwähnenswert ist die Rede des Börsenvereinsvorsteher Riethmüller, der vehement für die Freiheit des Wortes eintrat und darauf hinwies, dass man im letzten Jahr die Rede der in der Türkei inhaftierten regimekritischen türkischen Physikerin, Journalistin und Schriftstellerin Asli Erdogan noch verlas und sie nun anwesend sei. Applaus! Besonders eindrucksvoll war bei der Eröffnungszeremonie die künstlerisch-szenische Darstellung der Sprachlosigkeit „L’hospitalité des langues“ statt einer literarischen Rede, die der libanesischstämmige Franzose, Autor, Schriftsteller und Regisseur Wajdi Mouawad auf die Eröffnungsbühne provokant in den dunklen Zuschauerraum stellte und konterkarierte durch das eindringlich gesungene Lacrimosa. Die Reaktion des hündischen Bellens in der Verzweiflung des Leids ließ die Sehnsucht nach Sprache umso stärker werden. Selbst der redebewusste Macron hielt für einen Moment inne und entschuldigte sich fast dafür, dass er nun doch zum protokollarischen Teil übergehen müsse.
Szene aus der Performance „L’hospitalité des langues“ des libanesischstämmigen Franzosen, Autors und Regisseurs Wajdi Mouawad
Es folgten dann die mit Leidenschaft vorgetragene Rede des Präsidenten, in der er die Horizonterweiterung beschrieb, die ihm durch Literatur und Kultur in seiner eigenen Erziehung zuteil geworden worden war, und er beschrieb, wie sehr er als Assistent durch seinen Lehrmeister, den französischen Philosophen Paul Ricoeur, geprägt worden war, der trotz seiner Leidensgeschichte mit Deutschland daran festhielt, unbeirrt Husserl ins Französische zu übersetzen. „Europa ist nichts ohne Kultur“, sagte Macron und forderte in seiner Rede mehr auch mehr europäischen Austausch für Studenten und Auszubildende.
„In der Literatur spiegelt sich die Seele unserer freiheitlich verfassten Gesellschaft wider, in der die Freiheit des Geistes und der Meinungsäußerung einher geht mit politischer Freiheit“, sagte Bundeskanzlerin Merkel mit mehr Understatement, wenn auch mit Nachdruck. Sie erinnerte an ihre eigene Erfahrung in der DDR: „Einmal erlebt zu haben, dass man nicht jedes Buch lesen kann, das man lesen möchte, bringt einen dazu dafür kämpfen, dass alle Leute alle Bücher lesen können, die sie lesen möchten.“ Auch daran zu erinnern, war ebenfalls stark, war Frankreich doch im Wendejahr 1989 Schwerpunktthema der Buchmesse und konnte auch miterleben, was die Öffnung der Mauer für Europa bedeutete.
Nach der Eröffnungszeremonie fand dann auch die erste Begehung des französischen Ehrengast-Pavillons in Anwesenheit von Merkel und Macron statt. Gemeinsam wurden auf der Gutenberg-Presse die Menschenrechte gedruckt.
Macron genoss nicht nur das „Bad in der Menge“. Er diskutierte mit Kindern und Jugendlichen im französischen Pavillon. Aus einer Ecke ertönte das gemeinsame Zitieren des Heineschen Loreley-Gedichts mit französischem Akzent
Zuvor aber hatte Macron eine kleine Lehrstunde an der Frankfurter Goethe-Universität in Sachen Europa gegeben. Er entwickelte die Vision einer Bildungs- und Kulturunion, als er auf dem Podium mit dem deutsch-französischen früheren Abgeordneten im Europa-Parlament Daniel Cohn-Bendit sowie mit dem französischen Sozialwissenschaftler Gilles Kepel diskutierte und den Studenten an der Frankfurter Goethe-Universität Mut für eine europäische Solidarität und Einheit zusprach. Er stellte hier nicht nur wirtschaftliche Argumente in den Vordergrund, sondern stellte die Bildung in den Mittelpunkt seines Räsonnierens und plädierte dafür, dass alle jungen Menschen Zugang zur Literatur bekämen. Er widersprach vehement Dany Cohn-Bendit, der ihn in guter Sponti-Tradition herausforderte, indem er Schmidt zitierte, dass wer Visionen habe, zum Arzt gehen solle. Dem widersprach Macron vehement :„Ich will keinen Arzt, ich will Visionen!“
Gilles Kepel, Kenner des politischen Islam, wies vor allem auf die Bedrohung durch den Terrorismus hin. Macrons Ausführungen gingen jedoch dahin, dass man eben schon viel früher ansetzen müsse als mit der Organisation von Sicherheitsvorkehrungen, eben bei der Erziehung und der Ausbildung, die allen Kindern zukommen müsse. Am Ende hatte Emmanuel Macron für das studentische Publikum sogar eine offizielle Verlautbarung mitgebracht: Dass er nämlich als französischer Präsident fortan die europäische Flagge und Hymne der französischen Trikolore und Marseillaise zur Seite stellen wird.
v.l.n.r.: Daniel Cohn-Bendit, Staatspräsident Emmanuel Macron und Prof. Gilles Kepel und die Universitätspräsidentin Prof. Birgitta Wolff
„Ich freue mich auf die nächsten fünf Tage voller Begegnungen, Gespräche und Diskussionen, und wir heißen die französischsprachigen Literaten, Künstler und politischen Gäste hier herzlich willkommen“, sagte der Direktor der Frankfurter Buchmesse Juergen Boos. Und der Commissaire général von „Francfort en français / Frankfurt auf Französisch“ Paul de Sinety:„Diese Einladung zur Frankfurter Buchmesse ist eine Ehre und ein starkes Symbol für die Dynamik der deutsch-französischen Beziehung und die Lebendigkeit des europäischen Projekts. Fast 30 Jahre nach dem letzten Ehrengastauftritt Frankreichs auf der Frankfurter Buchmesse, im selben Jahr in dem die Berliner Mauer fiel, sieht sich Europa heute großen Herausforderung gegenüber. Es ist unsere Aufgabe, gemeinsam mit unseren deutschen und europäischen Partnern, ein Europa der Übersetzung, der Vielfalt und der Gastfreundschaft zu schaffen. Daher ist es der Wunsch des Präsidenten der französischen Republik, Emmanuel Macron, der Jugend unserer europäischen Länder den Zugang zur Kultur zu erleichtern“.
Auch die Musik spielte am Eröffnungsabend mit. Zum Auftakt von „Francfort en français / Frankfurt auf Französisch“ fand außerdem ein deutsch-französisches Konzert in der Alten Oper Frankfurter statt. Die Philharmonie Straßburg und ihre Solisten, Gautier Capuçon und Veronika Eberle, nahmen das Publikum mit auf eine musikalische Reise durch Frankreich und Deutschland.
Heute wird das Enfant terrible der französischen Literaturszene Michel Houellebecque erwartet und die Jury des renommierten Prix Goncourt. Die Spannung wird gehalten. A suivre…