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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„A Village Romeo and Juliet“ von Frederick Delius in der Oper Frankfurt

Kein idyllisches Dorf – Schönheit der Natur, aber tiefe Abgründe, kalte Umwelt

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

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Amanda Majeski (Vreli) und Jussi Myllys (Sali); Foto © Barbara Aumüller

Am 22. Juni 2014 fand im Opernhaus Frankfurt die Premiere – zugleich als Frankfurter Erstaufführung – von Frederick (Fritz) Delius lyrischem Drama „A Village Romeo and Juliet“ („Romeo und Julia auf dem Dorfe“) statt. Ein sofort einsetzendes lautes „Buh“, das wahrscheinlich der Inszenierung galt, wurde von einem starken Bravo-Ruf abgelöst. Darauf frenetischer Beifall.

Die Inszenierung der jungen Eva-Maria Höckmayr ist aussergewöhnlich, hat faszinierende Einfälle, aber auch Momente des Zuviel. Traum und Wirklichkeit, Kindheit, Jugend und Erwachsensein greifen ineinander. Die Liebe der beiden Bauerskinder scheint immer schon dagewesen zu sein. Vreli und Sali sind als Kinder, als Jugendliche immer präsent, huschen als kleine Hochzeitspaare durchs Geschehen. Diese Idee der mehrfach preisgekrönten Regisseurin – unter anderem Nominierung als Beste Regie und Beste Produktion von der „Opernwelt“ -, an bedeutenden Bühnen aktiv, erstmals an der Oper Frankfurt tätig, ist eindrucksvoll, verwirrt aber manchmal gerade anfangs.

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Eva-Maria Höckmayr; Foto: Renate Feyerbacher

Die Realisierung ihres Regieeinfalls ist möglich durch die zweifache Drehscheibe von Bühnenbildner Christian Schmidt, die sich hin und her bewegt: links das Haus von Bauer Manz im Bauhaus-Stil, dazwischen eine grosse Treppe wie in einem Mietshaus, auf der manchmal ein Kommen und Gehen der Dorfbewohner stattfindet, rechts das Haus von Bauer Marti im rustikalen Stil. Zwei Welten. Auch Saskia Rettigs einfallsreiche Kostüme und Olaf Winters Licht-Design vertiefen den Schwebezustand zwischen Realität und Traumwelt. Anfangs dreht sich diese Bühne öfters, was die Aufnahme der Musik von Frederick Delius (1862-1934) erschwert. Delius hat längere Zwischenspiele komponiert, die szenisch meist sehr einfühlsam durch Statisten ausgefüllt werden. Bei der Liebesnacht der beiden, dargestellt von schön anzusehenden Statisten, die sich vollkommen entkleiden, konzentriert man sich mehr auf das Paar als auf die Musik, die allerdings hier besonders süsslich anmutet. Eine Besucherin raunte später: „Muss das sein?“ Der sofort einsetzende BUH-Ruf nach der Aufführung – bezog er sich darauf? Wie dem auch sei: eine einfallsreiche Inszenierung.

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in der rechten Bildhälfte v.l.n.r. Amanda Majeski (Vreli), Jussi Myllys (Sali) und Johannes Martin Kränzle (Der schwarze Geiger) sowie links als Gruppe das Ensemble; Foto © Barbara Aumüller

Der Komponist – der Text – die Musik

Frederick Delius wurde als Kind deutscher Eltern in England geboren. Die Kaufmannsfamilie stammte aus Bielefeld. Frau und 14 Kinder hatten sich dem Vater unterzuordnen. Zwar hatte der junge Frederick Musikunterricht, aber von einer Musikerlaufbahn hielt der Vater nichts. Der Eintritt in die väterliche Textilfabrik war vorgesehen. Er ging in die Lehre und schliesslich als Verwalter nach Florida, verlor aber seine eigentliche Berufung für die Musik nie aus dem Blick. Es folgte die Ausbildung am Leipziger Konservatorium, wo er Kontakt mit dem Komponisten Edvard Grieg fand, der den Vater vom Talent des Sohnes überzeugte. Delius besuchte Grieg in Norwegen. Er lernte die deutsche Malerin Jelka Rosen kennen, die er später heiratete und mit der er zunächst nahe Paris, nach Grez-sur-Loing zieht (das der Landschaftsmaler Camille Corot malte). In Paris waren sie mit der Malerelite befreundet, zogen aber nach Kriegsausbruch nach London, kehrten jedoch nach Jahren wieder zurück. Unterstützt wurde Delius, der durch die Syphiliserkrankung erblindete und gelähmt war, durch den weltberühmten Dirigenten Sir Thomas Beecham. Mit dem englischen Komponisten Edvard Elgar verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Frankfurt besuchte er 1919 und 1922.

Das Libretto zu „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ schrieb er zusammen mit seiner Frau zunächst in deutscher Sprache. 1907 fand die Uraufführung dieser Fassung an der komischen Oper Berlin statt. Es folgte eine englische Fassung, die 1910 am Royal Opera House Covent Garden in London durch Sir Thomas Beecham uraufgeführt wurde. Diese englische Fassung mit deutschen Übertiteln ist jetzt in Frankfurt zu sehen.

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Amanda Majeski (Vreli), Jussi Myllys (Sali) und Johannes Martin Kränzle (Der schwarze Geiger; stehend); Foto © Barbara Aumüller

Mit dem berühmtem Drama von Shakespeare hat die Geschichte nur entfernt zu tun. Dem Libretto liegt Gottfried Kellers gleichnamige Novelle aus dem Zyklus „Die Leute von Seldwyla“ zugrunde. Der Schweizer Dichter und Politiker (er lebte von 1819 bis 1890), ein Meister der Erzählkunst, schildert den Streit der beiden reichen Bauern um ein Stück Land, das sie dem „Bastard“, dem rechtmässigen Erben, der als Vagabund, als „Schwarzer Geiger“ herumzieht, absprechen – eigentlich stehlen. Wem gehört es nun: dem Bauern Manz oder dem Bauern Marti? In einem sechs Jahre dauernden Prozess zerfleischen sie sich und verlieren alles. Die Ensemblemitglieder Dietrich Volle, eindrücklich schon in der „Gespenstersonate“ und der Isländer Magnús Baldvinsson streiten sich vortrefflich, geradezu kraftstrotzend müssen sie das tun, sehr realistisch und gelungen.

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Magnús Baldvinsson; Foto: Renate Feyerbacher

Vreli (bei Keller heisst sie Vrenchen) und Sali sehen sich während der Prozessjahre nicht. Aber dann wagt Sali den ersten Schritt. Die Liebe ist wieder erweckt, aber die Umstände sind schlecht. Die Dorfbewohner verspotten das arme Paar.

Adolf Muschg (*1934), der grosse Schweizer Dichter, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, hat sich mit Gottfried Kellers Todesnähe, die in allen seinen Werken anklingt, beschäftigt. Nur in der Romeo und Julia-Novelle gelinge es ihm ein einziges Mal, „die geschlechtliche Vereinigung unmittelbar zu feiern … Aber sie war nur ‚erlaubt‘ als Liebestod“ (zitiert nach Programmheft). Eva-Maria Höckmayrs mutige Realisierung findet ihre Rechtfertigung.

Der Acker, auf dem wilde Blumen wuchern, ist ein Stück Paradies, auf dem Vreli und Sali spielen und schon als Kinder glücklich sind. Das Paradies wird zerstört. Die Liebe zur freien Natur hat Delius, der den grössten Teil der Oper in Grez-sur-Loing komponierte, sehr geprägt. Bilder von Paul Gaugin schmückten sein Haus.

„… Natur gewordene Kunst. Sie scheint sich in jedem Atemzug so zu gebärden, als würde Natur selber zu klingen anheben … In dieser Musik ist Natur vorwiegend freundlich, lieblich. Da schwelt der Ton des Hedonistischen, des Überschwenglichen, auch des Selbstverliebten“ (Zitat aus Rolf Urs Ringer: „Die Klangbilder des Frederick Delius“, ursprünglich Programmheft Oper Zürich).

Das Frankfurter Opern-und Museumsorchester unter Leitung von Paul Daniel kommt dieser Sichtweise, diesem Gefühl sehr nah. Der gebürtige Brite, der in Frankfurt Benjamin Brittens „Billy Budd“ dirigierte, hat ein feines Gespür für Delius‘ Komposition, für seine Klangfarben und für die Führung der Protagonisten wie des Chors.

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Amanda Majeski (Vreli) und Jussi Myllys (Sali); Foto © Barbara Aumüller

Vier Männer umgeben Vreli, die Tochter von Bauer Marti, die von Amanda Majeski fantastisch gesungen wird. Herrlich ihr klarer Ton, der korrekt ansetzt, der schon in den „Königskindern“ und „Rusalka“ gefiel. Der junge finnische Tenor Jussi Myllys, der einmal zum Frankfurter Ensemble gehörte, ist als Sali zurück gekehrt. Sein feiner lyrischer Tenor paart sich ausgezeichnet mit Vrelis alias Amanda Majeskis Sopran. Ein überzeugendes Paar.

Auslöser der ausufernden, familiären Streitigkeiten ist der Schwarze Geiger, der nur anfangs schwarz gekleidet ist, dann aber immer in weiss erscheint – bei Keller ein Obdachloser, ein Ausgegrenzter, ein Herumvagabundierender, bei Delius eine symbolische Figur, die Todessehnsucht verströmt, der im Traum den Liebenden erscheint. Der Liebestod ist vorgezeichnet. Die Regisseurin sieht den Schwarzen Geiger „als Symbol eines vielleicht biblischen Fluches über die Habgierigen, der die nachgeborenen Generationen verfolgt, aber auch als Inkarnation einer gefühlten Erbschuld“ (Programmheft).

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Johannes Martin Kränzle (Der schwarze Geiger); Foto © Barbara Aumüller

Johannes Martin Kränzle, der einmal Geige lernte und sie in der Aufführung kurz zum Klingen bringt, fasziniert durch sein Vreli und Sali umgarnendes Spiel. Mal ist sein eindringlicher Bariton dämonisch, mal sehr poetisch und entspricht dieser symbolischen Intention.

Begeisterter Beifall für ihn und das Liebespaar.

Weitere Aufführungen am 29. Juni sowie am 4., 6., 10. und 12. Juli 2014, jeweils 19.30 Uhr.

Am 4. Juli gibt es im Anschluss an die Aufführung „Oper lieben“: Intendant Bernd Loebe im Gespräch mit Paul Daniel, Johannes Martin Kränzle und Hans Drewanz.

Ausserdem will ein Rahmenprogramm (Liederabend, Film, Symposium, Kammermusik, Vortrag und musikalischem Querschnitt zur Oper „Fenimore and Gerda“, an deren Uraufführung Frederick Delius 1919 in Frankfurt teilnahm) den Komponisten Delius bekannter machen.

 

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