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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Horizont Jawlensky“ im Museum Wiesbaden

Traumausstellung“ bietet Farbfest fürs Auge

Von Hans-Bernd Heier

Im Frühjahr 2014 jährt sich Alexej von Jawlenskys Geburtstag zum 150. Mal. Aus diesem Anlass präsentiert das Landesmuseum in Wiesbaden dem 1864 in Torschok (Russland) geborenem und 1941 in Wiesbaden gestorbenem Maler eine große Sonderschau. Unter dem Titel „Horizont Jawlensky – Alexej von Jawlensky im Spiegel seiner künstlerischen Begegnungen 1900–1914“ sind über 180 Arbeiten zu bewundern, davon rund 100 von Jawlensky und 80 Werke von Künstlern, die seinen künstlerischen Werdegang maßgeblich beeinflusst haben. Für die überragende Schau erhielt das Museum kostbare Leihgaben aus aller Welt.

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Alexej von Jawlensky „Selbstbildnis mit Zylinder“, 1904; © Privatbesitz

Zu Ehren des bedeutendsten Künstlers der Landeshauptstadt richtet das Museum Wiesbaden gemeinsam mit der Kunsthalle Emden eine opulente Geburtstagsschau aus. Diese beleuchtet sein weniger bekanntes Frühwerk und stellt es in Kontext zu Künstlern, mit deren Arbeiten sich Jawlensky malerisch auseinandersetzte

. Alexander Klar, Museumsdirektor, und Roman Zieglgänsberger, Kustos für klassische Moderne und Kurator, wollten bewusst keine Retrospektive des zum engeren Umfeld des Blauen Reiters gehörigen Malers, obwohl sie dabei aus dem Vollen hätten schöpfen können, denn ihr Haus besitzt die weltweit bedeutendste Sammlung von Jawlenskys Werken aus allen Schaffensphasen. Aber „Jubiläumsretrospektiven berühmter Künstler haftet in der Regel“, wie Klar im Vorwort des umfassenden Katalogs schreibt, „etwas Pflichtbewusst-Rituelles an: Man versammelt möglichst viele Werke der betreffenden Jubilarin oder des Jubilars in einer Ausstellung, auf dass ihre oder seine stilistische Entwicklung dem Betrachter nachvollziehbar werde“.

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Selten war das Medieninteresse im Wiesbadener Museum so groß wie bei „Horizont Jawlensky“

Da auch drei weitere Museen, wie das Arp-Museum in Bahnhof Rolandseck, die Kunstsammlungen Chemnitz und das Schlossmuseum in Murnau, in Jubiläums-Ausstellungen Arbeiten von Jawlensky präsentieren, wählten Wiesbaden und Emden ganz bewusst einen anderen, ungewöhnlichen Ansatz, um Jawlenskys Werk in einem bisher wenig erforschten Kontext zu zeigen. Dadurch eröffnet sich ein neuer Blick auf das Werk des genialen Malers.

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Alexej von Jawlensky „Helene im spanischen Kostüm“, um 1901/1902; Museum Wiesbaden, Stiftung Frank Brabant 2014

Vor zehn Jahren, aus Anlass des 140. Geburtstags des russischen Künstlers, präsentierte das Landesmuseum die umfangreiche Sonderausstellung: „Jawlensky: Meine liebe Galka!“, die zum ersten Mal Werke aus den beiden weltweit größten öffentlichen Jawlensky-Sammlungen vereinte: aus dem Norton Simon-Museum in Pasadena und dem Wiesbadener Museum. Galka Scheyer war Jawlenskys langjährige Kunstagentin und Freundin, die ihn auch 1921 überzeugte, nach Wiesbaden zu ziehen. Eine Wanderausstellung mit Arbeiten des großen Einzelgängers hatte zu Beginn der 1920er Jahre so hervorragende Resonanz im Nassauischen Kunstverein der Kurstadt gefunden, dass Galka Scheyer begeistert schrieb “… und haben alle einen Jawlenskyfimmel …“. Unter dieser Überschrift beleuchtete das Projektbüro des Stadtmuseums, dessen Zukunft auch zehn Jahre danach ungewisser denn je ist, die Rolle des großen Malers in Wiesbaden.

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Roman Zieglgänsberger beim Presserundgang; Foto: Hans-Bernd Heier

Doch von dieser Begeisterungswelle war Alexej von Jawlensky in seinen Münchner Jahren, die im Mittelpunkt der gegenwärtigen Schau stehen, noch weit entfernt. Fokussierte das Landesmuseum vor zehn Jahren das reife Werk des Malers, so sind es jetzt die frühen Arbeiten, als der Expressionist noch in seiner Findungsphase, ein Suchender auf dem Weg zum eigenen Stil war. Gezeigt wird sein facettenreiches Frühwerk auf dem Weg zum „großen“ Jawlensky, der mit seinen späteren Arbeiten Weltruhm erlangte.

In der Zeit von 1900 bis 1910 erweiterte sich der Horizont des russischen Künstlers durch die intensive Beschäftigung mit den Werken namhafter deutscher und französischer Maler maßgeblich. Die Schau, deren Vorbereitung Kurator Zieglgänsberger fast drei Jahre beschäftigte, präsentiert Jawlenskys Arbeiten im Kontext mit Werken seiner künstlerischen Weggefährten, Zeitgenossen und Vorbilder. In die Malerei des Autodidakten fließen in dieser Phase Motive, Bildaufbau, Pinselduktus und Farbpalette der für ihn wichtigen Künstler mit ein, ohne allerdings deren Werk zu kopieren. Vielmehr adaptiert er Elemente und „verarbeitet“ diese.

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Angelica Jawlensky Bianconi vor einem ihrer Lieblingsgemälde, einem Mädchenbildnis von 1909; Foto: Hans-Bernd Heier

Zum ersten Mal überhaupt wird in einer Ausstellung den folgenreichen Begegnungen in Jawlenskys entscheidender Entwicklungsphase konsequent nachgespürt. Herausgekommen ist ein Farbfest fürs Auge. Für die Kunsthistorikerin Angelica Jawlensky Bianconi, Enkeltochter des Malers und Leiterin des Alexej von Jawlensky-Archivs in Locarno, ist es deswegen eine „Traumausstellung“, weil diese die Querverbindungen deutlich macht. Die präsentierten Werke dokumentieren unter anderem die Auseinandersetzung Jawlenskys sowohl mit der Kunst des Leibl-Kreises, mit der Berliner und Münchner Sezession wie auch mit der Malerei der berühmten französischen Wegbereiter der Moderne, des Postimpressionismus, des Pointillismus bis hin zu den sogenannten Fauves.

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Alexej von Jawlensky „Nikita“, 1910; © Museum Wiesbaden

Anhand präziser Vergleiche mit Werken, die Kurator Zieglgänsberger aus bedeutenden nationalen und internationalen Sammlungen zusammengetragen hat, wird erstmals Jawlenskys Entwicklung vom unbekannten Realisten zum weltberühmten expressionistischen Maler anschaulich, vergleichbar und nachvollziehbar. Einige Beispiele der glänzenden Zusammenschau seien dafür genannt.

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Vincent von Gogh „Bildnis Armand Roulin“ 1888; © Folkwang Museum, Essen

Bei dem überlebensgroßen Gemälde „Helene im spanischen Kostüm“ von 1901/1902 ist der stilistische Einfluss der Impressionisten Lovis Corinth und Max Slevogt deutlich nachvollziehbar. Allen drei großformatigen Arbeiten ist überdies gemeinsam, dass es sich um sogenannte Rollenbilder handelt. „Helene“, das größte Gemälde, das Jawlensky je gemalt hat, stammt aus der bekannten Sammlung Frank Brabant. Der Kunstsammler hat das Werk vor rund 25 Jahren für 100.000 Mark erworben; heute taxiert Roman Zieglgänsberger den Wert mit mindestens 2,5 Millionen Euro. Erst neulich hat Brabant das kostbare Gemälde dem Landesmuseum geschenkt – es ist wohl die wertvollste Einzelschenkung an das Museum bisher. Aus der reichhaltigen Kollektion Brabant sind im übrigen drei weitere Arbeiten in der erlesenen Schau zu sehen.

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Alexej von Jawlensky „Selbstbildnis“, 1912; © Museum Wiesbaden

Unübersehbar ist auch der farbliche wie gestalterische Einfluss von Matisse in Jawlenskys „Stillleben mit bunter Decke“ von 1910. Der pointillistische Stil – vornehmlich von Paul Signac – spiegelt sich ebenfalls in einigen Arbeiten Jawlenskys wider, beispielsweise in der „Landschaft mit See“ um 1902/1903. Die Begegnung mit der Kunst Vincent van Goghs ist laut Zieglgänsberger das wichtigste Ereignis für Jawlenskys Entwicklung hin zum Expressionisten. Dies zeigt sich beispielsweise an dem kräftigen Pinselduktus bei seinem Selbstbildnis von 1904 und später in der flächigen Gestaltung des Bildnisses von Nikita. Aber auch mit den Arbeiten Gaugins, der französischen Fauvisten und besonders mit der herrlichen Farbpalette Robert Delaunays setzt sich Jawlensky intensiv auseinander.

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Robert Delaunay „Formes Circulaires, Soleil No.1“, 1912/1913; © Ludwigshafen Wilhelm Hack-Museum

Ein besonderer Bilddialog zwischen Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky erwartet die Besucher gleich zu Beginn der höchst sehenswerten Schau: Marianne von Werefkin lernt er 1892 beim Malunterricht bei Ilja Repin, dem bedeutendsten Maler des russischen Naturalismus, kennen. Mit ihr, seiner großen Gönnerin, die ihm zuliebe sogar ihre Malerei aufgab, um sich ganz auf die Förderung seines Werks zu konzentrieren, und seiner späteren Frau Helene Nesnakomoff zog Jawlensky 1896 in die bayerische Hauptstadt mit der internationalen Kunstszene. Dort malte sie ihn im schwarzem Smoking mit weißer Hemdbrust als vornehmen Herrn. In dem 1896 gemalten Porträt, dem frühsten der Ausstellung, vermisste der Künstler jedoch einige Accessoires: einen Zylinder und Handschuhe, die er fünf Jahre später vor roten Rosen gewissermaßen als Replik malte.

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Paul Gaugin „Die Beschwörung“, 1903; Washington National Gallery of Art, gift from the Collection of John and Louise Both in memory of their daughter Winkie

Um 1910 gelangt der Expressionist schließlich durch die vielseitigen Begegnungen zu seinem unverwechselbaren farbintensiven Stil, der ihn weltberühmt machte. Gemeinsam mit Kandinsky gründet Jawlensky 1909 die „Neue Künstlervereinigung München“, aus der 1911 „Der Blaue Reiter“ hervorging.

Wie für viele seiner Freunde bedeutet der Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch für Jawlensky eine einschneidende Zäsur. Er muss Deutschland verlassen und ins Exil in die Schweiz gehen. Zusammen mit Marianne von Werefkin sowie Helene Nesnakomoff und deren gemeinsamen Sohn Andreas flüchtet er nach St. Prex am Genfer See und siedelt später nach Ascona über. Von dort zieht er 1921 mit Helene und Sohn Andreas nach Wiesbaden, wo er bis zu seinem Tode 1941 lebte. Die letzten Lebensjahre des Künstlers sind überschattet von krankheitsbedingtem Leiden (chronischer Polyarthritis), aber auch von dem durch die Nationalsozialisten verhängten totalen Ausstellungsverbot und den damit verbundenen beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Restriktionen. Dessen ungeachtet schuf er in dieser Zeit ein „Spätwerk von konzentrierter Immanenz“, wie es Volker Rattemeyer, der frühere Direktor des Museums Wiesbaden, formulierte.

Zu sehen sind in der großartigen Schau, die anschließend in der Kunsthalle Emden gezeigt wird, Arbeiten von Cuno Amiet, Anton Ažbe, Émile Bernard, Erma Bossi, Auguste Chabaud, Paul Cézanne, Lovis Corinth, Robert und Sonia Delaunay, Kees van Dongen, Raoul Dufy, Paul Gauguin, Paul Girieud, Vincent van Gogh, Ferdinand Hodler, Wassily Kandinsky, Alexander Kanoldt, Wilhelm Leibl, Franz von Lenbach, August Macke, Franz Marc, Henri Matisse, Edvard Munch, Gabriele Münter, Leo Putz, Ilja Repin, Carl Schuch, Paul Signac, Alfred Sisley, Władysław Ślewiński, Franz von Stuck, Wilhelm Trübner, Jan Verkade, Maurice de Vlaminck, Marianne von Werefkin und Anders Zorn. Die Präsentation, die unter der Schirmherr von Bundespräsident Joachim Gauck steht, wird unter anderen vom Kulturfonds FrankfurtRhein-Main, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, der Stadt Wiesbaden, der Naspa und der Deutschen Bahn gesponsert.

Horizont Jawlensky – Alexej von Jawlensky im Spiegel seiner künstlerischen Begegnungen 1900–1914″, Museum Wiesbaden, bis 1. Juni 2014

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

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