„Paradies/Schwarz“: Anna Lehmann-Brauns in der Frankfurter Galerie Greulich
Von Erhard Metz
Es ist bereits zum dritten Mal, dass Andreas Greulich in seiner Galerie in der Frankfurter Fahrgasse Werke von Anna Lehmann-Brauns ausstellt (zuvor schon hatte er Arbeiten der Künstlerin im Wiesbadener „Kunstadapter“ präsentiert), und der Beobachter der Ausstellungsszene müsste wissen, dass es sich um fotografische Werke handelt. Gleichwohl – wer sich nicht mehr daran erinnert oder heuer unbefangen durch die Schaufenster der Galerie blickt, wähnt nicht nur im ersten Moment, Malereien vor sich zu haben. Vielmehr verstärkt sich dieser Eindruck, wenn man die Galerie betritt und sich etwa dem Bild „Farbdosen“ nähert: Das soll kein Gemälde sein?
Die Künstlerin mit ihrer Arbeit „Farbdosen“, 2014, Farbpigmentdruck auf Aluminium, Auflg. 6, 132 x 132 cm (Foto oben: Erhard Metz)
Und auch der fast schon phosphorisierend leuchtende Stuhl vor einer kulissenhaft anmutenden, segmentierten, vielfarbigen, allerlei Fantasien beflügelnden Fläche – kein Gemälde?
Grüner Stuhl, 2014, Farbpigmentdruck auf Aluminium, Auflg. 6, 40 x 40 cm
Erst der Blick aus nächster Nähe vermag den Zweifelnden zu überzeugen: Es handelt sich tatsächlich um Foto-Drucke. Was für eine Fotografie!
Erinnern wir uns an die Bedeutung dieses zusammengesetzten Wortes „Photo“-„Graphie“: aus dem Griechischen von φῶς phōs, „Licht“ und γράφειν, graphein, „schreiben“, „malen“: Fotografieren – photographieren – heisst also vom Ursprung her nichts anderes als „mit Licht malen“.
Zweifellos – Anna Lehmann-Brauns ist als Fotografin eine Malerin, eine Licht-Malerin.
Aber führt dann der Titel der Ausstellung „Paradies/Schwarz“ nicht in die Irre?
↑ Betty Blue, 2014, Farbpigmentdruck auf Aluminium, Auflg. 6, 70 x 70 cm
↓ Nilpferd, 2014, Farbpigmentdruck auf Aluminium, Auflg. 6, 100 x 100 cm
Wohin führen uns die Fotografien der Künstlerin denn überhaupt?
Vielleicht in eine Märchenwelt, in Kindheitsträume? Oder sind es nicht vielmehr auch Alpträume? In ein Theater, oder hinter die Kulissen einer Bühne? Vielleicht auf einen Rummelplatz, in die dunklen Gleisstollen einer sogenannten Gespenster- oder Geisterbahn? Als Kind haben wir dieses balancierte Wechselspiel von Angst und Lust auf eine heute schwer ergründliche Weise gesucht. Und diese Angst-Lust in tagträumenden Fantasien und nächtlichen Echt-Träumen ausgesponnen. Die als Kind heiss geliebten Filme mit Dick und Doof haben uns ebenso begleitet wie die Kölner Heinzelmännchen aus dem Märchenbuch, der Ochs war uns von der Weihnachtskrippe vertraut, das Nilpferd kannten wir allerdings noch nicht – ebensowenig die bunte Tierwelt eines Franz Marc, in der das Nilpferd durchaus ein Rosa und die Giraffe ein Blaugrün hätte annehmen können …
Aber nun: „Paradies/Schwarz“ fordert uns immer noch als Titel der Ausstellung heraus. Sollen wir denn am ungelösten Ende nun doch die Künstlerin fragen – warum nicht? Auch um den Preis, dass sie uns unserer schön-schaurigen Tag- und Nachtträume beraubt?
„Durch Zufall stieß ich im Sommer 2013 auf die polnischen Produktionsstätten. Für den Export in Vergnügungsparks, Kleingärten und Kinderspielplätze in alle Welt werden hier Figuren aus Fiberglas gefertigt, die dann zuckerbunt lackiert werden. Während des mehrstufigen Herstellungsprozesses warten die Figuren teils kopflos, abgeschnitten oder in ungewollt komischer Formation mit anderen Figuren auf ihre weitere Bestimmung. So finden sich Grüppchen zusammen: Dick und Doof neben Schwein, Giraffe und Engel. Die Fabrikationshalle ist Teil einer ehemals deutschen Garn-Fabrik, in Schlesien gelegen. Diese besteht aus mehreren Hallen und Einzelhäusern, beheimatet auf einem großen Industrieareal. Einige wenige dieser Hallen werden noch bespielt, unter anderem durch die Produktion der Fiberglas-Figuren. Der Rest der Anlage verrottet seit Jahrzehnten, an diesem Ort wird jüngste Geschichte und soziale Realität deutlich. Die Deutschen und der Staatssozialismaus haben hier Zerstörung und Verwüstung hinterlassen, heute fordert der Hochkapitalismus seine Opfer.
Die Arbeiter tragen keine Schutzmasken, der scharfe Geruch der hochgiftigen Lacke und Härter schwängert schon die Luft um das Gebäude herum, in den Produktionsstätten selbst ist er unerträglich. Der Lackstaub, der beim Lackieren der Figuren mit der Spritzpistole entsteht, liegt wie eine zauberhafte Staubschicht über der ganzen Szenerie, doch der pastellfarbene Staub, der wie aus einem Märchenland wirkt, legt sich auch genauso fein auf Lungen und Bronchien.“
So und genau so ist das Leben. „Paradies/Schwarz“. Oder besser vielleicht in diesem Fall nur – ganz ohne Paradies – „schwarz“?
↑ Giraffe, 2014, Farbpigmentdruck auf Aluminium, Auflg. 6., 100 x 100 cm
↓ Leopard, 2014, Farbpigmentdruck auf Aluminium, Auflg. 6, 100 x 100 cm
Anna Lehmann-Brauns‘ artifizielle Räume sind oft von Tieren bestimmt, aber menschenleer, und doch verweisen sie, wie sie sagt, auf diejenigen, die in ihnen ihre Spuren hinterlassen haben: die Menschen also. Wie durch eine Mattscheibe fotografiert wirken ihre Aufnahmen: Auf allem nicht nur scheint der Schleier eines Staubes zu liegen – denn dieser ist real. Ihr künstlerisches Werkzeug ist die analoge Mittelformat-Kamera, und sie fotografiert mit Stativ, kleiner Blende und teils längeren Belichtungszeiten. Kunstlicht vermeidet sie. Faszinierend sind die Arbeiten, die auf diesem Wege entstehen.
Anna Lehmann-Brauns, 1967 in Berlin geboren, studierte nach dem Abitur in Frankfurt am Main Soziologie und Psychologie an der Universität Gießen und anschliessend an der Freien Universität Berlin. Zwei Jahre später nahm sie das Studium der Fotografie und der Freien Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig auf, das sie als Meisterschülerin von Professor Joachim Brohm abschloss. Ihre Ausstellungen im In- und Ausland sind ebenso reich an Zahl wie die Preise und Auszeichnungen, die sie erhielt.
„Paradies/Schwarz“, Galerie Greulich Frankfurt am Main, bis 18. April 2015
Abbildungen und Fotos (soweit nicht anders bezeichnet) © Anna Lehmann-Brauns