56. Biennale Arte Venedig 2015 (3)
Grosse Auftritte: China und Russland kleckern nicht, sondern klotzen
Von Erhard Metz
Am Sonntag, 22. November 2015, schliesst die diesjährige Kunstausstellung Biennale in Venedig. Wo bleiben denn die Beiträge, fragen uns nicht wenige Leserinnen und Leser – mit einigem Recht. Nun, wir räumen ein, unser Verhältnis zur aktuellen Biennale des Jahres 2015 war nie so richtig von Lust und Leidenschaft geprägt. Das betrifft leider auch den deutschen Pavillon. Nun ist es zwar spät, aber noch nicht zu spät, um noch einige wenige kleine Schlaglichter auf die längst kunstbetrieblichen Charakter der zweifelhaften Art angenommen habende Schau in Venedig zu werfen. Ohnehin sind jetzt Mitte November die unerträglichen und schier nicht mehr auszuhaltenden Touristenströme des Sommers und Herbstes um einiges abgeebbt, und für einen preiswerten last minute-Flug mit einem entsprechendem Hotel ist es eigentlich nie zu spät.
CHINA
In Pracht und Schönheit Augen und Sinne betörend wie überwältigend: die fantastische Schau von Lu Yang im riesigen chinesischen Pavillon, 1984 in Shanghai geboren; die Künstlerin studierte an der China Academy of Art mit dem Abschluss Master of Fine Art in der Sparte New Media Art. „Walking Nimbus“ und „Wrathful King Kong Core“ heissen ihre in Venedig gezeigten Werkreihen, letztere dem bösen Gott namens Vajrabhairava im Tibetischen Buddhismus gewidmet.
„With the Wind 2015 – It’s Your Call“ betitelt der künstlerische Architekt Liu Jiakun seine ortsspezifische Mixed-Media-Installation im Garten vor dem Pavillon. Liu Jiakun arbeitete in Xinjiang und Tibet, bevor er sich in Chengdu als Architekt und Schriftsteller niederliess. Aus filigranen Bauelementen und kleinen Wickelspulen mit Karabinerhaken bildet er eine Art Hallendach unter freiem Himmel, welches sich leicht im Wind bewegt – wunderschön anzusehen, bei Regen jedoch keine wirtliche Heimstatt.
Und dann in den Doppeldock-Hallen der altehrwürdigen Arsenale zwei monumentale, fast 30 Meter lange Drachen von Xu Bing, der eine mit blauem, der andere mit gelbem Kopf, der eine männlich, der andere weiblich, aus Schrott, Maschinenteilen und Werkzeugen akribisch zusammengefügt und -geschweisst – ein weiteres Mal ein attraktiver, das staunende Publikum gefangennehmender Hingucker.
↑↓ Xu Bing, jeweils „The Phoenix“, 2015
Xu Bing, 1955 in Chongqing geboren, studierte mit dem Bachelor- und Master-Abschluss an der Central Academy of Fine Arts in Peking, an der er heute als Professor lehrt. An den beiden Drachen, mit denen er auf den mythischen Feuervogel Phönix Bezug nimmt, soll er über zwei Jahre lang gearbeitet haben. Xu Bing lebt und arbeitet in Peking und New York.
RUSSLAND
Ein gigantischer Kopf, dessen Augen – es sollen die Augen der Künstlerin sein – hilflos hin- und herrollen, in einer nicht minder gigantischen Atemmaske – ein Alptraum von einem Raumfahrer oder Kampfpiloten? Ein Individuum einer umweltverpesteten, lebensfeindlichen Welt im Jahr 20XX? Irina Nakhova bespielt mit „Green Pavilion“ das russische Haus in den Giardini Pubblici der diesjährigen Biennale – wiederum ein Publikums-„Hingucker“. Sollen wir nun erschrecken vor russischem Weltmacht-Militarismus oder gigantischer Umweltvergiftung?
Der in den Komplementärfarben Rot und Grün gestaltete Raum – Rot soll für „Revolution“ und Grün für „Perestrojka“ stehen – fasziniert und irritiert zugleich.
Dazwischen – auf sicherer Glasplatte – ein Blick in den Schwindel erregenden Abgrund, in dem sich das Dach des Gebäudes widerspiegelt – eine Anspielung auf die Quadrate von Kasimir Malewitsch?
Irina Nakhova, 1955 in Moskau geboren, studierte Grafik-Design am Moskauer Institut für Polygraphie und wird der Moskauer konzeptuellen Schule zugerechnet. Sie gehörte bis 1989 der Künstlerunion der UdSSR an. Heute lebt und arbeitet sie in Moskau und New Jersey.
Alle in den Ausstellungsansichten abgebildeten Werke © bzw. Courtesy jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos: Erhard Metz
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