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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

PAULA MODERSOHN-BECKER – Eine Werkschau in der Schirn

Ganz Worpswede und Tout Paris – Welch eigenständiger Aufbruch!

Petra Kammann über die moderne Künstlerin Paula Modersohn-Becker

Abwechselnd lebte und arbeitete sie zu Beginn des aufkeimenden 20. Jahrhunderts in der Künstlerkolonie Worpswede und in Paris, der Hauptstadt der Kunst. Selbstbewusst behauptete sie von sich: „Ich bin nicht Paula Moderssohn, ich bin nicht Paula Becker. Ich bin Ich und hoffe, es immer mehr zu werden.“ Trotz ihres kurzen Lebens hinterließ sie mit 31 Jahren ein umfangreiches Werk, das die Einflüsse beider Orte widerspiegelt und von großer Modernität geprägt ist. Von den rund 734 Gemälden und etwa 1500 Arbeiten auf Papier, die sie geschaffen hat, sind 116 Werke noch bis zum 6. Februar 2022 in der Schirn zu sehen.

Am Aufgang in der Schirn – die verschiedenen Gesichter der modernen Künstlerin Paula Modersohn-Becker; Foto: Petra Kammann

Paula Moderssohn-Becker (1876-1907) schuf Bilder von Menschen, die mir in ihrer Merk-Würdigkeit nicht mehr aus dem Kopf gehen: sperrig und  ungelenk in den Bewegungen sind sie mit ihren zu großen groben Händen und Armen dargestellt, präsent und abwesend wirken sie zugleich. Dann wiederum spürt man die Anteilnahme an den Dargestellten, gleich, ob die Künstlerin Kinder, Mütter, alte Bäuerinnen, Armenhäus(l)erinnen, die Künstlerin Clara Westhoff-Rilke oder den Dichter Rainer Maria Rilke malt oder einfach „nur“ sich selbst.


Paula Modersohn-Becker, Mutter mit Kind auf dem Arm, Halbakt II, 1906, Öltempera auf Leinwand, 80 x 59 cm, Dortmund, Museum Ostwall © Museum Ostwall im Dortmunder U, Dortmund. Foto: Jürgen Spiler, Dortmund

Mal schauen einen die Porträtierten mit großen traurigen Augen an, mal ist ihr Blick rätselhaft und geradezu archaisch. Ein andermal blicken sie entrückt in die Ferne, dann wiederum wirken sie in sich gekehrt, vorwärtsstürmend sieht man sie im Profil. Nur auf einem „Mutterporträt“, einem Halbakt aus dem Jahr 1806, huscht ein Lächeln über das Gesicht der dargestellten Person.

Die Mutter hält ein Kind auf dem Arm und eine Birne in der Hand zwischen ihren nackten Brüsten, während das Kind mit dem Apfel und ganz mit sich selbst beschäftigt ist. Eine Szene, die so selbstvergessen wie statutarisch wirkt. Nichts darin ist von der Geste einer verführerischen Eva zu spüren, noch von einer innigen Mutter-Kind-Szene, wie man sie aus etlichen Gemälden der Kunstgeschichte kennt.

Paula Modersohn-Becker, Selbstbildnis mit rotem Blütenkranz und Kette, 1906/07, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Rut und Klaus-Bahlsen-Stiftung, © Landesmuseum Hannover-ARTOTHEK

Der Sprung vom 19. ins 20. Jahrhundert

Modersohn-Becker war eine der eigenwilligsten und selbständigsten Künstlerinnen am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ihr selbst war jedoch der äußere Erfolg versagt. Schlendert man im Außenring der Schirn-Rotunde entlang ihrer Lebensdaten, so könnte man so manche Szene auf den dort hochprojizierten Schwarz-Weiß-Fotos für die Dokumentation einer ländlichen Idylle halten.

Schaut man sich hingegen ihre Bilder im Innern des Ausstellungshauses an, so drängen sich eher andere Schlüsse auf. Da spiegelt sich in einigen Bildern eher der Kampf mit einem Leben, das keine Luft zum Atmen zu geben schien. War es die ihr versagte Anerkennung, die sie zeit ihres kurzen Lebens immer weiter kämpfen und malen ließ, auch ein Bild der Armen und Notleidenden zu zeichnen – gewissermaßen aus Solidarität?

Trügerische Idylle vom Landleben in Worpswede? Biographisches im Umlauf der Rotunde; Foto: Petra Kammann

Zu ihren Lebzeiten konnte sie selbst sich jedenfalls gerade mal an zwei kleinen Sammelausstellungen beteiligen und vier Bilder verkaufen. Und das nicht etwa auf dem „freien Markt“. Die Bilder gingen an Freunde.

Hingegen setzte 1907, unmittelbar nach ihrem frühen Tod, setzte eine Art Modersohn-Becker-Boom ein, ihre Person wurde popularisiert, berühmt und mystifiziert. Nicht zuletzt das verbindet Paula – gewissermaßen als weibliches Pendant –  mit zwei männlichen Kollegen, die sie in Paris beeinflussten: mit den beiden einzelgängerischen Pauls, mit Paul Cézanne und mit Paul Gauguin, und das verbindet sie auch innerhalb der Kunstgeschichte.

Entstand kurz vor seinem Tod 1906, das Porträt des Gärtners Villier von Paul Cézanne, Privatbesitz 

Cézanne, der mit seiner Bildwelt „aus Farbe, Kegeln, Kuben und Zylindern“ in Frankreich die Malerei zwar revolutionierte, zu Lebzeiten aber eher als bäurisch wirkender Künstler weder sonderlich reüssierte noch von der Pariser Künstlerszene anerkannt wurde, galt aber dank einiger prominenter Kunsthändler wie Ambroise Vollard zum Ende seines unermüdlichen Schaffens hin immerhin bald als „Vater der Moderne“. Er starb 1906.

Seine Spuren hatte Paula Modersohn-Becker anlässlich ihrer Paris-Aufenthalte gerade noch erlebt. Der Galerist Vollard, der Cézannes Fähigkeiten erkannt hatte, eröffnete 1895 in seiner Pariser Galerie die erste Einzelausstellung mit seinen Gemälden. Sie riefen zunächst zwar viel Widerspruch hervor, führten aber doch zu einer breiteren Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers. Seine Bilder waren mit denen von Gauguin später dann auch im „Petit Palais“ zu sehen.

Ähnlich wie Paula Modersohn-Becker ihre vom Teufelsmoor geprägten Szenen variierte, so experimentierte auch er mit seinen ihm eingeschriebenen Motiven, wie etwa mit der Montagne Ste.Victoire bei Aix-en-Provence, die er gut 80 mal malte, aquarellierte, zeichnete, und auch er porträtierte sich immer wieder selbst oder Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung, Menschen ohne Rang und Namen so wie kurz vor seinem Tod seinen Gärtner Villier. Außerdem stellte er eigenwillig seine Stilleben zusammen, die dritte Dimension verfremdend.

Für ihn wurde es ebenso wichtig wie für Paula Modersohn-Becker, seine malerischen Kompositionen kühn parallel zur Natur zu erarbeiten, statt die Natur in der Malerei nachzuahmen, was in Ansätzen und oberflächlich bei den Impressionisten noch der Fall war. Allein, Cézannes Farbpalette war im Gegensatz zu der Malerin aus der Nähe von Bremen sehr viel südlicher, als es die erdigeren Töne der Malerin aus dem „Teufelsmoor“ waren.

Mit seinem analytischen Bildaufbau wurde Cézanne nicht nur zum Wegbereiter des Kubismus, dem Picasso und Braque als Kubisten folgten, sondern auch der abstrakten Malerei. Figuren und Landschaft gibt er in einem gleichartigen Farbauftrag wieder und verbindet sie mittels eines vereinheitlichenden künstlerischen Verfahrens. Seine neuartige Malerei konnte man seinerzeit im Pariser Herbstsalon zunächst im „Petit Palais“ erleben, wo die Indépendents 1903 ausstellten, nach seinem Tod 1907 dann auch im „Grand Palais“.

Während die beiden männlichen Kollegen von Modersohn-Becker von zwei auseinander liegenden Lebensorten, von Aix-en-Provence – Paris bzw. von Paris – Tahiti (Französisch-Polynesien) geprägt waren, war Paula von Worpswede, der dort lebenden Künstlerkolonie, vor allem aber von den einfachen Menschen der Umgebung zutiefst beeinflusst und hatte deren Gestalt förmlich verinnerlicht.

Innerhalb der Kunstgeschichte blieben alle drei Künstler Einzelgänger: Cézanne, Gauguin und Modersohn-Becker, und sie hielten an ihren jeweiligen Motiven zeitlebens fest.

Blick auf die Pariser Zeit und ihr Atelier; Foto: Petra Kammann

Inspirieren aber ließ Paula sich von der Kunststadt Paris mit ihrer quirligen Künstlersszene und den herausragenden Museen wie dem Louvre, den sie häufig besuchte, weil sie dort ungehemmt durch die Kunstgeschichte flanieren und sich gleichzeitig weiterbilden konnte. Sehr aufmerksam studierte sie ebenso die Kunst der klassischen Antike wie die der Ägypter, was sich im statuarischen Aufbau ihrer Porträts widerspiegelt.

Nach Paris zog es die norddeutsche Malerin unaufhörlich, auch machte sie sich allein auf den Weg. In Deutschland hätte sie nicht einmal offiziell eine Kunstakademie besuchen dürfen. Da waren Frauen zu ihrer Zeit noch nicht zugelassen. In der französischen Metropole wollte und konnte sie sich professionalisieren. In Paris lernte sie Aktzeichnen, denn sie wollte malen und ihren eigenen Stil entwickeln. Das hörte auch nicht auf, als sie schon mit dem eher traditionellen Landschaftsmaler Otto Modersohn aus Worpswede verheiratet war…

Paula Modersohn-Becker, Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, 1906, Öltempera auf Pappe, 101,8 x 70,2 cm, Museen Böttcherstraße,Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen

Als herausragend und als für die damalige Zeit absolut provokativ wurde Modersohn-Beckers Selbstbildnis mit dem Titel „6. Hochzeitstag“ aus dem Jahre 1906 empfunden. Da stellt sich die Künstlerin selbstbewusst als nackte Frau in ihrer Femininität dar, besonders mit dem gewölbten Bauch, der eine Schwangerschaft nahelegt. Immer geht sie beim Zeichnen und Malen ganz natürlich vor, wenn sie die Menschen nackt zeigt. In Paris hatte sie Aktzeichenunterricht genommen und hatte auch keinerlei Hemmungen, Männergestalten komplett nackt und als kraftvolle Gestalten aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeichnen.

„Wie ein Gewitter“ und „wie ein großes Ereignis“ muss nicht zuletzt Cézannes Malweise auf sie gewirkt haben. Zwischen 1905 und 1907 malte sie lauter Stillleben, die wegen der stürzenden Perspektiven an die Cézanne’schen Kompositionen erinnern, auch wenn die Ausschnitte der arrangierten Stillleben mit den Gegenständen des unmittelbaren Umfelds ebenso wie der Farbauftrag völlig anders wirken.

Ihre „Natures Mortes“ entstanden durchaus an beiden Orten, in Paris und in Worpswede. Und natürlich waren sie im Gegensatz zu den Akten und Porträts unverfänglicher, sodass diese sich nach ihrem Tod erst einmal  schneller verkaufen ließen.

Paula Modersohn-Becker, Stillleben mit Fisch,  Landesmuseum, Hannover 

Das Jahr 1907, ein Jahr nach dem Tod Cézannes, wurde für sie zum Schicksalsjahr. Sie kehrte von Paris, wo sie hochmotiviert und unaufhörlich arbeitete, nach Worpswede zurück, u.a., weil sie sich erstmalig durch den Bildhauer Bernhard Hoetger in ihrer künstlerischen Eigenart anerkannt fühlte. Und sie wurde schwanger. Zwischenzeitlich fand in Paris im Grand Palais eine Gedächtnisausstellung für die beiden französischen Künstler Cézanne und Gauguin statt.

Mit Rainer Maria Rilke, den damals in Paris lebenden Dichter und Sekretär Rodins, hatte Paula Modersohn nicht nur Rodins Atelier und dessen Arbeitsweise entdeckt, sie porträtierte auch den Dichter Rilke, was ihm kaum gefallen haben muss, denn er ließ das Porträt völlig unkommentiert. Aber er schickte ihr wenigstens den zur Ausstellung erscheinenden Katalog, um den sie ihn gebeten hat, nach Worpswede. So konnte sie die bildnerischen Neuerungen der Pariser Moderne noch wahrnehmen und ihre Erinnerungen an Paris wachhalten, bevor sie ihre Tochter Mathilde gebar und wenige Tage später darauf an einer Embolie starb.

Paula Modersohn-Becker, Brustbild eines Mädchens mit Kranz und Gänseblume in den Händen, um 1901

Den meisten ist die Malerin vor allem wegen ihrer zahlreichen Kinderporträts bekannt, welchen die Schirn-Ausstellung natürlich auch viel Raum widmet. Diese Porträts wirken niemals „niedlich“. Zu hart war wohl für die meisten dargestellten armen Kinder das Leben auf dem Lande, was sich auf ihren häufig traurigen Gesichtern widerspiegelt. Wie einen kostbaren Schatz tragen sie eine schlichte Blume vor sich her oder ein Blumenkranz auf dem Kopf. Das verlieht ihnen ein Stückchen Würde. So waren Kinder bis dato nie dargestellt worden.

Schirn-Direktor Philipp Demandt; Foto: Petra Kammann

Darauf geht auch Schirn-Direktor Philipp Demandt ein und zeigt dabei die weitergehende Perspektive der Ausstellung auf: „Während die einen sie als populäre Malerei von Kinderbildnissen, Müttern, Bauern und norddeutscher Landschaft schätzen, wird sie von anderen als Ausnahmekünstlerin der Moderne gefeiert und neben Picasso und Cézanne gestellt.“  Modersohn-Beckers Modernität, sie ist in der Frankfurter Ausstellung  unzweifelhaft erkennbar.

Überraschend und viel weniger bekannt sind ihre hier auch zu sehenden Skizzen und Gemälde von Paris, wo sie sich ab dem Jahreswechsel 1900 bis 1907 insgesamt viermal aufgehalten hatte, was in dieser Zeit für eine Frau, dazu eine verheiratete aus gutem Hause, absolut unüblich war.

Paula Modersohn-Becker, Blick aus dem Atelierfenster der Künstlerin in Paris, 1900, Öltempera auf Pappe, Kunsthalle Bremen, © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Nicht zuletzt war es in Paris auch die Tektonik der Stadt, die sie wohl dort faszinierte und die sie skizzenhaft festgehalten hat: Pariser Stadtansichten mit typischen Motiven wie Seine-Brücken, die Kathedrale Notre-Dame und Menschengruppen, den Blick aus ihrem Atelier und nicht zuletzt die Bleistiftskizzen ihres äußerst sparsam eingerichteten Ateliers.

In ihrem Minimalismus entsprechen diese Ansichten durchaus auch ihren früheren Landschaftsgemälden, den fast monochromen Mondlandschaften, vor allem auch ihren unorthodoxen Ansichten der herben und knorrigen, angeschnitten Birken, die in ihrer Ausschnitthaftigkeit in manchem geradezu an japanische Rollbilder erinnern.

Dr. Ingrid Pfeiffer, die Kuratorin der Schirnausstellung; Foto: Petra Kammann

Ingrid Pfeiffer, die äußerst kompetente Kuratorin (nicht nur) dieser herausragenden Schirn-Ausstellung, fasst es so zusammen: „Das erstaunliche Werk der Paula Modersohn-Becker, welches in knapp nur zehn Jahren entstand, wirkt wie ein Brennglas auf die formalen und inhaltlichen Debatten ihrer Zeit, insbesondere zur Kunst einer Malerin in einer für Frauen äußerst schwierigen Epoche. Immer wieder überrascht ihre Eigenständigkeit und ihr Mut, Motive zu malen, die praktisch nicht ausstellbar waren, weil sie ihre Umgebung überfordert hätten.

Das qualifiziert die außergewöhnliche Künstlerin zweifellos auch zum Mutmacher für junge heutige Künstlerinnen.

 

Die Ausstellung
„PAULA MODERSOHN-BECKER“

Blick in die Ausstellung; Foto: Petra Kammann


SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
Römerberg, 60311 Frankfurt
tel +49.69.29 98 82-0

Öffnungszeiten:
di, fr. bis so 10 – 19 Uhr, Donnerstag 10 bis 22 Uhr

mail: welcome@schirn.de
freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren
noch bis zum 6. Februar 2022

www.schirn.de

ONLINE ZEITTICKETS
Zeitfenstertickets zur Ausstellung sind im Vorverkauf im Onlineshop erhältlich unter:

www.schirn.de/tickets 

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Verlag Hirmer erschienen.
Ergänzend sei die Monographie „Paula Modersohn-Becker. Die Malerin, die in die Moderne aufbrach von Uwe M. Schneede empfohlen (Verlag C.H.Beck).

 

 

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