home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

100 Jahre Goethe-Universität Frankfurt am Main (1)

Wer waren ihre Gründer, wer ihre ersten Gönner und welche Gelehrten machten sie berühmt?

Von Renate Feyerbacher

L1210015-430

Jubiläumsausstellung auf dem Campus Westend zum 100. Geburtstag: Goethe-Installation von Ottmar Hörl; © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto FeuilletonFrankfurt

Immer wieder sind Menschen erstaunt zu hören, dass die Johann Wolfgang Goethe-Universität (bei Gründung hiess sie Universität Frankfurt am Main, seit 1932 Johann Wolfgang Goethe-Universität, seit 2008 verkürzt nur noch Goethe-Universität) erst 100 Jahre alt ist. Die Marburger Philipps-Universität – die übrigens seinerzeit gegen die Frankfurter Gründung Einspruch erhoben hatte – ist fast 500 Jahre älter und wurde vom Landgrafen Philipp dem Großmütigen gegründet. Die Frankfurter Bürger, in der Jahrhunderte langen Tradition der „Freien Reichsstadt“ und späteren „Freien Stadt“, wollten aber keine von Adel und Staat bevormundete Institution

. Wirklich konkret wurde die Gründung einer Universität erst 1892, unter Preußischer Herrschaft, durch eine Denkschrift von Otto Kanngießer, einem Lehrer und Schriftsteller, die der seinerzeitige Oberbürgermeister Franz Adickes, seit einem Jahr Stadtoberhaupt, befürwortete.

Die Gründungsväter der Universität Frankfurt und ihre Mitbegründer und Stifter

Es war vor allem Franz Adickes (1845-1915), aus bürgerlichem, friesischem Haus, der von Anfang an – im Gegensatz zu Wilhelm Merton – eine Universität plante. Mit 27 Jahren hatte sich der Jurist Adickes gegen eine Hochschullaufbahn entschieden und das Amt des 2. Bürgermeisters in Dortmund angetreten, wo er sich um das Armen- und Stiftungswesen kümmerte. Danach folgte die Wahl zum 2. Bürgermeister in Altona, das er zu einer modernen Großstadt vor den Toren Hamburgs machte. 1891 folgte schließlich die Wahl mit absoluter Mehrheit zum Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main.

In Frankfurt setzte er seine wichtigen Projekte – Wohnungsbau, Stadtplanung, Kampf gegen Bodenspekulation und Aufbau von Einrichtungen für das Gemeinwohl – fort. Bald wurde von ihm als „Munizipalsozialist“ gesprochen. Solidarität, Gemeinschaftsgefühl, ein „Sozialismus“ im ursprünglichen Sinne, ohne sich mit der Idee des Klassenkampfes zu verbinden, kennzeichneten Franz Adickes‘ Stadtpolitik, der parteilos war, aber den Nationalliberalen nahe stand. Der Aufstieg Frankfurts zur Großstadt ist sein Verdienst. Kultur und Bildung waren neben den bereits genannten seine anderen wichtigen Ziele. Das höhere Schulwesen erreichte ein solches Niveau, dass andere deutsche Städte es zum Vorbild nahmen.

026-Adickes

Plakat mit Franz Adickes; Foto Renate Feyerbacher

Die Sorge um das Geimeinwohl und um Kultur und Bildung der Bürger bewegte auch den in Frankfurt geborenen William Moses, der sich nach seiner Konversion 1899 zum protestantischen Glauben Wilhelm Merton (1848-1916) nannte. Er wurde zum wichtigsten Unterstützer von Oberbürgermeister Franz Adickes. Zunächst keineswegs an der Bank- und Metallhandlung seines Vaters interessiert – er habe, wie es hieß, „gedankenlos das übliche Leben eines reichen jungen Mannes geführt“ – , brachte eine lebensbedrohliche Lungenentzündung ihn zu anderer Einsicht. Nach der Heirat mit der aus vermögendem Bankiershaus stammenden Emma Ladenburg, mit der er fünf Kinder hatte, gelang es dem Dreiunddreißigjährigen, die Firma seines Vaters nach und nach zu einem Weltkonzern – der „Metallgesellschaft“ – aufzubauen.

Als dessen Generaldirektor waltete Wilhelm Merton mit patriarchalischer Macht über allem. Mitarbeiter sprachen von Kontrollwut, aber auch von Vertrautheit, von Förderung und Fürsorge. Der Global Player wurde von einem jüdischen Nationalökonomen, der dessen neue Form des Kapitalismus und die Monopolstellung kritisierte, mit dem Vorwurf der Spekulation konfrontiert. Andere warfen ihm hingegen Humanitätsduselei vor, weil er sich für die Arbeiterfrage interessierte und engagierte.

Neben seinem Weltkonzern schuf er 1890 einen sozialen Konzern besonderer Art, das „Institut für Gemeinwohl“, das aus entsprechend gemeinwohlorientierten Unternehmen bestand. Damit sollte der vorherrschende Dilettantismus in der Wohlfahrtspflege beendet werden. Kurz danach entstand die „Centrale für private Fürsorge“. Sie sollte die Arbeit zwischen den vielen Vereinen und Stiftungen koordinieren. Bis zu seinem Lebensende hatte Merton viel Geld in soziale Projekte investiert.

Nie hatte Merton, wie Adickes parteilos, den Nationalliberalen aber nahestehend, ein Politikamt inne. Dennoch: Sein Einfluss in der Stadtpolitik war signifikant. Im Magistrat hatte er sein „Sprachrohr“ und somit auch guten Kontakt zum Oberbürgermeister.

Goethe_University_Frankfurt_Entrance_Main_Building_Mertonstrasse

Altes Universitätsgebäude (Jügelhaus); Bildnachweis: Fbijlsma/wikimedia commons GFDL

Beider juristischer Berater war der Geheime Justizrat Henry Oswalt (1849-1934), ein enger Vertrauter Mertons, der 1897 mit dabei war, als sich das „Dreigestirn“ im Haus des Unternehmers zum Gespräch traf. Es wurde die Gründung der „Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften“ beschlossen, die Merton mit Stiftungsgeldern ausstattete. 1901 wurde die Akademie eingeweiht. Vergeblich war der Oberbürgermeister von Anfang an für die Gründung einer Universität nach Kanngießerschem Vorschlag eingetreten. Zwei Jahre später kam es sogar zu Differenzen zwischen Adickes und Merton, der sich zurückzog, weil er seinen Stiftungswillen zu wenig berücksichtigt fand. Der Streit endete erst nach einem Gespräch 1903, in dem beide den Ausbau der Akademie zu einer Universität beschlossen.

Sechs Jahre später wurde die bereits erwähnte Denkschrift zur Universitätsgründung, die fünf Fakultäten vorsah – je eine wirtschafts- und sozialwissenschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische, juristische und philosophische – , an die königlich-preußische Regierung in Berlin geschickt. Zu diesem Zeitpunkt war auch Merton ein begeisterter Anhänger der Erweiterung der Akademie zu einer Universität geworden. Er hatte insbesondere auf einer wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät, der ersten in Deutschland, beharrt und damit auch den Weg für den ersten Lehrstuhl für Soziologie geebnet, den Franz Oppenheimer 1919 – gestiftet von Karl Kotzenberg – übernahm. Er war damit der Wegbereiter des 1923 gegründeten Instituts für Sozialforschung mit seiner bewegten Geschichte ab 1933, der Verlagerung in die USA und ab 1951 der Rückkehr nach Frankfurt. Unter Max Horkheimer und Theodor W. Adorno wurde es als Sitz der „Frankfurter Schule“ weltberühmt.

Henry Oswalt wird selten als einer der Gründer der Universität Frankfurt genannt. Dabei war er der juristische Steuermann. Henrys Vater, in der Frankfurter Judengasse geboren, heiratete in zweiter Ehe die reiche Hamburger Bankierstochter Emilie Heine, ein Kusine des berühmten Dichters Heinrich Heine. Henry wurde als „gleichberechtigter“, nicht als „israelitischer Bürger“ geboren. Aber die Gleichstellung endete bereits nach 14 Tagen, weil die 1848er Revolution gescheitert war. Frankfurt wurde durch die preußische Armee besetzt und 1866 schließlich annektiert. Zwei Jahre zuvor war zwar die staatsbürgerliche Gleichstellung wieder in Kraft getreten. Aber die Zeit bis dahin war von einem grossen Assimilierungsdruck auf die Juden geprägt. Immerhin hatte sich die Familie „Ochs“ in „Oswalt“ umbenennen dürfen.

Henry Oswalt hatte Jura an verschiedenen Universitäten studiert und ließ sich nach der letzten Staatsprüfung 1877 als Advokat im Bezirk des Königlichen Appellationsgerichts in Frankfurt nieder. Neun Jahre später heiratete er, nachdem er sich hatte taufen lassen, die Tochter des Polizeipräsidenten Marie Louise Clara von Hergenhahn, eine gute Partie, die seine soziale Stellung durch Verbindung mit einer christlichen Familie steigerte. Diese aussergewöhnliche Frau engagierte sich vor allem bei dem „Verein für Volkskindergärten“.

Mehrfach vergebens bemühte sich der engagierte Kommunalpolitiker, Mitglied der nationalliberalen Partei, um ein Reichstagsmandat. Die Sozialdemokratie hatte an Einfluss zugenommen. Er, der Wirtschaftspraktiker, veröffentlichte zahlreiche wirtschaftstheoretische Schriften. Wie die anderen beiden genannten Gründer war er in mehreren Stiftungen involviert, und nach dem 1. Weltkrieg unterstützte er diese maßgeblich. Durch die Inflation hatten die Stiftungen ihr Vermögen eingebüsst. 1921 gründete er die „Oswalt Stiftung, Institut für physikalische Grundlagen der Medizin“, den ersten Lehrstuhl für Röntgenphysik, um die Arbeit des Physikers Friedrich Dessauer zu unterstützen und diesen Professor an der Frankfurter Universität zu halten. Oswalt erlebte nicht mehr die rassistischen Auswüchse Hitlers, den er als Lenker jedenfalls anfangs bewunderte.

Die beiden Frankfurter Ehrenbürger Leo Gans (1843-1935) und Arthur von Weinberg (1860-1943), durch Heirat der Familien Weinberg und Gans Onkel und Neffe, waren geniale Erfinder und erfolgreiche Gründer der Farbenfabrik Cassella. Sie wurden erst 1866 „gleichgestellte“ Bürger Frankfurts. Beide waren getauft und mit einer Christin verheiratet. Dennoch ist ihr Lebensweg von jüdischen Emanzipationsbemühungen und dem Antisemitismus in der Kaiserzeit geprägt. Makaber erscheinen dabei die jahrelangen Anstrengungen der Brüder Arthur Weinberg, Chemiker, und Carlo Weinberg, kaufmännischer Leiter von Cassella, den erblichen Adelstitel zu erhalten, der ihnen schliesslich für ihre Verdienste um die deutsche Pferdezucht, nicht aber für ihre Leistungen als Pioniere der deutschen Chemieindustrie verliehen wurde.

Panorama-Weinberg-Gans

Arthur von Weinberg (links) und Leo Gans, jeweils um 1910; Bildnachweis: wikimedia

Leo Gans, der 1865 bei Wilhelm Bunsen promoviert hatte, stammte aus einer der ältesten jüdischen Familien in Frankfurt. Er war schon 1868 dem Physikalischen Verein, gegründet von an Chemie und Physik interessierten Bürgern, beigetreten, dessen Vorsitz er mehrfach inne hatte und dessen Neubaupläne er auch finanziell unterstützte. Der bescheiden auftretende Mäzen war bei den Bürgern beliebt und wurde zum Mitbegründer der Universität. Arthur von Weinberg, ebenfalls promovierter Chemiker, war Mitglied im Direktorium der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. 1909 gründete er die nach ihm benannte Stiftung zur Förderung der Forschung und Lehrtätigkeit auf dem Gebiet der Naturwissenschaften für die zukünftige Universität.

Nach dem 1. Weltkrieg kümmerte sich Arthur von Weinberg zusammen mit seinem Onkel Leo Gans um den Wiederaufbau von Cassella. Erst 1938 trat er von seinen vielen Ämtern zurück. Tragisch war, dass er sich, wie auch sein Bruder Carlo, zunächst den faschistischen Bewegungen Mussolinis und Hitlers gedanklich angenähert hatte. Carlo floh jedoch im letzten Augenblick zu seiner Schwester nach Italien. Arthur von Weinberg wurde im Juni 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er ein Jahr später nach einer Gallenoperation verstarb.

Am 1. August 1914, dem Tag der deutschen Mobilmachung für den 1. Weltkrieg, hatte der Deutsche Kaiser und König von Preußen, Wilhelm II., noch die Universitätssatzung genehmigt. Zur Eröffnung der Hochschule am 18. Oktober 1914 erschien er nicht, sondern lenkte bereits das deutsche Kriegsgeschehen aus dem „Großen Hauptquartier“ des Kaiserreichs im französischen Charleville-Mézières.

→  100 Jahre Goethe-Universität Frankfurt am Main (2)


Comments are closed.