Katja Kabanowa an der Komischen Oper Berlin
Ein spannendes, psychologisches Kammerspiel mit überragenden Sängern
von Simone Hamm
Eine unglückliche Frau, ein schwacher Ehemann, eine biestige Schwiegermutter, ein strahlender Liebhaber – das sind die Hauptpersonen in dem Drama “Das Gewitter” des russischen Dramatikers N. Ostrowski aus dem Jahre 1859. Es spielt in der russischen Provinz. Vor hundert Jahren nahm Leon Janacek es zur Vorlage für seine nicht minder dramatische Oper Katja Kabanowa.
Die holländische Regisseurin Jetske Mijnssen interessiert nicht die russische Dorfgemeinschaft, nicht die bäuerliche Umgebung. Das Gesellschaftspanorama rückt bei ihr in den Hintergrund.
Sie blickt nach innen, in eine kaputte Familie. Alle sind gefangen in Konventionen. Deshalb spielt hier Inszenierung nicht im Russland des 19. Jahrhunderts, sondern irgendwann im vergangenen Jahrhundert, vielleicht in den sechziger Jahren.
Julia Katharina Berndt hat das passende Bühnenbild dazu geschaffen. Ihr kühler Bühnenraum ist in beigen und braunen Tönen gehalten. Es zeigt drei identische Zimmer mit hohen Flügeltüren, einen Esstisch, Stühle. Hier spielen sich täglich kleine Dramen ab.
Die Schwiegermutter wirft ihrem Sohn vor, er liebe sie nicht mehr, seit er geheiratet habe. Sie erniedrigt Katja Kubanowa und macht ihr das Leben zur Hölle.
Die drei Räume, die sich hin und her fahren lassen, verdeutlichen die fast klaustophische Enge, die muffige Spießigkeit. „Durch welche Tür Katja Kabanowa auch immer geht, sie kommt immer wieder bei sich selbst an, bei diesem Verklemmtsein, bei diesem Gefangenen in der Welt und diesem Nicht-raus-können.“, sagt die Regisseurin dazu.
Doris Lambrecht zeigt eine alte Frau, die zugleich wütend und verletzt ist. Auch sie ist gefangen in der häuslichen Enge und entkommt ihr, indem sie ein leidenschaftliches Verhältnis mit Dokoj eingeht. Jeske Mijnssen lässt diesen Patriarchen (Jens Larsen) in Unterhose auftreten und zeigt seine ganze Erbärmlichkeit hinter der poltrigen Fassade.
Einzig dem jungen Liebespaar Kudrasch (Timothy Olivier) und Barbara (Karolina Gumos) gelingt es, der Enge zu entfliehen. Sie gehen nach Moskau. Für Katja Kabanowa hingegen gibt es kein Entrinnen.
Das überragende, fein miteinander harmonierende Ensemble wird noch überstrahlt von Annette Dasch, die eine großartige Katja Kabaonva ist. Sie ist jung und verletzlich, erwartet mehr vom Leben. Sie ist tieftraurig und selbstkritisch.
Sie zeigt eindrucksvoll Katjas Begehren und die Angst davor: ein leises Zittern, eine Anspannung. Sie wird überwältigt von Selbstvorwürfen, schreit ihren Ehebruch heraus. Sie weiß, dass es jetzt kein Zurück mehr geben kann. All das ist zu sehen und zu hören, in feinsten Nuancierungen.
Bei Jeske Mijnssen geht Katja Kabanowa nichts in Wasser, sie vergiftet sich. Und alle stehen um sie herum und beweinen sie.
Der Chor bleibt unsichtbar. Das gibt der Aufführung etwas Geheimnisvolles. Nicht alles wird bis auf den Grund ausgedeutet.
Die lettische Dirigentin Giedre Šlekyte spannt den großen dramaturgischen Bogen von der zarten Verliebtheit bis zu Katjas Freitod. Sie arbeitet jeden noch so kleinen Kontrast heraus. Zurecht gilt sie als Shootingstar. Unter ihrem Dirigat erlebt das Orchester eine Sternstunde.
Es war ein Abend der Frauen: der Dirigentin Giedre Šlekyte, der Regisseurin Jetske Mijnssen, der Bühnenbildnerin Julia Katharina Brandt und der strahlenden Sängerin Annette Dasch. Gemeinsam haben sie einen großen Opernabend geschaffen.
Katja Kabanowa an der Komischen Oper Berlin:
Jens Larsen (Dikoj), Magnus Vigilius (Boris), Doris Lamprecht (Marfa Kaban), Ivan Tursic (Tichon), Annette Dasch (Katja Kabanowa), Timothy Oliver (Wanja Kudrjasch), Karolina Gumos (Barbara), Chorsolisten & Orchester der Komischen Oper Berlin, Giedre Šlekyte (Leitung), Jetske Mijnssen (Regie)
Nächste Aufführungen:
5.12., 8.12., 22.12.2021