45. Römerberggespräche: Was soll das Theater?
Über die Zukunft der Städtischen Bühnen – „Die Stadt muss sich bekennen“
Ein Beitrag von Uwe Kammann
Mehr als 50 Jahre waren Frankfurts Städtische Bühnen Schauplatz zahlloser Inszenierungen und erlebten denkwürdige Auseinandersetzungen. Nun ist das Bauwerk, die „Theaterdoppelanlage“, die Schauspiel und Oper umfasst, marode. Wie soll es weitergehen? Neubau oder Sanierung? Von dem Tag an, an dem die möglichen Kosten bekannt wurden, wurden leidenschaftliche und kontroverse Debatten geführt. Da stellte sich nicht nur die Frage nach dem Standort am Willy-Brandt-Platz, sondern auch nach der gesellschaftlichen Position des Theaters. Welche Aufgaben sollen Schauspiel und Oper in Zukunft haben? Die Römerberggespräche wollten in der Diskussion erkunden, welche Gestaltungschancen derzeit bestehen.
Die Doppelanlage: Oper und Schauspiel unter einem Dach
Zu guter letzt umreißt Schauspielhaus-Intendant Anselm Weber dann doch noch einen auch als seinen Wunsch: Wenn eine Sanierung der Städtischen Bühnen für rund 200 Millionen Euro möglich wäre, dann, ja dann „bin ich fürs Sanieren und Hierbleiben“. Punktum. Zuvor hatte er sich in der Schlussrunde der Römerberggespräche unter dem doppeldeutigen Titel „Was soll das Theater?“ vorsichtiger geäußert; oder, wie er es mit Blick auf Rahmenbedingungen und politische Realitäten in der Stadt Frankfurt sieht, schlicht praxisnäher: „Ich muss alle Varianten überlegen“. Sprich, im Spektrum von Abriss und Neubau der Theater-Doppelanlage für Schauspiel und Oper am angestammten Willy-Brandt-Platz bis zum alternativen Auszug und Neubau einer der beiden Spielstätten an einem anderen Platz in der Stadt. Varianten und Szenarien, die heftig diskutiert werden, seit eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Stadt den 1963 eröffneten Bau als marode deklariert und als Folge eine Generalremedur mit Gesamtkosten von rund 900 Millionen Euro angenommen hat.
Die Intendanten: Anselm Weber, Schauspiel und Bernd Loebe (Oper)
Was immer nun in Angriff genommen wird: Äußerst schwierig, da waren sich Weber und sein nachbarschaftlicher Opern-Kollege Bernd Loebe völlig einig, wäre ein zeitweiliger Ausweich-Umzug an andere Orte auf jeden Fall. Denn in dafür zu veranschlagenden fünf Jahren (eine Mindestspanne für eine Interims-Lösung) sei ein harter Negativschnitt bei den Einnahmen (im Jahresbudget mit 15 Millionen Euro angenommen) unausweichlich. Eben, weil beispielsweise das Depot in Bockenheim nur knapp 400 Plätze biete, wesentlich weniger als die Oper (rund 1400 Plätze) oder das Schauspielhaus (knapp unter 700 Plätzen).
Für Opernchef Loebe war die perspektivische Generalformel deshalb ebenso klar wie für Anselm Weber: Natürlich sei das Depot als zusätzliche Spielstätte ein „Segen, auch eine Riesenbereicherung“, doch „materiell und ideell“ bekenne er sich „eindeutig zum Standort hier“.
Diese doppelt bekräftige Aussage traf auch unbedingt den kollektiven Wunsch des Publikums bei diesen 45. Römerberggesprächen, welche die Zukunft der Städtischen Bühnen speziell auch unter dem Aspekt der baulichen Möglichkeiten ausloten sollten. Jedenfalls war diese Publikumsvorliebe abzulesen, sofern man Interventionen aus dem Plenum und Spontaneität und Intensität von Beifallsbekundungen nach einzelnen Wortbeiträgen vom Podium als Gradmesser nimmt.
Der mehrheitliche Tenor war danach einfach zu umreißen: Die große Theateranlage für Oper und Schauspiel am Willy-Brandt-Platz, gleich gegenüber dem ersten Turm der Europäischen Zentralbank, sollte als herausragendes Beispiel für eine als demokratisch gedachte, offene Bühne der Gesellschaft in dieser Form erhalten bleiben.
Eine vorgeschaltete Runde mit zwei Baukünstlern hatte zwar in dem Kölner Architekten Peter Böhm einen Advocatus Diaboli, der am jetzt 50jährigen gläsernen Längsquader der Bühnen mitsamt der Anhängsel von Verwaltung, Werkstätten und „Gefängnis-Rückseite“ kein gutes Haar ließ und für einen repräsentativen Neubau im Geist des „Schönen, Lustvollen und Liebevollen“ plädierte, den die Bürger stolz ihren Gästen vorführen könnten. Doch seine Grundannahme, dass eben diese Bürger das Festliche suchten, den gesellschaflichen Hoch-Ort zum Repräsentieren (samt einschlägiger Garderobe und dem Nebeneffekt der Geschäftsanbahnung) fiel beim Publikum durch, trotz seines Plädoyers für einen Neubau im Sinne einer „weiterentwickelten Moderne“.
v.l.n.r.: Architekt Peter Böhm, Moderator Alf Mentzer und Architekt Ernst Ulrich Scheffler
Bei seinem Berufskollegen Ernst Ulrich Scheffler – der bei Kulturbauten wie dem Frankfurter Liebighaus seine sensible Handschrift bewiesen hat – verfingen Böhms vorausgehende Fingerzeige auf die historischen Beispiele der Opern in Paris, Dresden und Wien ebenfalls nicht. Er verwies auf die tief verankerte Programmatik und die Werte des jetzigen Frankfurter Baus: ein Spiel- und Verständigungshaus zu sein für eine „hierarchiefreie Bürgergesellschaft“, im Kontrast zu einer geschlossenen Gesellschaft. Eine solche in der Konzeption und in der Ausführung manifestierte Offenheit sei eine „große Tugend“.
Bei allen Schwächen des hinteren Werkstattteils („chaotisch“) sei der vordere Teil mit seinem großzügigen transparenten Foyer zu erhalten. Auch andere Argumente sprächen für den Bau. So sei er ein bedeutender Ort der Geistesgeschichte mit jetzt ganz eigener Tradition, und funktional sei der Platz mit seinen U-Bahnlinien bestens erschlossen. Der von manchen als willkommene Neubau-Folge beschworene Bilbao-Effekt schwäche sich in der Regel ab, und ohnehin: „Man muss nicht alle 20 Jahre wieder umbauen“. Eine Stimme aus dem Publikum sekundierte später: „Das Gebäude trägt noch heute“; als „gelungene Darstellung des Bürgertums in einer seit jeher bürgerlichen Stadt“ sei es „genial und erhaltenswert“.
Und die heutigen politischen Verantwortlichen dieser stolzen Bürgerstadt? Sie glänzten bei diesen Römerberggesprächen mit vollständiger Abwesenheit – trotz vielfacher Bemühungen der Veranstalter um Repräsentanten auf den Podien. Eine systematische, gewollte Enthaltsamkeit? Kritische Bemerkungen der beiden Intendanten zur Lage im politischen Feld lassen dies als wahrscheinlich annehmen.
Selbstverständlich sei es eine „politische Entscheidung“, so Weber, ob die Stadt auch künftig ein Theater mit überregionaler Bedeutung haben wolle. Diese Diskussion müsse im Römer geführt werden: „Schweigen ist der falsche Weg“. Er warnte davor, diese Diskussion nicht zu führen und „den Kopf in den Sand zu stecken“ – womöglich, so Bernd Loebes Verdacht, „aus Furcht vor dem Verlust von Wählerstimmen“ (Ende Februar kommenden Jahres stehen schließlich die Oberbürgermeister-Wahlen in Frankfurt an).
Natürlich, so Weber, gehe es vor dem Hintergrund des Rahmens der Machbarkeitsstudie auch billiger (auf Kosten der technischen Bühnenausstattung und damit des künstlerischen Potentials). Ausgangspunkt sei bei einem Neubauvolumen von 100.000 Brutto-Quadratmetern für Schauspiel und Oper die „realistische Zahl von 600 Millionen“. Doch sie, die Intendanten, könnten eben über die künftige Bedeutung der Bühnen nicht entscheiden, dies sei Sache der Politik.
Doch dort, so klagte auch Bernd Loebe ganz konkret, sei „ein Vakuum zu spüren“, es herrsche „ein Gefühl von Stillstand“, mit der Folge: „So wissen wir nicht, in welche Richtung wir arbeiten sollen.“ Die Stadt, der Oberbürgermeister müssten sich in Sachen Zukunft der Städtischen Bühnen „bekennen“. „Wir jedenfalls“, das unterstrich Anselm Weber ganz deutlich, „werden uns nicht hinstellen und sagen, wir schaffen uns ab.“
(FeuilletonFrankfurt wird auf weitere Aspekte dieser Römberberg-Gespräche zurückkommen).
Alle Fotos: Uwe Kammann
→ Zur Debatte um die Zukunft von Schauspiel/Oper in Frankfurt