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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

75 Jahre Das Festival international d’art lyrique von Aix-en-Provence

Così fan tutte und die Folgen

Von Petra Kammann

1948 hatten die Comtesse Lily Pastré und Gabriel Dussurget in der Cour de l’Archevêché das damals noch kleine Klassik-Festival mit Mozart aus der Taufe gehoben. Die Stadt sollte ein „Salzburg Frankreichs“ mit internationaler Ausstrahlung werden. Was daraus wurde? Mozart wird 75 Jahre später in diesem Sommer „umspielt“… Drei Wochen lang werden große internationale Orchester, berühmte Dirigenten, Regisseure, Choreografen und Sänger an den verschiedenen Spielstätten wie u.a. dem Grand Théâtre de Provence und dem Jeu de Paume die provenzalische Stadt zum Klingen bringen. Geleitet wird das Festival (4. bis 24. Juli) von dem französisch-libanesischen Regisseur Pierre Audi.

Im Hof des Erzbischöflichen Palais (Cour de l’Archevêché ) in der Aixer Altstadt finden traditionell einige der Veranstaltungen statt, Foto: Petra Kammann 

Auf dem Programm steht auch 75 später  Così fan tutte von Wolfgang Amadeus Mozart, aber ebenso Picture a Day like this von George Benjamin und Martin Crimp, die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill  sowie Wozzeck von Alban Berg.

Thomas Ostermeier inszeniert mit der Comédie française erstmals eine Oper, die „Dreigroschenoper“, Foto: Festival 

Wie der in Beirut geborene kosmopolitische Regisseur und heutige Generaldirektor  der Aixer Festspiele Pierre Audi zur Oper kam, beschrieb der zunächst im Libanon aufgewachsene so: Als er die ägyptische Sängerin Oum Kalsoum (Umm Kulthum) in Baalbek erlebt habe, sei es um ihn geschehen gewesen. Ein Schlüsselerlebnis: Die der Callas vergleichbare Operndiva hat den Fellini-Afficionado zur Oper gebracht.

Der Generaldirektor des Aixer Festivals Pierre Audi, Foto: Sarah Wong

Eine richtige große Oper erlebte er später dann unter dem Dirigat von Wilhelm Furtwängler in München: Richard Wagners Tristan und Isolde. Heute noch klingt das berühmte Duett: „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ in ihm nach.

Er hatte es gehört in der Nacht, als Apollo auf dem Mond landete. Als er aus der Oper herauskam, wurden überall in den Schaufenstern der Läden die Mondlandung ausgestrahlt. Eine unglaubliche Atmosphäre, die ihn nachhaltig beeindruckte. So hinterließ die Wagnersche Musik bei ihm tiefe Spuren.

Genauso bedeutsam seien für ihn Claudio Monteverdis Krönung der Poppea, eine Art klassischer Ur-Oper, die man immer wieder neu hören und erleben könne ebenso wie  Schönbergs Gurrelieder, die ihm das Verständnis zeitgenössischer Musik ebenso eröffneten wie auch Gyorgy Ligetis Etudes livre II : Etude n°10. 

Auch Dirigent Thomas Hengelbrock, mit seinem Freiburger Barockorchester und seiner „Poppea“-Aufführung kein Unbekannter, ist diesmal in Oppède vertreten und er dirigiert Così fan tutte, Foto: Festival

Für Audi ist Ligeti ein genialer Komponist, der sich immer wieder neu erfindet, vor allem, weil er die verschiedenen Kulturen miteinander verbindet: „la culture africaine, le jazz et le piano dans toute sa noblesse…“ („die afrikanische Kultur, den Jazz und das Klavier in seiner ganzen Noblesse und Eleganz“).

Die Spanne seiner gesamten künstlerischen, auch durch den Filmemacher Federico Fellini vermittelten filmischen Erfahrungen spiegelt sich im spannenden Jubiläumsprogramm, das Pierre Audi wesentlich gestaltete.

In Bezug auf Salzburg sagte Audi: „Auch das Publikum muss lernen, dass es nicht immer bedient wird, sondern sich selbst bedienen muss.“ Das wird hier in Aix-en-Provence und dem umgrenzenden Land kultiviert.

Dem Internationalen Festival geht nämlich etwas Besonderes voraus: die „Passerelles“, ein sozio-künstlerisches Education-Programm, dass für die neuen Kreationen sensibilisieren soll. Auch das zeigt die Spannbreite des Denkens von Pierre Audi.

Audis Lust, die Dinge immer wieder neu zu erfinden, ist ebenso groß wie die Fäden der Vergangenheit aufzunehmen und das Porträt des Erfinders und seiner Vorgänger wieder ins Bewusstsein zu rücken.

Denn zum 75-jährigen Jubiläum gesellt sich ein weiteres Jubiläum: 25 Jahre Vennelle, der Workshop, in dem der Generaldirektor des  Théâtre du Châtelet Stéphane Lissner seit 1988 rund 300 Künstler ausgebildet hat, die u.a. Bühnenbilder und Kostüme entwarfen.

Im Vorfeld des Aixer Festivals probten Nachwuchsmusiker im Steinbruch von Bibémus, wo einst Cézanne malte…, Foto: Petra Kammann

15 Jahre „Passerelles“ war zunächst eine Initiative des belgischen Bachspzialisten, Komponisten, Organisten und Opern-Intendanten Bernard Foccroulle, wonach die jungen Künstler als Botschafter der Region auftreten, was Pierre Audi auch heute noch wärmstens unterstützt, denn er empfindet sich als „Glied einer historischen Kette“.

Schon 1948 war die Wahl des Gründers Gabriel Dussurget für das jährlich stattfindende Sommer-Opernfestival in Aix-en-Provence vorausschauend und weitreichend angelegt. Schließlich war der französische Impresario und Opernregisseur nicht nur ganze 25 Jahre lang (von 1948 bis 1973) dessen künstlerischer Leiter, sondern von 1959 bis 1972 auch noch künstlerischer Leiter der Pariser Oper, wo er die internationalen Stars traf und natürlich auch in das Festival einbinden konnte.

Dabei hat Audi mit seiner eigenen beachtlichen Entwicklungsgeschichte auch selbst eigene kühne Ideen. Gleichzeitig bleibt er der Geschichte und der Tradition des Festivals treu. So wird wie im Jahre 1948 auch in diesem Jubiläumsjahr Così fan tutte wieder aufgeführt.

Damals  – so Gabriel Dussurget – habe der Bühnenbildner Georges Wakhevitch aus Odessa eigens ein Dekor mit Baldachin und einigen Federn gebastelt. Man musste dem Publikum den Genius  der Mozartschen Musik erst einmal nahebringen. Der sei nämlich erstmalig 1926 in Frankreich aufgeführt worden und bis dahin so gut wie unbekannt gewesen.

Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov präsentiert „Così fan tutte“ wie 1948 im Erzbischöflichen Palais nun ganz anders

In diesem Sommer werde der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov die Wahrheiten der Liebe neu hinterfragen und auf die Probe stellen. Das Personal: Fiordiligi, Dorabella, Ferrando, Gugliemo ist in seiner Version nicht mehr blutjung und einfach nur betört von der Liebe. Hier geht es um Kollegenpaare jenseits der Fünfzig, die glauben, alles über das eheliche Leben zu wissen…

Der unkonventionelle Dirigent Sir Simon Rattle, dirigiert Wozzeck, Foto: Festival

Das reichhaltige und gruppenspezifisch angepasste Programm lässt sich auch von der Festival Homepage herunterladen, allerdings nur auf Französisch und Englisch.

Die Spannung jedenfalls ist garantiert, gleich ob Thomas Hengelbrock dirigiert oder Sir Simon Rattle denWozzeck von Alban Berg. Der deutsche Schriftsteller und Autor  Thomas Ostermeier jedenfalls inszeniert erstmalig eine Oper und zwar mit der Comédie frannçaise, nämlich Brecht-Weills „Dreigroschenoper“ mit bislang unbekannten Partituren, während im Stadium de Vitrolles Strawinskys Ballettmusik erklingt .

Da treten Tanzstars auf wie einst die Choreografin Pina Bausch, die von Wuppertal aus zu Weltruhm gelangte. So bewegend wie verlässlich kann ein internationales Festival sein! Man würde gerne überall Mäuschen spielen.

Aufführung der Mozart- Oper „Idomeneo, König von Kreta“ im Théâtre de l’Archevêché im Juli 2022

Tipp für Frankfurter Opernfans:

Mit dem Hochgeschwindigkeitszug der SNCF, dem  TGV INOUI kann man von Frankfurt aus Aix-en-Provence auf direktem Wege in knapp 8 Stunden erreichen.

>Max-Ernst-Ausstellung im „Hôtel de Caumont – Centre d‘ art“ in Aix-en-Provence

>Architektur, Kunst, Wein, Natur und Genuss: Das Château La Coste

 

 

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