Verleihung des Binding Kulturpreises 2013 an die Jazz-Künstler Heinz Sauer und Michael Wollny
Improvisation, Eigenkomposition, Ad hoc-Musik, Kreativität
Von Renate Feyerbacher
Zum 18. Mal wurde am 24. August 2013 in Anwesenheit von Oberbürgermeister Peter Feldmann im Kaisersaal des Frankfurter Römer der Bindung Kulturpreis verliehen. Mit 50.000 Euro ist er einer der höchst dotierten Kulturpreise der Republik. Der Preis wird jährlich Künstlern verliehen, die sich um die Kultur Frankfurts und des Rhein-Main Gebiets besonders hervortaten. Es fällt übrigens auf, dass auf der Liste der Preisträger seit 1996 keine einzige Frau steht.
Zum ersten Mal – endlich – wurden in der deutschen Jazz-Hauptstadt (heute sicherlich neben bzw. nach Berlin) Frankfurt am Main Jazzmusiker ausgezeichnet: Heinz Sauer und Michael Wollny.
Kein Zweifel: das Duo, das nun geehrt wurde, hat diese Auszeichnung verdient. Es wurden zwei Grosse der deutschen Jazzszene mit dem Preis bedacht.
Die Preisurkunde für Heinz Sauer, Foto: Renate Feyerbacher
Das Zusammenspiel dieses generationsübergreifenden Duos fasziniert.
46 Jahre Altersunterschied haben die beiden, der aber keine Rolle spielt. Tenorsaxophonist Heinz Sauer, jung im Geiste, wurde 1932 in Merseburg geboren, der Pianist Michael Wollny 1978. Zwei Künstler, deren Werdegang sehr unterschiedlich ist.
Heinz Sauer begegnete dem Jazz in der Nachkriegszeit Frankfurts. Bereits 1956 gewinnt er den ersten Preis beim Deutschen Amateur-Jazzfestival. Erst als Student der Physik in Darmstadt besorgt er sich ein Instrument. Der Jazzfan wird zum Autodidakten.
In Frankfurt hatten Carlo Bohländer 1952 den legendären Jazzkeller gegründet, und Horst Lippmann – er wurde zum wichtigsten Jazzveranstalter der damaligen Zeit – 1953 das Deutsche Jazzfestival. Es ist das älteste seiner Art. Heinz Sauer, der zunächst Altsaxophon spielte, ist bereits in den 1950er Jahren im Jazzkeller aktiv.
1958 folgte der Hessische Rundfunk mit der Gründung des Jazzensemble, dem Emil Mangelsdorff und dessen Bruder Albert Mangelsdorff sowie Joki Freund, Heinz Sauer, Günter Kronberg, Bob Degen und andere angehörten und angehören.
18 Jahre lang, von 1960 bis 1978, war Heinz Sauer Mitglied des Albert Mangelsdorff Quintetts, zu dem auch Ralf Hübner, Günter Lenz und andere zählten. Es gab Tourneen durch Asien, die USA, Kanada, Südamerika, den Orient und Nordafrika.
Heinz Sauer gründete eine eigene Band. Mehrfach wird er zum Deutschen Jazzfestival eingeladen. International wird er wahrgenommen, aber er bleibt in Deutschland. Mit dem amerikanischen Pianisten Bob Degen, der nach Deutschland kam, es 1999 aber wieder verliess, hat er schon einmal ein Klavier-Saxophon-Duo gebildet. Sie wurden für „Ellingtonia Revisted“ (MPS) mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.
Zitat: „Wo immer mehr gut ausgebildete junge Jazzmusiker mit grossem technischen Können und geringer Eigenständigkeit auf die Szene drängten, ging Heinz Sauer mit zunehmender Individualisierung seiner Ausdrucksmittel seinen eigenen Weg, suchte nach Sperrigem, nach dem nicht gleich Durchschaubaren, nach den Brüchen, hinter denen sich eine tiefere Wahrheit verbirgt.“
Diese Einschätzung, geschrieben 2004 von Jürgen Schwab, dem Autor von „Der Frankfurter Sound – Eine Stadt und ihre Jazzgeschichte(n)“ charakterisiert Heinz Sauer vortrefflich.
Heinz Sauer und Michael Wollny, Foto © Anna Meurer /ACT Company; www.actmusic.com
So ein verwandter Geist ist der jugendliche Michael Wollny – ein Querdenker wie Sauer, auch er unberechenbar, mutig, unerhört. Beide wollen sich kompositorisch neu erfinden.
Sie lernen sich im hr-Jazzensemble kennen. Da war Wollny noch Student an der Musikhochschule Würzburg. Zum „Traumpaar des aktuellen deutschen Jazz“ (Fono Forum) werden die beiden auf kleinster Bühne bei einer Lesung im Darmstädter Literaturhaus.
2005 sorgte Wollny erstmals als Solo-Pianist für Furore. 2006 zieht er sich für einen Monat auf die Insel Gotland zurück, hört viel Schubert, dessen „Schwanengesang“ oder letzten drei Sonaten, gespielt von Alfred Brendel, er mit auf eine einsame Insel nehmen würde, hört Steve Reich, Björk und Joachim Kühn, der ebenfalls mit Heinz Sauer spielt. Dann erscheint 2007 „Hexentanz“. Für dieses Werk erhielt er den Disque d’emoi, den Jahrespreis des französischen Jazzmagazins, das auch das Album „Don’t Explain“ zu Heinz Sauers 80. Geburtstag auszeichnet. Er erhält 2013 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Mehrere ECHO Jazz-Auszeichnungen, unter anderem als „bester Pianist national“, nennt er sein eigen. Seit 2005 wird er mit Preisen quasi überschüttet.
Im Mittelpunkt seines Wirkens steht von Anfang an und nach wie vor sein Trio mit Bassistin Eva Kruse und Schlagzeuger Eric Schaefer, die in diesem Jahr den ECHO erhielten.
Nichts hält ihn auf. Neue geniale Projekte mit anderen Musikern entstehen derzeit.
Michael Wollny, 1978 in Schweinfurt geboren, besuchte die dortige Musikschule und das Konservatorium, war Teilnehmer von „Jugend musiziert“, spielte im Jugendjazzorchester, studierte bei namhaften Jazz-Professoren an der Musikhochschule in Würzburg und schaffte ein Diplom mit Auszeichnung.
Michael Wollny (rechts seine Ehefrau) am 24. August 2013 im Kaisersaal des Frankfurter Römer, Foto: Renate Feyerbacher
Seit nun zehn Jahren begeistert das generationsübergreifende Zusammenspiel des Duos Sauer – Wollny die Jazzwelt.
Die Preisverleihung im Frankfurter Römer beschlossen die beiden Musiker mit ihrer Musik.
Unglaublich dieses Zusammenspiel, das Improvisieren, das Ad hoc-Musizieren. Für mich war es eine Wanderung zwischen Jazz und Klassik. Auch Heinz Sauer würde eine klassische CD mit auf die einsame Insel nehmen: Martha Argerich mit Prokofjews drittem Klavierkonzert. Zwei grosse Klangtüftler sind hier am Werk.
Mit einem Stück erinnerten sie an Wilhelm E. Liefland (1938 bis 1980), den tödlich verunglückten Jazzkritiker, Lyriker, Autor von Hörspielen. Jürgen Schwab schreibt in seinem Buch: „vielleicht der bedeutendste Kritiker der Frankfurter Jazzszene“.
Ein Stück Wehmut löste es bei mir aus, denn Wilhelm und ich, wir waren befreundet und arbeiteten beide auf dem Speicher des Hessischen Rundfunks: er wühlte damals als Archivar in den alten Langspielplatten, ich sass an einem Schreibtisch und verfasste Texte als Archivlektorin.
Das war in den Jahren 1968/1969.
→ Binding-Kulturpreis 2014 für den Frankfurter Verlag der Autoren
→ Binding-Kulturpreis 2015 für Max Hollein