Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 7
Ein Reisebericht
7. Teil: Granada (1) Die Alhambra
Text und Fotos: Renate Feyerbacher
Blick vom Hügel Albaicín auf die Alhambra
„Granada, Du Land meiner Träume, in den Tönen des Gitanos singe ich für Dich“. Wer hat nicht die Melodie des Liedes im Ohr, das der mexikanische Komponist Augustín Lara 1932 komponierte und das grosse Tenöre, aber auch Schlagersänger gerne trällern?
„Wer Granada nicht gesehen hat, hat nichts gesehen“ so heisst es in einem spanischen Sprichwort.
Granada ist eine Stadt der Sehnsucht: Es sind die Alhambra, das bedeutet im Arabischen „die Rote“, aber auch die herrliche, von der Sierra Nevada umgebene Lage, die Touristen aus der ganzen Welt jährlich anlocken.
Federico García Lorca, der berühmte Dichtersohn Granadas, nannte die Alhambra den ästhetischen Mittelpunkt der Stadt. Diese grandiose Palastanlage aus der maurischen Zeit und der Generalife, einst Lustschloss der Nasridensultane, und die wunderschönen Gärten ziehen magisch an.
Lorca konnte noch nichts von den Besucherströmen – vor allem asiatischen – ahnen, die sich durch das Weltkulturerbe bewegen, zu Spitzenzeiten sogar strömen.
Touristen
Die Eintrittskarten hatten wir frühzeitig per Internet bestellt, und ohne Probleme und Anstehen wurden sie uns im Geschäft der Alhambra mitten im Stadtzentrum ausgehändigt.
Das grosse Anstehen beginnt in der Anlage vor dem Palast Karls V. Nur stossweise wird eine abgezählte Personenzahl in das Nasridendenkmal – zu vorgegebener Zeit – eingelassen.
Hitze und nur noch geringe Wasservorräte in der Tasche machen zu schaffen. Es dauert. Nur wenige Sitzgelegenheiten gibt es für den Besucherstrom. Beim Anstehen wechseln wir uns ab. Eine steht in der Warteschlange, die andere besichtigt derweil schon einmal den auch schattenspendenden Palast Karls I. von Spanien, der später Kaiser Karl V. wurde.
Palast Karls V.
Karl V. besuchte Granada 1526 nach seiner Vermählung mit Isabella von Portugal in Sevilla. Es ist zu vermuten, dass er kein Zentrum des Reiches in Granada schaffen wollte, wohl aber eine symbolische Erinnerung an die Eroberung des letzten maurischen Bollwerkes durch seine Grosseltern Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón. Das war 1492.
Fassade des Palastes Karls V.
Es ist ein mächtiger Bau im Renaissancestil, der im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts – 1527 – als Kaiserresidenz begonnen, aber nicht vollendet wurde. 1568 wurden die Bauarbeiten, die Moriscos – getaufte Christen maurischer Herkunkt – ausführten, gestoppt und 1637 endgültig aufgegeben. Der Bau ist daher nicht überdacht. Erst zu Beginn der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde an der Herstellung des Gebäudes gearbeitet. Seit 1958 befindet sich im Obergeschoss das Museum der Schönen Künste und im Untergeschoss seit 1994 das Alhambra-Museum. Es beherbergt die beste existierende Sammlung von Nasridenkunst.
Südportal
Wuchtig wirkt das quadratische Gebäude im Untergeschoss, das aufgelockert wird durch grosse Bronzeringe mit Löwenköpfen, die in die Quader eingelassen sind. Das Obergeschoss zeigt dagegen eine vielfältige Renaissance-Gestaltung.
Auch zwei römisch verzierte Marmorportale lockern die untere Fassade auf. Die Säulenpaare mit Dreiecksgiebel des Südportals, die ein Relief mit Viktoria und Löwen zieren, stehen links und rechts des Südportals auf Reliefsockeln. Auch die Reliefs am Hauptportal an der Westseite sind symbolische Darstellungen, die den Friedenswillen des Kaisers dokumentieren sollen.
Löwenring
Erstaunen, wenn man den Palast betritt: Der Innenhof ist rund, hat zwei übereinander liegende Galerien – ein Glanzstück der Renaissance. Zweiunddreißig Säulen in dorisch-toskanischem Stil aus Konglomeratgestein tragen sie. Das ist aus Kies und Geröll zusammengeballtes Gestein, das aus Ablagerungen in Flüssen oder an Erosionsküsten weltweit vorkommt, so auch in Loja, einem kleinen Ort westlich von Granada.
Dieser schöne Innenhof ist heute auch Ort kultureller Veranstaltungen.
Der Palast grenzt direkt an die Alhambra, an die Nasridenpaläste. Warum wurde das maurische Ensemble nicht mehr respektiert, indem der Palast woanders gebaut wurde?
Wahrscheinlich sollte der Triumph des Christentums über den Islam massiv ausgedrückt werden. Der Kontrast von mittelalterlicher Architektur, islamischem Kulturgut und Renaissance-Baukunst ist ein spannendes architektonisches Zeugnis der Geschichte.
Blick vom Alcazaba (Festung) auf den Karls-Palast und den Torre de Comares; unten Ausgrabungen
Geschichtsdaten
Zur Erinnerung einige historische Fakten:
711 wurden Granada und Córdoba von den Mauren erobert. 756 machte Prinz ‘Abd al Rahmân, der einzige Überlebende der Familie der Umayyaden, Córdoba zur Hauptstadt von al-Andalus. Der junge Prinz war aus Damaskus geflohen. Dort waren sämtliche männlichen Familienmitglieder ermordet worden. Die islamische Herrschaft auf der Halbinsel wurde durch die Gründung des Emirats Córdoba gefestigt. 785 wird mit dem Bau der Moschee (Mezquita) in Córdoba begonnen. Bis 929 bestand dieses Emirat.
Der spätere Emir ‘Abd al-Rahmân III., der ab 912 fast 50 Jahre regierte, ernannte sich 17 Jahre später zum Kalifen. Córdoba wurde Kalifat. Wissenschaftler nennen sie die längste und glanzvollste Herrscherperiode in der Geschichte von al-Andalus (Georg Bossong: „Das maurische Spanien“ und Hans-Rudolf Singer: „Minarett und Kirchturm: Die arabische Herrschaft in Europa“).
Das Kalifat bestand bis 1031. Aber die Zersplitterung begann schon vorher. Es gründeten sich ab 1009 die Taifa-Königreiche. Taifa bedeutet: Schar, Gruppe, Partei, Sekte.
Die berberischen Ziriden hatten nun ihre Chance und gründeten ihr Königreich Granada, das bis 1090, 80 Jahre lang, bestand.
In dieser Zeit bauten der jüdische Magnat Samuel ha-Nagid und sein Sohn Yehosef die Alhambra, die bereits im 9. Jahrhundert erwähnte, aber verfallene Burg wieder auf, erweiterten sie und machten sie zu einer prachtvollen Residenz – zur roten Burg. Der berühmte Löwenbrunnen im Nasridenpalast soll aus dieser Zeit stammen.
Löwe vom Löwenbrunnen im Patio de los Leones
Der Jude Yehosef erzürnte jedoch durch seinen Protz und sein Bestreben, eine jüdische Taifa zu gründen, die muslimische Bevölkerung, und es kam 1066 zum Pogrom, dem seine Familie und weitere 1500 Juden zum Opfer fielen. Granada blieb dennoch ein Zentrum jüdischer Intellektueller.
Ende des 11. Jahrhunderts gelangen die Almoraviden an die Macht nicht nur in Granada, sondern auch in anderen Städten. Dann wurden sie von den Almohaden, einer militärisch-religiösen Bruderschaft, abgelöst. Beide Dynastien kommen aus dem Berbertum.
Die Reconquista, die Rückeroberung der Halbinsel durch die Christen, wurde immer massiver: 1236 fällt Córdoba, 1248 Sevilla. Aber nicht ganz gelang die Rückeroberung: Granada blieb, regiert von der Dynastie der Nasriden, bis 1492 islamisch.
Wieso war das möglich? Muhammed I. al- Ahmar, der Gründer der Nasriden-Reiches (1237-1492), hatte König Ferdinand III. in seinem Kampf gegen Córdoba unterstützt; dafür erlaubte er ihm die Übernahme der Macht in Granada. Später musste er auch gegen Sevilla mitkämpfen und Gebiete abtreten. Er war quasi ein Vasall der christlichen Krone von Kastilien.
Als er 1237 in Granada einzog, begann er sofort mit der Bautätigkeit in und um die Alhambra, die seine Nachfolger fortsetzten. Vor allem Muhammad V., der bedeutendste Nasride, der von 1354 bis 1391 mit Unterbrechung herrschte, betrieb den endgültigen Ausbau der Alhambra. Eine friedvolle Zeit gönnte er dem Volk.
Am 2. Januar 1492 kapitulierte der letzte nasridische König, Muhammed XI., im Volk als Boabdil bekannt, nach langer Belagerungszeit und übergab dem christlichen König die Schlüssel der Stadt Granada. In der Kathedrale zeugt ein Bild von der Schlüsselübergabe.
Nur wenige Monate später unterzeichneten die katholischen Könige, Isabella und Ferdinand, in der Alhambra das Edikt, alle Juden, Sepharden, aus Spanien zu vertreiben. Die Vertreibung war endgültig und radikal.
Ritualmord-Legenden – wie sie Heinrich Heine in „Der Rabbi von Bacherach“ erzählt – und die Ermordung des Großinquisitors von Aragón waren unter anderem Anlass für das Edikt. Dabei waren es immer wieder jüdische Magnaten, die das Herrscherpaar unterstützt hatten. Ausserdem fielen viele der zum Christentum konvertierten Juden der Inquisition zum Opfer.
Ein Jahrhundert später waren es die Moriscos, die christlich getauften Mauren, die ausgewiesen wurden.
Die Alhambra vom Generalife-Palast aus
Aufbau und Verfall
Die neue historische Etappe der christlichen Könige brachte einige Veränderungen am Ensemble der Alhambra mit sich. Allerdings bemühten sich die Königshäuser, das maurische Erbe zu erhalten. Die Bautätigkeiten wurden forciert. Das Amt des Burgvogts wurde eingerichtet. Maurische Handwerker, die Moriscos, sorgten für die Instandhaltung.
Karl V. wohnte mit seiner soeben vermählten Frau, Isabella von Portugal, sechs Monate lang in der Alhambra.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Alhambra sträflich vernachlässigt. Verfall setzte ein. Am Schlimmsten war die napoleonische Invasion: Die Alhambra wurde zur Kaserne. Die Soldaten der napoleonische Armee zerstörten, plünderten und sprengten acht Türme, als sie 1812 abzogen, um die Festung nicht den spanischen Rebellen zu überlassen. Nur der mutige Einsatz des spanischen Hauptmanns vom Invalidenregiment, der in einer Schlacht ein Bein verloren hatte, verhinderte die totale Zerstörung. Ihn ehrt eine Gedenktafel.
Erst die Klagen des reisenden amerikanischen Schriftstellers Washington Irving über den Zustand der Alhambra erregten die Aufmerksamkeit der Regierung. Seine Schrift „Tales of the Alhambra“ (Erzählungen von der Alhambra – 1832) brachte das Denkmal ins Bewusstsein der Reisenden.
Zwar wurden die Familien der Gouverneure, die dort wohnten und nichts zum Erhalt der Alhambra beitrugen, hinaus komplimentiert, aber Galeerensträflinge zogen ein, um dort zu arbeiten.
Die Ehefrau eines Gouverneurs „sperrte ihren Esel in der wunderbaren Kapelle ein und machte den Patio der Mezquita zu einem Schafgehege“ heisst es im offizieller Führer).
Die Nasriden-Paläste
Die Aussenmauern der spanisch-maurischen Gebäude sind schlicht und glatt. Welche Pracht sich in ihnen verbirgt, ist nicht zu erkennen, auch nicht die soziale und wirtschaftliche Stellung ihrer Bewohner. Wie später zu sehen ist, werden privater und öffentlicher Bereich klar getrennt.
Endlich – nach etwa einer Stunde Wartezeit oder mehr in grosser Hitze – betreten wir den Mexuar, einen Palast aus dem 14. Jahrhundert. Sein zentraler Saal wurde mehrfach umgebaut, zuletzt im 16.Jahrhundert in eine christliche Kirche.
Sala de Mexuar
Täfelung der Decke, Fliesendekoration der Wände
„Die Geometrie ist der Rahmen und die Grundlage der gesamten Dekoration“, heisst es im offiziellen Führer der Alhambra. Deutlich wird das an den Fliesen, die überall verwendet wurden. Ein Kreis mit Quadrat sind die elementaren Formen der Dekoration. Das Quadrat wird gedreht, ein Stern gebildet, der je nach Grad der Drehung acht bis vierundzwanzig Zacken haben kann. Es gibt längliche Sechsecke, viele Sternvarianten und lampenförmige Gebilde.
Blick aus dem sich anschliessenden Betsaal (Sala de Oración)
Ein Innenhof ist schöner als der andere. Mehrere Schulklassen sind an diesem Tag in der Alhambra unterwegs. Mehr oder weniger hören diese Kinder zu. Wen wundert es bei den vielen historischen Fakten, fremden Namen und der architektonischen Vielfalt.
Innenhof und Portikus des Cuarto Dorado (Goldenes Zimmer)
Die Sultane des 14. Jahrhunderts empfingen im Cuarto Dorado ihre Untertanen. Gegenüber dem Portikus liegt das Portal des Palacio de Comares. Es war die Residenz des Sultans und seiner Familie und zeitweise Thronsaal. Seine Fassade zählt zu den bedeutendsten Werken islamischer Kunst. Sie entstand 1370 auf Geheiss Sultans Muhammad V. und ist ein Höhepunkt der nasridischen Handwerkskunst.
Fassade des Palacio de Comares
Prächtig ist die hölzerne Dachtraufe, ein Meisterwerk der Tischler. Fein und vielfältig sind die Stuckarbeiten mit einem Zitat aus dem Koran. Kleine Stalaktitengewölbe mit Mini-Säulen bilden ein Abschlussband.
Dann betreten wir den Patio de los Arrayanes (Myrtenhof – ursprünglich Hof des Wasserbeckens), ein beliebtes Fotomotiv. Klar gegliedert, fast streng wirkt er. Es ist wieder nicht zu vermuten, dass sich in seinem Torre, dem strengen Kubus, ein Meisterwerk von dekorativer Kunst verbirgt.
Patio de los Arrayanes mit Blick auf den Torre de Comares
Der Patio (Innenhof) ist das Herzstück des Wohnhauses. Er ist repräsentativ für die Architektur der damaligen Zeit. Ökologische Bedeutung haben die Gärten, die Innenhöfe mit Wasserbecken und Brunnen. In seiner ruhigen Wasseroberfläche spiegelt sich die Architektur und verdeutlicht ihre Symbiose mit der Natur, „die an wenigen Orten so sehr angestrebt und so perfekt verwirklicht worden ist wie in der Alhambra der Nasriden“ (Offizieller Führer).
Das Wasser ist Zeichen von Macht und Wohlstand.
Wasserspiegelung
Von hier aus geht es zur Sala de la Barca (Saal des Schiffs, so genannt wegen seiner schiffsähnlichen Deckenform, wahrscheinlich aber abgeleitet von dem arabischen Wort al-Baraka, das bedeutet der Segen). Man vermutet, dass in diesem Saal zwischen dem Innenhof und dem Thronsaal (Salón del Trono oder Embajadores – Saal der Gesandten) der Sultan, bevor er in den Thronsaal ging, den göttlichen Segen erflehte. Unter Muhammad V. (1354-1359 und 1362-1391) wurde der Thronsaal vollendet. Sein Name ist dort auch verewigt.
Thronsaal, Details der Wanddekoration
Muhammad V. ist der Erbauer des Palacio de los Leones (Löwenpalast), in dessen Innenhof der weltberühmte Löwenbrunnen steht. Seine marmorne Schale wird von zwölf Löwen getragen. Auch sie aus Marmor. Sie sollen die 12 Monate symbolisieren und damit den Kreislauf der Welt. Jedes Tier hat einen anderen Gesichtsausdruck. Zum Angriff bereit, die Ohren aufgestellt, die Zähne zusammengepresst, nur die Lücke für das kleine Wasserrohr freilassend, stehen sie da – Symbole der Macht, Symbol der Sonne. Wunderbar die Details, die der Künstler herausarbeitete – Meisterwerke der Skulptur aus lang vergangener Zeit.
Löwenbrunnen im Patio de los Leones
Wir hatten Glück: Wären wir zwei, drei Tage früher in die Alhambra gekommen, hätten wir die Löwen nicht zu Gesicht bekommen. Wir erlebten ihre Rückkehr nach mehrjähriger Renovierung. Der gesamte Hof war über Jahre Touristen nicht zugänglich. Über 200 Handwerker haben etwa ein Jahrzehnt an der Renovierung des Patio, des Brunnens, aber auch an der Hydraulik der Alhambra gearbeitet. Der Löwenbrunnen und andere Brunnen in der Anlage fliessen nun wieder.
Ein Säulengang umrahmt den Hof.
Säulengang um den Löwenhof
Vier Säle liegen um den Hof, einer schöner als der andere. Der Sala de Dos Hermanas (Saal der Zwei Schwestern) ist der Hauptraum, um den sich alles dreht. Seine aussergewöhnliche Kuppel ist der Höhepunkt maurischer Dekoration. Ein Stalaktitengewölbe in Sternform, das sich wieder aufteilt in sechszehn kleine Kuppeln über sechzehn Fenstern.
Gips ist das Material für viele der dekorativen Gestaltungen. Die muslimischen Handwerker verarbeiteten ihn in der Alhambra zu einzigartigen, einmaligen Gebilden.
Decke des Sala de Dos Hermanas
„Ich rühme mich, bei meinem Herrn Mohammed, Vergangenes, Künftiges zu überragen. Bei Gott, der Bau ist schön, er übertrifft im Richterspruch des Glücks alle Paläste, so viel zur Freude bietet er dem Blick“ (aus dem Gedicht „Der Saal der zwei Schwestern“ von Ibn Zamrak, dem wichtigsten Dichter am Hof Mohammeds V. – zitiert aus dem Buch „Das Wunder von al-Andalus – Die schönsten Gedichte aus dem maurischen Spanien“, übertragen und erläutert von Georg Bossong).
Die schönsten und meisten Inschriften, epigrafische Dekorationen, an den Wänden der Alhambra stammen vom Hofdichter Ibn Zamrak.
„Die Verbindung von Dichtung, Kalligraphie und Architektur, wie sie in der nasridischen Alhambra verwirklicht worden ist, kennt in der Kulturgeschichte der Menschheit keine Parallelen“, schreibt der in Zürich lehrende Professor für romanische Philologie Georg Bossong.
Besonders eindrucksvoll sind die kalligraphischen Texte, die überall zu sehen sind. Derzeit werden etwa zehntausend Inschriften wissenschaftlich entschlüsselt.
Nur eine Kostprobe kann es hier geben: Die folgenden Motive befinden sich am Fries des Eingang zum Thronsaal (Sala de Comares). Es sind die Verse 5 und 10 von insgesamt zwölf Versen des Hofdichters Ibn Zamruk zu Ehren von König Muhammad V. Darin werden seine militärischen Siege besungen, vor allem der über die Christen 1369 in Algecíras.
„Und davor erobertest du zwanzig Festungen
und machtest alles was darin war zu Kriegsbeute für deine Truppen.“
Inschriften im Myrtenhof
„Du stiegst hinauf zum Horizont des Königreichs, aus Barmherzigkeit
um zu erhellen was die Ungerechtigekit verdunkelt hat“ (Übersetzungen Astrid Greussing).
Das folgende Foto stammt aus dem Thronsaal – es ist ein Lobpreis auf den Herrscher, in Prosa geschrieben:
„Göttlicher Beistand, Stärkung und klarer Sieg für unseren Herren Abû l-Hadjdjâdj*, Beherrscher der Gläubigen; Gott befestige seine Macht und kräftige seinen Sieg!“ (Übersetzung Puerta Vílchez und Georg Bossong).
*Name mehrerer Nasriden-Könige
Thronsaal
Man braucht Tage auch als Tourist, um diese architektonischen, bildnerischen Kunstwerke der Alhambra in ihrer ganzen Schönheit zu erkunden und viel Platz, um darüber zu schreiben. Deshalb hier nur noch ein Blick nach draussen.
Generalife
Auch die Beschreibung des grossen Areals ausserhalb der Paläste sprengt den Rahmen des Beitrags. Dennoch müssen der weiträumige Partal mit seinen Moriskenhäusern, den Casas de las Pinturas (Häuser der Maler), mit seinen Terrassen, mit dem Palacio del Pórtico und seinem Torre de las Damas erwähnt werden. Der Palacio del Pórtico ist der älteste in der Alhambra erhaltene Palast, erbaut von Muhammad II., und hat Ähnlichkeit mit dem Palacio de Comares. Auch hier ein grosses Wasserbecken.
Palacio del Pótico und Torre de las Damas
Die Gärten sind wie eine Vorahnung vom Paradies.
Ausserhalb der Befestigungsmauern der Alhambra liegt der Generalife, ein Lustschloss der Sultane, das „Königliches Haus der Glückseligkeit“ genannt wurde. Er trägt die Handschrift Muhammads II., aber auch Muhammads V., des grossen Bauherrn und Förderers der Dichtkunst und der Malerei, der 40 Jahre regierte.
Generalife-Palast
Es war aber auch ein Anwesen, das landwirtschaftlich genutzt wurde, wie teilweise auch heute. Im Mittealter hatte es hier vier Gemüsegärten, Obstanbau und Viehhaltung gegeben.
Abends verlassen wir durch die Puerta de las Granadas die Alhambra und erreichen über den historischen, 1150 Meter langen Fußweg Cuesta de Gomérez die Plaza Nueva im Stadtzentrum. Erschöpft steuern wir unser Stammlokal an.
Verwendete Literatur:
Jesús Bernúdez López und Mitarbeiter: „Die Alhambra und der Generalife“, Offizieller Führer
Georg Bossong: „Das maurische Spanien“, Geschichte und Kultur
Georg Bossong: „Die Sepharden“, Geschichte und Kultur der spanischen Juden
Hans-Rudolf Singer: „Minarett und Kirchturm: Die arabische Herrschaft in Europa“ in: Die ZEIT – Welt-und Kulturgeschichte Bd. 6
„Das Wunder von al-Andalus“, Die schönsten Gedichte aus dem Maurischen Spanien; übertragen und erläutert von Georg Bossong
Diplomarbeit von Astrid Greussing: „Die Alhambra in Granada“, Funktion und Inhalt wichtiger arabischer Schriften, Wien 2011
Professor Georg Bossong half bei der Übersetzung der arabischen Schrift.
→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 8 (Granada 2)
→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 1 (Málaga)