home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Andrea Büttner: Kunst im Campanile der Weissfrauen Diakoniekirche

Eine Mönchsklause hoch über der Gutleutstrasse

Von Erhard Metz

L1200568-430

Wir wussten, dass Andrea Büttner den Auftrag erhalten hatte, den Campanile der Weissfrauen Diakoniekirche im Rahmen der umfassenden Renovierung des Turms künstlerisch auszugestalten, und was sich dort oben, in der zweiten Turmetage, tat, war eigentlich nicht zu übersehen, schon gar nicht von den Besuchern der Kunstereignisse, die in der Kirche regelmässig stattfinden. Für den Herbst dieses Jahres, wenn auch die Aussenanlagen des Grundstücks neu hergerichtet sein werden, ist eine entsprechende Eröffnungsveranstaltung geplant.

L1200554-430

L1200561-430

Bis zum Herbst also warten? Diese Vorstellung stachelte unsere ohnehin über die vergangenen Wochen gewachsene Neugier, was es mit dem sauber gefügten Holzbretterverschlag hoch über der Gutleutstrasse wohl auf sich haben könnte, bis zum Es-geht-nicht-mehr an. Der Kurator zeigte ein Einsehen und gewährte dem Nachsuchenden Einlass.

L1200546-430

Vom Aufgang zum Kirchengebäude in der ersten Etagenlage geht es über eine kleine Brücke zur verschlossenen Tür des Campanile, dann eine schmale, steile Wendeltreppe nach oben, und wir stehen vor einer weiteren Tür, deren Öffnung uns in das Geheimnis eintreten lässt: einen kleinen, gänzlich aus Holz adrett gefertigten Raum, einer Klosterzelle oder klösterlichen Klause nachempfunden.

Eine gute Stunde bis zur Schliessung der Kirche hielten wir uns, nachdem wir die Aufsicht gebeten hatten, uns ja nicht zu vergessen, an diesem einsamen Ort auf. Die Intention der Künstlerin geht allerdings dahin, dass der Besucher zumindest eine Nacht dort in der „Höhe“ verbringen sollte: über dem „Darunter“ auf der Strasse – dem Eingang zum Obdachlosentreff der Diakonie „Weser 5“ im Untergeschoss der Kirche.

L1200539A-430

Der Raum überrascht uns: Im Grunde genommen geht es sehr viel komfortabler zu, als wir es uns vorgestellt hatten, es ist alles da, was man braucht, in einfacher zwar, aber gediegener Ausführung. Ein Tisch und ein Stuhl, ein Hängeregal und eine Wandnische, ein Einbauschränkchen als Raumteiler mit zwei Türen und zwei Schubläden in freundlichem Grün, eine Zimmerbeleuchtung und ein modernes, komfortables Bett samt Decke und Kopfkissen. An dessen Kopfende zwei kleine Fensterchen nach Osten, ein drittes kleines nach Süden gerichtet: der Morgen- und Mittagssonne wird Einlass gewährt. Kleine Vorhänge lassen Intimität zu, eine winzige Wandnische in Dunkelblau, mit Leseleuchte versehen, lädt zum Ablegen eines Buches ein, eine Bibel passt gewiss hinein.

L1200535-430

L1200525-650

Wir setzen uns nieder an den Tisch, der Blick geht hinaus durch das nach Westen gerichtete grössere Fenster, und wir gewahren, erneut überrascht, dass wir uns auf gleicher Höhe mit dem Friedensengel befinden, der die strassenseitige Fassade der Kirche ziert. Die rund drei Meter an Höhe messende Skulptur hat der rheinische Metallbildhauer Professor Joseph Jaekel (1907-1985) geschaffen.

L1200517-430

L1200543-430

Eine fensterlose Tür lässt sich zur Strassenseite hin öffnen. Viel Raum bleibt nicht bis zum Gitterwerk des Turms. Wir schliessen sie alsbald wieder, dem Verkehrslärm dort unten in der Tiefe geschuldet.

L1200529-430

Zur weiteren künstlerischen Ausgestaltung des Campaniles gehören die Erneuerung des Gitterwerks, nunmehr statt in Beton in Holz, eine hölzerne Verkleidung der Unterseite des Turms sowie vier Bronzeskulpturen an dessen Fassade: zwei kleinere und zwei grössere. Eine von ihnen erinnert an einen Hund, alle vier könnten jedoch, so Kurator Thomas Kober, als Griffe verstanden werden, an denen man sich festhalten könne – Symbol für das Haltfinden im Glauben. Könnte – möchten wir hinzufügen, denn die Griffe befinden sich in für Fussgänger unerreichbarer Höhe.

L1200557-650

L1200553-430

L1200562-430

Tatsächlich bietet die Diakonie einen Aufenthalt in der Turmklause an; Sanitärraume und eine kleine Küche befinden sich im Anbau der Kirche, zu dem man dann einen Schlüssel erhält. Mitglieder der Künstlergruppe RaumZeitPiraten hatten während ihrer Ausstellung in der Kirche vor zwei Wochen wohl als erste davon Gebrauch gemacht.

L1200552-430

Immer wieder eindrucksvoll und den Besuch wert: die Glasfenster der Kirche. Die oberen runden Fenster gestaltete der zuletzt in Darmstadt lebende, im Oktober 2013 verstorbene Maler und Bildhauer Helmut Lander. In dem einen der beiden Motivfenster sehen wir einen herniederfahrenden Engel mit Schwert, in dem anderen den in den Himmel auffahrenden Christus.

L1008030-430

Einigen Arbeiten von Andrea Büttner – 1972 in Stuttgart geboren, die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt – sind wir bereits begegnet: 2012 auf der Kasseler documenta 13 und im vergangenen Jahr im MMK-Zollamt, wo sie eine eindrucksvolle Einzelausstellung – ihre erste in einem musealen Rahmen – hatte.

Büttners akademische Karriere ist mehr als bemerkenswert: Im Jahr 2000 schloss sie ihr Studium an der Berliner Universität der Künste als Meisterschülerin ab, 2003 erwarb sie den Magisterabschluss für Kunstgeschichte und Philosophie an der Humboldt-Universität und 2010 den angelsächsischen Doktortitel Ph.D (Philosophical Doctorate) am Royal College of Art in London. Seit 2012 hat Andrea Büttner eine Professur an der Kunsthochschule Mainz (Klasse für Zeichnung) inne. Unter ihren vielfältigen Auszeichnungen kommt dem Maria Sibylla Merian-Preis (2009) des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst besonderes Gewicht zu.

Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos: Erhard Metz

 

Comments are closed.