Wanda Pratschke: Herzdamen
Von Erhard Metz
Die Herzdame hat es uns angetan, seit wir vor langem dem Kartenspiel erlagen, war sie doch die schönste im Quartett von Kreuz, Pik, Karo und eben Herz, auch stilbewusst Cœur genannt. Ihr Vorbild im französischen Blatt war Judit, ein deuterokanonisches Buch des Alten Testaments trägt ihren Namen. Klug, tapfer und stark war diese Judit: Sie hieb Holofernes, dem obersten Hauptmann des gegen die Israeliten Krieg führenden assyrischen Königs Nebukadnezar, den Kopf ab, als er voll des Weines schlief. Daraufhin konnten die Israeliten das Heer der Assyrer vernichtend schlagen.
Ob jene Judit Patin stand, als Wanda Pratschke ihren neuen Skulpturen den übergeordneten Titel „Herzdamen“ gab, wissen wir nicht. Aber stark sind diese Damen allemal, und warum sollten sie dann nicht auch klug und tapfer sein? Eben Herzdamen.
Herzdame, 2011, Bronze, 42 x 23 x 27 cm
Die Frankfurter Bildhauerin Wanda Pratschke, der das Frankfurter Kunstkabinett heuer eine grosse Einzelausstellung widmet, ist Leserinnen und Lesern von FeuilletonFrankfurt bestens bekannt: hatten wir doch Gelegenheit, die Erschaffung der „Grossen Liegenden – ein künstlerischer Prozess“ von den Anfängen (Folge 1) bis zur Vollendung des Werkes (Folge 9) zu begleiten.
Wanda Pratschke zählt zu den bedeutendsten Frankfurter Bildhauerinnen und Bildhauern des jungen wie des vergangenen Jahrhunderts, deren Arbeiten zumeist mehrfach für die Aufstellung im öffentlichen Raum angekauft wurden: Wir denken, um nur einige wenige Namen zu nennen, an Edwin Hüller, E. R. Nele, Willi Schmidt, Michael Siebel, Hans Steinbrenner oder Hugo Uhl, wobei Nele, die Metallbildhauerin, Pratschke, die überwiegend im Bronzeguss arbeitet, und der grosse Stein- und Holzbildhauer Steinbrenner bei aller Unterschiedlichkeit ihres jeweiligen Œuvres in einem Atemzug genannt werden dürfen.
Unbesiegte I, 2010, Bronze, 35 x 65 x 25 cm
Waren für Wanda Pratschkes Skulpturen – ganz überwiegend Bronzegüsse weiblicher Gestalten – bislang eine ruhige Geschlossenheit, ein Insichruhen, ja gleichsam eine gewisse ins Weibliche übersetzte Buddha-hafte Versunkenheit charakteristisch, so bewirkt die Künstlerin in ihren Arbeiten neueren Datums eine vorsichtige Öffnung hin zu gestischer Entfaltung, zu Bewegung, zu einem Schritt in den Raum hinein.
Die Künstlerin überlässt, bei aller Inspiration und Intuition, nichts dem Zufall. Ihre Skizzen, die ihren Modellen in Wachs oder Gips zugrunde liegen, bevor jene im Bronzeguss ihre endgültige raumgreifende Gestalt annehmen, sind bereits selbst Kunstwerke, und Pratschke verselbständigt diese Skizzen zu mittelformatigen „Gemälde-Zeichnungen“ in Acryl auf Leinwand in den Dimensionen 80 mal 120 Zentimeter. Bezeichnenderweise betitelt sie diese Schöpfungen „Riesinnen“.
↑ Kopf M., 2011, Bronze, 40 x 30 x 14 cm
↓ Weib, 2011, Bronze, 25 x 20 x 28 cm
Erkundet im „Kopf M.“ jetzt ein wacher, selbstbewusst forschender Blick die Umwelt, so greift das sich zu seinem Fuss niederbückende „Weib“ mit vorgestrecktem Kopf und ausholender Geste in den Raum hinein.
„In der Zusammenschau lässt es sich denn auch nicht übersehen“, schreibt Christoph Schütte in dem überaus bibliophilen, von der Künstlerin eigenhändig gestalteten Katalog, „was der langjährige Kenner ihres Werks längst weiss: dass zu den klassischen Posen neue nuancierte Formfindungen hinzugetreten sind; oder dass das schmeichelnde Runde der kompakten Formen allmählich zurücktritt und in den aktuellen Arbeiten mehr und mehr einer zunächst verhalten, dann zunehmend mutiger sich artikulierenden expressiven Formsprache weicht“.
Relief III, 2011, Bronze, 19 x 18 x 8,5 cm
Deutlich wird diese Entwicklung auch in den Reliefs neueren Datums der Künstlerin. Bei aller erhabenen Archaik, die diesen Arbeiten nach wie vor innewohnt, bahnt sich expressive Bewegung einen Weg von der Fläche in den Raum.
Vor den „Riesinnen“: Galerie-Geschäftsführerin Margarete Wegner und Wanda Pratschke in der Vernissage (Foto: Erhard Metz)
Wanda Pratschke, „Herzdamen“, Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, bis 5. Mai 2012
(abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos: © Martin Url)
→ Drei stattliche Damen gehen auf Reisen … Wanda Pratschke im Frankfurter Karmeliterkloster