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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Herausragend! Das Relief von Rodin bis Picasso“- Eine phantastische Ausstellung im Städel Museum (1)

Dimensionensprengend: Aus zwei mach drei

Unerwartete Verdichtungen, betörende Augentäuschungen und erhellend hybride Raumillusionen zwischen Bildhauerkunst und Malerei

Von Petra Kammann

Reliefs können sowohl zarte wie auch kräftige Raumeroberer sein, geheimnisvoll Verborgenes oder strahlend Helles offenbaren. Und je nach Lichtlage können sie interessante Schatten erzeugen. Im Peichl-Bau des Städel Museums überraschen derzeit an die 140 herausragende Reliefs, wahre Schätze hochkarätiger Künstler und Künstlerinnen zwischen 1800 und 1970: Kunstwerke aus den eigenen Sammlungen und aus führenden europäischen Museen wie dem Musée d’Orsay, dem Musée Picasso und dem Centre Pompidou in Paris, dem Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, dem Kunstmuseum Basel oder dem Musée des Beaux-Arts de Lyon, dazu selten zu sehende Arbeiten aus Privatsammlungen von rund 100 Künstlern, davon knapp 10 Künstlerinnen, gespeist auch aus der Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle.

Hier beginnt die Ausstellung „Herausragend“ im Städel Museum. Blick in die untere Etage des Peichl-Baus, Foto: Petra Kammann

Seit nunmehr 40 Jahren gab es in Deutschland keine Ausstellung mehr über das Relief, nimmt es doch eine Zwitterstellung innerhalb der Kunstgeschichte ein. Dabei haben Reliefskulpturen, die in unterschiedlichem Maße aus einem zweidimensionalen Hintergrund herausragen, sowohl in östlichen als auch in westlichen Kulturen eine bedeutende, über 20.000 Jahre alte Geschichte. Schon in der Jungsteinzeit ist es ein probates künstlerisches Medium. Man denke nur an die rätselhaft abstrakten Reliefdarstellungen und Gravuren auf Granit in den Grabanlagen der Megalithkultur (ca. 3500–4500 v. Chr.) wie etwa die Table des Marchands und die Pierres Plates in Locmariquer in der südlichen Bretagne oder auf der Insel Gavrinis.

Megalithkultur: Rätselhafte Zeichen im Granit auf der Insel Gavrinis, Foto: Petra Kammann

Die Ägypter bemalten in der Folge dann die Reliefs in ihren Grabstätten, während die Friese und Kapitelle der griechischen Tempel zu unserem Bild vom klassischen Altertum beitrugen. Doch wäre ein Museum damit überfordert, so weit auszuholen, um den Ablauf der Geschichte dieser Gattung zu folgen. Insofern ist die Begrenzung auf den Zeitraum von 1800 bis hinein in die 1960er Jahre der gerade begonnenen Ausstellung „Herausragend. Das Relief von Rodin bis Picasso“ eher förderlich, das Prinzip zu begreifen, was sich alles hinter dem besonderen Genre verbirgt. Genau das herauszukitzeln, verlangt jedoch ein spezielles Fingerspitzengefühl.

Diesen Sommer können unsere Besucherinnen und Besucher im Städel Museum einem aufregenden künstlerischen Medium begegnen: dem Relief. Eine Kunstform zwischen Malerei und Skulptur, die den sprichwörtlichen Rahmen und die Grenzen unseres Sehens sprengt!“, sagt Städeldirektor Philipp Demandt zu Recht, der glücklich darüber ist, dass nun im Frankfurter Städel Museum das Relief „als Ausdruck großer Kunst“ gewürdigt wird, mal abgesehen davon, dass hier endlich wieder ohne pandemische Einwirkung international gearbeitet werden kann.

Der Rundgang durch die klug strukturierte Schau gibt ihm recht. Hier werden tatsächlich die Grenzen gesprengt und die Sinne für das, was große Kunst ausmacht, geöffnet, indem der Blick auf traditionelle Erzählweisen in den klassizistisch angelegten Werke ebenso geschärft wie auch ein vertieftes Verständnis für die Experimentierfreude mit Alltagsmaterialien von Gegenwartskünstlern des 20. Jahrhunderts geweckt wird…

Blick in die Ausstellung mit dem Schwerpunkt „Polychrome Reliefs“, Foto: Petra Kammann

Alexander Eiling und Eva Mongi-Vollmer, die Kuratoren dieser in verschiedener Hinsicht herausragenden Ausstellung (allein der Titel ist so passgenau wie genial gewählt!), haben sich der besonderen Herausforderung gestellt, eine sinnvolle Auswahl zu treffen, wobei im speziellen Fall die Zeit der Vorbereitung während der Pandemie hier sinnvoll genutzt werden konnte, wie Mongi-Vollmer bekennt. Mangels Reisemöglichkeiten hätten sie sich noch intensiver mit dem kostbaren Bestand im Depot des Hauses beschäftigen können, wo etliche der Werke aus konservatorischen Gründen ungesehen lagern – seien es lichtempfindliche Papierarbeiten oder fragile Gipsabdrücke wie etwa die vom Parthenon-Fries, von dem es im Städel schon seit 1802 einen Gipsabdruck gab, der in der Städelschule – einer Art Kunstakademie – zu Demonstrationszwecken für die dort Studierenden genutzt wurde. Dabei seien natürlich auch noch andere wunderbare Entdeckungen gemacht worden.

Blick auf den Marmor-Epitaph des dänischen Bildhauers Bertel Thorwaldsen für den in Italien früh verstorbenen Johann-Philipp Bethmann (Liebieghaus), Foto: Petra Kammann

Natürlich könne eine solche Schau keine umfassende chronologische Geschichte des Reliefs bieten. Klug daher, dass sich die Kuratoren auch im Sinne des starken Sammlungsbestands des renommierten Hauses auf Werke aus der Zeitphase zwischen 1800, der Hochzeit des Klassizismus, und die experimentellen 1960er Jahre konzentriert haben, um anhand von kontrastierenden Gegenüberstellungen das Auge der Betrachter besonders zu schärfen und zu schulen.

Auch haben sie sich nicht von spitzfindig abstrakten Definition leiten lassen, welche die verschiedenen Reliefarten unterscheiden wie: Hautreflief (Hochrelief), bei dem stark erhabene Elemente aus der Fläche herausragen, im Gegensatz zum Basrelief  (Tiefrelief), wo in die Fläche hinein gearbeitet oder schlicht geritzt wird, während das Halbrelief geringere Erhebungen aufweist als das Haut Relief, und weniger Schatten produziert und sich daher besonders für Portraits anbietet. Natürlich tragen die Kuratoren diese Unterscheidungen im Hinterkopf immer mit sich herum. Doch stellen sie nicht etwa solche abstrakten Begriffsunterscheidungen in den Vordergrund, sondern haben sich thematisch für starke Augenöffner und Gegensatzpaare, präsentiert  auf edel feingrauen Wänden, entschieden und darüberhinaus für einen inhaltlichen Parcours in 13 Kapiteln.

v.l.n.r.: Das Städel-Team: Dr. Eva Mongi-Vollmer (Kuratorin für Sonderprojekte), Dr. Alexander Eiling (Sammlungsleiter Kunst der Moderne), Projektleiterin Dr. Friederike Schütt

„Das Relief ist eines der ältesten Bildmedien der Menschheit. Als Hybrid steht es nicht nur zwischen den künstlerischen Gattungen Malerei und Skulptur, sondern in der Wahrnehmung auch im Spannungsfeld zwischen Sehen und Berühren.“ Das Relief, dieses Zwitterwesen aus Malerei und Skulptur, „vereint das Beste aus beidem“, sagt Kuratorin Eva Mongi-Vollmer begeistert und der Funke springt unmittelbar über: Es beginne in der Fläche, breche sie auf, stoße damit in die dritte Dimension vor und erweitere somit den Raum. Und natürlich würde man auch gerne mit der Hand über solche Oberflächen streichen, würde nicht gleich wegen der Kostbarkeit des Objekts unmittelbar eine Alarmanlage anspringen.

Besonders gute Beispiele bieten hier im Teil, der mit „Polychrome Reliefs“ überschrieben ist, ganz überraschende farbige Holzrefliefs von Paul Gauguin (1848 – 1903) etwa, der sich sowohl von der Kunst in der Bretagne hat inspirieren lassen, als auch von polynesischen Skulpturen auf der Pariser Weltausstellung von 1889, bevor der Maler in die Südsee aufbrach, wo seine bekanntesten Bilder entstanden. Ähnlich eindrucksvoll und überraschend ist Ernst Ludwig Kirchners (1880- 1938) geschnitztes Hochrelief aus Arvenholz „Lehrer Florian Bätschi mit Schulkindern“ von 1936, das fast mittelalterlich anmutet. Es ähnelt wenig Kirchners früherer Malerei. Mit dem Hochrelief gleich am Eingangsportal des Schulhauses in Davos-Frauenkirch, das die einzelnen Personen ganz realistisch hervortreten lässt, errang der in Deutschland als „entartet“ eingestufte Maler zudem eine neue Stufe der Beliebtheit im Engadin Dorf.

Ein starker Auftritt gleich zu Beginn der Schau: Ausstellungsansicht, Foto: Norbert Miguletz

Doch zurück zur Ausstellung. Schon der Auftakt zum Gang in den ersten Teil in der unteren Etage ist verblüffend. Unter dem Aspekt „Plastisch erzählen“ wird die Aufmerksamkeit der Besucher unmittelbar erregt, werden doch schon hier zwei völlig verschiedene, auf der Grundform des Kreises zentrierte Werke gegenübergestellt: das Bronzerund „Schild des Herakles“ von Ludwig Schwanthaler,  dem Schöpfer der Bavaria in München. Auf dem Bronzeschild erzählt und beschwört er in konzentrischen Ringen die Heldentaten des antiken Halbgottes Herakles. Dem ist das organisch-spiralförmig ausgerichtete Nagelrelief des ZERO-Künstlers Günther Uecker (*1930) aus dem Jahr 1962 zur Seite gestellt, das in sich sowohl eine hohe Bewegung vermittelt und einen wie in einen Strudel hereinzieht, und das nicht zuletzt wegen der eingeschlagenen Nägel abwehrend und latent aggressiv wirkt. Der ans Kreuz genagelte Christus schwingt dabei als Assoziation mit, verstärkt durch die besonderen Schatten, die es wegen der dynamisch schräg eingeschlagenen Nägel auf den monochromen Holzuntergrund und je nach Belichtung auf die dahinterliegende Wand wirft.

Gerhard Richter, Großer Vorhang 1967, Öl auf Leinwand 200 × 275 cm Städel Museum, Frankfurt am Main © Gerhard Richter 2023 (14042023)

Ja, man kann auch ein scheinbar schlichtes Gemälde mit dem Blick ertasten wie eine Skulptur, – man denke dabei nur an den „Großen Vorhang“ von Gerhard Richter. Das Trompe l’oeil, das den Blick täuscht und den Betrachter in eine Fiktion verwickelt, lässt den Blick über die changierend-irritierende Oberfläche ins Absurde schweifen.

Die metallischen Flügelblätter die dynamischen Anlage der „Construction dynamique“ des russischen Konstruktivsten und Exil-Künstlers Antoine Pevsner (1884 -1962) aus dem Jahre 1947 im Kapitel „Der vielseitige Blick, scheinen sich voneinander abzuwenden. Dabei hat der Künstler seine in verschiedene Richtungen blickende Messing-Verwirbelung auf eine bemalte Holzfaserplatte befestigt. Dieses geheimnisvoll dynamische Relief, das auch den Titel des Ausstellungskatalogs ziert, hat das Pariser Centre Pompidou der Ausstellung beigesteuert.

Ausstellungsansicht im zweiten Teil der Schau unter dem Thema „Grenze und Möglichkeitsraum“, Foto: Norbert Miguletz

Mit der Rückbindung an die klassische Antike um 1800 beginne – so die Kuratoren – „eine deutliche Zäsur für die Bedeutung und die Ästhetik des Reliefs„, während in den 1960er-Jahren der ‚Ausstieg aus dem Bild‘ und der damit verbundene Transfer bildhauerischer Konzepte in Raumkonzepte einen erneuten Dreh- und Angelpunkt markiere.

Beziehen wir uns zurückblickend auf die Antike, so diente das Relief da vor allem als Schmuckelement von Architekturen, sei es als Fries oder als Kapitell, während in der Renaissance Maler und Bildhauer sich geradezu darin zu überbieten schienen, wer denn besser und genauer die Wirklichkeit abbildete. Farbig und plastisch drangen sie in die dritte Dimension des Bildes, die gerade entdeckte Perspektive, auf der gemalten zweidimensionalen Fläche eben auch nur eine Illusion.

Ausstellungsansicht, Foto: Norbert Miguletz

Schon um 1800, mit dem ausgehenden Klassizismus fanden dann vermehrt kunsttheoretische Debatten statt, in denen das Relief als Zwischengattung eine Brückenfunktion unter den Künsten übernahm. Hervorgerufen durch die großen Veränderungen des 19. Jahrhunderts wuchs das künstlerische Interesse dann zunehmend, die traditionellen Gattungsgrenzen zu überwinden. Die Künstler waren eben nicht mehr nur Bildhauer oder Maler, sondern Maler schufen Skulpturen, und Bildhauer bemalten ihre Werke.

Man experimentierte mit neuen Formen, Techniken und vor allem mit völlig anderen Materialien als nur wie bis dahin mit Stein, Ton, Gips oder Bronze, auch Holz. Im Zuge der umwälzenden Veränderungen des frühen 20. Jahrhundert griffen die Kreativen dann Alltagsgegenstände, Fundstücke und Trash auf und verwandelten diese, indem sie sie verklebten, collagierten, vernagelten, um in die dritte Dimension vorzudringen und den Aufbruch zu signalisieren, dass nun eine Tür zur neuen Welt der Utopie aufgestoßen werde.

Um die enorme Bandbreite des Reliefs von 1800 bis 1970 zu erfassen, sollte man sich allerdings nicht nur einen Ausstellungsbesuch gönnen, um die bekannten stilistischen Schubladen innerlich zu schließen. Nur so kann man sich gezielt auf die jeweilige neue Thematik einlassen, Geist und Seele erfrischen, und Umrisse einer in sich zusammenhängenden und sich ständig verändernden Welt vor Augen führen, Utopien inklusive. Nicht nur das ist garantiert.

Ohne Drei-D-Brille erhält allein der Schriftzug Tiefe, Foto: Petra Kammann

DIE AUSSTELLUNG

HERAUSRAGEND! DAS RELIEF VON RODIN BIS PICASSO

Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main und der Hamburger Kunsthalle.

Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main

staedelmuseum.de

Die Ausstellung zeigt vom 24. Mai bis 17. September 2023 in 13 Kapiteln mit Werken von Bertel Thorvaldsen, Jules Dalou, Auguste Rodin, Medardo Rosso, Paul Gauguin, Henri Matisse, Pablo Picasso und Alexander Archipenko sowie Hans Arp, Kurt Schwitters, Sophie Taeuber-Arp, Yves Klein, Louise Nevelson, Lee Bontecou und etlichen  anderen.

Pressekonferenz: v.l.n.r.: Projektleiterin Dr. Friederike Schütt, die Kuratoren  Dr. Alexander Eiling (Sammlungsleiter Kunst der Moderne) und  Dr. Eva Mongi-Vollmer (Kuratorin für Sonderprojekte),  Stüdeldirektor Dr. Philipp Demandt und Karin Wolff (GF Kulturfonds RheinMain)

Besucherservice und Führungen:

+49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de

Tickets:

Di–Fr 16 Euro, ermäßigt 14 Euro; Sa, So + Feiertage 18 Euro, ermäßigt 16 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: 14 Euro pro Person, am Wochenende 16 Euro.
Für alle Gruppen ist generell eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.deonline unter: shop.staedelmuseum.de

Überblicksführungen:

Donnerstags 18.00 Uhr (außer am 8. Juni) / Sonntags 11.00 Uhr / Montag, 29. Mai, 11.00 Uhr / Donnerstag, 8. Juni, 16.00 Uhr / Barrierefreie Überblicksführung mit ausführlicher Bildbeschreibung am Sonntag, 4. Juni, 11.00 Uhr / Barrierefreie Überblicksführung mit Gebärdensprachdolmetscherin am Donnerstag, 13. Juli, 18.00 Uhr

Tickets sind online unter shop.staedelmuseum.de erhältlich.

Der Katalog:  

Der von Alexander Eiling,
Eva Mongi-Vollmer und
Karin Schick herausgegebene
Katalog beleuchtet die
Variationen
des Reliefs von
1800 bis in die 1960er-Jahre
Verag
Prestel

 

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