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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Max-Ernst-Ausstellung im „Hôtel de Caumont – Centre d‘ art“ in Aix-en-Provence

Die magischen Welten des Max Ernst in heiter mediterraner Atmosphäre

Von Petra Kammann

In einem der schönsten „Hôtels Particuliers“ der südfranzösischen Stadt Aix-en Provence läuft derzeit eine bemerkenswerte Retrospektive: „Max Ernst – Mondes Magiques, Mondes Libérés“ („Magische Welten- Befreite Welten“). Sie findet nicht etwa in einem Hotel oder was wir darunter verstehen, statt, sondern in einem noblen Stadtpalais des frühen 18. Jahrhunderts, was den französischen Begriff Hôtel Particulier eher trifft. Im Hôtel Caumont also kann man in traumhaft-mediterraner Umgebung geradezu eintauchen in die phantasievollen Bildwelten des in Brühl geborenen kosmopolitischen genialen Künstlers Max Ernst (1891-1976) und nahezu 140 seiner Werke von den 1920er- bis in die 1970er-Jahre auf sich wirken lassen. Der Künstler hat sich in den verschiedenen Phasen seines Lebens immer wieder neu erfunden. Dabei ist seine Beziehung zur Natur ebenso ausgeprägt wie sein Hang zur Magie, zur Poesie, zum Spiel und eine Liebe zur Freiheit.

Der Innenhof des Hôtel de Caumont empfängt einen mit mediterranem Charme auf dem Weg in die Max-Ernst-Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Dabei begleiten einen immer auch Bilder großer Heiterkeit. Im Innenhof turnen ein paar Kinder, bevor das Centre d’Art im Hotel de Caumont um 10 Uhr geöffnet wird. Je mehr es auf 10 Uhr zugeht, desto länger wird die Schlange derer, die Einlass begehren in der Rue Joseph Cabassol im historischen Mazarin-Viertel südlich des Cours Mirabeau. Es hat sich herumgesprochen, dass die zweimal jährlich von CultureEspaces organisierten Ausstellungen, die an diesem zauberhaften Ort stattfinden, von besonderer Güte sind.

Eingang in das Hôtel de Caumont, Foto: Petra Kammann

Bis zum 26. März diesen Jahres drehte sich alles um den französischen Maler, Bildhauer und Performancekünstler Yves Klein (1928-1962), dessen leuchtendes Ultramarin-Blau, das er mit unterschiedlichsten Mitteln auf die Leinwand oder Skulpturen brachte, zum Markenzeichen wurde. Allein durch das bestens restaurierte lichtdurchflutete, vom Architekten Robert de Botte errichtete Gebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert mit seinem ausgeprägten Treppenhaus zu flanieren, ist ein Erlebnis. Und ein wirklich geeigneter Rahmen für die Max-Ernst-Ausstellung, auch historisch.

Blick in den heiteren französischen Garten, Foto: Petra Kammann

Überall tun sich im Haus köstliche Perspektiven auf, sei es, dass man einen Blick in den bestens gepflegten französischen, äußerst heiteren Garten riskiert, den man im Stadtzentrum so gar nicht erwartet, in das historisch authentisch eingerichtete Café wie auch in die ebenso reizend und zeittypisch ausgestalteten Gemächer oder in das Musikzimmer der einst wohlhabenden und so kunstsinnigen wie schönen Besitzerin Marquise de Caumont (1767-1850).

Um die lange Geschichte des Gebäudes abzukürzen, in dem die noble Aixer Gesellschaft viele Jahre aus- und einging und die Musen pflegte: Das Haus wurde während des Zweiten Weltkriegs dann  zur Wohnstätte für etliche Mitglieder der Résistance. Dass sie dort Unterschlupf finden konnten, dafür sorgte während der deutschen Besatzung die tatkräftige Concierge Hélène Ardevol (1892 – 1976).

Blick in das historische Musikzimmer, Foto: Petra Kammann

1964 schließlich kaufte die Stadt Aix das Gebäude und es wurde zum berühmten Konservatorium „Conservatoire de musique et de danse Darius Milhaud„, das dem besonderen, einer jüdischen Aixer Familie entstammenden Bürger der Stadt gewidmet war. Der berühmte Avantgarde-Komponist Darius Milhaud (1892-1974), der wegen seiner Herkunft in die USA emigrieren musste, schrieb in seiner Autobiographie: „Ich stamme aus Aix und jedes Mal, wenn ich mit dem Auto dahin komme, dann spüre ich einen kleinen warmen Stich im Herzen, wie man ihn nur beim Wiedersehen eines geliebten Menschen oder einer Landschaft empfindet.“ Vielleicht erging es Max Ernst ähnlich, der zeitweise auch im Aixer Château noir zu Gast war, das Cézanne in seinen Bildern u.a. verewigt hatte. Milhaud hatte übrigens in seiner frühen Jugend ebenfalls dasselbe Gymnasium „Lycée Mignet“ eine Straßenecke weiter an der rue Cardinale besucht wie der Maler Paul Cézanne (1839–1906) und der Schriftsteller Emile Zola (1840-1902).

Das Lycée Mignet am Ende der Straße, damals eine Kaderschmiede für Aixer Künstler und Schriftsteller, Foto: Petra Kammann

Die Emigration, wenn auch aus anderen Gründen, verbindet den Komponisten mit dem als „entartet“ abgestempelten Künstler Max Ernst, der in seinen Lebzeiten in drei verschiedenen Ländern gelebt hat, was ihn nicht zuletzt auch zu einem international bedeutenden deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts gemacht hat. Der 1891 in Brühl bei Köln, heute auch Standort des deutschen Max Ernst Museums, geborene Max Ernst hatte ursprünglich seine Bestimmung in der Auseinandersetzung mit Philosophie, Altphilologie und Psychologie gesucht und an der Bonner Universität die entsprechenden Fächer studiert.

Erster Blick  in die Max-Ernst-Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Max Ernst. Sein Name wurde Programm. Kein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat sich einer solchen künstlerischen Ausdrucksvielfalt bedient wie er, allenfalls vergleichbar vielleicht mit Picasso. Seine Bilder und Skulpturen sind so atemberaubend und außergewöhnlich, wie es seine Lebensgeschichte auch ist. Im Pri­vat­le­ben durch­leb­te Ernst zahl­rei­che Tur­bu­len­zen und war ins­ge­samt vier­mal ver­hei­ra­tet. Seine private Geschichte spiegelt sich aber auch in der Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen. Es entstanden in den verschiedenen Phasen Lithografien, Radierungen, Frottagen, Grattagen, Collagen, Skulpturen, Schmuckstücke und Fotos.

Im Ersten Weltkrieg hat Ernst als Soldat in Verdun und in Polen das sinnlose Sterben einer ganzen Generation junger Männer miterlebt und sagt von sich selbst: “Max Ernst ist 1914 gestorben und 1918 wieder geboren“. Gewissermaßen als künstlerische Reaktion darauf und wie Phönix aus der Asche gründete er gemeinsam mit dem deutsch-französischen Maler, Grafiker, Bildhauer und Lyriker Hans Arp (1886-1966) und dem Maler, Grafiker, Autor, Publizist und Bergsteiger Theodor Baargeld (1892-1927) die Kölner Dada-Gruppe. Dada-Max wurde er daraufhin ihn in dieser Zeit genannt. Gleichzeitig tauchen auch schon während der Kölner Dada-Zeit prähistorische Kreaturen in seinen Gemälden auf.

Nach einer gescheiterten Ehe mit der jüdischen Kunsthistorikerin Luise Straus (1893 in Köln; † Anfang Juli 1944 im KZ Auschwitz), die  fast ein Jahr lang kom­mis­sa­ri­sche Lei­te­rin des Kölner Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­ums und ei­ne weit über das Rhein­lan­d hin­aus­wir­ken­de Kunst- und Kul­tur­jour­na­lis­tin der Wei­ma­rer Re­pu­blik war, verlegte er von 1922 bis 1937 seinen Lebensmittelpunkt nach Paris, weil Deutschland ihm zu „eng“ geworden war. Doch dieses Kapitel ist eine eigene Geschichte wert.

Blick in die Max-Ernst-Ausstellung, Foto: Petra Kammann

In Paris fand er zunächst bei dem Dichter Paul Éluard  (1895-1952) und dessen damaliger Frau Ga­la Èluard (1894-1982) Unterschlupf. Auch befreundete er sich dort mit André Breton (1896-1966). Dieses Autor-Künstler-Trio wurde zu einem wesentlichen Wegbereiter des Surrealismus, einer Lebenshaltung und Lebenskunst, die sich gegen tradierte Normen wandte und stattdessen das Traumhafte, Unbewusste, Phantastische und auch das Absurde in den Fokus stellte, dem sie in den verschiedenen Genres wie Literatur, Kunst und Film Ausdruck verliehen.

Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Von da ab kennzeichnet es auch die künstlerische Arbeit von Max Ernst, der sich stets neue Ausdrucksformen, Materialien und Techniken suchte, mit denen der Künstler zeitlebens experimentierte.  Davon bekommt man in den unterschiedlichen Ausstellungsräumen des Hotel Caumont einen lebhaften Eindruck. Hier begegnet man dem Künstler teils auch in Fimausschnitten (in drei Sprachen) als Erfinder der Frottage (Abreibetechnik) und der Grattage (Abkratzungen), der für sich die Technik Decalcomanie (Abklatschtechnik) neu erfand. Sein umfangreiches Werk, das Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Collagenund auch Texte umfasst, strahlt in den Aixer Räumen und der geschickten Präsentation eine hohe Präsenz aus.

In seinem Schaffensdrang gleicht der vielseitige Künstler in Einem auch Picasso. Was für den spanischen Avantgarde-Künstler der (mythologische) Stier als Alter Ego taugte, war für Max Ernst der „Loplop“: Der seltsame Vogel, stets auf zwei Beinen stehend, seinen Rumpf als Präsentationsfläche für verschiedene Motive zeigend, zieht sich in den unterschiedlichsten Techniken und Varianten durch das Gesamtwerk von Max Ernst.

Blick ins Treppenhaus, Foto: Petra Kammann

So vielfältig wie sein Werk gestaltete sich auch sein Lebensweg. Zahlreiche Künstlerinnen, wie Gala Éluard, oder die britisch-mexikanische Malerin Leonora Carrington wurden zu seinen Weggefährtinnen. Verfolgt durch die Nationalsozialisten als „entarteter“ Künstler, stand er kurze Zeit auch in der Nähe von Aix-en-Provence im Internierungslager Les Milles unter strenger Beobachtung. Und wie  gelang ihm 1943 schließlich die Ausreise nach New York? Wie anders könnte es sein? Mit Hilfe einer Frau, der bekannten Kunstmäzenin Peggy Guggenheim (1898 – 1979), mit der ihn ebenfalls eine kurzzeitige Ehe verband.

Der „Erotik und Metamorphose“ seines Werk wird im Hôtel Caumont in einem eigens dazu ausgerichteten Saal gedacht („Eros et métamorphoses„). Dazu passt auch ein kommentierendes Wandzitat von Max Ernst selbst: „Mes vagabondages, mes inquiétudes, mes impatiences, mes doutes, mes croyances, mes hallucinations, mes amours, mes révoltes, mes contraditcions (…) n’ont pu crée un climat  favorable à l’élaboration d’une oeuvre calme et sereine.“ („Mein Vagabundieren, meine Unruhe, meine Zweifel, mein Glauben, meine Halluzinationen, meine Lieben, meine Revolte, meine Widersprüchlichkeiten konnten kein günstiges Klima schaffen, aus dem ein heiteres ruhiges Werk hervorgeht.„)

Ausstellungsansicht, Foto: Petra Kammann

Als Kurator einer Ausstellung über US-Künstlerinnen in New York lernte er dann die amerikanische Malerin Dorothea Tanning (1910- 2012) kennen, die er 1946 heiratete und mit der er zunächst abgeschieden in Sedona, in der Wüste von Arizona lebte. Hier erhielt er 1948 auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

1952 gehen die beiden nach Paris. Als Max Ernst 1954 mit dem prestigeträchtigen großen Preis der Biennale in Venedig ausgezeichnet wurde, der ihm internationale Geltung verschaffte, eröffnete das für ihn neue Perspektiven. Nach der amerikanischen Staatsangehörigkeit nahm er 1958 die französische an. Ab 1964 bis zu seinem Tod im Jahr 1976 lebte das Paar teils in Paris, teils in einer großen Villa in Seillans im Departement Var in der Provence, was vielleicht für ihn eine ähnliche Bedeutung hatte wie für den mediterran inspirierten Komponisten Darius Milhaud.

Blick in den oberen Ausstellungssaal, Foto: Petra Kammann

Die Ausstellung in Aix konzentriert sich auf die großen Themen, die den Künstler beschäftigten: Dazu zählen die vier Elemente, mit denen Max Ernst sich auch immer beschäftigt hat: Erde, Wasser, Luft und Feuer, die nach der klassischen Philosophie die Grundlage der natürlichen Welt bilden und untereinander verbunden sind. Natürlich spielt dabei auch die Alchimie eine bedeutende Rolle. In dem Themenraum „Au delà de la peinture“ („Jenseits der Malerei“) werden seine Inspirationstechniken dem Publikum auf anschauliche Weise nahegebracht. Aber auch „Das Spiel“, für das die großartige Bronzeskulptur steht: „Der König, der mit der Königin spielt“ (1944/2001). Das Spiel, das war für Max Ernst immer auch eine wichtige Quelle der Inspiration. Fabelhaft parallel dazu das großaufgezogene berühmte poetische Schwarz-Weiß-Foto, das ihn im Schachspiel mit Dorothea Tanning zeigt.

Auch ist die bedeutende plane Skulptur „Sedona 1“ aus dem Jahre 1934, die an tanzende ägyptische Zeichen erinnert, und die im Bühler Museum zum Signet wurde, hier zu sehen. Sie entstand bei einem Aufenthalt im Atelier des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti und aus der Beschäftigung mit ihm. Überall in der Ausstellung können die Besucher Verbindungslinien herstellen. Die Kunst von Max Ernst lädt jedenfalls zum assoziativen Denken ein.

Um genau diese inneren Verbindungslinien mit anderen Künstlern der Moderne aufzuzeigen, wurden als Beleg dafür kostbare Werke vom Centre Pompidou, der Londoner Tate, der Guggenheim Stiftung in Venedig, aus dem Musée Cantini in Marseille, dem Max Ernst Museum in Brühl und von zahlreichen privaten Leihgebern, die nicht genannt werden wollen, zusammengetragen. Man merkt, dass hier echte Kenner am Werk waren, die diese bedeutenden Werke so sinnreich zusammengetragen haben.

Ausstellungsansicht, „Wenn die Malerei die Zeit widerspiegelt, muss sie verrückt sein“, Foto: Petra Kammann

Dr. Jürgen Pech, der langjährige wissenschaftlicher Leiter des Brühler Max Ernst Museums, ist einer der Kuratoren und er ist ein Max Ernst-Kenner par excellence. Seit vielen Jahren arbeitet er am grafischen Werk­verzeichnis des großen Künstlers. Es ist die zweite Ausstellung, die er gemeinsam mit der italienischen Kunsthistorikerin Martina Mazzotta, die heute in London am Warburg Intitute/UCL  arbeitet, ausgerichtet hat. Die beiden betreuten jüngst auch gemeinsam die großangelegte Max-Ernst-Ausstellung im Palazzo Reale in Mailand, die im Februar 2023 dort zu Ende ging.

Für Jürgen Pech ist die Beschäftigung mit dem Werk von Max Ernst, das er während seines Bonner Studiums intensiv kennengelernt hatte durch seinen Professor Eduard Trier, der wiederum Max Ernst noch persönlich begegnet war,  zu seiner Lebensaufgabe geworden. „In Max Ernsts Schaffen kommen Natur, Religion und Literatur vor, und man wird in unterschiedlichste Bereiche geschickt“, erklärt er seine Faszination für den Surrealisten, der zahlreiche Künstlerfreundschaften pflegte, die wiederum Anlass für viele weitere Entdeckungen boten.

Der heitere Garten des Stadtpalais zieht die Besucher an, Foto: Petra Kammann

Auch für die Natur, für die Fauna im Werk von Max Ernst sowie für die Tier- und Sagenwelt war Pech offen, hat Ausstellungen zu solchen Themen organisiert. Immer wieder sehen wir in den Bildern verwandelte Wale, Fledermäuse, Fische, Schlangen sowie Meeres-, Luft- und Landbewohner und andere mythische Mischwesen, gleich ob sie als Sphinx oder Minotaurus daherkommen. Die Kuratoren sehen in dem Künstler auch einen Brückenbauer zwischen der deutschen und der französischen Kultur, was als Hintergrund zum ersten Surrealistischen Manifest 1924 geführt hat. Und mit den Techniken der Frottage und der Collage habe Ernst außerdem magische Untergründe, für die wir blind waren, sichtbar gemacht. Eine Welt, die uns heute wieder im Zeitalter von von Chat GTP und KI ganz neue Impulse geben kann. Das Unbewusste lässt sich ebensowenig verdrängen wie das Magische. Die Kunst aber, die stets neue Wege sucht, aber bleibt die künstlerische Verwandlung dieser Erkenntnis.

Ein spezielles Ausbildungsprogramm für Kinder und Jugendliche der Fondation  CulturEspaces, Foto: Petra Kammann

 

Die Ausstellung: „Max Ernst. Modes Magiques, mondes libérés“

Bis zum 8. Oktober 2023

Hôtel de Caumont – Centre d’Art
3, rue Joseph Cabassol
F-13100 Aix-enProvence

www.caumont-centredart.com

#HotelDeCaumont

Mit dem Highspeedzug der SNCF, dem  TGV INOUI kann man von Frankfurt aus Aix-en-Provenve auf direktem Wege in knapp 10 Stunden erreichen.

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