Christiana Protto
Home Abroad – zu Hause in der Welt?
Christiana Protto, das Wanderatelier und die Lebensreise
Von Erhard Metz
Kunst sei eine Vermittlerin des Unaussprechlichen, darum scheine es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen, schrieb Johann Wolfgang Goethe. Ja, er hat recht. Aber ein paar Gedanken über ein hochinteressantes Œuvre einer bemerkenswerten wie begabten Künstlerin wollen wir dennoch Raum geben. Angesichts der Breite dieses Werkes müssen wir fokussieren: auf ihre Installationen, unter Verzicht auf vieles andere Wichtige, beispielsweise auf ihre fotografischen Arbeiten, auf ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Schlachtung und Fleisch oder auf ihre Tapetenarbeiten, die es zum Einzug in das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel gebracht haben.
Wir glauben dabei nicht, dass sich die Künstlerin, entgegen dem Duktus mancher Rezension, wie er sich uns erschliesst, vorwiegend mit ihrer eigenen Nabelschau befasst, sondern dass sie uns, dem betrachtenden Publikum, etwas mitzuteilen hat, schlage oben nach bei Goethe, wenn wir ihn denn recht verstehen.
Geboren in Grossbritannien, Studium in Florenz und Paris, Atelierstipendium in London, Preise und Lehraufträge in Turin und Rom, halbjähriger Arbeitsaufenthalt in China: „Home Abroad“?
„Home Abroad“ lautet der Titel einer Werkreihe, die Christiana Protto in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem europäischen Ausland begründet hat. Und noch etwas Besonderes hat sie aufgegriffen und für ihre eigene künstlerische Zeit- und Lebensreise weiterentwickelt: das schon aus dem Altertum bekannte „Wanderatelier“. „Mit dem ‚Wanderatelier‘ „, schreibt Protto, „begebe ich mich in unterschiedliche Situationen und entwickle aus der Begegnung mit dem Ort und den Personen die Heimstatt einer fiktiven Bewohnerin auf Durchreise“. Im Kern ist damit bereits alles gesagt.
Wo sie zu Hause im Sinne von Heimat sei, so fragten wir. Als konkreter Ort sei es inzwischen schon Frankfurt am Main, antwortet sie, doch könne sich das nach Kontext und Ebene ändern.
o. T., 2003, anlässlich HautNahOst, Frankfurt am Main, Video-Projektion im Aussenraum, 60′ Loop, Videoaufnahme einer vom Wind bewegten Installation aus Tüchern
Wo leben wir? Wie leben wir? Was für Häuser, was für Wohnungen bauen wir? Wie richten wir uns darin ein? Wie richten wir unser Leben ein?
Wo sind wir zu Hause? Wir klammern uns an das fest, was wir, auf der Suche nach Schutz und Sinn, für unverrückbar und gewiss halten. Aber bleiben wir letztlich als Reisende, als Gäste doch unbehaust auf dieser Erde?
Ich will mein Leben geniessen, 2004, Nassauischer Kunstverein Wiesbaden, raumbezogene Installation, Nähtisch, Stuhl, diverse Objekte und Materialien, an die Wand gespannte Tücher
Textilien – rot und weiss kariert, wir erinnern uns: an die leinernen Küchenhandtücher in Zeiten unserer Kindheit, welch ein wundervoller Aufenthalts- und Zufluchtsort war doch damals die heimische Küche mit knisterndem schwarzen Kohleherd, in der wir noch richtig wohnen, den Geruch des Feuers wahrnehmen konnten, wie er sich mit dem von garenden Kartoffeln und Gemüsen vermischte.
Textilien – wir denken an den Filz bei Joseph Beuys, Symbol auch für Wärme und Geborgenheit in sozialer Kälte.
Textilien – wir schmücken und drapieren mit ihnen Wände und Böden, wir umgeben uns mit ihnen, wir kommunizieren mit ihnen zu anderen Menschen. Mit Stoffen verhüllen und verkleiden wir uns , die einen mögen es in der Absicht tun, sich als diejenigen darzustellen, für die sie sich halten, die anderen, um im Gegenteil über ihre Person zu täuschen und sich zu verbergen. In „piazzaforte“ scheint uns Christiana Protto, mit dem ihr eigenen zurückhaltenden und doch unschwer zu entdeckenden Humor, der so vielen ihrer Arbeiten innewohnt, das durchschaute Gehabe entlarven zu wollen. Es hat etwas von einem heiteren Exhibitionismus, wie sich Oberbekleidung und Unterwäsche, Tischdecken, Handtücher und Bettlaken verschiedenster Provenienzen zwischen den Bäumen aufgehängt im Wind bewegen, wir konnten uns seinerzeit im Jahr 2003, als wir unsere Büros im Bertramshof hatten, über Wochen hinweg von diesem fröhlichen Spiel überzeugen.
piazzaforte, 2003, anlässlich Flüchtige Verfestigung, Hessischer Rundfunk/Marielies-Hess-Stiftung Frankfurt am Main, situationsbezogene Installation auf dem Bertramshof, Wäsche, Wäscheleinen und -klammern
In ihren Installationen stellt Christiana Protto Gegenstände des alltäglichen Lebens zusammen, wertvolle wie solche von banaler Art. Mal scheint sie die Objekte, auf das Akkurateste gestapelt und zu Blöcken verdichtet, nach einem vom Betrachter erst noch zu entschlüsselnden Kode oder Plan zu arrangieren. Ein anderes Mal vermittelt sie in ihren Szenerien den Eindruck eines chaotischen Durcheinanders vermüllter Messie-Wohnungen – wobei sich bei Protto auf geheimnisvolle Weise das Chaotische ihrer Inszenierungen mit dem Kreativen zu paaren scheint.
Arrangerie, 1999, anlässlich Home Abroad, Galerie ak, Frankfurt am Main, Installation, gezogene Pflanzen, diverse Gegenstände, 110 x 320 x 110 cm
Cut and go (Wanderatelier), 2003, anlässlich Introduction, Coleman Gallery London, raumbezogene Installation, diverse Möbel und Materialien
Die Arrangements gleichen in vielem einem Spiegel, den uns die Künstlerin in unserer Produktions- und Konsum-, unserer Verwertungs- und Wegwerfgesellschaft vorhält. Manche werden nur ungern in ihn hineinblicken, denn Erkenntnisse, zumal wenn man sie in Selbstbespiegelung gewinnt, können mitunter schmerzhaft sein. Manche der Gegenstände setzen zu derem Erwerb materielle Wohlhabenheit voraus, andere hingegen gehören zum schäbigen Mindestbedarf eines Hartz IV-Haushalts, und wir könnten erwarten, die Tür öffnete sich und Andreas Slominski schöbe eines seiner mit Tüten und Klamotten behängten Obdachlosen-Fahrräder herein. Oft arrangiert Protto Pflanzen, gezogene, wie sie betont, zwischen die Konsumware. Sie bilden zu letzterer einen kontrastierenden, positiv-anarchischen, weil vegetativ-lebendigen Gegenpol.
Die auf den ersten Blick auch grotesk erscheinende Ordnung und Anhäufung all dieser Gegenstände in ihrer jeweiligen Raum- und Situationsbezogenheit – wie etwa in den beamtet-behördlichen Fluren der Frankfurter Oberfinanzdirektion – lösen in uns zugleich ein Schmunzeln aus, es kann – und darf – ein im Lustgewinn der Selbstentlarvung befreiendes Freud’sches Lachen daraus werden.
zwei Darstellungen aus: Zweigstelle, 2007, Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main
Was für eine neue Qualität gewinnen die Gegenstände, wenn sie die Künstlerin aus gewohnten Zusammenhängen herauslöst und mit andersartigen kombiniert, etwa eine Gartengiesskanne an einen Garderobeständer hängt, der schon manches solide, krawattenfordernde Jackett getragen haben mag? Wenn sie in einer Art nachgestellter Lebensmittelabteilung eines Supermarkts Gegenstände platziert, die mit den darunter angebrachten Beschriftungen nichts gemein haben? Gezielt setzt Protto auch auf Verwirrung, auf Desorientierung, die uns veranlassen, das Wesen eines Objekts, eines Begriffs zu hinterfragen, bewusster als bislang und gegebenenfalls neu zu definieren.
Und: Brauchen wir wirklich alles das, was uns hier vorgestellt wird? Was sammeln und ballen wir alles in unseren Wohnungen zusammen, in trügerischer Erwartung eines Bleibenkönnens, wo wir uns doch in Wahrheit auf einem Weg befinden? Warum tragen wir so viel an Ballast mit uns herum?
Und machen wir uns Gedanken darüber, wieviel an dem Angehäuften – oder besser wiewenig – Inhalt ist und wieviel, jetzt ohne relativierende Einschränkung, hohle Verpackung?
In ihrer 2004 in Rom ausgestellten Arbeit laboratorio vereint Christiana Protto die Installation von Gegenständen mit Dia-Projektionen und Videofilmen mit Szenen aus einem Schlachthof: eines „Tagebuchs in Zeiten von BSE … als brutalen Eingriff in die Natur zum Wohle McDonalds“, wie Iris Reepen schreibt.
vier Darstellungen aus: laboratorio (Wanderatelier), 2004, Museo Laboratorio di Arte Contemporanea, Rom, dreiteilige raumbezogene Installation, Tische, diverse Gegenstände und Materialien, Projektoren, Monitore, Dia-Projektion „horticult“, 1998, und Video „Sequenzen aus dem Schlachthof , Heads and Tails Uncut, 2000, Wanne (Schwein), 2004, pendulum, 2001, strip, 2001
Prottos „Wanderatelier“ bedeutet weit mehr als die früher von Ort zu Ort ziehenden Maler, Steinmetze oder Kunsthandwerker aller Art, weit mehr als der im Zuge der Plein air-Malerei am Schulterriemen getragene Malkasten. „Wanderatelier“ – darin scheinen sich uns Stationen der Lebensreise zu manifestieren, auf die sich die Künstlerin im Auffinden und Entdecken, Untersuchen und Bewerten, im Ergreifen und Hinterlassen begeben hat. Raum- und situationsbezogen nennt Protto entsprechend ihre Installationen. Überall dort, wo wir sie antreffen, ihnen begegnen mögen, werden wir Zeitzeugen dieser Stationen, und wir werden uns unserer eigenen Reise durch unsere endliche Zeit bewusst.
“ ‚Wanderatelier‘ „, schreibt Rainald Simon im 2009 erschienenen Ausstellungskatalog Dong You Ji – Reise in den Osten, „ist im Grunde der produktive Sammelplatz von Spuren-Elementen, meist aus einem oder mehreren Tischen bestehend, an denen real (oder mindestens potentiell) neue Spuren produziert werden. Ein Atelier ist eine Werkstatt ist ein Produktionsort ist ein ‚laboratorio‘ und hat immer etwas Lebendiges, in die Zukunft Weisendes …“
Ihre Installationen in geschlossenen wie in öffentlichen Räumen finden ein Pendant im oft grossbürgerlich- wie ebenso kleingärtnerisch-denaturierten Gartenbereich, den Protto mit ihren Installationen erst wieder „bewohnbar“ macht und dadurch gleichsam symbolhaft renaturiert. Interessant, wie sie dabei temporär auf private Gartenanlagen in Darmstadt zurückgreifen konnte. Was aber geschieht jetzt dort, nachdem sie samt ihren Installationen wieder ausgezogen ist?
demeurante (Wanderatelier), 2003, anlässlich TransitArten, Vogelfrei-Biennale in Darmstädter Privatgärten, situationsbezogene Installation im Garten der Familie Wolpert, Baum, diverse Objekte und Materialien
vedute, 2005; anlässlich Paradiesgärten, Vogelfrei-Biennale in Darmstädter Privatgärten, situationsbezogene Wandarbeit für den Gartenpavillon der Familie Gerstenecker, Digitaldruck auf Trevira, 120 x 300 cm
o. T., Zeichnung, Mischtechnik auf Papier, 42 x 29,7 cm
Aus Christiana Prottos umfangreichem zeichnerischen Werk sei hier der Blick lediglich auf ihre – meist mit o. T. bezeichneten – Vasen fokussiert. Mit dem Thema Vasen, den für die Menschen wichtigsten Gefässen der antiken Welt zur Aufbewahrung vor allem von Nahrungsmitteln, beschäftigt sich die Künstlerin seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten. Aus elegant anmutenden Umrissen entwickelt sie immer wieder neue zeichnerische Strukturen, Netzwerken gleich, die in einem Kontext zu ihren Installationen gesehen werden können.
Vase, 1997, Mischtechnik auf Papier, 59,5 x 42 cm
rest, 2001, anlässlich Tische der Kommunikation, Installation auf dem Parkfriedhof Essen-Huttrop, Holzplatten und diverse Gegenstände, 90 x 110 x 900 cm
Was können wir mitnehmen auf unsere letzte, unsere grösste Reise? Wir denken an Grabbeigaben in früheren Kulturen. Christiana Protto hat vor der Trauerhalle des Parkfriedhofs Essen-Huttrop wieder all das zusammengepackt, von dem wir meinen, es in einem irdischen Zuhause zu benötigen, vielleicht auch etwas mehr. Es mögen – wir können es nicht erkennen – auch Brot und Wein darunter sein. Platz ist genug für das letzte Mahl an dem neun Meter messenden Tisch. Wer wird sich einfinden?
Kommen wir zu Christiana Prottos Vita in „Steckbrief“-Form: 1962 in Sutton Coldfield/ Grossbritannien geboren; 1981 bis 1983 Studium am Istituto Statale d´Arte di Firenze, 1983 bis 1985 an der Unité Pédagogique d’Architecture No. 6, Paris, 1985 bis 1991 an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main (M.A.) und von 1992 bis 1993 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach (Architektur, Romanistik, Kunstwissenschaft und Freie Kunst). Seit 2006 studiert Protto zusätzlich an der Goethe-Universität Sinologie. Protto lehrte an der Fachhochschule und an der Städel-Abendschule der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste, Frankfurt am Main, sowie an der Gutenberg-Universität, Mainz. Seit 1996 bestreitet sie Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
2008 hielt sich Christiana Protto für rund ein halbes Jahr in China auf, unter dem Titel „Tao Ke Rui’s Diaries“ präsentierte sie neue Arbeiten an der Yannan Art Institution in Hangzhou. Dieser einzigartige Werkkomplex erfordert eine gesonderte Darstellung zu späterer Zeit.
Tao Ke Rui’s Diaries, bast, 2007, Kugelschreiber, Tusche und Gouache auf Papier, 19 x 26,5 cm
(Bildnachweis © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos: Christiana Protto und Urs Breitenstein)
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