Die Göttliche Komödie im MMK Frankfurt (2)
HIMMEL
HÖLLE
FEGEFEUER
aus Sicht
afrikanischer Gegenwartskünstler
Rund eineinhalb Jahrzehnte seines nur ein gutes halbes Jahrhundert währenden Lebens (1265 – 1321) benötigte Dante Alighieri für sein epochemachendes, im Grunde die italienische Schriftsprache erst begründendes Hauptwerk, die „Commedia“, die bedeutendste Dichtung der italienischen Literatur schlechthin. Als „Divina“, also als „Göttliche Komödie“ wurde sie erst nach seinem Tod bezeichnet. Mit heutigen Vorstellungen über eine Komödie (in der es heiter und lustig zugehen sollte) haben weder der Titel noch der Inhalt des 100 „Gesänge“ in über 14.000 Versen umfassenden Werkes etwas zu tun. Politische Konflikte und Kriege zwischen den Kaiser- und den Papsttreuen beherrschten das Italien jener Zeit. Dante führte, aus seiner Heimatstadt Florenz politisch verbannt, in Oberitalien ein unstetes und nur wenig dokumentiertes Leben. Seine Werke aber prägten über Jahrhunderte das politische und kulturelle Selbstverständnis der sich herausbildenden italienischen Nation. Zudem regte es Generationen von Künstlern zu ausserordentlich bedeutendem künstlerischem Schaffen an.
Die „Divina Commedia“ gliedert sich in die drei Teile Inferno (Hölle), Purgatorio (Fegefeuer) und Paradiso (Paradies, Himmel). Dem Leser ist damit der literarisch-dramaturgische Ablauf der Lektüre vorgegeben. Nicht so in der grossen, fast vom gesamten Haus Besitz ergreifenden Ausstellung im MMK: Sinniger Weise verfügt es über drei Ausstellungsebenen, so dass es nahe lag, Hölle, Fegefeuer und Paradies je einer Ebene zuzuordnen. Das „Paradies“ nun ist im Erdgeschoss angesiedelt, dem in die zweite Ebene Aufsteigendem eröffnet sich das „Fegefeuer“, und in der dritten Ebene, gleichsam unter dem Dach, gerät er in die „Hölle“. Auch hierin könnte sich nun eine Dramaturgie auftun: Der Museumsbesucher betritt zunächst das „Paradies“, das sich vielleicht als gar nicht so paradiesische Jetztzeit entpuppt, bekommt – aufsteigend – eine Chance der Läuterung im Purgatorium, dem Fegefeuer, welches er jedoch, weder lern- noch reinigungsfähig, weiter aufsteigend in die Hölle verlässt.
In der Ausstellung befassen sich die Künstler vor allem mit den zeitübergreifenden Überlegungen aus Dantes Werk und deren Verknüpfung mit aktuellen Themenkomplexen unserer Gegenwart. Das Konzept überträgt die Fragestellungen der „Göttlichen Komödie“ – jenem Meilenstein der europäischen Literatur – damit nicht nur in einen aktuellen, sondern auch einen transnationalen und interkulturellen Kontext. „Seit einigen Jahren wird der bisher westlich dominierte Diskurs der zeitgenössischen Kunst zunehmend von aussereuropäischen Akteuren, Theoretikern, Künstlern und Kuratoren geprägt“, so MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer. „In unserer durch Globalisierung, Migration und Transkulturalität definierten Gesellschaft ist es für uns von grosser Bedeutung, diese Entwicklungen mit Ausstellungen wie ‚Die Göttliche Komödie‘ mitzugestalten“.
Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung: Kurator Simon Njami, MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer und Hortensia Völkers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes; im Hintergrund: Yinka Shonibare, How To Blow Up Two Heads At Once (Gentlemen)
Weit fehlte nun ein Besucher, wenn er eine die „Divina Commedia“ illustrierende Ausstellung im MMK erwartete: Simon Njami hat die rund 50 Künstlerinnen und Künstler eingeladen, zu den grundlegenden Fragen der „Göttlichen Komödie“ Stellung zu nehmen und sich auf persönliche Jenseitsreisen zu begeben. „Hier geht es nicht konkret um die ‚Göttliche Komödie‘, auch nicht um Dante. Es geht um etwas wahrhaft Universelles. Etwas, das uns alle, unabhängig von unserem Glauben oder unseren Überzeugungen, im Innersten berührt: unser Verhältnis zum Jenseits. Genau das wird hier ins Werk gesetzt von einem vielstimmigen Chor, dessen Schönheit ungeachtet der Dissonanzen und Gegensätze sich wie bei einer Oper oder einer Symphonie gerade den einzigartigen Visionen verdankt, die jeder Einzelne einbringt. Mit anderen Worten, es geht um unser Verhältnis zum Leben und also auch zum Tod“, so Kurator Simon Njami.
Wo also jetzt den Museumsparcours beginnen? Wir folgen der literarischen Vorlage: in der Hölle. Die gibt es für sehr viele Menschen als Ist-Zustand bereits hier auf der Erde: in den Tausenden von Slums und Favelas, den Not, Hunger, Krieg und Gewaltherrschaft ausgesetzten Gebieten, vor allem vielleicht auf dem von vielen so bezeichneten „verlorenen Kontinent“ Afrika. Und wir sind wieder beim Titel der Ausstellung angelangt: „HIMMEL HÖLLE FEGEFEUER aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler“.
HÖLLE
Das sieht schon recht höllenmässig aus, was dem in die dritte Ebene des Hauses Aufgestiegenen als „Eyecatcher“ begegnet, aber spätestens auf den zweiten Blick erkennt man das Motiv der Laokoon-Gruppe, weltbekannt von der römischen Kopie eines griechischen Vorbilds in den Vatikanischen Museen. Auch dieses vielbestaunte Kunstwerk, dem Johann Wolfgang Goethe noch ein Muster an „Ruhe und Bewegung“ abgewinnen konnte, löst ein höllisches Erschauern aus bei der Vorstellung, von zwei Riesenschlangen erwürgt zu werden. Wim Bothas Skulptur in Bronze, die den „Blickfang“ im vatikanischen Museumstempel zitiert und zugleich verfremdet, lag ein Modell aus Styropor zugrunde. Dem räumlichen Volumen des Modells stellt er den Hohlraum der Bronze gegenüber.
Der Bildhauer Wim Botha wurde 1974 in Südafrika geboren und studierte an der University of Pretoria. Er lebt und arbeitet in Kapstadt.
Wim Botha, Prism 10 (Dead Laokoon), 2013, Bronze, Installationsansicht; Courtesy der Künstler uns Stevenson, Kapstadt und Johannesburg
Aïda Muluneh, The 99 Series, 2013, siebenteilige Fotografieserie auf Fotopapier (Ausschnitt); © Aïda Muluneh, Courtesy die Künstlerin
Aïda Mulunehs Fotografie der Äthiopierin Salem mit vor dem Hals gekreuzten blutroten Händen, der auf ihrer Schulter liegenden dritten Hand, ebenso blutrot wiederum wie auch das rechte Ohr, schaut uns von Plakaten und Prospekten des Museums entgegen. Die 1974 in Äthiopien geborene Künstlerin studierte an der Washingtoner Howard University mit dem Abschluss Bachelor of Arts in Film, Radio und Fernsehen. Sie lebt und arbeitet in Addis Abeba.
„Hier in dieser Stadt, die wir Addis Abeba nennen, muss man nicht über die Hölle fantasieren – ich habe schon zu viele Dinge gesehen und erfahren, die mich an der Menschlichkeit zweifeln lassen. Ich habe festgestellt, dass viele Menschen hier Masken tragen, um voranzukommen, um ihre Zukunft zu sichern“, sagt die Künstlerin zu ihrer im MMK ausgestellten Fotoserie.
8000 kleine Figuren lässt Dominique Zinkpè (1969 in Cotonou, Benin geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet), in seiner Installation mit Licht und Ton „Errance“ von der Decke schweben, wenn er der Frage nachgeht, was denn die Seele sei. An jeder der Stirnseiten des Raumes befindet sich ein Kreuz, eines davon aus Bildtafeln zusammengesetzt.
↑↓ Dominique Zinkpè, Errance, 2013, Installationsansichten, Holz, Sägespäne, Spiegel, Licht, Ton, Acryl auf Leinwand; Courtesy der Künstler
Höllisch-schaurig tropft es wie Blut (es ist Rotwein) aus an der Decke hängenden Flaschen auf die Teller eines Lattengerüstes, es steht für Tische wie für Gestelle zur Ablage vertrockneter Leichen, wie wir im Ausstellungsführer lesen. Die Künstlerin Wangechi Mutu – sie wurde 1972 in Nairobi geboren – erinnert mit ihrer Installation „Metha“ an „Gewalt, Mord und Verstümmelung als Methode“, vielmals gegenüber Frauen. Ihr Studium an der School of Art and Sculpture der Yale University in New Haven beschloss sie mit dem Master of Fine Arts. Mutu lebt und arbeitet in New York.
↑↓ Wangechi Mutu, Metha, 2010; Installationsansichten (Details), Mixed Media, Flaschen, Lederschnur, Teller, Holztische, Wein, Milch; Courtesy die Künstlerin und Victoria Miro, London
Bili Bidjocka – er wurde 1962 in Douala, Kamerun geboren – befasst sich als Maler unter anderem mit „Schreiben“ und Schrift. Er studierte an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Bidjocka lebt und arbeitet auch heute in dieser Stadt. Afrikanische „Wissenssysteme“, Judentum, Christentum und Islam beschäftigen ihn in seinen Arbeiten. Sehr höllisch scheint es darin dem Augenschein nach nicht zuzugehen.
Unsere sechs Künstlerinnen und Künstler umfassende „Höllen“-Auswahl endet mit einer Arbeit von Lawrence Chikwa, 1973 in Lusaka, Sambia geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet. Er studierte an der École Cantonale d’Art du Valais im schweizerischen Sierre. Sein im MMK ausgestelltes Werk irritiert schon deshalb, weil es die Grenzen zwischen Malerei und Skulptur sprengt. Man könnte an einen im Boden wurzelnden Baum mit spärlicher Krone denken, Bücher sind an ihm befestigt, unter anderem eine Bibel. Einen religiösen Bezug will diese Arbeit jedoch nicht in Anspruch nehmen.
Lawrence Chikwa, The Possibility to Create in Hell, 2006, Installationsansicht, Mixed Media, Acryl auf Leinwand, Ölkreide, Bibeln, Baumwollschnüre, Kerze; Courtesy der Künstler
Es ist eine grandiose, ja gewaltige Ausstellung im MMK, die man auf keinen Fall versäumen darf, auch wenn viele, vielleicht die meisten der gezeigten Werke mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Genau das aber ist schliesslich eine Aufgabe der Kunst. Antworten zu finden auf die wirklich wichtigen Fragen des Lebens, die Dantes „Commedia“ widerspiegelt, ist jedem einzelnen unter uns auferlegt. Künstlerinnen und Künstler können dazu jedoch wichtige Wegweisungen geben.
„Die Göttliche Komödie“, MMK Museum für Moderne Kunst, bis 27. Juli 2014
Zitate einzelner Künstler sind dem „Kurzführer zur Ausstellung“ (Hrg. MMK Museum für Moderne Kunst) entnommen; Fotos: FeuilletonFrankfurt
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