Fare mondi – Making worlds – Welten machen: Motto der 53. Biennale Arte in Venedig 2009
Von Erhard Metz
Wie kommt man eigentlich nach Venedig, genauer zur 53. Kunst-Biennale 2009? Der Frankfurter Städelschul-Professor Daniel Birnbaum beispielsweise ist schon dort, als deren Direktor, berufen vom Vorstand der „Fondazione la Biennale di Venezia“ unter der Leitung des Präsidenten Paolo Baratta.
Dort, in den Giardini Pubblici, steht der Deutsche Pavillon. 1909 wurde er zunächst als „Bayerischer Pavillon“ errichtet, 1938 wurde er umgebaut und ein weiteres Mal 1964. Eigentümerin des Gebäudes ist die Bundesrepublik Deutschland. Auftraggeber der offiziellen Beiträge Deutschlands für die Kunstbiennalen ist, im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, das Auswärtige Amt. Es benennt auf Vorschlag des Kunst- und Ausstellungsausschusses, dem namhafte Museumsdirektoren und Kunstexperten angehören, in der Regel jeweils für zwei aufeinanderfolgende Biennalen den Kurator (früher: Kommissar), der die Künstler auswählt und für die Organisation des Beitrags verantwortlich ist. Die Ausstellungen im Deutschen Pavillon realisiert es wiederum in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen e.V. Dieses ist unter anderem zuständig für den weltweiten Austausch auf dem Gebiet der Kunst. Das Institut betreut seit über drei Jahrzehnten die Beiträge zur Biennale und trägt die Budgetverantwortung für die deutschen Präsentationen. Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser: Es ist gar nicht so einfach, als Kurator oder Künstler nach Venedig zu kommen …
Der deutsche Pavillon in den Giardini (Foto: AlMare; wikimedia commons CC)
2009 heisst der Kurator – wie schon zur Biennale 2007 – Nicolaus Schafhausen. Vor zwei Jahren berief dieser Isa Genzken, in diesem Jahr den Briten Liam Gillick zur Gestaltung des deutschen Beitrags im Pavillon. Dessen Titel lautet „The future always acts differently – Die Zukunft verhält sich immer anders“ .
Jüngst stellte das Frankfurter Museum für Moderne Kunst MMK Nicolaus Schafhausen und Liam Gillick im Rahmen deren „Goodwill-Tournee“ durch bedeutende Museumsstädte vor. Natürlich verrieten die beiden dem Publikum nicht, was es dieses Jahr in Venedig zu erwarten hat. Isa Genzken, die vor zwei Jahren den Pavillon mit dem Titel „Oil“ bespielte, fand, wie wir uns erinnern, keineswegs ungeteilten Beifall in Presse und Fachwelt. In diesem Jahr tritt nun, entgegen dem definierten Auftrag des Instituts für Auslandsbeziehungen, die „Teilnahme von in Deutschland lebenden Künstlern an Biennalen weltweit“ zu fördern, nicht nur ein ausländischer, sondern auch ein nicht in Deutschland lebender Künstler an. Schafhausen sucht bewusst den „Blick von aussen“ auf den Beitrag Deutschlands. Er wäre denn auch über etwaige kritische Diskussionen dieses Konzepts durchaus nicht überrascht.
Gillicks „Modell künstlerischer Praxis“, so heisst es in der Einladung des MMK zu der Vortragsveranstaltung, „ist geprägt von einer offenen, jedoch auch sehr kritischen Hinwendung zum sozialen Kontext von Kunst. Interdisziplinarität, Kooperationen sowie der Fokus auf Arbeitsstrukturen und Produktionsabläufe sind bezeichnende Faktoren in seiner Arbeit.“
„Gillick entwickelt Gedankenmodelle mit dem Anspruch“, erklärt Schafhausen, “ zwischen den verschiedenen Komplexen in der gegenwärtigen Kunstlandschaft zu vermitteln und sich jenseits von binären Gegensätzen aufzuhalten. Sein Handeln als Kunstproduzent – Kritiker, Designer und bildender Künstler – erlaubt ihm, neue Fragen zu provozieren, ohne dabei zu einfachen Lösungen gelangen zu müssen. Seine Methodik ist als fortlaufender Prozess aus seiner Lebenserfahrung heraus zu verstehen.“ Und Liam Gillick: „Meine Arbeit erfordert eine kritische Rezeption, die differenzierte Gedanken, aber auch Skepsis generiert. Ich verstehe diese Methode als anhaltenden Dialog, der eher die Frage nach Produktion als nach blosser Repräsentation aufwirft. Ich arbeite in der Kluft zwischen Moderne und modernistischem Selbstbewusstsein. Mein Werk ist dabei sowohl abhängig vom Zufall als auch individuell gekennzeichnet“ (Zitate: Deutscher Pavillon, 53. Internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia, c/o Witte de With Center for Contemporary Art).
Ob der potentielle Rezipient zum Verständnis der Gillickschen Präsentation in Venedig ein vielsemestriges, sozialwissenschaftlich basiertes, im übrigen multidisziplinäres Studium benötigte, wird sich erweisen. (Ansonsten fände er wie immer Zuflucht bei einem Brut oder einem Liquore Zabaione im altehrwürdigen Caffè Florian.)
Nebenbei: Schafhausen würde am liebsten den Deutschen Pavillon abreissen und neu erbauen lassen, so auch Gillick. Schon Isa Genzken distanzierte sich 2007 von dem Gebäude mit der im NS-Baustil von 1938 errichteten Säulen-Fassade und dem Schriftzug „Germania“ – was aus dem Italienischen unschuldig übersetzt nichts anderes als „Deutschland“ heisst – , indem sie es mit einem Baugerüst samt der in Italien üblichen orangefarbenen Baustellennetze umgab. Schafhausen präsentiert nun auf seiner Rundreise den vor Jahrzehnten vom documenta-Gründer Arnold Bode entwickelten Entwurf für einen Umbau des Pavillons – als Aluminium-Miniatur für schlappe 5.000 Euro zu erwerben. Nun denn – dieser Entwurf trägt doch allzusehr die Handschrift der 1950er / 1960er Jahre, und es fände sich heute gar mancher, der ihn – wäre er damals realisiert worden – gerne aus anderen Gründen dem Abriss preisgäbe. Nein, da scheint es uns besser, sich mit dem historischen – und in seiner Historizität dem flüchtigen geschmacklichen Zeitgeist entrückten, deshalb heute letztlich durchaus „neutralen“ – Bau, gleichwohl dessen geschichtlichen Hintergrunds eingedenk, jeweils neu auseinanderzusetzen.
Liam Gillick (Bildnachweis: Deutscher Pavillon, 53. Internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia; Foto: © Steffen Jagenburg)
Liam Gillick, 1964 in Aylesbury/Buckinghamshire geboren, ist ein britischer Maler, Objektkünstler, Designer, Kritiker, Essayist, Publizist und Komponist. Er studierte von 1983 bis 1984 am Hertfordshire College of Art und 1984 bis 1987 am Goldsmith College in London. Wie etwa Damien Hirst, Tracey Emin oder Sarah Morris gehörte er zu den so genannten YBA, den Young British Artists.
Gillicks Werk ist keinen bestimmten künstlerischen Medien zuordenbar und eher vom Minimalismus her bestimmt. Der Künstler lebt in New York und London.
Nicolaus Schafhausen, 1965 in Düsseldorf geboren, studierte in Berlin und München Kunstgeschichte. Zunächst Galerist, zeigte er frühe Arbeiten unter anderem von Kai Althoff, Olafur Eliasson, Carsten Höller, Liam Gillick oder Eva Grubinger.
1995 wurde Schafhausen künstlerischer Leiter des Künstlerhauses Stuttgart, 1999 Direktor des Frankfurter Kunstvereins und 2003 Kurator beim Nordic Institute for Contemporary Art in Helsinki. Von 2005 bis 2007 war er Gründungsdirektor der sogenannten European Kunsthalle, einer Initiative zur Etablierung eines neuen Ausstellungsforums in Köln. Seit 2006 ist er Direktor des Witte de With Center for Contemporary Art in Rotterdam.
Schafhausen war beziehungsweise ist Kurator und Co-Kurator zahlreicher Ausstellungen, nach der Biennale 2007 in Venedig Co-Kurator der ersten Brüsseler Biennale im Jahr 2008. 2010 wird er gemeinsam mit Sunjung Kim das Platform Festival in Seoul kuratieren. 2003 erhielt er den Hessischen Staatspreis für Kultur.
Nicolaus Schafhausen lebt in Brüssel.
Nicolaus Schafhausen (Bildnachweis: Deutscher Pavillon, 53. Internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia; Foto © Steffen Jagenburg)
→ 53. Biennale Arte Venedig 2009 (1) – Der Deutsche Pavillon